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Artikel „Haas, Johann Gottfried“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 692–694, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Haas,_Johann_Gottfried&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 14:21 Uhr UTC)
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Haas: Johann Gottfried H., philologischer Pädagog und Lexikograph, besonders als letzterer bekannt unter dem Pseudonym M. A. Thibaut (das er aber wol nie bei Lebzeiten geführt hat), wurde im J. 1737 zu Grießbach bei Zschopau im sächsischen Erzgebirge geboren. Ueber den Lebens- und Bildungsgang dieses, mit der Feder ungemein fleißigen Verfassers vieler Hülfsmittel für den Lerngebrauch, insbesondere in Bezug auf fremde Sprachen, war bis zur Zeit nur bekannt, daß er sich – jedenfalls, durfte man annehmen, nach dem üblichen philologisch-theologischen Studium an der Leipziger Universität – dem Lehrerberufe widmete, sich ausgebreitete Kenntnisse in den alten und modernen Fremdsprachen, daneben in der Algebra und Arithmetik, aneignete, diese Kenntnisse als tüchtiger Schulmann praktisch sowie schriftstellerisch verwerthete und als „Conrector an der Schule zu Schneeberg“ im Erzgebirge am 17. April 1815 gestorben ist.

H. hat eine erstaunlich lange Reihe von Sprachlehren, Wörterbüchern u. a. Schriften, die in erster Linie auf den Jugendunterricht berechnet waren, herausgegeben, wozu ihn fortgesetzte litterarisch-pädagogische Thätigkeit während eines langen Lebens in Stand gesetzt hat. Am vollständigsten, wenn auch etwas ungeordnet, läßt sich diese unermüdliche Schriftstellerei bisher wol in W. Heinsius’ „Allgem. Bücher-Lexikon od. vollständ. Verzeichn. der 1700–1812 erschienenen Bücher“, II (1812), S. 223 s.v. Haas, überblicken. Unter den daselbst aufgezählten (17) Schriften finden sich griechische, lateinische, französische Lexika und Grammatiken, hebräische Elementarbücher, außerdem arithmetische und algebraische Anweisungen u. a. Als Beispiel der letzteren sei angeführt: „Vortheilhafte Art nach der Regel de Tri in allen ihren Theilen zu rechnen; nebst einer Anleitung zur Algebra für Anfänger“ (1792), während eine ungewöhnliche Verbreitung erlangt hat „Der griechische Speccius, oder Kleine Uebersetzungen aus dem Teutschen ins Griechische“ (1801; 3. Aufl. von J. H. Ph. Seidensticker [also nicht von H.] 1811; 4. Aufl. 1821). Sein „Vollständiges lateinisch-deutsches und deutsch-lateinischets Handwörterbuch nach den [693] besten größern Werken, besonders nach Scheller, Bauer und Nemnich, ausgearbeitet und mit vielen tausend Wörtern vermehrt“ erschien 1804, eine zweite, wohlfeilere Ausgabe 1808. Auch ein „Griechisch-deutsches Wörterbuch“ gab er 1786/1801 in zwei Bänden heraus. Ins altclassische Gebiet gehören noch: „Lateinische“ (1781) und „Griechische Grammatik“ (1801), „Anweisung zur Erlernung der griechischen Sprache“ (1803) und eines „zum Uebersetzen des Deutschen ins Lateinische“ (1804), „Uebungen zum Uebersetzen in die lateinische Sprache“ (1802). Auch Schriftsteller des hellenischen Alterthums legte er in neuen Ausgaben vor, z. B. Hesiod und Lucian. Bei allen seinen Arbeiten ging er von pädagogischen Principien aus, und so tragen viele der Haas’schen Veröffentlichungen im Titel den Vermerk „Der Jugend [oder „Den Anfängern“] zum Besten abgefaßt“, beispielsweise die „Kurze und faßliche Anweisung für Anfänger, die hebräische Sprache ohne mündlichen Unterricht zu lernen“ (1800), der 1801 ein „Hebräischer Speccius“, zugleich mit jenem fürder vielgebrauchten griechischen, zur Seite trat; beide belegen Haas’ Eingreifen in ein dazumal wol nur erst den Theologen vorbehaltenes Revier.

