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Artikel „Herike, Goswin von“ von Konstantin Hoehlbaum in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 111–113, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herike,_Goswin_von&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:21 Uhr UTC)
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Herike: Goswin von H., Meister des Deutschordens in Livland, aus einer Familie, der zahlreiche Ordensritter, Bürger und Rathmannen in Westfalen, am Niederrhein, in der Altmark und in Preußen (Kulm) angehört haben. Am 14. December 1345 zum Meister erwählt widmete er sich zumeist der Bekämpfung der Litauer in Gemeinschaft mit dem Orden in Preußen. Den Kampf mit dem Rigischen Erzbisthum, welches die weltliche Oberherrschaft über den Orden in Anspruch nahm, führte er fort, ohne den Ausgang zu erleben. Dadurch aber erst ragt er vor allen älteren Meistern Livlands hervor, daß er der Begründer der altlivländischen Conföderation geworden ist, die zwei Jahrhunderte bestand. Durch die Erwerbung Estlands für den Machtbezirk des Ordens führte er die deutsche Colonisation unter den Letten, Liven und Esten zu einem natürlichen Abschluß. – Das Herzogthum Estland (Harrien, Wirland, Reval) am finnischen Golf, welches die siegreichen dänischen Könige im 13. Jahrhundert errichtet hatten, trug fast alle Merkmale eines selbständigen Territoriums. Durch den königlichen Hauptmann in Reval nur lose im Zusammenhang mit Dänemark erhalten, lag es ganz in den Händen der Ritter und Herren deutscher Nationalität, die fast unbeschränkt die Befugnisse öffentlicher Gewalt im Herzogthum ausübten. So wenig sie sich jemals einem Oberherrn freiwillig gefügt, so sehr [112] mußten sie den Rückhalt für ihre Stellung bei dem benachbarten Staate des Deutschordens in Livland suchen. Die Constellation der Verhältnisse drängte diesen sich Estlands auf die Dauer zu versichern. Schon lange in die Berechnungen der dänischen Haus- und Thronpolitik verwickelt wird das Herzogthum nach dem Tode des unglücklichen Christof II. (1332) gleichzeitig vom Orden und vom schwedischen König Magnus umworben, auch von den Combinationen des Kaisers und des brandenburgischen Markgrafen betroffen. Die Entscheidung bringt aber erst zur Zeit Waldemars IV. das energische Eingreifen Herikes und die furchtbare Verwirrung, welche der Aufstand der Esten im April 1343 im Lande schuf. Getrieben von der Erkenntniß ihrer großen socialen Noth, aufgestachelt von der Erinnerung an ihre frühere nationale Freiheit, gestützt auf die Aussicht schwedischen Succurses erhoben sich die geknechteten Eingeborenen in tödtlichem Hasse wider ihre Herren und schlugen, wohl organisirt, Tausende nieder. Auf den Hülferuf der Deutschen versucht der Meister des livländischen Ordens, der allein im Stande war die Autorität herzustellen, in Güte zu vermitteln, allein Goswin von H., Komtur zu Fellin, einer der höchsten Beamten des Ordens, drängt mit der Mehrzahl seiner Mitgebieter auf die schonungslose Anwendung von Gewalt wider die Empörer. Ein muthiger Streiter, wie er gegenüber den Russen gewesen, wird er nicht am wenigsten zur Entscheidung auf dem Schlachtfelde vor Reval beigetragen haben, wo am 14. Mai die ansehnliche Hauptmacht der Esten niedergeworfen wurde. Es ist eine Errungenschaft entschlossenen Handelns, welches vorwiegend H. vertritt, daß die Deutschen in Reval sich nun die Schutzherrschaft des Ordens und die Hauptmannschaft des Komturs von Fellin bis zur Regelung der Verhältnisse durch König Waldemar ausbitten. Dort vom Schlosse aus, wo er anstatt des dänischen Hauptmanns residirt, weiß H. nicht nur unmittelbar die schwedischen Machinationen zu unterdrücken, sondern auch das Land durch Verträge mit Schwedens König und durch einen Vergleich zwischen Waldemar und Magnus, den er anbahnt, in einer Richtung für die Zukunft zu sichern. Als militärisches und politisches Oberhaupt, trotz einem neuen dänischen Hauptmann, erreicht er sowol die Ausdehnung der Occupation des Landes bis an die östliche Grenze (Narwa), als durch sein diplomatisches Geschick, welches seinem Orden überall eine gute Meinung verschafft, auch die Neigung des dänischen Königs Estland dem Orden durch einen förmlichen Act zu überlassen. Seine Erwählung zum Meister von Livland geschieht wol vor allem mit Rücksicht auf seine Initiative in der estländischen Frage. Sie führt seine Tendenzen ans Ziel. Am 29. August 1346 wird der Verkauf Estlands an den Orden im Hochschloß zu Marienburg durch König Waldemar documentirt: das Herzogthum geht unter dem Verzicht aller Prätendenten und unter der Confirmation des Kaisers wie des Papstes auf den Deutschorden über. Den König, der sein zersplittertes Reich wieder herstellt und großartige Pläne gefaßt hat, befreit der Act von der Nebenbuhlerschaft seines Bruders Otto, der dem Orden übergeben wird; er gewinnt hier achtbare Summen für seine weit verzweigten Unternehmungen: von größerem Werth als der Besitz des Herzogthums und die Herrschaft über eigenwillige Vassallen. Dem Orden schrieben seine politischen, militärischen und wirthschaftlichen Tendenzen den Erwerb des Landes vor, das in starker Hand aus einem gefährlichen Keil zwischen seinen Besitzungen zu einer Schutzmauer für die staatliche Stiftung in Livland umgewandelt werden mußte. Es ist das Verdienst Herikes, daß er dies klar erkannte und seine Aufgabe im richtigen Moment mit voller Energie erfaßte. Er löste sie vollständig, indem er dann durch Abkunft mit dem Hochmeister den neuen Landestheil der unmittelbaren Gewalt der livländischen Meister, zu der er durch Lage und Geschichte gehörte, unterwarf. Als er am 10. September 1359 nach Uebergabe seines [113] Amts in hohem Greisenalter aus dem Leben schied, hinterließ er eine politische Macht, die durch die Kraft seines Talents befähigt war eine nachdrückliche Stellung zu behaupten in dem Wechsel der Zeiten. Erst die veränderte Lage der Welt, welche dem Ordensstaat den Untergang bereitete, schied das ehemalige Herzogthum aus dem Verbande Altlivlands aus.

Livländ. Urk.-Buch II. III. VI. Jüngere livl. Reimchronik. Chronik Herm. v. Wartberge. Höhlbaum in d. Hans. Geschichtsblättern Jahrg. 1878.