ADB:Hartwig I. (Erzbischof von Bremen)

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Artikel „Hartwich I., Erzbischof von Hamburg-Bremen“ von Georg Dehio in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 716–718, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hartwig_I._(Erzbischof_von_Bremen)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:49 Uhr UTC)
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Hartwich I., Erzbischof von Hamburg-Bremen, September 1148 bis 11. Oktober 1168; die bedeutendste Persönlichkeit unter den Kirchenfürsten dieses Stiftes während des 12. Jahrhunderts. – H. war der Letzte aus dem Hause der Grafen von Stade, einem der ältesten und mächtigsten unter jenen altfürstlichen Geschlechtern Sachsens, deren Aussterben um die Mitte des 12. Jahrhunderts die Umgestaltung der norddeutschen Verhältnisse zu Gunsten Heinrichs des Löwen die Bahn ebnete. Seinen Vater Rudolf († 1124) verlor er in zartem Knabenalter; erzogen wurde er auf den in der Gegend von Magdeburg und Jerichow liegenden Erbgütern seiner der Kirche sehr ergebenen Mutter Richardis aus dem Geschlechte der Grafen von Spanheim-Lavantthal (durch welche er Neffe der Bischöfe Hartwich von Magdeburg und Hartwich von Regensburg wurde). – H. ist der letzte Erzbischof Hamburg-Bremens, der die großen Traditionen seiner Metropole, der einstigen Beherrscherin sämmtlicher Kirchen der skandinavisch-nordischen Regionen, noch einmal zu Kraft und Leben zu bringen gesinnt war. Allein die Aspecten seiner Kirche waren im Niedergange, und dies gab seinen Unternehmungen, so förderlich ihm auch seinen vornehme Geburt, so hervorragend nach allgemeinem Urtheil sein Talent und so hochherzig [717] sein Muth war, von Anfang an eine unglückliche Richtung. Hartwichs maßgebender Einfluß auf die Politik Bremens begann mit dem Augenblicke, da er als Propst an die Spitze des dortigen Domcapitels trat (1143). Kraft eines damals geschlossenen Abkommens sollten auf den Todesfall seines älteren kinderlosen Bruders Rudolf dessen Güter an die Kirche übergehen, unter der Bedingung jedoch, daß er, H. dieselben als Lehen auf seine Lebenszeit zurückgestellt erhalte. Im nächste Jahr (1144) wurde Rudolf in einem Aufstande der Dithmarschen erschlagen. Unter einem sehr dürftigen Rechtsvorwande nahm Herzog Heinrich der Löwe die Stadische Hinterlassenschaft für sich in Anspruch. Umsonst, daß H. auf die Hülfe der Magdeburger Kirche und seines Schwagers des Königs Erich Lamm von Dänemark rechnete; umsonst, daß ein sächisches Fürstengericht zu seinen und der Bremischen Kirche Gunsten das Urtheil sprach: die vergewaltigten Kirchenmänner, von welfischen Dienstmannen gefangen genommen, mußten sich vor dem Herzog beugen; Deutschlands König, damals noch Konrad III., schwieg. – Als H. bei der drei Jahre später eintretenden Vacanz die von vornherein gewissermaßen als sein legitimes Erbtheil betrachtete erzbischöfliche Würde, jedoch nicht ohne Schwierigkeiten durch stillen Einfluß der Herzogs Heinrich, in seinen Besitz brachte, stellte er sich als die Hauptaufgaben seiner Regierung die folgenden drei: Wiederherstellung des Hamburgischen Primates über die abtrünnigen nordischen Kirchen, Wiederherstellung der dem Heidenthum verfallenen drei wendischen Bisthümer, Wiederherstellung des hauptsächlich durch die herzogliche Macht geschmälerten weltlichen Besitzstandes seiner Kirche. Wie hier, so auch sonst ausdrücklich gibt H. zu erkennen, daß das große Vorbild Adelberts seine Seele erfüllte. – Gleich bei dem ersten Punkte seines Programmes fand er weder bei dem Papst, noch beim deutschen König, deren Höfe er besuchte, die gewünschte Unterstützung. Auch die Einmischung in das Ringen der dänischen Thronprätendenten, Knut und Svend, trug keine Frucht. Vielmehr machte in der nächsten Zeit die nordische Kirche durch die vom Cardinallegaten Nikolaus Brakespeare vollzogene Errichtung eines Erzbisthums für Norwegen einen beträchtlichen Schnitt der Vollendung ihrer Selbständigkeit näher. – Inzwischen hatte H. wenigstens soviel erreicht, daß er zwei Wendenbischöfe, für Aldenburg und für Mecklenburg, consecrierte (vgl. Art. „Wizelin“). Von der thatsächlichen Wiederherstellung dieser Stifter war man aber noch weit entfernt. Dazu trat Heinrich der Löwe mit der überraschenden Prätension hervor, daß ihm als dem Herzog von Sachsen die Investitur jener Bischöfe zukäme. Hierüber entspann sich zwischen dem Herzog und dem Erzbischof ein Zwist, in welchem der