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Artikel „Ernesti, Ludwig“ von Johannes Beste in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 397–399, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ernesti,_Ludwig&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:21 Uhr UTC)
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Ernesti: Heinrich Friedrich Theodor Ludwig E., lutherischer Theolog, wurde am 26. Mai 1814 zu Braunschweig geboren, woselbst sein Vater einen Branntweinschank auf der Kannengießerstraße betrieb. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, dessen Oberprima er bereits Michaelis 1829 erreichte, ging dann Ostern 1831 auf das dortige Collegium Carolinum und Ostern 1832 zur Universität Göttingen, um Philologie zu studiren, welche er aber bald mit der Theologie vertauschte. Sein liebster Lehrer war Friedrich Lücke, der Anhänger Schleiermacher’s. Der von jenem vertretenen gemäßigten Vermittlungstheologie ist er zeitlebens treu geblieben, und auch Lücke zählte ihn noch kurz vor seinem Tode zu seinen tüchtigsten Schülern. Schon im J. 1833 gewann E. den von der theologischen Facultät ausgeschriebenen Preis für die beste Bearbeitung des Themas: „De praeclara Christi in apostolis instituendis sapientia atque prudentia“, und im J. 1835 den homiletischen Preis für eine Predigt über „unsere Gemeinschaft mit Christo“ nach Johannis XV, 1–9. Nach Braunschweig zurückgekehrt bestand E. mit Auszeichnung die theologischen Prüfungen und wirkte eine Zeit lang als Gehülfsprediger an der reformirten Kirche daselbst. Im Frühjahr 1838 wurde er zum Pastor Diakonus zu St. Andreas in Braunschweig erwählt, am 28. März desselben Jahres zum [398] Predigtamte ordinirt und am 8. April feierlich eingeführt. Zum 1. Januar 1843 erfolgte seine Berufung zum 2. Prediger an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel, woselbst er noch in demselben Jahre zum Stadtsuperintendenten ernannt wurde. Im folgenden Jahre nahm er lebhaften Antheil an der Förderung des Gustav-Adolf-Vereins. Bei der Gründung des Wolfenbüttler Kreisvereins im J. 1845 hielt er die auf Verlangen gedruckte Festrede und wurde zum Vorsitzenden desselben gewählt. Später wurde er auch Mitglied des Braunschweigischen Landesvereins-Vorstandes. Als im J. 1848 das Bedürfniß einer zeitgemäßen Reform der Kirchenverfassung, insbesondere das Verlangen nach Verwirklichung einer Presbyterial- und Synodalordnung sich geltend machte, wurde E. zu einer darüber stattfindenden Conferenz berufen und in die Commission gewählt, welche mit Abfassung des Entwurfes einer Kirchenverfassungs-Urkunde beauftragt wurde, der im Mai 1850 im Drucke erschien.

Im J. 1850 rückte E. zum ersten Prediger an der Hauptkirche und Propst des Klosters „zur Ehre Gottes“ auf; aber schon im October desselben Jahres wurde er durch das Vertrauen des Landesherrn als geistlicher Rath in das herzogliche Consistorium berufen, sowol wegen seiner bei der Berathung der neuen kirchlichen Verfassung hervorgetretenen Gabe zum Leiten und Regieren, als auch wegen seiner hohen wissenschaftlichen Bedeutung, welche sich auch durch eine in den „Theologischen Studien und Kritiken“ (1848) erschienene Arbeit über Philipper II, 6 wiederum gezeigt hatte. In einem späteren Jahrgange jener Zeitschrift (1851) hat G. diese Abhandlung gegen die Einwendungen des berühmten Tübinger Theologen Baur vertheidigt. Im J. 1852 erhielt E. die Würde eines Abtes des Klosters Marienthal bei Helmstedt. Im J. 1856 verlieh ihm die theologische Facultät zu Marburg wol auf Anregung seines früheren Lehrers Henke und in Anerkennung des im J. 1855 erschienenen ersten Bandes seines Werkes „Vom Ursprung der Sünde nach paulinischem Lehrgehalte“, dessen zweiter Band 1862 folgte, die theologische Doctorwürde. Im J. 1858 übernahm E. zugleich das Amt eines Generalsuperintendenten der Generalinspection Wolfenbüttel, welches er erst im Frühjahr 1879 niederlegte. Im J. 1877 wurde er zum Vicepräsidenten des Consistoriums ernannt. Seit dem Jahre 1852 war er Vertreter Braunschweigs auf der Eisenacher deutsch-evangelischen Kirchenconferenz. Es war ein hoher Beweis von der Achtung, welche er in weiten Kreisen genoß, daß die Mitglieder der Conferenz ihn, den Abgesandten einer verhältnißmäßig kleinen Landeskirche, seit dem Jahre 1874 immer wieder zum Präsidenten erwählten. Besonders segensreich war auch seine parlamentarische Thätigkeit in der braunschweigischen Landesversammlung, zu welcher er bald nach seinem Eintritte ins Consistorium als Abgeordneter des ersten geistlichen Wahlbezirkes (Braunschweig-Wolfenbüttel) entsandt und bis an sein Ende stets einstimmig wiedergewählt wurde. Gleichfalls während seiner ganzen Amtswirksamkeit im Consistorium wurde er alljährlich vom Landesherrn zum Mitgliede der Ministerialcommission für die Section der geistlichen und Schulangelegenheiten ernannt. Bei dem 25jähr. Jubiläum seiner Thätigkeit im Consistorium wurden ihm seitens der Landesgeistlichkeit zahlreiche Beweise des Vertrauens und der Verehrung dargebracht. Sein Landesherr verlieh ihm im J. 1876 das Commandeurkreuz II. Classe des Ordens Heinrich des Löwen.

