Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Iselin, Isaac“ von August Bernoulli in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 772–776, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Iselin,_Isaak&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Noorden, Karl von
Band 23 (1886), S. 772–776 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Isaak Iselin in der Wikipedia
Isaak Iselin in Wikidata
GND-Nummer 118555952
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|772|776|Iselin, Isaac|August Bernoulli|ADB:Iselin, Isaak}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118555952}}    

Iselin *): Isaac I., geb. am 7. März 1728 in Basel, von einer alten bürgerlichen Familie. Sein Vater war Kaufmann und scheint ein unruhiger Kopf gewesen zu sein. Bald nach der Geburt des Sohnes trennte er sich von seiner Frau, einer geborenen Burckhardt, und verließ Basel, um im J. 1748 in Berlin zu sterben. Die Mutter übernahm ganz die Erziehung ihres geliebten Söhnchens; sie war eine energische und verständige Frau, die großen Einfluß selbst noch auf den erwachsenen, zum Manne gereiften Sohn ausübte, der ihr mit inniger Liebe bis an ihren Tod zugethan blieb. Neben der Mutter und zwei mütterlichen Onkeln war es besonders der Philologe Professor Birr, der auf den jungen lernbegierigen Knaben günstig einwirkte, während Professor Spreng ihn in die deutsche Litteratur einführte. Nach gut vollendeten Studien in seiner Vaterstadt bezog er zu seiner ferneren Ausbildung 1747 die Universität Göttingen, wo er indessen nur ein Jahr verblieb, um sodann als junger Rechtsgelehrter in seiner Vaterstadt zu wirken. Da bei Besetzung von Stellen und Aemtern das Loos entscheiden mußte, welches eingeführt worden war, um Intriguen und Begünstigungen zu vermeiden, so blieb er längere Zeit ohne Amt, da ihm das Loos nicht günstig war. Er benutzte diese unfreiwillige Muße zu allerlei litterarischen und philosophischen Studien und u. a. auch zu einer Reise nach Paris im J. 1752, wo er Buffon, Grimm, Rousseau und andere bedeutende Männer kennen lernte und manchen anregenden Eindruck empfing. Nachdem er mehrmals schon als Professor für die Basler Universität vorgeschlagen worden, wobei aber das Loos gegen ihn entschied, wurde er endlich im J. 1754 Mitglied des großen Raths, Gerichtsherr und 1756 Rathsschreiber, eine Stellung, die er bis an sein Lebensende (1782) mit Auszeichnung bekleidete; im gleichen Jahre verehelichte er sich [773] mit seiner Mitbürgerin, Helene Forkart, einer liebenswürdigen Frau. Er wurde der Vater eimer zahlreichen Familie und stand mit vielen hervorragenden Männern seiner Zeit, wie Haller, Geßner, Basedow, Lavater etc. in Verbindung.

