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Artikel „Ellissen, Adolf“ von Hans Ellissen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 54–57, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ellissen,_Adolf&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 06:34 Uhr UTC)
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Ellissen: Adolf E., Philologe, Historiker und Politiker, geboren am 14. März 1815 zu Gartow im Lüneburgischen, † zu Göttingen am 5. Nov. 1872. Er besuchte von 1829–32 das Gymnasium Andreanum zu Hildesheim und bezog dann die Universität Göttingen. Nachdem er anfangs Medicin studirt hatte, wandte er sich bald ausschließlich (und zwar überwiegend als Autodidakt) dem Studium der Geschichte und Litteratur, sowie der classischen und neueren Sprachen, namentlich auch dem Chinesischen zu. Nach vier auf deutschen Universitäten, außer in Göttingen namentlich in Berlin, verlebten Jahren, reiste er im December 1836 nach Paris, 7 Monate später durch die Schweiz und Oberitalien nach Griechenland. Sein dortiger Aufenthalt währte vom October 1837 bis Juni 1838. Seine mit dem Archäologen Dr. Arthur Kochen († in Athen am 1. Jan. 1839) und einer Stiftsdame aus dem Osnabrückischen, Baronesse v. Dincklage († in Kairo am 11. Novbr. 1841) nach den verschiedensten Richtungen durch Griechenland unternommenen Reisen dienten zur Bereicherung seiner Kenntnisse über Land und Leute, deren Sprache er bald völlig beherrschte. Durch den Tod seines Vaters nach Deutschland zurückgerufen, nahm er wiederum seinen Weg durch Italien. In München verweilte er zwei Monate im Verkehr mit litterarischen und künstlerischen Notabilitäten (so u. a. Stieglitz, Thiersch, Neumann, Ernst Förster, Rottmann etc.). Lediglich mit litterarischen Arbeiten beschäftigt, verbrachte er hiernach die J. 1838–40 in hannov. Münden und, nachdem er im J. 1840 geheirathet, in Harste bei Göttingen, bis er 1842 seinen Aufenthalt dauernd nach Göttingen verlegte. 1847 als Hülfsarbeiter, 1852 als Secretär an der Göttinger Bibliothek angestellt, verblieb er in dieser dürftig besoldeten Stellung bis zu seinem Tode.

Dieser 30jährige Aufenthalt in Göttingen ward im J. 1848 durch seine Betheiligung an der deutschen Erhebung unterbrochen. Er wurde als Condeputirter der hannoverschen Ständeversammlung vom Göttinger Bürgerverein nach Hannover, später als solcher nach Frankfurt a/M. gesandt. 1849 ward er als Abgeordneter Göttingens in die zweite Kammer der hannoverschen Ständeversammlung berufen, welche ihn 1852 zum Vicepräsidenten, 1854 zum Präsidenten erwählte. Als solcher hat er, von einer glänzenden Rednergabe unterstützt, gegen die rückschrittlichen und antinationalen Bestrebungen der hannoverschen Regierung gekämpft und schloß bei der 1855 erfolgten Vertagung der Stände die Versammlung unter ausdrücklicher Verwahrung der Rechte des Landes. – 1854 unternahm E. in wissenschaftlichem Interesse eine Reise nach Paris; 1860 in Gemeinschaft mit seinem Freunde und Verleger Otto Wigand eine solche nach Konstantinopel und Griechenland, wo er allseitig die ehrenvollste Aufnahme fand und u. a. in Anerkennung seiner Verdienste um die griechische Litteratur zum Ritter des [55] griechischen Erlöserordens, sowie zum Ehrenmitglied der archäologischen Gesellschaft ernannt wurde. – Als E. im J. 1856 wiederum zum Abgeordneten gewählt war, wurde ihm der Eintritt in die Kammer „als königl. Diener“ von Seiten der Regierung versagt. Erst 1864 nahm er wieder an den Verhandlungen der hannoverschen Ständeversammlung Theil. 1867 ward er in den constituirenden Reichstag, in das preußische Abgeordnetenhaus und in den hannoverschen Provinzial-Landtag gewählt. Erst 1870 zog er sich von der Theilnahme an ständischer Thätigkeit zurück. Die Reinheit und Wärme seiner Gesinnung, seine Genialität und seine eminenten Kenntnisse machten ihm, wie sein hinterlassener Briefwechsel beweist, viele der vorzüglichsten und namhaftesten Männer der Heimath und des Auslandes zu Freunden. E. war der populärste Bürger Göttingens, wie er denn auch lange Jahre hindurch als Göttinger Bürgervorsteher und Wortführer des Bürgervorstehercollegiums wirkte. – Von den für die Göttinger Universität während seiner ständischen Thätigkeit erzielten Vortheilen verdient die auf seinen Antrag im J. 1850 trotz heftigen Widerspruchs durchgesetzte Vermehrung der Dotation der Universitätsbibliothek zur Anschaffung von Büchern um jährlich 3000 Thlr. angeführt zu werden. – Seiner stets auf möglichst freie religiöse Anschauungen gerichteten Thätigkeit als Mitglied der hannoverschen Vorsynode, als Göttinger Kirchenvorsteher etc. sei hier nur beiläufig gedacht.