letztere bis zum offenen Kriege (dessen Ziel vor allem auch die Wiedergewinnung der Grafschaft Stade war) sich fortreißen ließ. Durch die Unzuverlässigkeit der Bundesgenossen mißglückte der Anschlag. Es geschah dies gerade während der, wesentlich auf die Hülfsmacht der Welfen gestützten, Kaiserfahrt Friedrichs I. (1155). Der Bremer Erzbischof war derselben fern geblieben, seine Lehnspflicht versäumend. Nun ward er durch den berühmten Proceß auf dem Roncalischen Felde der Felonie und des Hochverrathes schuldig befunden, – während viele Andere nicht minder Schuldige verschont blieben, – zum Verluste sowol der Regalien als auch seines Privatvermögens verurtheilt. Der feindselige Welfe übernahm das Amt, wie zuvor des Anklägers, so jetzt des Executors und wartete desselben, nach seinem Vortheil, schonungslos durchgreifend. Das Bremische Stift kam hierdurch ganz und gar unter die schwere Hand des Herzogs; H. lebte als Flüchtling ein volles Jahr und nach Ablauf desselben als ein Geduldeter, – „mehr einem Caplane gleich, als einem Erzbischof“. – Unter Vermittlung des Kaisers wurde im J. 1158 zwischen H. und dem Herzog ein Frieden vereinbart; so freilich, daß der erstere in allen Hauptpunkten nachgab: die Grafschaft [718] Stade blieb welfischer Besitz, mit der Investitur der Bischöfe ging thatsächlich die ganze Lenkung der wendischen Kirche auf Heinrich den Löwen über. Doch erwarb der Erzbischof für diese Einbußen eine Entschädigung, die ihm sehr werthvoll dünkte: die Unterstützung Kaiser Friedrichs für seine Absichten auf die skandinavische Kirche. Eskill von Lund, von Wegelagerern aufgefangen und dem Kaiser ausgeliefert, wurde von diesem in Haft behalten, offenbar um auf ihn einen Druck zu Gunsten des Bremers auszuüben. Dies war der äußere Anlaß, daß Friedrich I. auf dem berühmten stürmischen Reichstage zu Besançon in die folgenreichsten Zerwürfnisse mit dem apostolischen Stuhle gerieth: sie haben bekanntlich in wachsenden Dimensionen sich fortgesetzt auch nachdem er den Erzbischof von Lund freigegeben und eine Verfolgung der Forderungen Bremens fallen gelassen. Aller weiteren Anstrengungen Hartwichs, obschon sie in den Schwankungen des großen Kirchenschismas in manchem Momente sich hoffnungsvoll ausnehmen, werden betrogen; eben in diesem Kampf und durch ihn hat die Emancipation der nordischen Bisthümer von der deutschen Mutterkirche sich endgültig entschieden, – in der That im Einklang mit der Wandelung der großen Weltverhältnisse, welche die Vertretung des deutschen Einflusses im Norden für die Zukunft in die Hand des Bürgerthums, der Hanse, legten. – In seinen letzten Jahren sah sich H. auf allen Punkten in eine widerwillige Passivität zurückgedrängt. Die Betheiligung an einem neuen Bunde der sächsischen Fürsten gegen Heinrich den Löwen verlief höchst unglücklich. Kaum in sein verwüstetes Stift zurückgekehrt, starb er, wenig älter als fünzigjährig, am 11. October 1168. Die sämmtlichen Pläne, mit welchen er seine Regierung begonnen, waren gescheitert, hatten seine Kirche in eine Lage gebracht, trüber als die, in welcher er ihre Leitung übernommen. Wollen wir jedoch nicht unbilliger sein als die Zeitgenossen: und diese nannten unseren Erzbischof „den großen Hartwich“. Offenbar war es seine geistige Bedeutung, die auch noch dem Unterliegenden diesen Eindruck hervorrief. Ueberdies haben wir die, was die Dauer des Erfolges betrifft, bedeutendste Seite von Hartwich’s Thätigkeit, noch nicht genannt. Es war in jener Zeit, daß man begann, die Flußniederungen der norddeutschen Ebene, damals ein unbebautes und unbewohntes Sumpfland, durch niederländische Deicharbeiter und Ansiedler in das gesegnete Culturland zu verwandeln, das sie noch heute zu den bestgedeihenden Ackerstrichen jener Gegenden macht. An dieser Colonisationsbewegung hat H. einen hervorragenden Antheil. Unmittelbar sein Werk sind die Colonien an der Niederweser und ein Theil der unter- und mittelelbischen; mittelbar übte ihr Beispiel auf die Cultivirung des eben damals frisch eroberten wendischen Ostens einen sehr hoch anzuschlagenden Einfluß. Endlich ist durch den genialen Scharfblick Hartwichs den norddeutschen Flachlanden die Bachsteintechnik zugeführt worden, - erstmals in seinem Kloster Jerichow, erbaut seit 1149 -, und dadurch jener eigenartige und charaktervolle Zweig der vaterländischen Baukunst geschaffen, ein gerechter Stolz der deutschen Kunstgeschichte.

G. Dehio, Hartwich von Stade, Bremisches Jahrbuch, VI. 1871.