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Artikel „Hiecke, Robert Heinrich“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 385–388, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hiecke,_Robert_Heinrich&oldid=- (Version vom 8. November 2024, 02:26 Uhr UTC)
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Hiecke: Robert Heinrich H., geistvoller, besonders um die Hebung des deutschen Unterrichts auf Gymnasien verdienter Pädagog, geb. am 16. Februar 1805 zu Penig im Königreich Sachsen, wo sein Vater praktischer Arzt war, † am 5. December 1861 zu Greifswald. Einige Jahre nach der Geburt des Knaben zogen die Eltern nach Lützen und hier empfing derselbe die ersten bedeutenden und lebendig bewahrten Erinnerungen, indem er das bei Leipzig geschlagene französische Heer heimwärts flüchten sah. Schon im siebenten Lebensjahr hatte er den Vater verloren, die Mutter aber verlegte nach der Wiederverheirathung mit Dr. Herzog 1814 ihren Wohnsitz nach Merseburg. Auch unter den veränderten Umständen gebrach es dem Knaben an treuer Fürsorge nicht: wie innig das Verhältniß zu seinem Stiefvater war, ergibt sich aus der späteren Zueignung der Schrift über Macbeth. Im J. 1815 trat er in das städtische Gymnasium ein und zeigte rasch vorschreitend einen Wissenstrieb, der gleich sehr auf Gründlichkeit wie auf Umfang der Kenntnisse gerichtet war. Ein höheres geistiges Leben erschloß sich ihm mit der Berufung des Professors C. F. Wieck zum Conrector der Anstalt; auf dessen Rath entsagte er einer ausgebreiteten Romanlectüre, welche sein so leicht empfängliches Gemüth zu gefährden drohte und strebte fortan mit unermüdlichem Eifer in den antiken und modernen Classikern [386] hinter der schöneren Form auch den tieferen Gehalt zu erfassen. Nach ¾ Jahren ward Wieck auf kurze Zeit nach Pforta berufen, übernahm sodann aber zur größten Freude Hiecke’s, welcher sogar an der Spitze einer Schülerdeputation dafür gewirkt hatte, das Merseburger Rectorat. Der Wunsch, den verehrten Lehrer bei der Hebung der sehr heruntergekommenen Anstalt zu unterstützen, bewog den Schüler, obwol derselbe inzwischen bereits durch selbständige Studien die Reife für die Universität erworben hatte, zu einem zweijährigen Aufenthalt in Prima über das bereits vollendete Triennium hinaus. Auf das Gründlichste vorbereitet und geistig vollauf reif bezog er, durch ein außerordentliches Stipendium der Merseburger Regierung geehrt, Ostern 1824 die Universität Halle und vollendete nach einjährigem Aufenthalt daselbst, für den ihm Reisig studium acerrimum bezeugt, von 1825–29 seine Studien in Berlin. Sein wissenschaftliches Streben umfaßte das classische Alterthum, deutsche Grammatik und Litteratur und Geschichte, aber er hörte auch Collegien über Physik und physische Geographie und suchte sich unter Hegel eine gründliche philosophische Bildung zu erwerben. Dem Studentenleben blieb er ziemlich fern und hielt sich an einen engeren Kreis geistig und sittlich verwandter Freunde, sowie an einige wahrhaft gebildete Familien; hier fand sein ideales Streben, seine Begeisterung für Musik (besonderes Beethoven’sche) Nahrung und Befriedigung. Aus welchen Gründen er die geplante akademische Laufbahn aufgab und Gymnasiallehrer ward, ist nicht zu ersehen. Er bestand die Prüfung für das höhere Lehrfach und trat, mit einem glänzenden Zeugniß versehen, sein Probejahr 1829 am Merseburger Gymnasium an. Bald in seinem Berufe heimisch geworden, erfaßte er mit gleichem Eifer und Geschick den Unterricht in der untersten Classe und in der Prima, übte mit Leichtigkeit eine strenge Disciplin und fand rasch den richtigen Weg auf den Geist und das Herz seiner Schüler einzuwirken. Nach kurzer Zwischenzeit, während welcher er eine Hauslehrerstelle bei dem späteren Regierungspräsidenten v. Krosigk bekleidete, wurde er Ostern 1831 in Merseburg als zweiter Collaborator angestellt. Hauptsächlich unterrichtete er in Quinta, der untersten Classe, und an einer als Privatunternehmen bestehenden Vorbereitungsschule; aus dieser Thätigkeit ging das von ihm in Verbindung mit Wislicenus herausgegebene „erste Lesebuch