E. publicirte u. a.: „Athen. Sonette und Distichen.“, Athen 1838. – „Thee- und Asphodelosblüthen. Chinesische und neugriechische Gedichte“ (mit einem Anhang eigener), 1840. Unter den chinesischen befindet sich das eigene Gedicht „Der Pinsel Mings“, welches Hans Hopfen seiner größern unter demselben Titel erschienenen Dichtung zu Grunde legte. – „Montesquieu, Der Geist der Gesetze. Mit Einleitung und Anmerkungen“, 12 Bde., 1843. 1844 (3. Aufl. 1851). – „Rousseau, Abhandlung über die politische Oekonomie“, 1845. – „Voltaire’s Werke in Auswahl. Mit Einleitung und Anmerkungen“ 12 Thle. 1844–46. – „Polyglotte der europäischen Poesie“, Bd. I. „Die Poesie der Kantabrer, Kelten, Kymren und Griechen“, 1846. Dieser erste Band, welcher (abgesehen von einem im gleichen Jahre erschienenen Nachtrage ὁ πρέσβυς ἱππότης im Original und Uebersetzung mit einleitenden und kritischen Bemerkungen) keine Fortsetzung erhalten hat, gibt ausgewählte poetische Stücke aus der Litteratur, beziehentlich der Volkspoesie der auf dem Titel genannten Völker – der Basken, der Gaelen in Irland und Schottland, der Kymren in Großbritannien und Frankreich und der Griechen von den Argonautika des angeblichen Orpheus, der Ilias und den Gesängen des Tyrtäos an bis herab auf Alexandros Sutsos – im Original und deutscher Uebersetzung mit Erläuterungen und einleitenden ethnographisch-culturgeschichtlichen Bemerkungen. Dieser wenn auch leider wegen befürchteter Unzulänglichkeit der Kräfte unvollendet gebliebene Versuch mußte gleichwol durch die Kühnheit des Planes, die Entwicklung der gesammten europäischen Poesie in ihren Hauptzügen darzustellen und durch ausgewählte Beispiele zu illustriren, Aufsehen erregen. – „Michael Akominatos von Chonä, Erzbischof von Athen. Nachrichten über sein Leben und seine Schriften etc.“, 1846. – „Zur Geschichte Athens nach dem Verluste seiner Selbständigkeit“, 1848. – „Hans Holbein’s Initialbuchstaben mit dem Todtentanz. Mit erläuternden Denkversen und einer geschichtlichen Abhandlung über die Todtentänze“, 1849. – „Voltaire als politischer Dichter“, 1851. – „Analekten der mittel- und neugriechischen Litteratur“, 5 Bde. 1855–62. Er gab darin eine Anzahl wenig bekannter oder noch ungedruckter mittel- und neugriechischer theils poetischer, theils prosaischer Werke im Originaltext mit deutscher Uebersetzung, [56] litterar-historischen Einleitungen, Inhaltsübersichten und erklärenden Anmerkungen heraus. Der erste Band dieser, trotz unvermeidlicher Mängel im Einzelnen, verdienstlichen Sammlung enthält die gewöhnlich dem hl. Gregorios von Nazianz zugeschriebene Tragödie Χριστὸς πάσχων, der zweite Band den Gottfried Villehardoin betreffenden Abschnitt der Chronik der Franken in Morea nebst der deutschen Uebersetzung der denselben Stoff behandelnden historischen Novelle von Alexandros Rhisos Rhangavis, „Der Fürst von Morea“ (letztere auch in einem Separatabdruck erschienen, Leipzig 1856), Bd. III. ein bisher ungedrucktes vulgärgriechisches Gedicht über den Fall Konstantinopels (θρήνος τής Κωνσταντινουπόλεως) nebst dem lateinischen Gedicht des Ubertinus Pusculus Brixiensis „Constantinopoleos libri IV“ und Auszügen aus des Venetianers Nicolo Barbaro Tagebuch über die Belagerung Konstantinopels; Bd. IV