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Artikel „Dohme, Robert“ von Alfred Gotthold Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 737–740, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dohme,_Robert&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 01:36 Uhr UTC)
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Dohme: Robert D., Dr. phil., Kunstgelehrter, Hausbibliothekar Kaiser Wilhelm’s I. und Director der Kunstsammlungen des Königlichen Hauses, dann in mehreren auf das Kunstleben Berlins einflußreichen Aemtern, geboren in Berlin am 17. Juni 1845, † in Constanz am 8. November 1893. Dohme’s Vater (1817–1896) stand von 1836–1888 „unter fünf Königen“ als Mitglied des Hofmarschallamtes in Berlin im oft persönlichen Dienst des preußischen Königshauses. Sein Name bleibt mit dem mittelbar auf seine Veranlassung begründeten Hohenzollernmuseum, dessen Direction er bis 1888 führte, verbunden. Dies bezeichnet den gesellschaftlichen Kreis und das Interessenbereich, aus dem auch der jüngere D. seine frühesten Eindrücke und seine Schulung empfing. Umgebung und Begabung führten ihn zur Kunst. Er studirte auf der Berliner Bauakademie. Aber mehr als die Praxis fesselte ihn die Theorie und die geschichtliche Betrachtungsweise der Bauformen. Er ging zur Universität über und erwarb 1868 in Göttingen den Grad eines philosophischen Doctors mit der Inauguraldissertation: „Die Kirchen des Cistercienserordens in Deutschland während des Mittelalters“ (erschienen 1869, Leipzig). Nach ausgedehnten Studienreisen, die ihn besonders nach Italien führten, ward er 1871 commissarisch, 1873 dauernd zum Hausbibliothekar Kaiser Wilhelm’s I. ernannt. Etwa gleichzeitig begann seine zuerst mittelbare Thätigkeit für die Berliner Nationalgalerie, bei der er seit 1875 als Directorialassistent fungirte. 1883 erhielt er an dieser Sammlung den Directortitel, um jedoch schon im folgenden Jahr von dieser staatlichen Verwaltungsthätigkeit in die des Königlichen Hauses zurückzutreten. D. wurde nun mit der Oberaufsicht über dessen Kunstsammlungen betraut. Eine neue Form seines Wirkungskreises versprach ihm die Thronbesteigung Kaiser Friedrich’s, seines langjährigen Gönners, dem er schon als Knabe wohlbekannt war, und später besonders durch die Verwaltung der Kunstschätze des Königlichen Hauses persönlich näher treten durfte. In der That wurde D. sogleich mit dem Titel „Geheimer Regierungsrath“ als Director des Oberhofmarschallamts berufen. Allein diese Thätigkeit, sowie alle weitsehenden künstlerischen Pläne, zu deren Erfüllung der hohe Herr und seine erlauchte Gemahlin neben einer Reihe anderer Persönlichkeiten insbesondere auch D. ausersehen hatten, fanden mit dem Hinscheiden des Kaisers ihr Ende. Ersatz bot einer der maßgebendsten Posten in der Verwaltung der Königlichen Akademie der Künste, zu deren Erstem, ständigen Secretär D. 1891 commissarisch, und zwei Jahre später definitiv ernannt wurde. Körperlich schon leidend hatte D. sein neues Amt angetreten, und bereits am 8. November 1893 raffte ihn in Constanz ein Herzschlag hin.

D. hat in der deutschen Kunstwissenschaft durch eine Reihe von Schriften auf dauernde Schätzung Anspruch und spielte im Berliner Kunstleben der 70er und 80er Jahre eine nicht unwesentliche Rolle.

