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Artikel „Brüning, Adolf von“ von Bernhard Lepsius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 770–772, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Br%C3%BCning,_Adolf_von&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 23:14 Uhr UTC)
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Brüning *): Adolf von B., hervorragender industrieller Chemiker, wurde am 16. Januar 1837 zu Ronsdorf im Reg.-Bez. Düsseldorf geboren, wo sein Vater das Amt eines Friedensrichters bekleidete. Er starb am 21. April 1884. In Elberfeld, wo sein Vater die Leitung einer Feuerversicherungsgesellschaft übernommen hatte, besuchte B. das Gymnasium, das er schon mit 16 Jahren verließ, um sich dem Studium der Chemie zu widmen. Er bezog zuerst das Laboratorium von R. Fresenius zu Wiesbaden und folgte im vierten Semester dem Rufe Adolf Strecker’s, eines der anregendsten und scharfsinnigsten Forscher aus der Liebig’schen Schule, an die nordische Universität Christiania. Hier studirte B. während zweier Jahre, bis ihn im Herbste 1857 die Soldatenpflicht nach Preußen zurückrief. Er diente bei der Garde-Feldartillerie in Berlin und bezog darauf die Universität Heidelberg, wo er seine Studien am 1. März 1859 mit dem Doctorexamen beschloß. Bei der noch in demselben Jahre erfolgenden Mobilmachung erledigte er seine militärischen Verpflichtungen als Officier der Reserve bei der Artillerie in Münster.

Die praktische Lehrzeit, welche B. als Chemiker der weltbekannten Färberei von W. Spindler zu Berlin begann, fand im J. 1862 ihren Abschluß in seiner Verlobung mit Frl. Clara Spindler. Dem begreiflichen Wunsche, sich baldmöglichst auf eigene Füße zu stellen, bot sich eine günstige Gelegenheit: sein Freund Dr. Eugen Lucius, mit dem er in Wiesbaden seine Studien begonnen hatte, war soeben im Begriffe, eine Fabrik zur Herstellung von Farbstoffen zu errichten; die Kenntnisse, die sich B. in der Färberei erworben hatte, konnten für das junge Unternehmen nur von Vortheil sein.

B. trat zunächst als Director in die Firma „Meister, Lucius & Co.“ ein, der außer Lucius noch dessen Schwager, Wilhelm Meister, und ein Onkel von beiden, Herr L. August Müller in Antwerpen, angehörten.

Seitdem im J. 1834 der deutsche Chemiker Runge seine Beobachtungen veröffentlicht hatte über die Fähigkeit einzelner Bestandtheile des Steinkohlentheers Farbstoffe zu bilden, hatte man nicht aufgehört die Natur dieser interessanten Stoffe wissenschaftlich zu erforschen und technisch zu verwerthen. Die Untersuchungen A. W. Hofmann’s über das Anilin und seine Derivate, hatten hierzu bald einen sicheren Grund gelegt und in England und Frankreich am Ende der 50er Jahre die Anfänge einer Fabrikation künstlicher Farbstoffe gezeitigt. In Deutschland lagen damals die technischen und commerciellen Verhältnisse für die Aufnahme dieser Fabrikation viel ungünstiger als in jenen Ländern, wo die Industrie der Säuren und Alkalien bereits in hoher Blüthe stand und namentlich die Gasindustrie mit ihrer unfreiwilligen Erzeugung des Steinkohlentheers weit vorangeschritten war.

Es ist das unbestrittene Verdienst der neuen Firma, den richtigen Zeitpunkt für die Aufnahme der Industrie künstlicher Farbstoffe in Deutschland erkannt und genutzt und die sehr erheblichen Schwierigkeiten thatkräftig überwunden zu haben, welche in dem zu damaliger Zeit fast vollständigen Mangel einer leistungsfähigen deutschen chemischen Großindustrie und in einer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit vom Auslande begründet waren.