E. war ein Mann von tiefer theologischer Gelehrsamkeit, mit weitem, auch die weltlichen Angelegenheiten klar erfassenden Blicke, hervorragend durch Schärfe und Besonnenheit des Geistes. So sehr es ihm daran lag, das kirchliche Leben zu fördern und die evangelische Wahrheit zum Siege zu führen, [399] so fern lag ihm doch jeder allzuschnelle wissenschaftliche Abschluß, jede weltflüchtige, gesetzliche Engherzigkeit. Seine unbestechliche Wahrheitsliebe ließ ihn in der Erkenntniß des Heils beständig wachsen, seine freudige, an allen Bewegungen der Zeit lebendig Antheil nehmende Frömmigkeit erhielt ihn innerlich jung und frisch bis ins Alter. Namentlich als Examinator zeigte er eine Gewandtheit und Belesenheit, ein verständnißvolles Eingehen auf die Eigenart der Candidaten, welche noch heute vielen älteren Geistlichen unvergeßlich ist. Bis zuletzt vereinigte er die theologische Wissenschaft mit den praktischen Verwaltungsgeschäften, wovon seine zuerst im J. 1868, in seinem Todesjahre in dritter Auflage erschienene „Ethik des Apostels Paulus ein rühmliches Zeugniß ablegt. Insbesondere in seinem engeren Vaterlande ist das Andenken an seine Verdienste noch nicht erloschen. Er hat an der Vorbereitung der lange ersehnten Synodalverfassung wesentlich mitgearbeitet und bei der endlichen Einführung derselben eine Hauptrolle gespielt. Wiederholt hat er später in der Synode das rechte Wort zur rechten Zeit gesprochen und durch seine geistige Ueberlegenheit die Stimmung beeinflußt. Er hat ferner der Landeskirche einen neuen Katechismus geschenkt, welcher die anerkannte Lehre in milder, klarer Form zum Ausdruck brachte und namentlich von den conservativ gerichteten Geistlichen des Landes freudig begrüßt wurde. Aber das Ansehen seiner Persönlichkeit war auch bei dem freier denkenden Theile der evangelischen Bevölkerung so groß, daß das Buch ohne alle Erregung mittelst Landesherrlicher Verordnung vom 28. December 1858 in sämmtlichen evangelisch-lutherischen Kirchen, Schullehrerseminarien und Gemeindeschulen des Herzogthums eingeführt werden konnte. Auch die Neubearbeitung der liturgischen Ordnungen des Gottesdienstes hat er mitbegonnen.

Ernesti’s Streben war ferner stets darauf gerichtet, durch Aufbesserung des Einkommens der Geistlichen ihre Berufsfreudigkeit zu stärken und die Hochschätzung ihrer Berufsarbeit vor der Welt klarzustellen. Auf seinen Antrag bewilligte der Landtag im J. 1871 aus den Kaufgeldern der verkauften Staatseisenbahnen eine Million Thaler zur Ablösung der sogenannten Stolgebühren. Dadurch blieb die äußere Lage der Geistlichen auch nach Einführung des Civilstandsgesetzes gesichert. Auch sonst war E. stets bemüht, dafür zu sorgen, daß die Gehaltsverhältnisse der Geistlichen nicht hinter denjenigen der Staatsbeamten mit gleicher akademischer Vorbildung zurückblieben, indem er bei Gehaltsaufbesserungen der Richter und Oberlehrer im Landtage wiederholt eine Erhöhung des Minimaleinkommens der Geistlichen aus dem Kloster-Studienfonds beantragte und durchsetzte.

E. war zwei Mal verheirathet, zuerst mit Philippine Luise Marie geborene Röer, welche am 28. Februar 1869 zu Wolfenbüttel starb, sodann mit Hermine Henriette Auguste geborene Händler, mit welcher er am 19. April 1870 in der Kirche zu Halle an der Weser getraut wurde. Aus erster Ehe überlebten ihn vier Söhne, aus zweiter eine Tochter. Aus einem Thüringer Curorte kehrte er im Sommer 1880 krank nach Wolfenbüttel zurück, wo er am 17. August 1880 aus seinem reichen Arbeitsfelde durch einen unerwarteten Tod abgerufen wurde. Sein Name wird in der Geschichte der braunschweigischen Landeskirche zu allen Zeiten einen ehrenvollen Klang behalten.