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Artikel „Ebersberg, Ottokar Franz“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 220–224, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ebersberg,_Ottokar_Franz&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:17 Uhr UTC)
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Ebersberg *): Ottokar Franz E., Dramatiker und Humorist unter dem Pseudonym „O. F. Berg“, wurde als jüngster Sohn – der ältere war der Militär(schriftsteller) und Erzähler Julius Karl – des conservativen Publicisten Joseph Sig(is)mund E. (s. S. 224) am 10. October 1833 zu Wien geboren. Er absolvirte daselbst die Gymnasialstudien und trat dann in den Staatsdienst bei der Lottogefälls-Direction, wo er neun Jahre im Amte blieb. Im J. 1854 debutirte der Zweiundzwanzigjährige mit dem ersten bühnenmäßig fertiggestellten seiner zahllosen Volksstücke, der Komödie „Ein Gang durch die Vorzeit“, am „Theater an der Wien“, dem berühmten Possen- und Operettenhause der Kaiserstadt, vermochte aber trotz zweier Wiederholungen noch nicht durchzudringen. Als 1860 die Theatercensur sein siebzehntes Stück, die bereits genehmigte und sogar drei Mal aufgeführte Posse „Wiener und Franzos“ (zwei Jahre später trotzdem zwanzig Mal unter dem Titel „Jäger und Zuave“ dargestellt) nachträglich verbot, ärgerte das den zeitlebens höchst reizbaren Mann dermaßen, daß er nun die Beamtenlaufbahn aufgab, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen, obwol ihm doch der Posten eines Officials – weiter kam er nicht, und es heißt, er habe es dem ihn darob parodirenden noch fruchtbareren Volksstück-Dichter Karl Costa (geb. 1832) immer nachgetragen, daß dieser es beim k. k. Lottogefäll bis zum Oberofficial gebracht – Muße genug zu dramatischen Arbeiten gelassen hatte. Er übersiedelte nach Berlin, wo er für Tagesblätter schrieb. Aber wie sollte er, der sein Lebtag nur innerhalb der Bannmeile des „alten [221] Steffel“ (Stephansdom) sein ganz Wiener Temperament ausleben konnte, an der Spree Fuß fassen? So kehrte er bereits 1861 nach der geliebten Geburtsstadt zurück, um sie – ihr auch als Gemeinderath zu dienen, erübrigte er später Muße – niemals wieder auf länger zu verlassen. Hier schlug er sofort litterarisch feste Wurzel, nicht allein mit unermüdlichem dramatischen Schaffen, sondern auch mit dem im November 1862 von ihm begründeten illustrirten Witzblatte „Kikeriki“, das die Art und Weise seines 1858/59 versuchten satirischen Journals „Tritsch-Tratsch“ erneuerte, dabei auch die Erfahrungen aus seiner kurzen Redactions-Theilhaberschaft an Varry’s Spottblatt „Der Teufel in Wien“ aus demselben Jahre aufnahm. „Kikeriki“, durchaus aus Ebersberg’s menschlicher und schriftstellerischer Art hervorkeimend, schwang eine unerbittliche Geißel über all die längst eingerissenen, vielfach in die socialen Verhältnisse einschneidenden Ausschreitungen gewisser niederer Berufe vom Schlage der Kirchendiener, Leichenansager, Vorbeter, Sargträger, Wallfahrer, Gemeindewächter u. dergl. Das noch heute, wenn auch in veränderter Richtung, theils politisch (antisemitisch und deutsch-österreichisch), theils frivol karikirend fortlebende Witzblatt hob Ebersberg’s treffsicherer, stets aus Wiens Augenblicksstimmung schöpfender Humor binnen eines Jahres auf die dazumal unerhörte Auflageziffer von 23 000. Ein aus dem Tone des „Kikeriki“ erwachsener Strafproceß brachte E. vier Wochen Arrest, den kaiserliche Gnade nach vierundzwanzigtägiger Haft kürzte. Es war übrigens der „Kikeriki“, auch abgesehen von dem Spottblatt „Tritsch-Tratsch“, schließlich nur die journalistische Stabilisirung von Ebersberg’s früheren Unternehmungen im Stile fideler Kalender, deren lange Reihe der „Komische Almanach für Lustige und Traurige zum Lachen“ für 1853/54 eröffnete. Es folgten „Kein Tag ohne Witz“ für 1855/56, „Figaro-Kalender“ für 1857, für dasselbe Jahr „Charivari, komischer