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Artikel „Hager, Hermann“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 702–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hager,_Hermann&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 03:35 Uhr UTC)
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Hager: Ernst Achatius Hermann H., Philolog und Goethe-Forscher, 1846 zu Elstra, Kgr. Sachsen („Elstrano-Lusaticus“ nennt er sich auf der Dissertation) geboren, studirte seit Ostern 1866 an der Leipziger Universität unter Ritschl, L. Lange, G. Curtius (Theo- und) Philologie, unter Fr. Zarncke Germanistik. Im Frühjahre 1870 promovirte er ebenda zum Dr. phil. mit der Dissertation „Quaestionum Hyperidearum capita duo“, die, lateinisch geschrieben, zum größern Theile des im 4. Jahrhundert vor Christi Geburt lebenden athenischen Redners Leben aufhellen, zum kleineren (S. 47–76) die im athenischen Gerichtsverfahren geltende „Berufung“, über die H. einem Hyperidesbruchstück Aufschlüsse entnimmt. H. ist dem Interesse für dieses Gebiet auf die Dauer treu geblieben. Das bewies er noch viele Jahre später, indem er bei der nach Decennien (1. Ausg. 1842; 2. 1848) als völlige Neubearbeitung [703] ausgeführten dritten Ausgabe des starken Compendiums (2 dicke Bände 1890/91) „A dictionary of Greek and Roman antiquities. Edited by William Smith, William Wayte, G. E. Marindin“ unter den 45 Mitarbeitern der new edition I, S. III: H. H. = Hermann Hager Ph. D., Professor in Owen’s College, Manchester erschien und dazu zahlreiche, gehaltvolle Artikel über attisches Rechtswesen lieferte. Er hat in diesem Fache auch eine regelmäßig ergänzte werthvolle Büchersammlung hinterlassen, als er am 28. Februar 1895 zu Manchester erst im 49. Lebensjahre starb. Sechzehn Jahre lang hatte unter theilweise recht schwierigen Verhältnissen H. daselbst an dem Owen’s College genannten Drittheil der auf drei Städte vertheilten Victoria University, deren berathender Behörde (advisory council) er selbst angehörte, als „Lecturer“ für deutsche Sprache und Litteratur, d. h. etwa in der Function eines dotirten „außerordentlichen Professors“, segensreich gewirkt. Als mit Hager’s Tode sein Amt über die gleichfalls mit Reichsdeutschen besetzten Parallelposten zu Liverpool und Leeds hinausgehoben wurde, indem des Manchesterer Großkaufmanns Heinrich Simon (des bekannten gleichnamigen 48er demokratischen Parlamentariers Neffe) großartige Freigebigkeit die Dotation einer ordentlichen Professur für Deutsch ermöglichte, die gleichsam den Mittelpunkt des geistigen Lebens der vielen Deutschen in Mittelengland bilden sollte, verhinderte britischer officieller Chauvinismus, H. einen entsprechenden deutschen Nachfolger zu geben, der in der Person des unterzeichneten Referenten in Aussicht stand, und that einen Schweden dahin, der keineswegs durch bisherige Leistungen das Vertrauen rechtfertigen konnte, im Sinne seines deutschen Vorgängers H., des deutschen Stifters u. s. w. das lebhafte deutschsprachliche Cultur- und Litteraturinteresse dort zu concentriren und zu lenken.

H. nämlich hatte während seiner mannichfaltigen Thätigkeit in England viel dazu beigetragen, Studium und Würdigung des Deutschen jenseit des Canals zu heben und zu wesentlich höherem Ansehen zu bringen, auch zu akademischem. Schon als vieljähriger Staatsexaminator für Deutsch an den Universitäten zu Oxford, Cambridge, London und der Victoria-Universität nahm er unter der Lehrerschaft Großbritanniens eine hervorragende Stellung ein. Namentlich aber hat er eine höchst umsichtige und gedeihliche Wirksamkeit entfaltet, als er 1886 beim Einsetzen der Bewegung zu einer englischen Goethe-Gesellschaft in Manchester, wo eine zahlreiche, kunstsinnige deutsche Colonie Erfolg verhieß, eine Zweiggründung veranlaßte. Der ausgezeichnete Litterarhistoriker Professor A. W. Ward als erster Präsident hatte in H. als erstem Schriftführer der mit einem hübschen Grundstock an Mitgliedern, Geld und Büchern ins Leben getretenen Manchester Goethe Society, die erst mit, dann unabhängig von der English Goethe Society, verschiedenfach ihr Daseinsrecht bekundet hat, einen eifrigen Helfer zur Seite, auch nachdem dieser infolge anstrengender Berufsthätigkeit die Hauptlast niederlegen mußte und 1891 zu einem der Vicepräsidenten erkoren ward. Seiner gewinnenden und allbeliebten Persönlichkeit, seiner Unermüdlichkeit, für Vorträge an den Vereinsabenden zu sorgen und jedem Theilnehmer bereitwilligst aus seinem reichen Goethe- und Litteraturwissen zu spenden, waren mit in erster Linie Aufschwung und Anregungen dieser Goethe-Gesellschaft zu danken. Seine ausgebreitete berufliche Inanspruchnahme und die Gewissenhaftigkeit seiner Studien schränkten die rednerischen und gedruckten Ergebnisse der letzteren ziemlich ein. Doch gewähren die „Transactions of the Manchester Goethe Society, 1886–1893. Being original papers and summaries of papers read before the Society“ (Privatdruck der Gesellschaft, Warrington 1894) S. 126 (Goethe and Homer), S. 163 (On Goethe’s plan for the Helena), S. 181 f. (7 Referate Hager’s zur Goethe-Kunde aus den Jahren 1888–92) in kurzen Auszügen einen Einblick [704] in seine gediegene Sachkenntniß und die Fülle seiner Gesichtspunkte. H. starb am Morgen des Tages, für den die Erstaufführung von Goethe’s „Clavigo“ in England auf Grund einer mit von ihm aufs regste geförderten Uebersetzung angesetzt war. So war er noch im Tode ein Pionier deutschen Geistes– und Litteraturverständnisses bei den angelsächsischen Vettern.

Vgl. den Nachruf von T. A. Stephens im Goethe-Jahrbuch XVI, 258 f. – Eigne Erfahrung 1895. – Leipziger Universitäts-Album.