ADB:Dümmler, Ferdinand (Archäologe)

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Artikel „Duemmler, Ferdinand“ von Franz Studniczka in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 163–166, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%BCmmler,_Ferdinand_(Arch%C3%A4ologe)&oldid=- (Version vom 27. März 2024, 10:15 Uhr UTC)
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Duemmler: Ferdinand D., classischer Philolog und Archäolog, als Enkel des gleichnamigen Verlegers (s. A. D. B. V, 460) und Sohn des Historikers Ernst D., damals Professors zu Halle a. S., daselbst geboren am 10. Februar 1859, fand er am dortigen Stadtgymnasium eine treffliche vielseitige Vorbildung. Die fünf Universitätsjahre vertheilten sich auf Halle, Straßburg und Bonn. An den beiden ersteren Orten von August Krohn und Adolf Michaelis am stärksten beeinflußt, erfuhr D. die entscheidendsten Einwirkungen durch das schöne Zusammenwirken von Bücheler, Usener und Kekulé zu Bonn. Dort erwarb er 1882 mit den „Antisthenica“ den Doctorgrad. Bald darauf führten ihn die archäologischen Studien nach Italien und Griechenland. Von Wolfgang Helbig und Ulrich Köhler angeregt und gefördert, wandte er sich, immer selbständiger forschend, besonders der archaischen und vorgeschichtlichen Denkmälerwelt zu. 1885 unternahm er, den Spuren seines Pathen Ludwig Roß folgend, ergebnißreiche Erkundungsreisen auf Inseln des ägeischen Meeres und auf Cypern. Von Ostern 1887 bis 1890 wirkte D. als Privatdocent in Gießen, durch die Verhältnisse der kleinern Universität wieder mehr zur philologischen Arbeit zurückgeführt, als deren erste größere Frucht 1889 [164] die „Akademika“ erschienen. Im Frühling 1890 ging er als ordentlicher Professor nach Basel, um in ausgedehnter, angestrengter Lehrthätigkeit weite Gebiete der Philologie und Archäologie mit Erfolg zu vertreten. Aber nur zu bald sollte er einem tiefgewurzelten, complicirten Leiden erliegen. Obgleich es ihm mit Hilfe wiederholten Urlaubs gelang, seine große Arbeitskraft herzustellen, brach er mitten in der Berufswirksamkeit nach kurzer Krankheit am 15. November 1896 zusammen. Duemmler’s kurzes Leben war, trotz manchen günstigen Bedingungen, von Jugend auf durch Leiden eines zarten Körpers und eines tiefen, weichen Gemüths getrübt. Dennoch wußte ihm ein nur allzu straffes, echt preußisches Pflichtgefühl und der leidenschaftliche Drang, seine reichen Kräfte in Wirkung zu setzen, eine Fülle von wissenschaftlicher Arbeit abzugewinnen. Zwar das Vollenden eines größern Werkes blieb ihm versagt, und das, was er geschrieben, bewegt sich großen Theils auf dem Boden der Hypothese, ja es trägt nicht selten die Spuren der Hast eines Mannes, der noch viel zu sagen hat und ein baldiges Ende vorausahnt. Trotz alledem jedoch hat D. kraft eines wunderbar reichen und vielseitigen, zugleich kritisch scharfen und dichterisch aufbauenden Geistes, dessen Denken auch im Kleinsten immer auf große Zusammenhänge gerichtet war, sowie kraft des Zaubers einer ebenso vornehmen als liebenswerthen Persönlichkeit auf so weite Strecken seiner Wissenschaft bahnbrechend und anregend gewirkt, daß sein frühes Ende als ein unersetzlicher Verlust empfunden wurde. Deshalb vereinigte sich eine große Zahl von Freunden und Fachgenossen, um seine kleinen Schriften, edirte und unedirte, gesammelt herauszugeben (weiterhin kurzweg mit den Bändezahlen I–III citirt).

Duemmler’s Forschung hatte gleich auf zwei weit auseinanderliegenden Gebieten eingesetzt. Sein früh erwachtes philosophisches Interesse wurde durch Krohn und Usener auf die sokratische Litteratur gelenkt. Ihr vornehmlich gelten die Doctorschrift „Antisthenica“ (1882), die „Akademika“ (1889), die umfangreichen Baseler Rectoratsprogramme „Chronol. Beiträge zu einigen platonischen Dialogen aus den Reden des Isokrates“ (1890), „Prolegomena zu Platons Staat und der platonischen und aristotelischen Staatslehre“ (1891), „Zur Composition des platonischen Staates, mit einem Excurs über die Entwickelung der platonischen Psychologie“, sowie kleinere Aufsätze und Recensionen, mit Ausnahme der Akademika vereinigt im Bd. I. Die Hauptabsicht dieser Arbeiten ist, die Entwicklung der platonischen Lehre verständlicher zu machen aus den lebendigen Beziehungen ihres Urhebers zu Vorgängern und Zeitgenossen, deren verlorene Schriften aus der Polemik oder Benutzung bei Platon, Xenophon und Isokrates, bei spätern Popularphilosophen wie Dion Chrysostomos, ja selbst bei Euripides und Thukydides herzustellen versucht wird. So hat D. wesentlich dazu beigetragen, das Charakterbild des Archegeten der Kyniker und Stoiker Antisthenes und den dogmatischen Gehalt der Schriften von Sophisten wie Prodikos und Hippias herauszuarbeiten. Dabei trat die antike Staatslehre immer mehr in den Vordergrund und führte schließlich auf eigene Versuche (s. u.).

Die archäologischen Arbeiten, meist in den Schriften des k. deutschen arch. Instituts veröffentlicht, befassen sich verhältnißmäßig wenig mit den eigentlich kunstgeschichtlichen Problemen, so tief auch D. die Schönheit der antiken wie der Renaissancekunst empfunden hat. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse war vielmehr im Sinne des Thukydides und Aristoteles, auf die historische Bedeutung der Denkmäler im weitesten Sinne gerichtet, besonders dorthin, wo die monumentale Ueberlieferung die einzige oder wenigstens die unmittelbarste und reichste ist. Durch kleine aber treffsichere Grabungen und ausgedehnte Beobachtungen in Cypern, Amorgos und auf anderen Inseln [165] hat D. weit vollständiger und klarer die prähistorischen Perioden Griechenlands, die „trojanisch-kyprische“ und die der „Inselkunst“ bestimmt. Die Stellung der „mykenischen“ und der „geometrischen“ Kunst hat er zwar einseitig, aber doch im Ganzen richtiger beurtheilt, als die damals herrschende Meinung, indem er die erstere mit U. Köhler als wesentlich „karisch“, erst die letztere als hellenisch ansah (Athen. Mitth. d. d. arch. Inst. XI–XIII; III 45 ff.). Auf italischem Boden erwarb sich D. ein großes Verdienst, indem er den Einfluß Ioniens genauer als Frühere an den „cäretaner Hydrien“ und an einer andern, erst von ihm constituirten Classe schwarzfiguriger Vasen erkannte (Röm. Mitth. II. III; III 239 ff.), wohl insofern übertreibend, als die ionisirenden Gefäße nicht aus dem Osten eingeführt, sondern in Italien gearbeitet sein dürften, wie so Vieles, was jetzt in allzu eifriger Verfolgung der Duemmler’schen Thesen schlechtweg „ionisch“ genannt wird. Für die Chronologie der rothfigurigen Vasen und ihr Verhältniß zu der Wandmalerei Polygnot’s hat D. anläßlich eines cyprischen Fundes werthvolle Beobachtungen beigesteuert (Jahrbuch d. arch. Inst. II; III 320 ff.). Diese wie andere Arbeiten förderte sein Wissen und sein Scharfsinn auf epigraphischem Gebiete, dessen schönster Erfolg die Lesung der ältesten lateinischen Inschrift auf der Fibula von Praeneste ist (Röm. Mitth. II; II S. 528).

Tiefer noch als andere Archäologen mußte dieser mit griechischer Philosophie vertraute Schüler Usener’s in die Welt der Sagenpoesie, des Mythos und des Glaubens hineingeführt werden. „Skenische Vasenbilder“ weiß er in aller Kürze als unschätzbare Zeugen für die Anfänge der dionysischen Festspiele zu verwerthen (Rhein. Mus. 1888; III 26), freilich auch einmal in böser Stunde einer öden Topfmalerei tiefsinnigen Aufschluß über die Eleusinien abzuquälen (III 31). Die Beschäftigung mit Polygnot wirft als Nebenertrag einen mindestens beachtenswerthen Versuch, die Nekyia der Nosten zu reconstruiren, ab (Rh. Mus. 1890; II 379). An damals noch unveröffentlichte Gedanken des Lehrers anknüpfend, setzt er in dem Excurse „Hektor“ zu Studniczka’s „Kyrene“ (1890) einen Eckstein für alle Bestrebungen auch die trojanischen Heroen aus dem Sagenbesitze des griechischen Mutterlandes herzuleiten (vgl. Usener in den Wiener Sitzungsberichten 1897). Wie frühzeitig Duemmler’s Anschauungen über die Methode religionsgeschichtlicher Forschung ausgereift waren, lehrt die Recension von Roscher’s Lexikon der Mythologie I. Bd. (Berl. phil. Woch. 1891, 901; II 250). In diesem Sinne hat er später selbst, für Pauly-Wissowa’s Realencyklopädie, mehrere Gottheiten dargestellt, am besten wohl Adonis und Athena (II 18). Die Grundlage bildet der Cultus nach seiner Ausbreitung und seinen Bräuchen, deren Deutung mit Hülfe einheimischer und auswärtiger Analogien gesucht wird. Namentlich diese „sittengeschichtlichen Parallelen“ (der Titel seines letzten Aufsatzes, Philol. 1897; II 212), wie sie bei uns vor Allen Mannhardt in der Sagenforschung eingebürgert hatte, suchte D. in immer weiterem Umkreise, durch Wellhausen auch auf Semitisches hingewiesen, nutzbar zu machen für das Verständniß des religiösen und damit des gesammten geistigen Lebens der Hellenen. So enthüllt sich ihm „der Ursprung der Elegie“ in urthümlich wilden Sitten der Todtenklage (Philol. 1894; II 201); so werden ihm in „Στυγὸς ὕδωρ“ und den „Büßergestalten des Hades“ alte Rechtsgebräuche lebendig (Delphica, Baseler Festschrift für Halle 1894; II 125); so gedachte er die spartanischen Könige als eine Art „lebendige Fetische“ zu erklären. Denn auch die Schrift über „das hellenische Königthum“ war bereits in diesem Sinne unternommen, obwohl in ihren vier unvollendeten Anfangsabschnitten (II 295) fast nur die Darlegung und Kritik der einschlägigen Lehren des Aristoteles, der epischen und spartanischen Ueberlieferung zu Worte kommt.

[166] Dergestalt schließen selbst die erhaltenen Trümmer von dem, was D. gedacht und geplant hat, fast lückenlos aneinander in dem weiten Kreis eines von der Philosophie bis zur bildenden Kunst reichenden Horizontes. „So fand er endlich in der Culturgeschichte der griechischen Werdezeit die Aufgabe seines Lebens. Wie er, philosophisch durchgebildet und das monumentale Material beherrschend, daran ging und Religion, Sage, Dichtung, Recht gleichermaßen anpackte, das hat noch Keiner versucht, weder vor ihm noch nach ihm“ (v. Wilamowitz). Dies gewaltige Unternehmen hatte D. in der That schon fest ins Auge gefaßt und in akademischen Vorlesungen Hand daran gelegt, als er der Wiener Philologenversammlung 1893 über „Kulturgeschichtliche Forschung im Alterthum“ vortrug (II 443). Wie sein Buch zu uns gesprochen hätte, wenn ihm glückliche Vollendung beschieden gewesen wäre: mit souverainer Beherrschung des in prächtiger Fülle zuströmenden Stoffes, mit tiefem, liebevollem, gelegentlich lächelndem Verständniß für alles Menschliche, mit aufflammendem Zorn wider das Niedrige und feuriger Begeisterung für das Hohe, in edler, warmer, eigener Sprache, die doch nirgends auf Stelzen geht, davon gibt wohl die beste Probe der 1892 gehaltene Vortrag über „Gesetzgeber und Propheten in Griechenland“ (II 157), auch unseres Erachtens „das Schönste, was D. geschrieben hat“ (v. Wilamowitz). Wer über so große Dinge so zu denken und zu reden verstand, darf eine bleibende Stelle in der Gelehrtengeschichte unseres Volkes beanspruchen, wenn er auch das Beste, was er gewollt und gekonnt, mit in ein frühes Grab nehmen mußte.

F. D. (Basel, Schweighauserische Buchhdlg. 1896.) – Karl Joël, F. D. in der Sonntagsbeilage Nr. 38 der Allg. Schweizer Zeitung, Basel 1896. – Kl. Schriften von F. D. Leipzig 1901. I. Zur gr. Philos. (mit biograph. Einleitung). II. Philologische Beiträge. III. Archäologische Aufsätze. – Vgl. v. Wilamowitz-Möllendorff in der Deutschen Litteraturzeitung 1902 Nr. 6. – H. Schenkel in der Berliner philol. Wochenschr. 1902.