Volkskalender“, für 1862 und 1863 der „Kikeriki-Kalender“, dessen der namensgleichen Wochenschrift angelehnte Tendenz zu einer noch höheren Auflage verhalf. Während jener Haft 1863 schrieb E. außer der sogleich sechzig Mal gespielten Posse „12 Uhr“ das Libell „Kikeriki im Arrest“; dagegen beruht die Angabe einer „Monatsschrift ‚Tagebuch des Kikeriki‘“ – wie sie z. B. die neuern Auflagen von Brockhaus’ Conversationslexikon und Franz Brümmer (s. u.) machen – auf Irrthum. Die publicistische Thätigkeit Ebersberg’s, der anfangs auch noch Feuilletons für Wiener Journale wie Morgen-Post, Figaro, Telegraf lieferte, in den Sechziger Jahren, zu der auch seine Redaction der humoristischen Halbmonatsschrift „Brum-Brum“ gehörte, nahm dann ganz der „Kikeriki“ in Anspruch, bis er 1871 das „Illustrirte Wiener Extrablatt“ gründete, das er rasch durch originelle Besonderheiten, namentlich durch packende Beleuchtung vielbesprochener Actualitäten, auf eine, rein belletristisch heute noch innegehaltene Höhe hob. Der politisch liberale Standpunkt dieses Tagesneuigkeiten-Moniteurs machte es freilich allmählich später zum Widerpart der „Kikeriki“-Tendenz. Anfangs Februar 1885 mußte der rastlos schriftstellernde E. der bekannten Irrenheilanstalt zu Döbling bei Wien überwiesen werden, wo die Aerzte seinen Zustand sehr bald als hoffnungslos erkannten; am 16. Januar 1886 starb der aufgegebene Witzbold daselbst, nachdem er sich nicht mehr aus der Umnachtung erholt hatte.

Mag auch Ebersberg-Berg’s Ruf zunächst durch sein publicistisches Wirken empor gestiegen sein, so recht populär ward sein Name durch die litterarischen Leistungen, die ihm auch ein längeres Fortleben in der Geschichte deutschen Schriftthums verbürgen: diejenigen seiner dramatischen Muse. Hat E. schon in Kalendern, Feuilletons, Broschüren, Journalartikeln eine unglaubliche Fruchtbarkeit entwickelt, so lieferte er 1854–82, zunächst für die Wiener [222] Volksbühnen, „hundertfufzig Stuck“, wie er selber gern rühmte: in erster Linie Volkspossen, sodann derbe Lustspiele, Schwänke, Parodien u. a. Mehrere davon erlebten hundert und aberhunderte Aufführungen, viele wurden 20–60 Mal unter dröhnendem Beifalle gegeben[WS 1], und zwar theilweise, mit localspecifischer Umschmelzung, auch außerhalb Wiens und Deutschösterreichs, des Bodens, auf den sie eigentlich berechnet waren. So erschien seine 1857 geschaffene Posse „Ein Wiener Dienstbot’“, rasch im Josephstädter Theater 90 Mal gespielt, in David Kalisch’ (s. d.) Localisirung „Berlin, wie es weint und lacht“ über 800 Mal auf dem Berliner Wallnertheater, und ebenda rund 150 Mal hintereinander und später oft wiederholt, von demselben Spreeathener Lustigmacher bearbeitet, die 1858 auf dem Wiener Carltheater in ununterbrochener Folge 50 Mal aufgeführte Posse „Einer von unsere Leut’“ (die diese – übrigens in Büchmann’s Citatenlexikon fehlende – Redensart wohl erst zum „geflügelten Wort“ stempelte). Interessant ist hierbei noch, daß D. Kalisch’ verberlinernde Umgestaltungen beider Stücke schon 1864 in der neuen Ausgabe seiner „Berliner Volksbühne“ (dann auch 1870/71 in seinen „Lustigen Werken“) gedruckt wurden, Ebersberg’s entsprechende Originale dagegen, von denen die allerwenigsten Zuschauer in Norddeutschland etwas wußten, erst im J. 1868. Ueberhaupt sind von den anderthalb hundert Theaterstücken Ebersberg’s nur etwa ein Zehntel in Druck gelangt (bei Brümmer [s. u.] notirt), sämmtlich, abgesehen von dem Volksstücke „Ein Rekrut von 1859“ (1859), 1868–76 und zwar meistens viele Jahre nach ihrem Entstehen und Rampentriumphe. Die vielen erfolgreichen dramatischen Erzeugnisse Ebersberg’s aus den Jahren 1854–63 hat Wurzbach (s. u.) im J. 1864 gewissenhaft mit Jahr sowie Theater und Anzahl der Aufführungen verzeichnet. Aus der langen Folge sind neben den schon genannten hervorzuheben: „Die gebildete Köchin“, „Die Pfarrersköchin“, „Nr. 28“, „Die alte