Seine von weltmännischer Bildung getragene, organisatorische Begabung machte ihn besonders geeignet, zahlreiche Kräfte zu concentriren. In bleibender Weise bewies er dies zuerst durch das von ihm ins Leben gerufene und [738] redigirte Sammelwerk „Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit“, das von 1877 bis 1886 in 8 Bänden im Verlag von E. A. Seemann in Leipzig erschien. Es sind „Biographien und Charakteristiken“, von den namhaftesten Fachgelehrten verfaßt. Der Werth dieser Aufsätze ist naturgemäß ungleich, und größtentheils von den Fortschritten der heutigen Kunstwissenschaft überholt, aber als Ganzes hat dieses Sammelwerk bleibende Bedeutung. Es begleitete und unterstützte den Aufschwung, den die 70er und 80er Jahre dem Kunstinteresse in Deutschland brachten, und vermittelte in sehr glücklicher Weise zwischen der Fachwissenschaft und weiteren Kreisen. Diese Veröffentlichung ist der Anfang der seitdem so stark vermehrten Reihe der deutschen „Künstlermonographien“. Dohme’s eigene Beiträge sind zahlreich und gehören durchgehends zu den besten der ganzen Sammlung. Schon in ihnen zeichnen sich die beiden Hauptgebiete ab, denen er seine kunsthistorische Forschung zuwandte: die Baugeschichte und die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Auf die Studie über Einhardt folgten die umfassenden Monographien über Palladio, Bernini, Jules Hardouin Mansart, Schlüter, Schinkel, ferner über Chodowiecki, Watteau, Boucher, Greuze.

Während diese Redactionsthätigkeit mit dem Abschluß des Werkes ihr Ende fand, hat D. die Redaction des „Jahrbuchs der Königlich Preußischen Kunstsammlungen“ (Berlin, G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung) von ihrem Beginn 1880 bis zu seinem Tode geführt. Auch in dieser streng wissenschaftlichen Veröffentlichung, die heute noch unter den verwandten deutschen Zeitschriften in erster Reihe steht, sind von drei Aufsätzen Dohme’s zwei wiederum baugeschichtlichen Stoffen gewidmet: „Filarete’s Tractat von der Architectur“ (I, 1880, S. 225 ff.) und: „Norditalienische Centralbauten des 17. und 18. Jahrhunderts“ (III, 1882, S. 119 ff.). Der dritte Aufsatz dagegen bezieht sich auf die von Dohme im Verein mit mehreren Fachgenossen zu Ehren der silbernen Hochzeit des kronprinzlichen Paares in Berlin 1883 veranstaltete Ausstellung von Werken aus Berliner Privatbesitz – besonders auf die Gemälde älterer Meister (IV, 1883, S. 119 ff., 217 ff.). Auch diese Veranstaltung hat, abgesehen von ihrem im Jahrbuch niedergelegten kunstwissenschaftlichen Ergebniß, wesentlich dazu beigetragen, das Kunstinteresse in Berlin zu vertiefen, und ist für eine Reihe ähnlicher Ausstellungen vorbildlich geworden.

Dohme’s eigenes litterarisches Schaffen gehört, soweit es selbständig auftrat, fast ausschließlich seinem Lieblingsgebiet, der Baugeschichte, an. Insbesondere zählt er zu den ersten, die in Deutschland die Architektur des Barock- und Rococostils historisch zu würdigen unternahmen. Er brachte ihr von jeher auch eine persönliche Neigung entgegen. War D. doch „im Schatten des Berliner Königsschlosses geboren“, in dauerndem Verkehr mit Schlüter’s Meisterwerk! Dem Berliner Schloß widmete er auch seine erste große Veröffentlichung: ein für damalige Verhältnisse besonders stattliches Tafelwerk, das, begleitet von einem vorzüglichen Text, 1876 in Leipzig erschien („Das Königliche Schloß in Berlin. Eine baugeschichtliche Studie“). Eine andere verwandte Publication brachte das Königliche Schloß zu Brühl am Rhein, und 1892, in Dohme’s Todesjahr, erschien das von ihm lange und sorgsam vorbereitete Tafelwerk: „Barock- und Rococo-Architektur“, 3 Bände mit 200 Lichtdrucktafeln (Berlin, Wasmuth). Der Nachdruck lag bei diesen Werken auf den Abbildungen, aber Dohme’s Arbeit war beträchtlich genug, denn es galt, aus schwer zugänglich, bisher wenig beachteten Baulichkeiten das Bezeichnendste auszuwählen. Auch die Geschichte der einzelnen Bauten [739] ist durch den Text dieser Veröffentlichung, trotz dessen Knappheit, bereichert worden.

