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Artikel „Heine, Karl Wilhelm, Ritter von“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 357–359, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heine,_Karl_Ritter_von&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:04 Uhr UTC)
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Heine: Karl Wilhelm, Ritter von H., Professor der Chirurgie in Prag, war geboren am 26. April 1838 zu Cannstatt am Neckar, wo sein Vater, der Geheime Hofrath Dr. Jacob v. H. (s. diesen), der Neffe Johann Georg’s H. (s. diesen) und der Vetter Bernhard’s H. (s. diesen) das von ihm begründete berühmte orthopädische Institut leitete. H. gehört also recht einer Orthopäden- und Chirurgenfamilie an. Nachdem H. das Gymnasium in Stuttgart durchgemacht, wendete er sich, noch nicht ganz 18 Jahre alt, dem Berufe des Vaters folgend, dem Studium der Medicin zu, und zwar zuerst 2 Jahre in Tübingen, dann 3 Jahre in Würzburg, und wurde im Sommer 1861 in Tübingen zum Dr. med. promovirt. Er trat darauf eine wissenschaftliche Reise nach größeren Universitäten, wie Prag, Wien und Berlin an, kehrte auf kurze Zeit 1862 nach Stuttgart zurück, um sein Staats-Examen abzulegen, und ging dann wieder für 1½ Jahre auf Reisen in’s Ausland, indem er seine Studien bis zum April 1863 zu Paris und dann in London, Edinburg, Glasgow und Dublin fortsetzte, wobei ihm sein großes Talent für fremde Sprachen sehr zu Statten kam. Besonders zogen ihn die großen englischen Chirurgen und Hospitäler an, über die er einige Erfahrungen (1864) veröffentlichte. – Nachdem er kurze Zeit in der Heimath geweilt, bot er in dem Ausgangs des Winters 1864 ausgebrochenen deutsch-dänischen Kriege der preußischen Militär-Medicinal-Verwaltung freiwillig seine Dienste an und gelang es ihm, mit der Leitung einer Abtheilung in den preußischen Feldspitälern zu Flensburg und später, nach dem Uebergange nach Alsen, auch anderer Spitäler im Sundewitt, in unmittelbarer Nähe des Kampfplatzes, betraut zu werden. Eine Frucht der im Kriege gemachten Erfahrungen und Studien war seine erste größere Arbeit „Die Schußverletzungen der unteren Extremitäten“, welche 1866 [358] erschien. – Nachdem H. den Winter 1864–65 in Berlin zugebracht und namentlich v. Langenbeck’s und v. Graefe’s Kliniken besucht und bei Virchow experimentellen und histologischen Studien obgelegen hatte, bot sich ihm im Frühjahr 1865 eine Gelegenheit zu seiner weiteren Ausbildung in der Chirurgie, indem er von Prof. Dr. Otto Weber die Stelle eines Assistenten in der von diesem erst vor Kurzem übernommenen chirurgischen Klinik zu Heidelberg erhielt. H. konnte in keine bessere Schule kommen, als die O. Weber’s, der zu den gebildetsten, vielseitigsten, anregendsten Chirurgen seiner Zeit gehörte und durch das von ihm gegebene Beispiel einer unverwüstlichsen Arbeitskraft überaus anregend auf seine Umgebung einwirkte. Er veranlaßte H. sich schon im Herbst 1865 als Privatdocent zu habilitiren und übertrug ihm einige chirurgische Vorlesungen. Als dann Weber selbst im Juni 1867 von einem frühzeitigen und unerwarteten Tode dahingerafft wurde, übernahm H. die provisorische Leitung der Klinik und die Vorlesungen über Chirurgie bis Ostern 1868, wo der auch bereits verstorbene Simon, als Weber’s Nachfolger, sein klinisches Lehramt antrat. H. wurde darauf im Mai 1868 zum außerordentlichen Professor ernannt und von Simon mit den Vorlesungen über allgemeine Chirurgie und der Leitung der ambulanten Klinik betraut. – Bereits 1869 erhielt H. einen Ruf als ordentlicher Professor der chirurgischen Klinik an die neugegründete medicinische Facultät der Universität zu Innsbruck. Er widmete sich daselbst einer rastlosen, auf die Entwickelung und Hebung der Facultät gerichteten Thätigkeit; keine Nebenrücksicht auf Praxis oder andere sociale Verhältnisse hinderte ihn, bloß seinem Berufe als Universitäts-Lehrer und seinen wissenschaftlichen Arbeiten zu leben. Hier entstand seine ausgezeichnete Arbeit über den „Hospitalbrand“. – Nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges benutzte H. die Universitäts-Ferien des Jahres 1870, um auch in diesem zweiten Kriege freiwillig seine Thätigkeit den Verwundeten zu widmen. Er leitete einen würtembergischen Sanitätszug und stand längere Zeit einem in Nancy in der dortigen kaiserlichen Tabaks-Manufactur errichteten Spitale vor. Als er nach Ablauf der Ferien genöthigt war, auf seinen Lehrstuhl zurückzukehren, führte er selbst die schwersten seiner Verwundeten und Operirten mittelst eines Sanitätszuges in deutsche Hospitäler über. – Die außerordentliche Energie, welche H. unter schwierigen Verhältnissen in Innsbruck entwickelt hatte, bestimmte die österreichische Regierung 1873, ihm die Errichtung einer zweiten chirurgischen Klinik in Prag zu übertragen. Auch dieser größeren Aufgabe unterzog sich H. mit gewohnter Umsicht und Beharrlichkeit, so daß bald eine für Lehr- und Lernzwecke gleich geeignete Musteranstalt geschaffen war. Heine’s Erscheinen in Prag bildete überhaupt einen Wendepunkt für die Chirurgie an der dortigen Hochschule. Mit der Einführung der antiseptischen Wundbehandlung besserten sich die operativen Erfolge, die auch er Anfangs in Folge ungünstiger sanitärer Verhältnisse gehabt hatte, fortdauernd, mit der von ihm daselbst zuerst ausgeübten Ovariotomie hatte er das Glück, fünf Heilungen hintereinander zu erzielen. Aber auch in nationaler Beziehung hat er für die Prager Universität und für die böhmischen Aerzte viel geleistet. Er bildete mit mehreren Collegen den festen Kern für die deutsche Partei unter den Professoren der medicinischen Facultät und unter den deutschen Aerzten Prags. Einstimmig wurde er von dem Verein deutscher Aerzte zum Präsidenten gewählt; unter seinem Vorsitz blühte der Verein sichtlich auf und hob sich das Ansehen desselben und des ärztlichen Standes überhaupt; auch erwarb er sich durch Anregung der Wasserversorgungsfrage ein großes Verdienst um die Verbesserung der sanitären Verhältnisse Prags. – In der Vollkraft des Lebens und Schaffens aber wurde er von den Folgen der Diphtherie, an der er auch seinen Lehrer und Freund O. Weber hatte sterben sehen, dahingerafft. Er war in Prag Ende Juli 1877 [359] erkrankt, hatte sich aber wieder so weit erholt, daß er, wenn auch abgespannt und matt, am 8. August der Jubiläumsfeier der Universität Tübingen beiwohnen konnte. Im väterlichen Hause zu Cannstatt angelangt, wurde er bald bettlägerig und verstarb, nach mehrwöchentlichem Krankenlager, am 9. Sept. 1877, an einer, wie es scheint, nicht völlig aufgeklärten Krankheit. – Zu erwähnen ist noch, daß H., der, außer anderen (preußischen und würtembergischen) Orden für seine Thätigkeit in den Kriegen von 1864 und 1870–71, für den erstgenannten Krieg auch den österreichischen Orden der eisernen Krone III. Classe erhalten hatte, nachdem er österreichischer Staatsbürger geworden, nach den Statuten dieses Ordens, in den Adelstand erhoben wurde.

H. hat nicht nur an dem großen Aufschwunge, den die deutsche Chirurgie in der Neuzeit genommen, seinen entschiedenen Antheil, sondern er hat auch als Lehrer durch Wort und Beispiel und als fruchtbarer Schriftsteller nicht wenig dazu beigetragen, die neuen Lehren in weitere Kreise zu tragen. Bei seinem rastlosen Streben und seiner unermüdlichen Arbeitiskraft wäre noch Vieles von ihm zur Förderung der Chirurgie zu erwarten gewesen, hätte nicht der unerbittliche Tod dem hochbegabten Manne ein frühzeitiges Ende bereitet. Sein Andenken ist an der Stätte seiner Wirksamkeit, in dem nach seinen Angaben erbauten Operationssaale, durch die als Zeichen der Liebe und Verehrung von Schülern und Collegen am 17. März 1878 bewirkte Aufstellung seiner Marmorbüste verewigt worden. Die von seinem Freunde und Collegen Professor Dr. Edwin Klebs bei dieser Gelegenheit gesprochenen Worte der Anerkennung und Dankbarkeit gaben der Versammlung ein lebendiges Bild von dem Wesen und Wirken des Verewigten. Ein anderes Andenken an denselben ist von seinem Vater gestiftet worden, indem dieser die von dem Sohne hinterlassene, namentlich aus dessen beiden Feldzügen herstammende Sammlung anatomischer Präparate der medicinischen Facultät in Prag geschenkt hat. Nach einem Beschluß der letzteren sollte diese Sammlung unter dem Namen „Heinestiftung“ eine gesonderte Ausstellung erhalten.

Vgl. Th. Billroth im Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 22. 1878. S. 243. – K. Weil in (Prager) Vierteljahrsschrift für die prakt. Heilkunde, Bd. 137. 1878. IV. Miscellen, S. 3. – Lücke in Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 9. 1878. S. 378. – E. Klebs, Zur Erinnerung an Karl von Heine weiland Prof. d. Chirurgie in Prag. Worte gesprochen bei der Enthüllungsfeier von Heine’s Marmor-Bildniß u. s. w. Prag 1878. 4.