ADB:Bleek, Wilhelm
Bleek: Wilhelm Heinrich Immanuel B. wurde als Sohn des biblischen Kritikers Friedrich B. am 8. März 1827 zu Berlin geboren. Da seine Eltern zwei Jahre darauf nach Bonn versetzt wurden, so empfing er seine ganze Elementar- und Gymnasialerziehung an diesem Orte und studirte auch von Herbst 1845 bis Ostern 1848 an der dortigen Universität classische Philologie, wobei er sich namentlich deren kritischem exegetischen Theile zuwandte. Später widmete er sich zwei Semester in Berlin und von Ostern 1849 an wiederum in Bonn daneben dem Studium der Theologie. Der Wunsch sich über einige schwierige Punkte der hebräischen Grammatik, zu deren genügender Lösung die Vergleichung der bekannten asiatischen und europäischen sich unzureichend erwiesen hatte, Klarheit zu erhalten, veranlaßte ihn seiner eigenen Aeußerung gemäß sich auf dem bisher unerforschten Gebiete afrikanischer Sprachen umzusehen. Diese erschienen ihm aber alsbald von solcher Bedeutung für das allgemeine Sprachstudium, daß sie ihn ganz fesselten und die Erkenntniß des Entwicklungsganges der Sprache, namentlich durch Erforschung der primären Sprachformationen, ihm das Ziel seines ganzen Strebens wurde. Am 6. August 1851 promovirte B. in Bonn mit einer Dissertation („De nominum generibus linguarum Africae australis, Copticae, Semiticarum aliarumque sexualium“), in der der Ursprung des Geschlechtsunterschieds der Nomina in den drei südafrikanischen Sprachen erklärt und zugleich der nordafrikanische Ursprung der Hottentottensprache nachgewiesen wurde.
Durch seine afrikanischen Sprachstudien angeregt, suchte und fand B. bald Gelegenheit nach Afrika zu kommen. Es gelang ihm der von der englischen Regierung ausgesandten Tschadda-Expedition als wissenschaftlicher Beamter zugetheilt zu werden. Eine heftige Erkrankung zwang ihn jedoch schon in Fernando Po zurückzukehren. In London wurde er durch Bunsen mit dem Bischof Colenso von Natal bekannt und reiste mit diesem im Frühjahr 1855 nach Natal. Hier verbrachte er anderthalb Jahre im Innern und im Zulu-Lande, [16] meist in den Hütten der Eingeborenen lebend, um deren Sitten, Gebräuche, Anschauungen und Sprachen kennen zu lernen. Pecuniäre Gründe zwangen ihn, trotz einer ihm von der Königsberger physikalisch-ökonomischen Gesellschaft gewährten Unterstützung, im November 1856 nach Capstadt zu gehen, um sich weitere Unterstützungen zu verschaffen. Durch Colenso wurde er mit dem damaligen Gouverneur der Capcolonie Sir George Grey bekannt, der ihn veranlaßte eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Anstellung als Gouvernementsdragoman anzunehmen. Daneben war seine Beschäftigung hauptsächlich eine philologische, nämlich die Sammlung und Beschreibung gedruckter und ungedruckter Documente betr. die Sprachen Afrikas, Australiens und Polynesiens; ferner Classificiren und Charakterisirung der einzelnen Sprachen und Sprachstämme verbunden mit anthropologischen Forschungen (The library of Sir George Grey vol. I u. II, 1858 u. 59). Zwei Jahre lang hatte er diese Stellung inne, als er 1859 infolge von Ueberarbeitung krankheitshalber nach Europa zurückkehren mußte. Anfang Januar 1861 war er wieder auf seinem Posten. Er verlor denselben aber bereits im August desselben Jahres, als Sir G. Grey als Gouverneur nach Neuseeland berufen wurde, da man den Posten aus Sparsamkeitsgründen eingehen ließ.