Allein nicht durch diese Sonderstudien ist Dohme’s Stellung in der Kunstwissenschaft bestimmt: auf ähnlichen Wegen, wie er sie mit ihnen betreten hatte, schritten bald Viele. Dagegen ist D. als Historiker der deutschen Baukunst bisher unerreicht geblieben. Anlaß zu diesem seinem Hauptwerk gab die von der G. Grote’schen Verlagsbuchhandlung in Berlin 1887 begonnene „Geschichte der deutschen Kunst“. D. übernahm den ersten, der Architektur gewidmeten Theil. Den Text dieses starken Bandes schrieb er in der verhältnißmäßig kurzen Zeit von zwei Jahren; Das war nur möglich, weil er für die Lösung dieser Aufgabe besonders befähigt war. Galt es doch keine Detailuntersuchungen, sondern eine Gesammtübersicht über die Entwicklungsgeschichte der deutschen Architektur, über die baukünstlerischen Ideen, soweit sie treibende Kräfte wurden. Das Einzelwerk ist nur als Träger dieser Kräfte behandelt. Selbst das culturgeschichtliche Element tritt zurück, denn „der Historiker der Baukunst muß die Bewegung auf dem Bauplatz selbst aufsuchen, muß ihr nachgehen von Werk zu Werk, muß von Meister zu Meister die Zusammenhänge klar zu legen streben“. – Nach diesen Leitsätzen schildert D. die innere Entwicklung der deutschen Baukunst, großzügig, in trefflicher Sprache. Es ist eine Art der Geschichtschreibung, die sich am ehesten mit Anton Springer’s „Grundriß der Kunstgeschichte“ vergleichen läßt, und ebenso wenig, wie dieser, wird Dohme’s Darstellung leicht überholt werden, weil sie sich nur an die Hauptlinien hält, diese aber von hohem Standpunkte aus sicher übersieht.

In ähnlichem Geist wollte D. eine Geschichte des Wohnhauses schreiben, aber er gab von seinen umfassenden Vorarbeiten hierfür nur noch in gelegentlichen Vorträgen (in der Berliner Kunstgeschichtlichen Gesellschaft), sowie in einer Schrift über „Das englische Haus (Braunschweig 1888) Kunde. Langes, standhaft ertragenes Leiden und der frühe Tod hinderten ihn an der Ausführung dieser und mancher anderen Pläne.

Durch seine vielseitige Bildung und seine Stellung hat D. noch an einer ganzen Reihe künstlerischer Unternehmungen unmittelbaren oder mittelbaren Antheil genommen. So unterstützte er zusammen mit F. Lippmann die Direction der Reichsdruckerei bei der Veröffentlichung der „Druckschriften des 15.–18. Jahrhunderts in getreuen Nachbildungen“ (Berlin 1884–1887) und gab von 1885 an zusammen mit Max Jordan das „Werk Adolf Menzels“ heraus (München, Bruckmann). Er war Mitglied der Königl. Akademie des Bauwesens und der Sachverständigencommission der Königl. Museen; Senator der Königl. Akademie der Künste in Berlin.

Seine mannichfachen Amts- und Ehrenstellungen, insbesondere sein nahes Verhältniß zum Königlichen Haus, sowie seine Beziehungen zu den meisten am Kunstleben Berlins betheiligten Persönlichkeiten schufen D. einen vielverzweigten Wirkungskreis. Dennoch war es ihm nicht vergönnt, demselben eine seinen Plänen ganz entsprechende, autoritative Form zu geben. Kaiser Friedrich hätte ihm bei längerer Regierungszeit wol einen solchen zugewiesen, aber auch Dohme’s eigene Gesundheit war 1888 bereits untergraben. Obschon er dies ahnte, blieb er rastlos thätig, das Muster eines Beamten, der an jede ihm zuertheilte Aufgabe seine ganze Kraft setzt, zugleich ein liebenswürdiger, wohlwollender Mensch, der seine vielseitige Bildung und seine gesellschaftlichen Vorzüge hohen Zielen dienstbar machte.

Nekrologe: Chronik d. Königl. Akademie d. Künste zu Berlin, 1894. S. 77 ff. – Jahrbuch d. Königl. Preuß. Kunstsammlungen XV (1894), [740] S. 1 ff. – Repert. f. Kunstwissensch. XVII (1894), S. 8 (Paul Seidel). – Kunstchronik. Neue Folge. V, 1893/94, Nr. 6. – Kunst f. Alle. 1893, Heft 6, S. 92. – La Chronique des arts. 1893, Nr. 39. – Für Dohme’s Jugend vgl. das Tagebuch seines Vaters: „Unter fünf preußischen Königen“. Herausgegeben von Paul Lindenberg. Berlin 1901.