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Artikel „Contzen, Johann“ von Friedrich Haagen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 455–457, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Contzen,_Johann&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 18:20 Uhr UTC)
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Contzen: Johann C., geb. am 25. Oct. 1809 zu Aachen, † 18. Jan. 1875, war Sohn des Communalempfängers Philipp C. und der Theresia Alertz, Schwester des als Arzt der beiden Päpste, Gregors XVI. und Pius’ IX., in den weitesten Kreisen bekannt und berühmt gewordenen Alertz. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, welches er im Herbste 1829 mit einem rühmlichen Zeugnisse verließ, um in Bonn und Berlin Jurisprudenz und Cameralia zu studiren, trat dann seine Vorbereitungen zum Staatsdienst bei der königl. Regierung zu Aachen an und wurde von dieser mit der commissarischen Verwaltung der Kreise Malmedy und Geilenkirchen betraut, fungirte im J. 1848 als commissarischer Polizeipräsident in seiner Vaterstadt, im J. 1850 bei der Armeemobilmachung als Provinzialintendant zu Coblenz, vertrat den in die Landesvertretung nach Berlin berufenen commissarischen Oberbürgermeister von Aachen, Arnold Edmund Pelzer, und war bis zum J. 1862 auf dem rheinischen Provinziallandtage zu Düsseldorf und in der Landesvertretung zu Berlin thätig. [456] Seine bedeutungsvollste Wirksamkeit begann mit dem Frühjahre 1851, wo das Vertrauen seiner Mitbürger und seiner vorgesetzten Behörde ihn zum Bürgermeister der Stadt Aachen berief. In dieser Stellung, aus welcher ihn 1875 der Tod abberief, hat er sich ein Ehrendenkmal für die spätesten Jahrhunderte gesetzt. Sein zweitletzter Vorgänger, Edmund Emundts, hatte durch umsichtige Finanzverwaltung die Schulden der Stadt, welche in den Wirren der letzten Jahre der freireichstädtischen Periode und in der Zeit der fremdländischen Occupation gemacht worden waren, größtentheils getilgt, als die politischen Bewegungen des Jahres 1848 und die in Folge derselben eintretende Handels- und Geschäftsstockung die Stadt in neue Finanzbedrängniß stürzte und zu einer großen Anleihe nöthigte, um die zahlreiche und unzufriedene Fabrikbevölkerung zu beschäftigen und zu ernähren. So fand Johann C. beim Antritt seiner Stadtverwaltung große, dem Anschein nach unübersteigbare Schwierigkeiten vor; aber vorbereitet durch ernste Studien, durch verschiedene ihm anvertraute Verwaltungen, gehoben durch ein tiefreligiöses Gefühl und beseelt von Liebe zu seiner Vaterstadt und zu seinem Vaterlande, ging er an die neue Aufgabe, die er glücklich löste und welche durch die rasch erworbene Anerkennung seiner dankbaren Mitbürger ihm erleichtert wurde. Sein College in der Stadtverwaltung, der erste beigeordnete Bürgermeister, Herr Karl Eduard Dahmen, entwirft uns in einem beredten Nachrufe, den er am 26. Jan. in der Stadtverordnetenversammlung dem Verewigten widmete, nachfolgendes Bild der Thätigkeit des um Aachen so hochverdienten Mannes: Sein erstes Augenmerk bei dem Antritte seiner Verwaltung mit dem Mai 1851 war darauf gerichtet, die durch die verworrenen Verhältnisse der Jahre 1848 und 1849 mit einem Deficit von 99800 Thalern belastete Finanzverwaltung zu ordnen, was ihm ohne irgendwelchen Steuerdruck in kurzem gelang. In seiner 24jährigen Verwaltungsperiode war niemals von einem Deficit in dem eigentlichen Stadthaushalte die Rede; nichtsdestoweniger war die Steuer in Aachen niedriger, als in irgendwelcher größern Stadt der Monarchie, und hinterließ Herr Johann C. die städtischen Finanzen in höchst günstiger Lage, was dadurch documentirt ist, daß nicht blos über 46000 Thaler als Reservefonds und Betriebsfonds vorhanden sind, sondern daß noch darüber hinaus 32000 Thaler Ersparnisse auf den Etat von 1875 in Einnahme nachgewiesen, also auf die Steuer abgeschrieben werden konnten. Es ist allbekannt, wie Herr C. des Morgens einer der ersten, des Abends der letzte bei der Arbeit war trotz der Leichtigkeit und Sicherheit, womit er die Arbeit bewältigte und die Verwaltung in allen Beziehungen controlirte. Neben dieser Gewandtheit in allen Zweigen der Verwaltung ist seine gründliche Kenntniß der