gibt unter dem Titel „Byzantinische Paralipomena“ in der ersten Abtheilung die in Nachahmung des Lucian von Timarion und Mazaris verfaßten Fahrten in den Hades, in der zweiten Abtheilung des Georgios Gemistos Plethon Denkschriften über die Angelegenheiten des Peloponnes; der V. Band endlich enthält das früher ungedruckte vulgärgriechische romantische Gedicht von Belthandros und Chrysantza. Das Interesse für die Sprache und Litteratur der Neugriechen, welches E. außer durch diese Sammlung auch durch eine Anzahl von Anzeigen in den Göttinger gelehrten Anzeigen, sowie durch einen bei der Philologenversammlung zu Göttingen im J. 1852 gehaltenen Vortrag zur Vertheidigung der nationalgriechischen Aussprache (abgedruckt in den Verhandlungen dieser Versammlung S. 106 ff.) bewiesen hat, entsprang bei ihm aus einer aufrichtigen philhellenischen Gesinnung, die ihn zum entschiedenen Widersacher Phil. Jac. Fallmerayer’s und seiner jetzt nur noch wenig anerkannten Theorie über die Abstammung der heutigen Griechen machte. – „Dem. Moschus, Neaera. Griechisch und deutsch mit Einleitung und Anmerkungen“, 1859. – „Finlay, Griechenland unter den Römern.“ Autorisirte Ausgabe 1861. – „Barni, Napoleon und sein Geschichtschreiber Thiers“. Aus dem Französischen mit Anhang, 1870. – „Französische Thronfolger“, 1870. – „Die Bedeutung der Sedanfeier“, 1872 (2. Aufl. 1874). – Schiller’s Werke. Kritische Ausg. Bd. VII Geschichte des Abfalls der Niederlande, 1872. – Einige Uebersetzungen aus dem Französischen erschienen unter den vom Verleger untergelegten Uebersetzernamen Diezmann u. Marx (Sue, Abenteurer Bd. II. – Rousseau, Gesellschaftsvertrag etc.). – Von nicht separat erschienenen Schriften verdient Erwähnung eine Einleitung zu „Münchhausen’s Reisen und Abenteuern“, 1849 (bedeutend abgekürzt 1870). Sie weist nach, daß nicht Bürger, sondern R. E. Raspe (s. d.) der Verfasser des Münchhausen sei. – Manche kleinere Schriften, so u. a. Gelegenheitsreden, Nekrologe (Charlotte v. Dincklage, Bibliothekar Schweiger etc.), Gedichte („Den Manen Karl Otfried Müller’s“ etc.) kamen nicht in den Buchhandel. – Als Mitarbeiter von Zeitschriften (Deutsche Jahrbücher, Göttinger gelehrte Anzeigen etc.) und Zeitungen (namentlich Hannoversche und Göttinger Zeitungen) entwickelte E. zu Zeiten eine unermüdliche Thätigkeit. Fast ausschließlich aus seiner Feder ging hervor das vom Juli 1848–Jan. 1849 unter seiner Redaction erscheinende „Göttinger Bürgerblatt“. Hinsichtlich seiner Publicationen auf dem Gebiete der mittelgriechischen Litteratur wird E. von competenter Seite als „Bahnbrecher“ bezeichnet und das in den letzten Jahren, namentlich im Auslande, wie Frankreich, England und Griechenland für diese Studien durch ähnliche Publicationen an den Tag gelegte Interesse dürfte wol zum Theil dem Vorangehen Ellissen’s zuzuschreiben sein. – Auch als freimaurerischer Schriftsteller (E. bekleidete in den letzten Jahren seines Lebens die Stelle des Meisters [57] vom Stuhl in Göttingen) machte sich E. verdient, doch harren diese, wie manche andere Schriften, noch der Veröffentlichung.

Handschriftliche Autobiographie und andere Papiere Ellissen’s. Goedeke, Adolf Ellissen. Vortrag, gehalten am 18. Nov. 1872 in Göttingen.