I. war einer jener Männer des vorigen Jahrhunderts, die das Herannahen einer neuen Zeit und mit ihr neuer Gedanken herausfühlten und die Vorboten derselben wurden. In seiner Stellung als Rathsschreiber, d. h. als Secretär der Regierung und des großen Rathes, war er in mannigfacher Beziehung mit dem Volke und mit allen Angelegenheiten des Gemeinwesens wohl vertraut; er empfand die Mängel desselben und sann auf zweckmäßige Neuerungen. Besonders beschäftigte er sich lebhaft mit dem Erziehungswesen und war hierin ein feuriger Anhänger Basedow’s, obschon er auch für dessen Schwächen ein scharfes Auge hatte. Lebhaft empfindend und ideal angelegt, begeisterte er sich aufs höchste für alles, was er für das Wohl seiner Mitmenschen ersprießlich fand und schwärmte mit voller Hingabe für alles, was ihm als gut und edel erschien. Wol mochte er sich hierbei manchmal durch seinen Enthusiasmus irreleiten lassen, oder er konnte auch, wenn er zu wenig mit der Wirklichkeit rechnete, auf unerwartete Hindernisse stoßen, die seinen Plan vereitelten; stets aber blieb er muthig und hoffnungsvoll, beseelt mit einem oft etwas optimistischen Glauben an die Fortschritte des menschlichen Geistes, deren Zukunft er sich in den herrlichsten Farben auszumalen wußte. Diese innere Wärme gestattete es ihm denn manches Schöne und Gute auszuführen und ein äußerst anregendes Element seiner Vaterstadt zu werden. So kämpfte er mit vielem Eifer für die Aufnahme neuer Bürger. Er sah, daß Basel, infolge langer Friedenszeiten, zu sehr in bequemem Reichthum eingeschlafen war und nicht diejenige Entwickelung habe, die es haben konnte. Das System, die Bürgerschaften abzuschließen, wie es damals in manchen Städten befürwortet und durchgeführt wurde, schien ihm unrichtig, er wollte der Stadt neue Kräfte zuführen, und dadurch neue vermehrte Thätigkeit herbeirufen. Ganz besonders aber wollte er der Basler Universität neues Leben einhauchen; im Verein mit seinem Freunde Daniel Bernoulli machte er Vorschläge „für Verbesserung und bequemere Einrichtung der Universität“, die jedoch nur wenig Erfolg hatten. Im Zusammenhange mit der Universität wollte er überhaupt das Schulwesen heben. In seinem „Versuch eines Bürgers über die Verbesserung der Schulen in einer reichen republikanischen Handelsstadt“, entwickelte er manchen Gedanken, der später allgemein als richtig anerkannt und benützt worden ist, der aber damals noch ganz neu war; er bekämpfte die alte pedantische Routine, er deutet bereits auf die Wichtigkeit gesunder Körperentwickelung hin, er weist der Schule die richtige Stellung neben dem elterlichen Hause an, und entwickelt die pädagogischen Grundsätze nach welchen zu verfahren sei; wünscht Trennung der humanistischen Schüler von den realistischen Schülern, die nicht so lange die Schule besuchen und denen statt der lateinischen Sprache die französische Sprache geboten werden soll. Wir finden bereits manche Frage erörtert, welche jetzt die Schulmänner beschäftigt. Dem zähen Festhalten vieler seiner Mitbürger am hergebrachten Alten gegenüber war seine Stellung oft eine nicht leichte.

Große Aufmerksamkeit widmete I. der Nationalökonomie. Die sogenannten Physiokraten oder Naturforscher der französischen Schule, besonders Turgot, Condorcet, Goumay waren seine Freunde, mit ihnen glaubte er in den Erzeugnissen des Bodens und dem landwirthschaftlichen Reinertrage das wichtigste Element des Wohlstandes zu sehen, dem die höchste Sorgfalt zu widmen sei, in den Landbauern erblickte er die productivste Classe der Bürger. Diese seine Richtung ist denn auch in einem seiner bekanntesten Werke, den „Träumen eines Menschenfreundes“ zum Ausdruck gekommen. Ihn leitete dabei der Gedanke, welcher [774] damals von manchem Philosophen getheilt wurde, „daß das bestehende Elend von der erreichbaren Glückseligkeit nur durch Schranken getrennt sei, welche schon durch die Verbreitung der Erkenntniß von der wahren Natur des Menschen hinweggeräumt werden könnten“. Er glaubte wirkliche Fingerzeige zu geben, wie die sociale Frage wol gelöst werden könnte. In diesem Buche stellt er besonders den Satz auf, daß in der Ungleichheit der Veranlagung der einzelnen Menschen eine höhere Anordnung sich finde, die jeden Einzelnen sein wahres Glück in der specifischen Ausbildung dieser Anlagen finden lasse, wodurch in höherem Sinne ein vollkommenes Ebenmaß der Glückseligkeit für Alle erreicht werden könne. Das Zusammenwirken dieser verschieden ausgebildeten Menschen bringt dann die Harmonie der ganzen Gesellschaft hervor, so wie auch ihrer Interessen. Freie Concurrenz erscheint ihm als ein Naturgesetz. Als er dieses Buch verfaßte, war er 27 Jahre alt. – Auf ähnlichem Gedankengrunde entstand ein späteres Werk, das große Verbreitung fand, die „Geschichte der Menschheit“, in welchem er sich die Aufgabe stellte, den Entwickelungsgang der Cultur der Menschheit darzustellen. Er will darin zeigen, wie mehr und mehr unter den Menschen die Macht der Vernunft die Herrschaft der sinnlichen Triebe und Begierden und falscher Einbildung überwindet, er schließt mit einem freudigen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft der Menschheit und hofft, daß unsere Nachkommen auch von den letzten Schlacken der Barbarei, die uns noch anhaften, befreit sein werden. – In der kleinen Schrift „Palaemon oder von der Ueppigkeit“, bespricht er den Luxus und die damals bestehenden Gesetze gegen denselben, in der Form eines Dialoges. Er sucht darin nachzuweisen, wie der Luxus zur Entfaltung reich angelegter Naturen in gewissem Sinne dient, wie durch ihn der Sinn für Kunst und das Schöne entwickelt werde, und wie er, wenn in vernünftigen Schranken, wohlthätig wirken könne; er zeigt auch, wie wirkungslos die Gesetze gegen denselben sich meistens erzeigen. Dabei aber weiset er darauf hin, wie eine gemeinnützige Verwendung des Reichthums besonders ehrenvoll und zweckmäßig sei.

