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Artikel „Gerle, Wolfgang Adolph“ von Hugo Schramm-Macdonald in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 25–26, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gerle,_Wolfgang_Adolf&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 20:11 Uhr UTC)
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Gerle: Wolfgang Adolph G., Schriftsteller, geb. zu Prag am 9. Juli 1781, † daselbst durch Selbstmord am 29. Juli 1846, war der Sohn eines dortigen Buchhändlers und Antiquars, der ihm eine sorgfältige Erziehung angedeihen ließ und auch der Entwicklung seines schon sehr früh aufkeimenden poetischen Talents nichts in den Weg legte. Zwar widmete sich G. später gleichfalls dem Buchhandel, fand aber gerade in diesem Berufe vielfache Aufmunterung, seine schriftstellerischen Versuche fortzusetzen. An die Oeffentlichkeit trat er zuerst mit erzählenden Schriften, und zwar ließ er seine ersten Arbeiten, die längst verschollenen Romane „Koralli oder die Liebe in heißen Zonen“, „Alexis und Nadine“, „Lodoiska von Sandoval“ u. a., unter dem angenommenen Namen Gustav Erle erscheinen; da aber dieselben auf dem damals noch nicht überfüllten Büchermarkte viel Nachfrage fanden, ließ er die Maske fallen; seinen wahren Namen trugen zuerst die „Korallen und Fragmente aus dem Gebiete der Natur“ (Prag 1807; n. Aufl., 1811). Bald betrat dann G. auch das dramatische Gebiet und erstreckte seine litterarische Thätigkeit auf die Topographie und die novellistische Behandlung der Geschichte. Zu seinen Bühnenstücken gehören u. a.: „Der Essighändler“ (1812); „Der blaue Domino“ (nach Zschokke, 1820); „Abenteuer einer Neujahrsnacht“ (nach demselben), welches Stück viele Jahre hindurch in Prag regelmäßig am Sylvesterabend aufgeführt wurde und wozu G. später (1828) das Vorspiel „Publikum und Recensenten“ schrieb; „Das Liebhabertheater“ (nach Van der Velde); „Das Mädchen von Gomez Arias“ (nach Calderon); „Der falsche Prinz“ und die Possen „Der letzte April“ und „Der Familienvertrag“. Mit Uffo Horn zusammen verfaßte G. das preisgekrönte Lustspiel „Die Vormundschaft“, in Gemeinschaft mit Lederer das Lustspiel „Die kranken Doctoren“ und mit Wilhelm Frankl die Lustspiele „Demoiselle Colomb“ und „Der Rubinring“. Mit dem Trauerspiel „Jaromir und Udalrich“ versuchte sich G. auch in der Tragödie. In topographischer Beziehung sind zu erwähnen seine „Gemälde von Böhmen“ (3 Bdchen., 1823), seine Schrift über „Böhmens Heilquellen“ (1828) und seine Monographien über Franzensbrunn, Karlsbad, Marienbad und Teplitz, sowie sein öfters aufgelegtes Handbuch über „Prag und seine Merkwürdigkeiten“ (1825). Die nennenswertheste seiner geschichtlichen Schriften ist der „Historische Bildersaal der Vorzeit Böhmens“ (3 Bde., 1823 f.). Sein bestes Werk, bei dem ihm übrigens Ludwig Tieck mit Rath und That an die Hand gegangen war, bilden die „Volksmärchen der Böhmen“ (2 Bde., 1817). Wie diese, entsprachen der romantischen Zeitrichtung: „Novellen, Erzählungen und Märchen“ (2 Bde., 1821); „Der kleine Phantasus“ (2 Thle., 1822); „Schattenrisse und Mondnachtbilder“ (3 Bdchen, 1824); „Die Liebesharfe“ (1825); „Neue Erzählungen“ (1825); „Holzschnitte“ (2 Bdchen, 1841) und „Tausend und ein Tag oder die Märchen der Solimena“ (6 Thle., 1841). Letztere erschienen anonym, während G. die „Historien und guten Schwänke des Meisters Hans Sachs“ (1818), sowie die „Guckkastenbilder“ (2 Thle., 1820) unter dem Namen Konrad Spät, genannt Frühauf und zwei „1001 Schnurre“ enthaltende Bändchen (1825) unter dem Pseudonym Meister Hilarius Kurzweil veröffentlichte. Zu drei verschiedenen Zeiten, 1810–11, 1815–20 und 1823, redigirte G. die „Prager Zeitung“; ferner gab er mehrere Jahre (eine Zeit lang mit Karoline Woltmann) die Zeitschrift „Der Kranz“ heraus und 1834 übernahm er die Redaktion des „Panorama des Universums“. Trotz all’ seiner Thätigkeit als Schriftsteller, mit der er auch die Wirksamkeit eines Professors der italienischen Sprache am Musik-Conservatorium in Prag verband, hat sich aber G. keine eigentliche Stellung in der Litteratur erworben. Noch lebte er, als er schon vergessen war. Gewöhnt jedoch an eine Zeit, die auch für Talente zweiten und dritten Ranges Aufmerksamkeit und Beifall hatte, fühlte sich der [26] alternde Mann durch die ihm als Undank erscheinende Zurücksetzung gekränkt. Seine letzten Briefe enthalten bittere Klagen darüber. Hierzu kam die in verschiedenen Anzeichen begründete Furcht vor demselben Schicksal, das seinen Vater am Lebensabend betroffen hatte: dieser sonst klare, helle Kopf war in Irrsinn verfallen. Und eine Gehirnentzündung, an der G. in seinen letzten Lebenstagen erkrankte, scheint wirklich den Ausbruch völligen Wahnsinns auch bei ihm herbeigeführt zu haben, denn nur das dürfte es erklären, daß er selbst den Tod in der Moldau suchte. Am 30. Juli 1846 ward seine Leiche bei der Kettenbrücke in Prag gefunden. Der Theaterdirector Hofmann ließ ihm einen Grabstein setzen. Als Mensch erfreute sich G., von dem der Wiener Maler Decker 1844 ein wohlgetroffenes Bildniß geliefert hat, allgemeiner Achtung. Sein gerades, offenes Herz, sein liebenswürdiges Wesen erwarb ihm viele Freunde, und, obwol kein genialer Dichter, gab er doch lange Zeit für seine Vaterstadt einen gewissen Vereinigungspunkt der schöngeistigen und künstlerischen Interessen ab.

Vgl. Ersch und Gruber; Wurzbach, Biographisches Lexikon und Steger, Ergänzungs-Conversations-Lexikon, 2. Bd. (Leipz. 1847).