für Kinder“ hervor. So angenehm sein Leben durch eine gedeihliche Wirksamkeit, die erworbene Anerkennung und den innigen Verkehr mit den dortigen und den nahen Hallenser Freunden (namentlich Echtermeyer) sich gestaltet hatte, entschloß er sich gleichwol um einer Gehaltserhöhung willen als Subconrector nach Zeitz zu gehen. Auch hier wirkte er mit unermüdlichem Eifer für die Schule, indem er zugleich unablässig an der eigenen wissenschaftlichen Förderung arbeitete; dieser Periode seines Lebens verdanken das Programm über Goethe’s Iphigenie und die deutschen Lesebücher für mittlere und obere Gymnasialclassen ihre Entstehung. Zum Vollen und Ganzen erhob sein Leben und Wirken die am 25. April 1835 vollzogene Vermählung mit Luise Kießling, der Tochter seines Directors. Im folgenden Jahre rückte er in die durch den Tod des Subrectors Hornickel erledigte Stelle auf, ward jedoch schon Ostern 1837 als Tertius an das Merseburger Gymnasium zurückberufen und erhielt nach Haun’s Weggang das Conrectorat. Während seine amtliche Thätigkeit in Erfolg und Anerkennung (1839 erhielt er den Professortitel) immer höheren Aufschwung nahm, blühte sein Familienkreis immer voller und schöner auf und zugleich war er als Schriftsteller unausgesetzt schöpferisch. Im J. 1839 erschien das Programm über „Des Sängers Fluch“, 1842 das Buch über den deutschen Unterricht auf Gymnasien, 1846 die Schrift über Shakespeare’s Macbeth; dazu kommen eine Menge von Aufsätzen in den Halle’schen Jahrbüchern, später in der Pädagogischen Monatsschrift, sämmtlich über ästhetische und pädagogische Gegenstände. Sein äußeres Leben erhielt Abwechselung durch einige [387] größere Reisen (nach Süddeutschland, Tirol, den Rheingegenden und Belgien) und durch Fußreisen in die schönen Gegenden der Heimath. Auch über die Schule hinaus ging seine Wirksamkeit und war es nicht am wenigsten sein Verdienst, daß das Lehrercollegium ein festgeschlossenes und einmüthiges Ganzes bildete, so befreundete ein von ihm zumeist beseeltes pädagogisches Kränzchen die Gymnasial- und Bürgerschullehrer der Stadt. Nebenher dauerte der geistige Verkehr mit den alten Freunden fort und manche neue kamen hinzu, in dem benachbarten Halle besonders M. Duncker und K. Schwarz. Lebhaften Antheil nahm er an der Bewegung der „protestantischen Freunde“, und die Theilnahme an Versammlungen, in denen über kirchliche und religiöse Fragen verhandelt wurde, zog ihm eine Verwarnung seitens der Behörde zu. Das Jahr 1848 konnte ihn nicht unberührt lassen, wie in allen Dingen, die sein Interesse erregten, war ihm auch der politischen Bewegung gegenüber ein blos passives Verhalten unmöglich: als Mitglied eines constitutionellen Clubs, welcher gemäßigten Grundsätzen huldigte, entwickelte er eine Beredtsamkeit, in welcher er durch eminenten Scharfsinn glänzte und Unhaltbares, Zweideutiges, Widerspruchsvolles mit schlagenden Gründen zu vernichten wußte. Freilich erregte er dadurch in höheren Kreisen Anstoß, indeß verlief eine gegen ihn eingeleitete Untersuchung erfolglos, vollständig aber entlastete ihn erst bei seiner Berufung nach Greifswald eine persönliche Vernehmung durch den Minister v. Ladenberg. Wie allgemein das Vertrauen war, dessen er sich bei seinen Standesgenossen erfreute, bewies das ihm ertheilte Mandat zu der in Berlin 1849 abgehaltenen Lehrerconferenz über die Reorganisation der höheren Schulen. Aber so ehrenvoll auch seine Stellung und so weitgreifend seine Wirksamkeit war, nöthigte ihn doch die Sorge für seine zahlreiche, allmählich heranwachsende Familie, nach Ablehnung des Directorats in Posen dem schon erwähnten Ruf zur nämlichen Stellung am Greifswalder Gymnasium zu folgen und er trat Ostern 1850 sein neues Amt an. Hier wirkte er in demselben Geiste und gleich erfolgreich wie bisher, mit Kraft und Eifer arbeitete er an der Hebung des Gymnasiums, an der Entwickelung der eben eingerichteten Realschule und bahnte die Vereinigung einer als Privatunternehmen bestehenden Vorschule mit dem Gymnasium an. Anregend und fördernd wirkte er auch hier in weiteren Kreisen durch öffentliche Vorträge und geselligen Verkehr mit bald