Charakteristisch für I. ist die in seinen Schriften entwickelte Ansicht, es müsse der Staat sich nicht darauf beschränken, nur die Rechtsverhältnisse zu überwachen, sondern auch, wenigstens indirect, ins wirthschaftliche Leben eingreifen, er will ihm unter anderen die Sorge für Kinder- und Fortbildungsschulen, für öffentliches Gesundheits- und Vergnügungswesen überbürden; es überrascht dieses einigermaßen gegenüber seiner Tendenz, den Einzelnen sich möglichst frei entfalten zu lassen, und das laissez-faire als Regel aufzustellen. Er erblickt eben im Staate den weisen, wohlwollenden Vater, der das Wohl seiner Kinder in jeder Weise finden soll, durch alles zieht sich ein Zug menschenfreundlicher, auf die Macht des Guten vertrauender Liebe.

Eine starke Theuerung des Getreides im Jahre 1770 erregte seine Aufmerksamkeit. Während die öffentliche Meinung die Kornwucherer dafür verantwortlich machte, trat I. dieser Ansicht entgegen, und fand die wirkliche Ursache in den Landleuten, die überhaupt mehr Nutzen aus ihren Producten ziehen wollten, und sich dazu durch den starken Zufluß von Edelmetallen aus Amerika und die vermehrte Geldabundanz ermuntert fanden; es beweiset dieses, wie sehr I., unbekümmert um Vorurtheile, den nationalökonomischen Erscheinungen auf den Grund zu kommen suchte. Er war es denn auch, der zu statistischen Erhebungen aufmunterte; ein erster Versuch dieser Art fällt ins Jahr 1774, wo eine detaillirte Aufnahme der Bevölkerung des Stadtgebietes angeordnet wurde. Um den Sinn für rationelle politische Oekonomie zu wecken, veranlaßte er auch den Angehörigen der physiokratischen Schule Schlettwein, nach Basel zu kommen, um im Jahre 1776 Vorlesungen über Staatswissenschaft zu halten. Um seinen [775] nationalökonomischen Anschauungen mehr Verbreitung zu verschaffen und Interesse dafür zu wecken, entschloß er sich im gleichen Jahre eine Zeitschrift „Die Ephemeriden der Menschheit“ herauszugeben, die zuerst in Basel und später in Leipzig erschien, und die auch in Deutschland manche Leser fand; er führte sie bis zu seinem Tode im J. 1782 fort. Diese Zeitschrift zeichnete sich sowohl durch die Mannigfaltigkeit des Stoffes, als auch durch ihre maßvolle Haltung vortheilhaft aus. I. kannte zu sehr die wirklichen Zustände, als daß er sich durch theoretische Anschauungen hätte zu Schwachheiten verleiten lassen, wie dieses besonders seine französischen Freunde oft thaten, die rücksichtslos ihre Theorien durchführen wollten. – Wie wenig I. auch nationalökonomischen Gegnern sich hart zeigte, beweiset sein Verhältniß zu Goethe’s Schwager, Schlosser, der, als badischer Staatsmann, sich überzeugen konnte, wie ein Versuch, der in seinem Bezirke gemacht wurde, die Theorien der Physiokratie praktisch anzuwenden, ganz mißlang, und der nun entschiedener Gegner dieses Systemes wurde. Trotzdem er nun in manchen Punkten der Antipode Iselin’s wurde, ersuchte ihn dennoch nach dessen Tode die Helvetische Gesellschaft, deren Mitglied er war, eine Lobrede auf den Verstorbenen zu halten, die er denn auch in vollster Anerkennung von Iselin’s Charakter und Sinnesart hielt.