Sein specielles Feld hat H. aber zweifellos mit dem, der vorletztgenannten Arbeit parallel laufenden Buche entdeckt, das folgenden Titel führt: „Kurze und faßliche Anleitung in der französischen Sprache für Lehrende und Lernende, nebst einer kleinen italienischen Grammatik für diejenigen, welche die französische Sprache schon inne haben“ (1794). Diesem benachbart liegt sein Hauptwerk, das, wenn auch seit der dritten Auflage unter dem – uneingestandenen – Pseudonym „M. A. Thibaut“ laufend, Haas’ geistige Arbeit auf die Dauer zu verewigen berufen sein sollte. Es trat zuerst, wie die Mehrzahl seiner Schriften zu Leipzig erschienen, im J. 1786/88 hervor: „Neues Teutsches und Französisches Wörterbuch der Jugend zum Gebrauch bequem eingerichtet“, erster Band: A–K; zweiter Band: L-Z (zusammen 1875 + 2121 Seiten). Dann kam, angelehnt an den Nebentitel von 1786 Dictionnaire des langues françoise et allemande, 1802 eine Bearbeitung „Nouveau Dictionnaire manuel François-Allemand et Allemand-François etc. Oder: Neues und vollständiges Französisch-Teutsches und Teutsch-Französisches Handwörterbuch“, die 1805/06 eine zweite, durchgesehene, verbesserte und vermehrte Auflage erlebte. Die im J. 1821 erschienene Auflage trägt zuerst, von fremder Hand „revue et corrigée“, den Autornamen „M. A. Thibaut“, gewiß aus Buchhändler-Speculation. Das Werk hatte inzwischen den Titel „Dictionnaire de Poche. Vollständiges deutsch-französisches und französisch-deutsches Taschenwörterbuch“ angenommen und wurde für die 1825 erscheinende vierte Auflage von Le Roux la Serre verbessert. Der Leipziger Buchhändler Melzer hatte es nunmehr unter seine Fittiche genommen und konnte 1825 eine vierte, 1830 eine fünfte, 1835 eine sechste, 1838 die siebente Auflage vorlegen. In seinem Auftrage unternahm der geschäftige Vielschreiber Johann Sporschil eine Umarbeitung, die jedoch als ungenügend verworfen und durch eine von F. A. Weber ersetzt wurde, als 1846 der rühmlichst bekannte Verlag George Westermann in Braunschweig das Werk ankaufte. Damit kam diese vielveränderte Leistung deutscher Lexikographie in sichere Hut, in der sie seit der danach gedruckten 9. Auflage bis heute, wo sie mit der 149. an der Mitte des zweiten Hunderts der Auflagen steht, zum Ruhme und Nutzen deutscher Wissenschaft und Spracherlernung verblieben ist. 1852–71 kamen die 19.–59. Auflage, theilweise von de Castres besorgt, heraus, an Umfang und Format ständig wachsend. 1871 lieferten Georg Büchmann (s. d.), der weltbekannte Sammler der „Geflügelten Worte“, und Heinr. Wüllenweber eine durchgreifende Neugestaltung, die der letztere noch zwei Mal, 1883 unter Beihülfe Dickmann’s und 1898 in [694] einschneidender Form später vornehmen mußte. Eine weitere völlige Neubearbeitung, die dann wieder für eine Reihe von Auflagen und Jahren stereotypirt wird, bedeutet die 150. Auflage von 1904. Rund 700 000 Exemplare dürften nunmehr verbreitet sein, nachdem das Erzeugniß des, wie Michel sagt, „hinter seinem Pseudonym in aller Bescheidenheit längst verschwundenen Schulmeisters Joh. Gottfr. Haas“ fast 5/4 Jahrhunderte den Bedürfnissen der Schule und des Alltags ausgezeichnet gedient hat, in der Gunst der Zeitgenossen wie der urtheilsfähigen Richter stetig festwurzelnd. Der Vater des „Thibaut“-Opus