Die Fabrik wurde am westlichen Ausgange der Stadt Höchst a. Main erbaut und kam im Frühjahr 1863 zuerst mit den neu entdeckten Fuchsinfarbstoffen auf den Markt. Im J. 1864 trat Herr A. Müller aus dem Geschäfte aus und B. an seine Stelle in die Firma ein, die jedoch erst im J. 1867 in „Meister, Lucius & Brüning“ umgewandelt wurde. In den [771] folgenden Jahren entwickelte sich die ursprünglich kleine Fabrik durch Brüning’s erfolgreiche Mitarbeit so stark, daß bald an eine Verlegung etwa einen Kilometer weiter westlich gedacht werden mußte. Die dort erbaute Anilinölfabrik wurde 1870 eröffnet und allmählich wurden die alten Betriebe angeschlosssen, deren Verlegung 1873 beendet war. Die Fuchsinfabrikation gelangte nun zu wesentlich größerer Ausdehnung. In der ersten Zeit wurde dieser Farbstoff mittels Arsensäure hergestellt, im J. 1872 aber ersetzte B. diese giftige Säure wegen der damit verbundenen Gefahr für die Arbeiter durch ein anderes Oxydationsmittel, nämlich das im J. 1871 von Coupier als für diesen Zweck brauchbar erkannte Nitrobenzol. An diese Verwendung schloß sich eine Controverse zwischen B. und Coupier in den Berichten der Deutschen chemischen Gesellschaft, aus der hervorgeht, daß das Coupier’sche Verfahren einer wesentlichen Veränderung bedurft hat, um erfolgreich in der Praxis verwendet werden zu können.

Neben der Fabrikation des Fuchsins trug namentlich die des Aldehydgrüns schon vom Jahre 1863 an zum Aufblühen der Firma wesentlich bei. Es war durch einen Zufall von Usèbe entdeckt worden und bald wurde seine Herstellung mit aller Energie und großem Erfolge betrieben. Der dritte Stoff, der den Ruf der Höchster Fabrik mit begründete, ist das Alizarin. Es war das erste Mal, daß ein verbreiteter Pflanzenfarbstoff auf künstlichem Wege hergestellt wurde. Der Krappfarbstoff, einer der ältesten und beständigsten natürlichen Farbstoffe, wurde in der Levante und, auf Betreiben Napoleon’s, in Südfrankreich auf ausgedehnten Ländereien gebaut und wegen seiner Echtheit zum Färben des französischen Militärtuches benutzt. Nachdem die Chemiker Gräbe und Liebermann die künstliche Herstellung des Krapproths aus Dichlor- und Dibromanthrachinon erfunden hatten, wurde im J. 1869 in Höchst ein Verfahren entdeckt, wonach man das aus dem Steinkohlentheer erhältliche Anthrachinon durch rauchende Schwefelsäure in eine Sulfosäure und diese durch Schmelzen mit Alkali in Alizarin oder Krapproth verwandeln konnte. Die im J. 1870 erbaute Alizarinfabrik nahm immer größere Dimensionen an, während der Krappbau in den Mittelmeerländern bald ganz aufgehört hat. Hierzu gesellten sich immer neue Classen von Farbstoffen, die prächtigen Eosine, das Malachitgrün und besonders im J. 1878 die Naphtolfarbstoffe, welche sehr bald einen außerordentlichen Umfang annahmen.