Schachtel“, „Die Probiermamsell“, „Der letzte Nationalgardist“, „Das Mädel ohne Geld“, „Der barmherzige Bruder“, „Der deutsche Bruder“, „Verlassene Kinder“, „Eine resolute Person“, „Ein Wort an den Reichsrat“. Ebersberg’s frisches, jederzeit und allbereites Talent ermöglichte Schnelldichtungen sogar abendfüllenden Umfangs: er brauchte irgend eine „brennende Frage“ sowie eine tragende Rolle für seine beliebten mimischen Stützen wie Josephine Gallmeyer – deren „Alte Schachtel“ und „Pfarrersköchin“ Cabinetsstücke der Charakterkomik einer Possensoubrette boten –, Marie Geistinger, die als „Eine leichte Person“ excellirte, Joseph Matras; in einigen Tagen, selten Wochen war die Novität dann fertig. Ja, es wird sogar von öfteren halben Improvisationen erzählt, und E. soll Schauspielern, die ihn um eine Declamationsnummer angingen, dieses schneller erledigt haben als sie die inzwischen vorgesetzte Flasche Wein. Freilich scherte sich seine immer wieder glänzend bewährte Stofferfindung nicht um wahrscheinliche, einheitliche, runde Handlung, sondern zielte vielmehr auf den Momentsieg der mit Anzüglichkeiten gespickten Wechselreden und Einlage-Couplets, daneben auf den der Quodlibets, Tanzeinlagen u. dgl. Die niederen Schichten des Volks, vor allem des Wienerischen, hatte E. gründlich studirt und verwerthete deren Denk- und Sprechweise, nicht wählerisch, in voller Urwüchsigkeit. Allerdings urtheilte ein so vorsichtiger Kritiker wie Wurzbach schon 1864 über den Dreißigjährigen: „Berg’s Muse hat viele Gegner, aber auch viele Freunde. Indem er sich selbst unabhängig gemacht hat, geißelt er schonungslos, was ihm unterkommt. In diesem Flagellantengeschäfte unterstützen ihn unversiegbarer Witz, der mitunter an bitteren Sarkasmus streift, reiche Phantasie, lebendige Auffassungs- und leichte Gestaltungsgabe, und ein Gleichmuth, der ihn die nicht eben sanften Ausfälle seiner erbitterten Gegner mit stoischer Ruhe und dem Bewußtsein ertragen [223] läßt, in diesen Angriffen neuen Stoff zu seinem Humor zu finden“. Obwol sich diese satirische bezw. karikirende Ader sammt den sich daran knüpfenden Gegnerschaften zunächst auf Ebersberg’s publicistische und Kalender-Veröffentlichungen beziehen mögen, so arbeitete er doch auch in der überwiegenden Mehrzahl seiner Theaterstücke mit Dingen gleichzeitigen Interesses, mit dessen Schwinden natürlich auch diese Stücke selbst in den Hintergrund traten. Uebrigens war auch E. gegen litterarische Anzapfungen ziemlich empfindlich und verzieh es seinem Alters-, Amts- und Musencollegen Karl Costa nie, wie er in Parodieweise Ebersberg und seine Dichtkunst verulkend persiflirte. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß E. bei etlichen seiner theatralischen Arbeiten, wenn er auch dann den Ton angab, Mitarbeiter in Joh. Grün, Gärtner, Anton Bittner, Joseph Wimmer (dieser Ebersberg’s Mitredacteur beim „Tritsch-Tratsch“ 1858/59) besaß. Mit dem letztgenannten – 23. Jan. 1834 geborenen – Wiener Localschriftsteller, der Anfang December 1903 verschied, ist die Schriftstellergarde, die man die Josephstädter Possendichterschule nennen könnte, ausgestorben. Sie scharte sich um E. als Matador und sichtbares Oberhaupt und blühte in den Fünfzigern und Sechzigern des 19. Jahrhunderts. In ihrem Hauptquartiere, dem Rückstübel der Weinkneipe zu den „Drei Hackeln“, verkehrten auch verwandte Geister wie Friedrich Kaiser, Berla, Haffner, Theodor Flamm, auch der dicke Volkserzähler Anton Langer (1824–79), der verpflichtete Dramatiker der Josephstädter Bühne. War Langer aus diesem Kreise nächst E. Wiens berühmtester Lacherreger, so Bittner getreuester Anbeter und Copist menschlicher Aeußerlichkeiten des litterarischen Obergotts Berg, zu dem er in die Piaristengasse regelrecht wallfahrtete: E. verdankte dem armen Possendichter die besten Einfälle, gerieth aber selbst immer mehr in Schablone bei Personentypen, deren Deutenamen und Situationen.

