ADB:Gersdorff, Henriette Catharine Freifrau von

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Artikel „Gersdorf, Henriette Catharina, Freifrau von“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 53–55, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gersdorff,_Henriette_Catharine_Freifrau_von&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 17:10 Uhr UTC)
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Gersdorf: Henriette Catharina, Freifrau v. G., geborne Freiin v. Friesen, wurde 6. Oct. 1648 zu Sulzbach geboren, wo ihr Vater, Karl, Frhr. v. Friesen (vgl. Bd. VIII. S. 88), damals Geheimrath bei dem Pfalzgrafen war. Erzogen wurde sie in Dresden und Leipzig, wohin ihr Vater als Oberconsistorialpräsident und Oberhofrichter versetzt ward. Sie erhielt eine vielseitige künstlerische und gelehrte Ausbildung, durch welche ihre vortrefflichen Geistesgaben sich auf den verschiedensten Gebieten zu bewähren Gelegenheit fanden; nicht nur [54] lernte sie die heilige Schrift in den Grundsprachen lesen und verstehen, sondern auch in der Musik, Malerei und Dichtkunst brachte sie es zu ungewöhnlichen Fähigkeiten; durch ihre deutschen und lateinischen Gedichte erlangte sie schon in ihrer Jugend eine Art Berühmtheit, in Folge welcher sie mit bekannten Theologen und Gelehrten in einem lateinischen Briefwechsel stand. In der Bibliothèque germanique (Amsterdam 1724, Bd. VII. S. 234) und bei Moreri wird sie eine savante Saxonne, qui a mérité le nom de dixième Muse, genannt; die Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, welche de feminis eruditis schrieben, pflegen ihrer, wie auch ihrer Tochter Charlotte Justine, in oft überschwenglichen Ausdrücken zu gedenken; Daniel George Morhof (in seinem Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie, Lübeck und Leipzig 1723, S. 401 f.) sagt von ihr, sie habe „nicht allein unterschiedliche vortreffliche teutsche und lateinische auf I. Churfürstl. Durchlaucht zu Sachsen in erster Jugend geschriebene Gedichte, welche von dero hohen Hand zu empfangen ich gewürdiget worden, herausgegeben, sondern auch in andern Sprachen und Wissenschaften eine ungemeine Vollkommenheit erlangt.“ Trotz alledem war der Hauptzug ihres Wesens eine aufrichtige Frömmigkeit, die sich mit echter Bescheidenheit paarte und sie vor der Versuchung, mit ihren Leistungen glänzen zu wollen, bewahrte. Im J. 1672 verheirathete sie sich mit Nicolaus, Freiherrn v. G. Dieser war am 6. Juni 1629 zu Doberschütz in der Oberlausitz geboren und stammte aus einem alten vornehmen Geschlecht. Nachdem er schon im J. 1631 seinen Vater, der auch Nicolaus hieß und kaiserlicher Rath und Gegenhändler in der damals österreichischen Lausitz gewesen war, verloren hatte, wurde er von seiner Mutter, Anna Maria, geb. v. Löben-Kreckwitz aufs sorgsamste erzogen. In seinem 14. Jahre wurde er, als er schon zu seiner weiteren Ausbildung nach Dänemark geschickt werden sollte, auf speciellen Wunsch des Kurfürsten, dem seine Mutter nur ungern nachgab, Page in Dresden, setzte aber auch am Hofe seine lateinischen und griechischen Studien freiwillig fort und erhielt dann im J. 1647 auf seinen dringenden Wunsch die Erlaubniß, in Wittenberg Jurisprudenz und Humaniora zu studiren. Nach beendeter Universitätszeit trat er eine größere Reise an, auf der er Holland, England, Frankreich und Italien besuchte; nach seiner Rückkunft wurde er im J. 1656, erst 27 Jahre alt, Appellationsrath, im folgenden Jahre Hof- und Justizrath; dann wurden ihm wichtige Gesandtschaften aufgetragen, die ihn u. a. im J. 1657 nach Wien, 1658 nach Schweden, dann 1660, nachdem er zuvor Geheimer Rath geworden, auf den Reichstag nach Regensburg, 1667 nach Frankreich, 1680 nach Berlin führten und ihn an den wichtigsten politischen Berathungen Antheil nehmen ließen. Der Kaiser Leopold erhob ihn im J. 1672 in den Freiherrnstand. Im J. 1680 ernannte ihn der Kurfürst Johann Georg III. zum Oberkämmerer, 1686 wurde er Director des Geheimenraths und 1691 außerdem Landvogt der Oberlausitz, und damit hatte er die höchste Stufe der Ehren in seiner engeren Heimath, dem Kurfürstenthum Sachsen, erreicht. Er wird als ein gelehrter, streng gerechter, dabei freundlicher und milder Beamter gelobt, der im Rufe aufrichtigster und ernster Frömmigkeit stand; er starb am 23. Aug. 1702, nachdem er fünf Kurfürsten in unwandelbarer Treue gedient hatte. – Als er im J. 1672 Henriette Catharina v. Friesen, die damals 24 Jahre alt war, zur Gemahlin nahm, war er schon zum zweiten Male Wittwer: in den beiden früheren Ehen hatte er 9 Kinder gehabt; seine dritte Frau gebar ihm 13, 7 Söhne und 6 Töchter; von diesen 22 Kindern starben 7 früh; als der Vater starb, lebten noch 20 Kinder und schon 20 Enkel. Henriette Catharina wohnte mit ihrem Manne meistens in Dresden und gewann dort bald auf die Staats- und Kirchenangelegenheiten Einfluß, den sie, namentlich seitdem Spener im J. 1686 nach Dresden gekommen war, zur [55] Förderung der Angelegenheiten der evangelischen Kirche und der Bestrebungen Spener’s und seiner Freunde anwandte. Um diese Zeit begann sie dann auch geistliche Lieder zu dichten, von denen einzelne schon vom J. 1696 an in Gesangbücher Aufnahme fanden. Je glänzender und angesehener ihre äußere Stellung ward, desto eifriger ward sie, die Sache des Reiches Gottes zu fördern und ein Christenthum, dem es am Beweise des Geistes und der Kraft nicht fehle, zu verbreiten, wobei es ihr dann auch daran nicht fehlte, daß sie allerlei Spott und innere und äußere Anfechtung zu erdulden hatte, wovon ihre Lieder noch zeugen. Auch der verfolgten Evangelischen in katholischen Gegenden nahm sie sich an; ihrer Fürbitte beim Kaiser Leopold, die sie in einem lateinischen Gedichte („Carmen heroicum … imperatori Leopoldo I. sacrum,“ 1690, Fol.) vorbrachte, gelang es zu bewirken, daß den evangelischen Tefferecker Gemeinden im Salzburgischen die ihnen von den Katholiken abgenommenen Kinder wieder zurückgegeben werden mußten. – Nachdem sie Wittwe geworden war, wohnte sie meistens auf ihrem Gute Großhennersdorf in der Oberlausitz, wo sie sich außer ihren Kindern vorzüglich den Armen widmete und ihr Haus eine Zufluchtsstätte aller um ihres evangelischen Glaubens willen Bedrängten ward. Als ihre Tochter Charlotte Justine, die sich am 16. Juli 1699 mit Georg Ludwig, Grafen von Zinzendorf und Pottendorf, verheirathet hatte, aber schon am 9. Juli 1700 Wittwe wurde, sich am 1. Decbr. 1704 zum zweiten Male mit dem Feldmarschall v. Natzmer in Berlin verheirathete, behielt sie den Sohn derselben aus erster Ehe, ihren Enkel, bei sich, um ihn zu erziehen. Es ist dieser der berühmte Nicolaus Ludwig, Graf von Zinzendorf, der Stifter der Brüdergemeinde, geb. am 26. Mai 1700. Durch die Erziehung desselben, die sie von seinem vierten bis zu seinem 14. Jahre leitete, hat sie wesentlich zu der eigenthümlichen Weise, in der Zinzendorf sich entwickelte, beigetragen, und der dankbare Enkel hat hernach in manchem Liede das fromme und edle Vorbild, das er in seiner Großmutter hatte, gepriesen. Die Aufnahme, welche sie dreien vertriebenen mährischen Familien in Hennersdorf im J. 1722 gewährte, denen sie dann in Uebereinstimmung mit ihrem Enkel gestattete, sich in der Nähe auf der Höhe des Hutberges anzusiedeln, ward Anlaß zur Gründung des später für die Geschichte der Brüdergemeinde so wichtig gewordenen Herrnhut. Sie starb nach kurzer Krankheit am 6. März 1728 in ihrem 78. Lebensjahre. Nach ihrem Tode gab Paul Anton ihre „Geistreichen Lieder und poetischen Betrachtungen“ in einer vollständigen Sammlung heraus (Halle, im Waisenhaus, 1729); die Zahl der Lieder ist 99, von denen mehrere zu den besten der damaligen Zeit (nach A. J. Rambach’s Urtheil) zu rechnen sind, da sie Wärme des Gefühls mit Klarheit und Nüchternheit der Betrachtung verbinden; einzelne ihrer Lieder finden sich noch in Gemeindegesangbüchern, wenn auch gewöhnlich in etwas verkürzter Gestalt.

Vgl. A. J. Rambach, Anthologie christlicher Gesänge, IV. Bd., Altona und Leipzig 1822, S. 62 ff. E. E. Koch, Geschichte des Kirchenliedes und Kirchengesanges, 3. Aufl., Bd. V. S. 212–18. – Ueber Nicolaus v. G. siehe Nova literaria Germaniae anni 1703, Hamburgi, 4°, p. 368, und einen Auszug hiervon bei Moreri. – Ueber beide vgl. Christian Gerber, Historie derer Wiedergebohrnen in Sachsen, 4. Thl., 2. Anhang, Greitz im Voigtlande 1737, S. 1–83.