Gesetze hervorzuheben. – Im Verkehr mit anderen war er schlicht und anspruchslos, jedem, auch dem Niedrigsten, der Rath oder Hülfe wünschte, zugänglich, er war mildthätig gegen Dürftige, charakterfest und tiefreligös, aufrichtig in seiner katholischen Ueberzeugung und seinem Könige in Unterthanentreue zugethan. – Dem Vertreter der in ihrer weitaus größern Mehrheit der Bevölkerung katholischen Stadt verlieh Pius IX. den Grafentitel und das Großkreuz des Ordens vom hl. Gregor, und König Wilhelm bei Gelegenheit der Eröffnung des Polytechnicums im Jahre 1870 den rothen Adlerorden IV. Classe, nachdem ihm bei Anlaß der Grundsteinlegung desselben von Seiner Majestät der Titel eines Oberbürgermeisters und das Recht der Tragung einer goldenen Amtskette verliehen worden war. Unter der äußerlich unscheinbaren aber gewissenhaften Verwaltung Contzen’s entwickelten sich die städtischen Verhältnisse in erfreulicher Weise. Die Bildung der Bevölkerung als Grundlage des wirthschaftlichen Gedeihens wurde befördert durch die endliche Einführung des schon im J. 1825 decretirten obligatorischen Elementarunterrichts und die Errichtung [457] zahlreicher noch fehlender Schulgebäude. Unter C. erlangte die höhere Bürgerschule durch Bewilligung der erforderlichen Geldmittel seitens der Stadt den Charakter einer Realschule I. O. Auch die vielbesuchte höhere Stiftsschule entstand während seiner Verwaltung. Seinen Bemühungen, die unterstützt wurden durch die sehr liberalen Geldspenden der Aachener-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft im Vereine mit der Aachener Sparcasse, gelang es, unter verhältnißmäßig geringen städtischen Opfern, Aachen zum Sitz des rheinisch-westfälischen Polytechnicums zu machen, dessen Grundsteinlegung im Anschlusse an die am 15. Mai 1865 erfolgte Huldigungsfeier nach 50jähriger Vereinigung Aachens und der Rheinprovinz mit der Krone Preußen stattfand. Auch für C. war diese Feier durch seine von beiden Majestäten, dem König und der Königin huldvoll entgegengenommene ehrfurchtsvolle Ansprache ein Ehrentag. Die schon unter der früheren Verwaltung projectirte und in der Ausführung begonnene Idee der Vereinigung der verschiedenen Krankenstiftungen zu einem großen Ganzen wurde unter seiner Verwaltung fortgesetzt und zur glücklichen Fertigstellung des herrlichen Maria-Hilfspitals durchgeführt. Auch die anderen Wohlthätigkeitsanstalten erhielten unter ihm bleibende verbesserte Einrichtungen. Nicht weniger war er bemüht, den uralten Bodenreichthum Aachens, die Heilquellen, Leidenden, fremden und einheimischen, durch Neubau und Erweiterung von Badehäusern zugänglich zu machen, und durch Förderung von Bauten und Anstalten zur Bequemlichkeit und Zerstreuung der Fremden, diesen den Aufenthalt in dem alten Badeorte nützlich und angenehm zu machen. So entstanden prachtvolle Bauten, der Wiederaufbau des Kaisersbades, das Curhaus, der Elisengarten, die Anlagen bei der Karlshöhe, der Park beim Mariahilfspital. Es erhoben sich neue Kirchen, unter anderen die schöne Marienkirche; die altehrwürdige Krönungskirche und verschiedene Pfarrkirchen wurden nach innen und nach außen kunstgerecht restaurirt, die Erweiterung der von den Kaisern Otto III. und Heinrich II. erbauten St. Adalbertskirche rüstig in Angriff genommen, der herrliche Kaisersaal des Rathhauses mit den berühmten Rethel’schen Fresken im Innern kunstvoll vollendet, die Wiederherstellung der Façade des Rathhauses endlich wesentlich gefördert. Bei steigendem Wohlstande und bei stets wachsender Seelenzahl der Bevölkerung vergrößerte die Stadt sich durch Anlage neuer Straßen und neuer Stadtviertel nach innen und nach außen; auch beschleunigte sie ihren Verkehr mit den Nachbarstädten durch vermehrte Eisenbahnlinien. Seit einem Bestehen über 1000 Jahren hat Aachen keine Periode erlebt, in welcher es an Bevölkerung, Umfang und Wohlstand in dem Grade zugenommen hat, als unter der 24jährigen Verwaltung des für Aachen unvergeßlichen Johann C., der als Sohn der alten Krönungsstadt, als treuer Unterthan seines Herrschers und als deutscher Patriot des Denkmals würdig ist, welches die Gemeindeverordneten in einer ihrer Sitzungen ihm auf seiner Ruhestätte zu errichten beschlossen haben.