Infolge der fortgesetzten Vergrößerungen hatte der Verbrauch an Ausgangsmaterialien wie Schwefelsäure, Salzsäure u. s. w. eine solche Höhe erreicht, daß die Beschaffung derselben Schwierigkeiten machte. Man sah sich daher genöthigt, im J. 1880 eine eigene Säurefabrik zu errichten, um diese Stoffe selbst herzustellen. Das Unternehmen war nunmehr in einem Zeitraum von kaum zwei Decennien zu einem der größten Werke der chemischen Industrie emporgewachsen, sodaß es geboten schien, dasselbe in eine Actiengesellschaft umzuwandeln. Dies geschah im J. 1880 unter der Firma „Farbwerke, vorm. Meister, Lucius & Brüning“. An der bewunderungswürdigen Entwicklung dieses gewaltigen Unternehmens hat B. einen hervorragenden Antheil gehabt. Im Laufe weniger Jahre hatten sich die Farbwerke einen Weltruf erobert. Sie galten in jeder Beziehung als Musteranstalt, sowol was die wissenschaftliche Führung und technische Leitung betrifft, als auch ganz besonders inbezug auf die im Interesse der Arbeiter umsichtig getroffenen sanitären Vorkehrungen. Gerade auf diesem Gebiete der Wohlfahrtseinrichtungen ist B. vorbildlich und bahnbrechend vorangegangen. Die Stellung an der Spitze eines so umfassenden industriellen Unternehmens, die Ueberwachung einer Fabrikation, welche in fortlaufender Umwandlung [772] begriffen ist, hätten, so sollte man denken, die ganze Arbeitskraft des Mannes in Anspruch nehmen müssen. Allein B. ist im Stande gewesen, auch noch in anderen Richtungen nicht weniger ersprießliche Thätigkeiten zu entwickeln. Ein warmer und verständnißvoller Kunstfreund hat er nach seiner Uebersiedlung von Höchst nach Frankfurt a. Main im Jahre 1876 den Bestrebungen der Zeit, dem Kunstgewerbe wieder einen Boden zu gewinnen, die lebhafteste Theilnahme entgegengebracht. Nachdem durch eine historische kunstgewerbliche Ausstellung das Interesse der Bürgerschaft geweckt worden, begründete er am 25. März 1877 im Kreise von Gleichgesinnten den Mitteldeutschen Kunstgewerbeverein. Sieben Jahre hindurch, bis zu seinem frühen Tode, hat B. als erster Vorsitzender den Verein in der schwierigen Zeit seiner ersten Entwicklung mit sicherer Hand geleitet. Der Verein gehört heute zu den angesehensten und segensreichsten Gesellschaften Frankfurts, besitzt ein hervorragendes Kunstgewerbemuseum, eine ausgezeichnete Kunstgewerbeschule und gibt eine reich ausgestattete Zeitschrift heraus. Nicht minder fruchtbringend ist die politische Wirksamkeit Brüning’s gewesen; ein eifriges Mitglied der nationalliberalen Partei, war er als deren Vertreter des 1. nassauischen Wahlkreises in den Jahren 1874–1881 Mitglied des Reichstages. Mit Aufwendung gewaltiger materieller Mittel trug er zur Hebung seiner Partei in Frankfurt a. Main bei. Im Interesse der Sache und zur Bekämpfung der demokratischen Gegner erwarb er im J. 1876 die „Frankfurter Presse“, die er 1880 mit dem „Frankfurter Journal“ verschmolz. An den Reichstagsverhandlungen hat er thätigen Antheil genommen; wo immer wirthschaftliche Fragen zu beantworten waren, in allen Discussionen zumal, welche die Zollgesetzgebung oder die Regelung der Arbeiterverhältnisse betrafen, sind die ausgebreitete Sachkenntniß, der scharfe Blick, die reiche Erfahrung des hervorragenden Mannes der Berathung in dankenswerthester Weise zu Gute gekommen. Einer so erfolgreichen und vielseitigen Thätigkeit konnte auch die äußere Anerkennung nicht versagt bleiben: Brüning wurde vom Könige in den preußischen erblichen Adelstand erhoben. Aber fast hat es den Anschein, als wenn seine Gesundheit dieser anstrengenden Thätigkeit auf die Dauer nicht Stand zu halten vermochte: im blühenden Mannesalter starb B. im 47. Lebensjahre am 21. April 1884.

Privatmittheilungen. – A. W. Hofmann, Nekrolog, Ber. d. d. chem. Ges., 1884. 17, 949.

[770] *) Zu S. 297.