ADB:Döbereiner, Johann Wolfgang
Döbereiner: Johann Wolfgang D., Chemiker, geb. 15. Dec. 1780 zu Hof in Baiern, starb zu Jena 27. März 1849. Kurz nach seiner Geburt verzog sein Vater als Inspector auf das Rittergut Burg bei Münchberg, wo er den einzigen Unterricht, den er jemals genoß, durch den Pfarrer eines benachbarten Dorfs und durch seine sehr begabte Mutter erhielt, die bis 1843 lebte. Er bewies Wissensdrang und manuelle Geschicklichkeit bei ländlichen Beschäftigungen und Bauten, wies aber den Wunsch seines Vaters, ihn zum Landmann zu erziehen, zurück, und setzte mit Schwierigkeiten, von seiner Mutter unterstützt, den Plan durch Pharmaceut zu werden, wozu ihn botanische Neigung und das Interesse trieb, welches ihm als Kind beim Besuch einer Apotheke ein chemisches Experiment erregt hatte. Bei dem Apotheker Dr. Lotz in Münchberg trat er als Lehrling 1795 ein und fand in Carlsruhe und in Straßburg später als Provisor Stellungen, die ihm Zeit ließen, autodidaktisch viele Kenntnisse zu erwerben; nicht nur in Botanik, Mineralogie und Chemie, sondern auch in Sprachen und Philosophie. Im J. 1802 zwangen ihn Familienverhältnisse nach Hof zurückzukehren. Ein Apotheke zu gründen, ward ihm mit Rücksicht auf bestehende Privilegien versagt; ja auch eine Fabrik chemisch-pharmaceutischer Präparate, welche er anlegte und in Verbindung mit einer Droguen- und Landesproductenhandlung bald zum Gedeihen brachte, ward ihm als Eingriff in die Rechte verschiedener Zünfte geschlossen. Er ward darauf bei Verwandten in Münchberg Dirigent einer Färberei und Bleicherei, in welcher er die neue Chlorbleiche einführte und ein gutes Einkommen hatte, bis der französische Krieg das Geschäft zerrüttete und ihn zwang eine Unterkunft als Inspector auf dem Gute St. Johannis bei Baireuth zu suchen. Hier leitete er erfolgreich eine Brennerei und Brauerei (1808–1810) und sammelte über die Gährung Erfahrungen, die er später wissenschaftlich verwerthete, als das Gut in die Hände eines neuen Besitzers überging, der, sich auf seine Landwirthschaft beschränkend, die Brauerei schloß und ihn entließ.
D. veröffentlichte jetzt über die Gährungsthätigkeit[1] des Stärkemehls und die entfuselnden Eigenschaften der Chloralkalien seine ersten chemischen Arbeiten und erregte durch sie das Interesse des Herausgebers des „Journals für die Chemie und Physik“ Ad. Ferd. Gehlen in München. Aber vergebens war dessen Vermittlung ihm eine Staatsanstellung in Baiern zu verschaffen, vergebens selbst seine eigene Bemühung als Apothekergehülfe Unterkunft zu finden.
Seine Lage war kritisch. Täglich umsonst frug seine Frau im nahen Baireuth auf der Post nach Sendungen oder Anerbietungen, bis höchst unerwartet auf eine Empfehlung Gehlen’s der Großherzog Karl August D. eine Professur der Chemie in Jena mit 300 Thalern Gehalt antrug. Die Universität ertheilte dem Autodidakten ihr Doctordiplom und im Wintersemester 1810–1811 begann er mit großem Beifall seine akademische Thätigkeit. In den Jahren 1817–18 reiste er im Auftrage der preußischen Regierung nach Aachen und Spaa, um die dortigen Quellen zu untersuchen. Im folgenden Jahre erhielt er die Ernennung als Ordinarius, welcher andere Würden und Titel folgten. Sein Gehalt betrug auch jetzt nur 500 Thaler und ward durch kleine Geschenke aus der herzoglichen Schatulle für besondere Zwecke zeitweilig verbessert. So ward ihm 1814 für einen Assistenten ein Jahrgehalt von 25 Thalern zugewiesen, in die sich später zwei junge Leute theilen sollten! Vortheilhafte Rufe nach Bonn, Dorpat, Halle, München und Würzburg lehnte er aus Anhänglichkeit an die Universität ab, welche [269] ihm die wissenschaftliche Laufbahn eröffnet hatte, an welcher er 38 Jahre lang wirkte und im 69. Lebensjahre in bescheidener Vermögenslage an einer kurzen schmerzhaften Krankheit starb, einer krebsartigen Affection des Schlundes, welche angeblich mit seiner Gewohnheit zusammenhing (?), sein Geschmacksorgan als Reagenz zu benutzen.
Die Entdeckung, welche seinen Namen in die weitesten Kreise getragen hat, ist an Untersuchungen über Platin geknüpft. Er fand 1822–23, daß der Rückstand der Erhitzung des Platinsalmiaks, fein vertheiltes metallisches Platin (sogenanntes Platinmohr) einen Strom von Wasserstoffgas, welcher auf dasselbe unter Zutritt von Luft geleitet wird, entzündet. Obgleich für Platinblech und Platindrath Sir Humphry Davy diese Eigenschaft bereits 1817 aufgefunden und Eduard Davy das Platinmohr auf umständlichen Wegen schon 1820 dargestellt hatte, war es D. vorbehalten, diese Thatsache in ihrer günstigsten Erscheinungsform und ihrer Bedeutung für das praktische Leben zu erkennen. Er gründete auf sie die Erfindung der nach ihm benannten Zündlampe, welche von großer Wichtigkeit blieb, so lange man noch nicht den Phosphor für Zündhölzer verwendete. Ein englischer Fabrikant Robinson bot ihm bedeutende Summen für diese Erfindung. D. glaubte jedoch besser zu thun, sie ohne Nutzen für sich der Allgemeinheit zu überlassen und sich mit dem Danke zu begnügen, welchen sein Fürst ihm in der Form des weißen Falkenordens ausdrückte. Das Material für seine Untersuchungen über Platin war ihm von der Großherzogin Maria Paulowna geliefert worden. Weitere Ergebnisse dieser Arbeit waren Versuche zur Platinirung irdener Gefäße und das Studium der Oxydation, welche Alkohol durch Wirkung des Platinmohrs erleidet. D. erkannte, daß sich dabei Wasser und Essigsäure, aber keine Kohlensäure, später auch daß sich dabei eine Substanz bilde, welche er als Sauerstoffäther bezeichnete und deren wahre Natur Liebig erkannte. Aber D. ist es, der (1822) die wichtige, noch heute gültige, Erklärung für die Entstehung des Essigs aus Weingeist gegeben hat. Von andern Veröffentlichungen, welche in großer Zahl besonders in Gehlen’s und Schweigger’s Journalen, später auch in Liebig’s und Wöhler’s Annalen der Chemie und theilweise selbständig erschienen, sind mit Auslassung mehrerer Lehrbücher über Chemie, Pharmacie und Stöchiometrie sowie von Anleitungen zur Essigbereitung und zur Darstellung von Bädern besonders folgende hier hervorzuheben. Er fand die Entstehung der Ameisensäure bei der Oxydation organischer Substanzen, namentlich der Weinsäure, des Zuckers, des Salicins etc., eine praktisch wie theoretisch wichtige Erkenntniß. Er sah ein, daß die Salze der Oxalsäure keinen Wasserstoff enthalten und zerlegte diese Säure in Kohlensäure und Kohlenoxyd. Diese Körper sah er als die näheren Bestandtheile der Oxalsäure an und er war somit einer der Begründer jener Untersuchungen, welche die heutige Zeit besonders interessiren und die Erforschung der chemischen Constitution der Substanzen zur Aufgabe nehmen.
Was die Gährung anlangte, so vertheidigte er gegen Fabroni u. A., daß die Producte derselben der gährenden Substanz und nicht dem Fermente entspringen.
Auch die Physik verdankt D. eine Wahrnehmung, welche sofort großes Aufsehen erregte: daß nämlich in einem gesprungenen Cylinder, der mit Wasserstoff gefüllt ist, der Spiegel der Sperrflüssigkeit langsam über das Niveau des Wassers emporsteigt. Die Erklärung für diese merkwürdige Erscheinung, welche auch Magnus beschäftigte, sollte allerdings erst eine Dekade später von Thomas Graham gefunden werden (s. A. W. Hofmann, Zur Erinnerung an Gustav Magnus, Berlin 1871. S. 51). Für die Technik war er selbst als Universitätslehrer noch thätig. Namentlich leitete er während der Continentalsperre eine Stärkezuckerfabrik, welche später einging, und übernahm während einiger Zeit die Inspection [270] sämmtlicher Brauereien des Großherzogthums, bis ihm Collisionen mit Privatinteressen die Sache verleideten. Die Einführung der bairischen Braumethode in Norddeutschland soll ihm viel zu danken haben.
Sein Verhältniß zur Entdeckung zweier wichtiger Substanzen, des Acetals und des Aldehyds, ist bereits oben angedeutet worden. Er hatte sie im unreinen Zustande in der Hand und verwechselte beide unter der Bezeichnung des leichten Sauerstoffäthers. Liebig machte dieser Verwechslung durch Reindarstellung und Analyse ein Ende und hatte deshalb sicher Recht, als ihm die Entdeckung von D. bestritten ward, zu antworten: „D. hat an der Entdeckung des Aldehyds etwa den Antheil, den Newton’s Apfel an der Entdeckung der Schwerkraft und der Gesetze des freien Falles hatte“ (Annalen d. Chemie, Bd. 22. S. 277). Es ist von Wichtigkeit diesen Streit hierhervorzuheben. Denn er wirft ein klares Licht auf den Gegensatz, der zwischen D. und seinen älteren Zeitgenossen einerseits und der jüngeren Chemie, namentlich der Schule Liebig’s auf der anderen Seite besteht. D. vertritt in der organischen Chemie wesentlich die Zeit der qualitativen, Liebig aber die Zeit der quantitativen Untersuchung, welche allein die reichen Früchte der neueren Forschung auf diesem Gebiete des Wissens reifen konnte. So erklärt sich denn, weshalb das Urtheil der Nachwelt über die Verdienste Döbereiner’s nüchterner ausfällt als das seiner Zeitgenossen.
Nur durch Reflexion können wir uns in der That die Panegyrik erklären, in welche kurz nach seinem Tode die Biographen verfielen, die poetische Verklärung, welche die Lyrik O. L. B. Wolff’s ihm weihte und die in der Rede M. J. Schleiden’s, des Botanikers widerklingt. Allerdings entbehrt die Nachwelt des Eindrucks, welchen die Klarheit seines Vortrags, die Eleganz seiner Experimente, seine Biederkeit, sein Witz und die Gleichmäßigkeit seiner heitern Laune auf die Zeitgenossen hervorbrachte. Doch wird man ihm nicht Unrecht thun, wenn man einen beträchtlichen Theil des Ruhmes als Abglanz des Lichtes von Weimar ansieht, welches ihn bestrahlte. Goethe, der sich von ihm in die Geheimnisse der Stöchiometrie einführen ließ, stand in geschäftlichem und wissenschaftlichem Verkehr mit ihm und erwähnt seiner häufig in den Tag- und Jahrheften und in zahlreichen Briefen. Seine und des Großherzogs Briefe an D. sind gesammelt und zeigen, daß er bei den allerverschiedensten und oft wunderlichsten Fragen zu Rath und Hülfe herbeigezogen ward.
- O. Schade, Briefe des Großherzogs Karl August und Goethe’s an D. Weimar 1856. – Zur Erinnerung an J. W. D. (von O. L. B. Wolff, Schleiden und Schläger). Jena 1849. – G. Kreyenberg[WS 1], Die Bedeutung Döbereiner’s. Jena 1862. – Vogel, Denkrede auf D. Gelehrte Anzeigen der K. B. Akademie der Wissenschaften 1849. S. 993 ff. – Buchner, Repertorium III, 3. S. 119.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 268. Z. 20 v. u. l.: Gährungsfähigkeit (st. Gährungsthätigkeit). [Bd. 5, S. 796]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kragenberg