Eine ganz besondere Bedeutung gewann I. durch seine Vereinsthätigkeit; seine mittheilsame, liebevolle, gesellige Natur, welcher Freundschaft ein hohes Bedürfniß war, machte ihn besonders dazu geeignet, im Vereinswesen einen mächtigen Hebel zur Verbreitung guter Ideen zu finden. Sein staatsmännischer Blick erkannte die Schwäche der damaligen Schweiz gegenüber dem Auslande; er erblickte die Ursachen derselben im Mangel an politischer Begeisterung und Einigkeit. Eine Flugschrift „Politische Träume eines Eidgenossen“ im Jahre 1758 erregte allgemeines Aufsehen, und als eine Frucht derselben sehen wir I. im J. 1760 als Stifter der Helvetischen Gesellschaft, die eine Zahl der hervorragendsten Eidgenossen seiner Zeit vereinigte. Alljährlich wurde eine Sitzung in Schinznach gehalten; Männer wie Salomon Hirzel, der Dichter Geßner, Zimmermann von Brugg und andere waren die Mitbegründer. Ein schönes Band flocht sich um diese Freunde und entzündete in ihnen das Feuer einer edlen Vaterlandsliebe. Erziehungswesen, Landbau, Beseitigung schlechter Beamter etc. waren die Gegenstände der Besprechungen, und wenn auch einige Regierungen diese Gesellschaft als eine solche von Neuerern mit Mißtrauen beobachteten, sie blühte fort und fort bis nach Iselin’s Tode und trug viel zur Wahrung patriotischen Sinnes in der Schweiz bei. Die wirkungsvollste Schöpfung Iselin’s für seine Vaterstadt war aber die im J. 1777 gegründete Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen, die, nach dem Vorbilde der Bernerischen und Zürcherischen, sich die Aufgabe stellte, durch freiwillige Thätigkeit das Wohl und die Annehmlichkeit der Mitbürger zu fördern. Diese anfänglich nur aus wenigen Mitgliedern bestehende Gesellschaft gewann immer mehr Boden, und besteht jetzt nach mehr als 100 Jahren aus etwa 1600 Mitgliedern, die eine ziemliche Zahl gemeinnütziger Unternehmungen aller Art unterstützen. Eine der zweckmäßigsten Unternehmungen dieser Gesellschaft ist die Ersparnißcasse, in welcher gegenwärtig für etwa 14 Millionen Ersparnisse wenig Bemittelter verwaltet werden. Diese Gesellschaft ist ein Beweis, was freiwillige Thätigkeit leisten kann, und wie viel Gutes dadurch befördert wird, sie hat aber auch einen indirecten Einfluß geübt, indem sie den Sinn für Gemeinnützigkeit und für Darbringung der Opfer für das allgemeine Beste, wesentlich unter Basels Bürgerschaft geweckt hat. So sehen wir denn in I. eine jener Persönlichkeiten, die in vielseitiger Thätigkeit sich dem Wohle ihrer Mitbürger widmen, und mitten in einer Zeit, in welcher der Cultus des Althergebrachten [776] und der Routine nur zu sehr gepflegt wurde, als erste Verkünder neuer Ideen, die Vorboten einer neuen Zeit waren. Wenn ihm auch manchmal eine große naive Ueberschwenglichkeit vorgeworfen werden kann, so wirkt doch die Wärme seines Gefühls, die helle Begeisterung für seine Ideen, der feurige Wille das Gute zu thun, der ihn beseelte, erhebend auf jeden, der sein Leben näher betrachtet, und so wird auch I., wenn auch inmitten eines kleinen Gemeinwesens lebend, stets eine bedeutsame Erscheinung bleiben, als das Vorbild eines Bürgers, der ein offenes Auge hatte für alles was seine Mitmenschen bewegt, und ihre Wohlfahrt fördert. – I. starb am 15. Juni 1782 erst 54 Jahre alt.

Vgl. Isaac Iselin von A. v. Miaskowski in den Basler Beitr. f. vaterländ. Geschichte, Bd. X.

[772] *) Zu Bd. XIV S. 611. Der Herr, welcher s. Z. die Bearbeitung dieses Artikels übernommen hatte, ließ uns damit im Stich.