B. begann nun die Ausarbeitung seiner vergleichenden Grammatik der südafrikanischen Sprachen, deren erster Theil 1862 beendet wurde. Um diese Zeit schenkte Sir G. Grey der Capcolonie seine Bibliothek und knüpfte daran die Bedingung, daß B. als Curator dieselbe verwalten und zugleich eine mäßige jährliche Einnahme auf Lebenszeit erhalten solle. Im J. 1869 nahm B. einen halbjährigen Urlaub nach Europa. Auf Veranlassung von Sir G. Grey erhielt er in London eine jährliche civil list pension von 3000 Mark. Nun konnte er sich der Buschmann-Sprache, die ihn sehr interessirte, in Muße widmen, so weit es seine immer schlechter werdende Gesundheit erlaubte. Ehe er jedoch die wissenschaftlichen Resultate seiner letzten Studien ziehen konnte, starb er am 17. August 1875. – Seine Untersuchungen über die Buschmann-Sprache werden zur Zeit von seiner gelehrten Mitarbeiterin bei denselben, seiner Schwägerin Miß L. C. Lloyd, zur Veröffentlichung bearbeitet.
Bleek’s Werke sind außer den bereits genannten folgende: „The languages of Mosambique“ (London 1856), ein vergleichendes Wörterverzeichniß von neun Bantu-Sprachen. Die Sammlung stammt größtentheils von Dr. Wilh. Peters her; „A comparative Grammar of South African languages“ (London 1862 u. 1869). Es ist sein Hauptwerk, in dem er die Bantu-Sprachen Afrikas im Geiste moderner Sprachwissenschaft zu behandeln unternommen hat, leider aber über die Phonologie und das Nomen nicht hinausgekommen ist. Als Manuscript befindet sich in den Händen von Frau Dr. Bleek noch das Pronomen, das die Tochter Bleek’s, Frl. Dor. B., die zu diesem Zwecke Studien am Oriental. Seminar in Berlin betrieb, erfreulicher Weise bei einer Neuauflage der Grammatik veröffentlichen will; „Formenlehre der lateinischen Sprache“ (London 1863); „Reynard the fox in South-Africa“ (London 1864), ein interessanter Beitrag zur vergleichenden Mythologie. Eine deutsche Bearbeitung unter Zufügung einer Anzahl nordafrikanischer Fabeln erschien Weimar 1870 u. d. T.: „Reinecke Fuchs in Afrika“; seine Theorie „Ueber den Ursprung der Sprache“ (Kapstadt 1867 und Weimar 1868), mit einem Vorwort von Ernst Haeckel, machte seiner Zeit vieles Aufsehen, wurde ins Englische übersetzt (Newyork 1869) und von Whitney in seinen Oriental and Linguistic Studies 1873 eingehend kritisirt.
Kleinere Abhandlungen Bleek’s finden sich: in den Monatsberichten der Berliner Gesellschaft für Erdkunde 1853: „Ueber afrikanische Sprachverwandtschaft“; in Transactions of the Philological Society 1855 u. 74: a) „On the [17] languages of Western and Southern Africa“, b) „Grimms Law in South Africa; or, Phonetic changes in the South African Bântu Languages“, c) „On the position of the Australian Languages“; in Petermann’s Geogr. Mittheilungen 1855 S. 55, 145, 271, 361; 1856 S. 362; 1857 S. 99 u. 299; 1858 S. 418; in den Proceedings of the Ethnological Society: „The Concord, the Origin of Pronouns and the Formation of Classes and Genders of Nouns“; in Cape Monthly Magazine I, 165: „African Folklore“, II, 53: „Recollection of E. M. Arndt“, III, 334: „African Folklore“, VII, 149: „Scientific reasons of the Bushman Language“, VIII, 98: „On resemblances in Bushman and Australian Mythology“, IX, 129: „On inquiries into Austral. aboriginal Folklore“, XI, 104 u. 150: „Bushman Researches“; in The Cape and its people: „The Bushman language“, „Bushman Folklore“ (Lond. 1875).