ist dabei freilich völlig in Vergessenheit gerathen, und kein neueres Nachschlagewerk irgend welcher Art außer den bibliographischen (Heinsius a. a. O., jedoch nicht s. v. Thibaut in Bd. IV; Kayser, Vollständ. Bücher-Lexik. von 1750–1832, V. Bd., 1835), sowie Meusel’s „Gelehrtes Teutschland oder Lex. der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller“5 III (1797) – so nach Angabe F. Michel’s – bezw. Bd. XIV der 5. Ausgabe (1810), S. 2 (nur Bibliographie), sowie Ersch’ und Gruber’s Allgem. Encyklopädie II (1827), S. 2 (von R.; erste Skizze), weiß etwas über ihn. Ueber seinen Lebenslauf oder nur Wahl und Beginn des Pseudonyms fehlen bisher alle näheren Angaben. Dies Pseudonym lesen wir auch auf dem Titelblatte einer außerordentlich oft wieder abgedruckten Schulausgabe: „Histoire de Charles XII, Roi de Suède par Voltaire. Enrichie de Notes grammaticales et d’un vocabulaire suffisant [zusammen 48 Seiten] par M. A. Thibaut. A l’usage des écoles“, die, in ungefähr 40 Auflagen und mit einer knappen „Préface de Mr. M. A. Thibaut“ (also Haas’, eines Zeitgenossen Voltaire’s!) didaktisch-editorischen Inhalts versehen, bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts der älteren Serie französisch-englischer Schulautoren-Ausgaben der dafür renommirten Renger’schen Buchhandlung in Leipzig angehört hat.

Das Verdienst, auf H. nachdrücklich aufmerksam gemacht und die Nothwendigkeit, sein Andenken biographisch festzuhalten, betont zu haben, gebührt Oberlehrer Dr. Ferdinand Michel’s Referat über H. Wüllenweber’s „Thibaut“-Neubearbeitung von 1898, in der „Frankfurter Zeitung“, 4. Morgenblatt, Nr. 223, vom 18. August 1899, wo man auch auf viele der oben verwendeten bio-bibliographischen Notizen sowie die Bemängelung der bisherigen Lücke in der „Allgem. Dtsch. Biographie“ stößt. Mancherlei bot außerdem ein seitens der Verlagsbuchhandlung George Westermann im November 1898 versandtes Rundschreiben „Zur Geschichte des Thibaut“, das die damalige, mit der 140. Auflage hervortretende stereotypirte Neubearbeitung begleitet hat. „Ein Beitrag des Unterzeichneten zur Geschichte der neufranzösischen Lexikographie“, der für die „Zeitschr. f. franz. Sprache u. Litt.“ in baldiger Aussicht steht, wird H. und der Sache nähertreten. Lebensgeschichtliche Nachforschungen finden durch Vermittlung des Schneeberger Bürgermeisters Dr. v. Woydt 1904 statt. Diese jüngsten Feststellungen in Schneeberg förderten zu Tage: den betreffenden Todeseintrag im Kirchenbuch, Nekrolog und Lebenslauf in Lehmann’s „Chronik der Stadt Schneeberg“ (1840), S. 244, ausführlichen Nachruf (von Rechtsconsulent Karl Friedrich Döhnel in Wiesenburg) im „Gemeinnützigen Erzgebirgischen Anzeiger für alle Stände“, Jg. 1815 Nr. 19, 20. Aus diesen Quellen ergeben sich an neuen Daten für H.: Geburt in Gelenau b. Grießbach im sächs. Erzgebirge als Sohn eines früh ermordeten Maurermeisters; äußerste Armuth im Knabenalter; entbehrungsreicher Besuch der berühmten Stadtschule zu Chemnitz und der Universität Leipzig (während des 7jähr. Krieges); Hauslehrer in Grünhain; Conrector in Marienberg, seit 1775 als ebensolcher an der Stadtschule zu Schneeberg i. Erzgeb. in äußerst erfolgreicher, reich gesegneter und anerkannter Wirksamkeit. – Leipz. Universitätsalbum.