gewonnenen neuen Freunden, unter seinen schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Epoche nennen wir besonders die Aufsätze über „Shakespeare’s Krieg der beiden Rosen“ und mehrere Programme, namentlich zur homerischen Frage. In Anerkennung der Verdienste, welche er sich durch wesentliche Förderung eines der wichtigsten Theile des Schulunterrichts im Allgemeinen und durch die segensreiche Leitung des Gymnasiums unserer Stadt im Besonderen erworben, ward er bei der vierten Säcularfeier der Universität Greifswald am 21. October 1856 von der philosophischen Facultät zum Ehrendoctor ernannt. Im Ganzen jedoch war sein Leben hier reicher an Mühe, minder gehoben durch innere Befriedigung, manche unabweisliche Pflichten des Directorats, denen eine geistig interessante Seite nicht abzugewinnen war, lasteten schwer auf ihm und verdüsterten seine Stimmung, um so mehr, als er sich ihnen mit peinlicher Gewissenhaftigkeit unterzog. Auf’s Tiefste aber erschütterte ihn der Tod seiner Lebensgefährtin am 21. December 1855 und nahm ihm jede Lebensfreudigkeit. Eine Berufung zur Professur der Litteraturgeschichte in Rostock lehnte er nach einigen Unterhandlungen ab und blieb dem Berufe getreu, dem er sein ganzes Leben gewidmet hatte. H. war ein geborner Lehrer, bis an sein Lebensende bemüht die Methode seines Unterrichts zu vervollkommnen und mit gleicher Sorgfalt für das Gedeihen der untersten wie der obersten Classe bedacht; jeden einzelnen Schüler suchte er in seiner Eigenart zu erfassen und nach individuellem [388] Bedürfniß auf ihn einzuwirken und gerade den Säumigen wandte er die größte Aufmerksamkeit zu. Niemals jedoch erstrebte er blos die wissenschaftliche Ausbildung der Schüler, Hand in Hand ging damit die Erziehung zur Sittlichkeit und mehr noch als der geistvoll behandelte Lehrstoff wirkte darauf das von ihm selbst gegebene Beispiel. Denn wie er die Jünglinge für die Ideale christlicher Sittlichkeit und antiker Vaterlandsliebe zu begeistern suchte, so zeigte er sich selbst als getragen von ächtester Religiosität, begeistert für Wahrheit und Recht, mit ganzer Seele sich hingebend an die Interessen des Vaterlandes und der Menschheit. Das Gymnasium war ihm nicht eine in sich abgeschlossene Anstalt, sondern ein Glied in dem großen Organismus des gesammten Volkserziehungswesens. Für diese Ueberzeugung hat er sein Leben lang gewirkt. Auf’s Entschiedenste bekämpfte er das Abschließen der Gelehrtenschulen gegen die Volksschule, der Gymnasien gegen die Realschulen. Auf der Lehrerconferenz zu Berlin 1849 drang er vornehmlich auf Vermehrung der Stundenzahl für den deutschen Unterricht und auf Gleichstellung des Griechischen mit dem Latein in den oberen Gymnasialclassen, wahrte er dem Gymnasium den Religionsunterricht, wollte ihn jedoch von jeder dogmatisirenden Richtung unabhängig und entsprechend aller aus dem Humanitätsprincip sich entwickelnden Bildung in historisch freier Behandlung ertheilt wissen. Dabei legte er das größte Gewicht auf einfaches und unbefangenes Lesen der Bibel, denn dieselbe gewinne in dem Maße an Göttlichkeit, je mehr man sie menschlich auffassen und empfinden lerne. Das Muster eines für die Jugend berechneten Vortrages liegt in seiner am 10. November 1859 gehaltenen Schiller-Rede vor. Nur allzubald wurden durch eine so vielseitige und angestrengte Thätigkeit seine geistigen und körperlichen Kräfte aufgerieben. Schon im Frühjahr 1860 erkrankte er bedenklich: eine Kur in Inselbad bei Paderborn, dann eine Reise durch West- und Süddeutschland gaben ihm die verlornen Kräfte wieder. Aufs Neue erkrankt wiederholte er im Jahre darauf den Besuch des Bades, in seiner Abwesenheit feierte das Gymnasium das Jubiläum seines 300jährigen Bestehens, wobei dem Director der rothe Adlerorden vierter Classe zu Theil ward. Heimgekehrt trat er mit successiver Steigerung in seine amtliche Thätigkeit wieder ein und hatte von Michaelis ab die Leitung des Gymnasiums sowie seine volle Stundenzahl übernommen, als unerwartet ein Gehirnschlag seinem Leben und Wirken ein Ziel setzte.

H. Fischer, Biographie im Greifswalder Osterprogramm, 1862.