Von allen den leichtflüssigen Offenbarungen der Ebersberg’schen Muse, die von den genannten Bühnenkräften besonders die Pepi Gallmeyer, außer jenen auch die originellen Komiker Karl Blasel und Alexander Girardi verkörperten, dauerte bis heute wenig fort. Schlögl, ein scharfer Kenner der einschlägigen Verhältnisse, mißt solche Ansprüche dem einst allmächtigen, vielversprechenden E. nicht bei: „Berg beherrschte ziemlich lange nicht nur das Terrain, sondern dirigirte auch den Geschmack des Publicums, wurde aber eben durch diese ganz eigenthümliche ‚Richtung‘ und Form, die er autonom eingeschlagen und durchgeführt und die einer gewissen Menschengattung behagte, ein – reicher Mann. Mehr wollte er wahrscheinlich nicht sein und nicht werden“; trotzdem bezeichnet ihn derselbe Schlögl als Markstein des Wiener Volkstheaters, der diesem für einen ganzen Zeitabschnitt sein Gepräge verlieh. Erst in jüngster Vergangenheit haben österreichische Blätter O. F. Berg’s Andenken aus Anlaß seines 70. Eventual-Geburtstags aufgefrischt (s. „Das litterarische Echo“ VI, Nr. 3, Sp. 179), und der Jung-Wiener Volksschriftsteller Ottokar Tann-Bergler (d. i. Hans Bergler) 1903 „Die alte Schachtel. Wiener Posse mit Gesang in fünf Aufzügen von O. F. Berg“ modernisirt in Reclam’s Universalbibliothek (Nr. 4435) herausgegeben, so wie dieser Kassenmagnet, der am 2. Dec. 1865 auf dem Wiener Carl-Theater aus der Taufe gehoben worden, am 10. Oct. 1902 am Raimund-Theater ebenda verjüngten Leibs fröhliche Auferstehung gefeiert hatte. Ebersberg’s witzige Uebertreibungen, originelle Figuren, Verwerthung von Tagesereignissen zogen und ziehen eben noch.

Wurzbach’s Biogr. Lexik. XI (1864), 396–98; danach Kehrein, Biogr.- litt. Lexik. d. kathol. dtsch. Dicht. usw. S. 82. – Brümmer, Lexik. d. dsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jahrh.4 u. 5 I, 295. – Wienstein, Lexik. d. kathol. dtsch. Dicht., S. 86 f. – Selbständige Würdigungen: Meyer’s Conv.-Lexik. s. v. [224] Ebersberg und fast wörtlich in Bornmüller’s Schriftstellerlex. d. Gegenwart (1882) S. 61 s. v. Berg.; Frdr. Schlögl, Vom Wiener Volkstheater (1883) S. 154–56 (vgl. auch Ad. Kohut, Die deutschen Soubretten d. 19. Jahrh. S. 23); F. Groß, Was die Bücherei erzählt (1889) S. 302 ff. – Mittheilungen eines Eingeweihten in X. X. als Nekrolog auf J. Wimmer angelegtem Artikel „Wiener vom alten Schlag“, Wien. Fremden-Blatt Nr. 340 v. 11. Dec. 1903, S. 17; Einleitung zu Tann-Bergler’s Renovation der „Alten Schachtel“ (S. 3 f.); der „brave Theaterjude“ in „Einer von uns’re Leut’“: Dingelstedt, Literar. Bilderbuch, S. 180. – Ueber E.’s mannichfach litterarisch thätig gewesene Vater Joseph Sigmund E. (1799–1854) u. Bruder Julius Karl (1831–70) s. Wurzbach III, 412 f., Kehrein S. 81 f., Ad. Stern, Lexik. der deutsch. Nationallitt. (1882) S. 80.

*) Zu Bd. XLVIII, S. 229.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegegen