ADB:Albertinus, Aegidius
Maximilian stand er in gutem Ansehen, wie man aus häufigen ihm gewährten Zuschüssen und Gehaltsaufbesserungen schließen kann. 1605 wurden ihm vom Herzog Reisegelder nach Rom verwilligt, wohin er nebst einem P. Franciscaner in des Klosters Anger Handlung verordnet sei. A. ist ein Zögling der Jesuitenschule; das zeigt seine ganze Denkungsart nicht minder als der encyklopädische Charakter seiner zwar trockenen und geistlosen, aber für seine Zeit umfassenden populären Bildung. Seine überaus zahlreichen Schriften sind von 1594–1618 zu München erschienen. Nur die „himmlischen Kammerherren“, d. h. eine Sammlung von Heiligenleben, scheinen zuerst 1644 nach seinem Tode gedruckt zu sein, falls sie nicht etwa das Werk eines gleichnamigen Sohnes sein sollten. Manche seiner Werke sind sowol noch während seines Lebens als später bis gegen Ende des Jahrhunderts in zahlreichen neuen Auflagen erschienen, deren offenbar großen Leserkreis wir uns jedoch auf das katholische Deutschland beschränkt denken müssen. Von eigener Production ist freilich in seinen Werken wenig die Rede; denn was nicht Uebersetzung ist, das kommt doch über Sammelarbeit nicht hinaus. Aber die Uebersetzung ist noch von so naiver Art, daß sie oft an freie Nachbildung streift. Seiner Hauptneigung zum Moralisiren läßt er in Zusätzen rücksichtslos freien Lauf, gestaltet auch sonst seinen Autor oft höchst willkürlich um. Seine Prosa ist nicht roher, als die volksthümliche Sprache seiner Zeit überhaupt. In derber und farbenreicher Bildlichkeit des Ausdrucks, mitunter selbst in jener Art humoristischer Reimprosa nähert er sich der Sprache Fischart’s. An Inhalt umfassen seine Arbeiten so ziemlich die ganze Summe der populären, d. h. der nicht fachmäßig gelehrten Bildung seiner Zeit, darum verdienen sie Beachtung. Bestimmt, der allgemeinen Belehrung oder der [218] Erziehung einzelner Stände zu dienen, geben sie ein lebendiges und reich ausgeführtes Bild der damaligen katholischen Laienwelt. Unter des A. Uebersetzungswerken dieser Art nehmen die Schriften des spanischen Bischofs Anton von Guevara, Hofpredigers Karls V., † 1544, die erste Stelle ein. Sie erschienen von 1598–1603 in Einzelausgaben, z. Th. öfter wiederholt und 1644 in einer Gesammtausgabe von 3 Bänden erneut. Am lehrreichsten zur Kennzeichnung damaliger Zustände sind darunter die beiden „Tractätl Contemtus vitae aulicae et laus ruris; das ander aber De conviviis et compotationibus“ (1599. München 1601. Amberg 1601. 1604. 1610. 1619. München 1636. Lübeck 1636. Köln 1643. Leipzig 1725), deren erster die Mühen und sittlichen Gefahren des geselligen und geschäftlichen Lebens am fürstlichen Hofe und der zweite das allgemein eingerissene Laster des Saufens und der Völlerei mit starken Farben schildert. Vom Hofleben handelt noch ausführlicher die „Hofschul“ 1600, nach Guevara’s „Institutiones vitae aulicae“. Uebrigens übersetzte A., von kleineren Schriften abgesehen, Werke moralisirenden, betrachtenden oder erbaulichen Inhaltes von Ant. de Avila, Pet. Bessaeus, Joh. Boterus, Joh. de la Cerda, Anton Gallonius, Ant. Hulstius, Ludov. de Malvenda, Petr. de Medina, Alphons de Orosco, Franc. de Osuna, Salvator Pons, Florim. Remundus, Augustin Vivus und Laur. de Zamora. Die übersetzten Schriften gehören trotz ihrer gelehrten Verfasser sämmtlich der populären, nicht der gelehrten Litteratur des 16. Jahrhunderts an. (Vgl. das ziemlich vollständige Verzeichniß bei Adelung.) A. selbst hat an ähnlichen Werken „colligirt“, d. h. sammelnd und übersetzend verfaßt: „Der Kriegsleut Weckuhr“ 1601, eine beachtenswerthe Anweisung für Kriegsherren, Obersten und Soldaten. – „Hauspolicey“ 1602, ein Werk in 7 Theilen vom häuslichen Leben, dem Ehestand, der Kinderzucht etc. (über welche Dinge auch das „Horologium principum oder Fürstliche Weckuhr“ von Guevara lesenswerthe Erörterungen enthält). – „Der Welt Tummel- und Schauplatz“ 1612, eine physische Weltbeschreibung, die in 8 Büchern von Gott, Engeln, Teufeln, Himmel und Hölle, von den Gestirnen, den Thieren, Pflanzen, Metallen (daneben auch von Butter, Käse und Brod) und schließlich vom Menschen handelt; alle diese Dinge werden nach ihren natürlichen und „moralischen“ Eigenschaften, d. h. in symbolisch-parabolisch-emblematischen Ausdeutungen besprochen. – „Der Teutschen Recreation oder Lusthaus“ 1612–13, chronolog. geordnete Biographien, die gesammte weltliche, biblische und Kirchengeschichte in 4 Büchern umfassend; eine durchaus werthlose Arbeit. Der letzte Theil richtet sich polemisch gegen die Reformation. Daß Luther dem ehebrecherischen Umgang seiner Mutter mit dem Teufel entsprossen sei, erscheint dem Verfasser als eine wol glaubliche Volksmeinung. – „Der Welt Turnierplatz“ 1614, eine moralisirende Allegorie. – „Lucifers Königreich und Seelengejaid“ 1616, handelt in 8 Büchern von den 7 Todsünden und ihren Strafen; eine für die Culturgeschichte durch lebendige Schilderungen höchst lehrreiche Schrift, welcher der Verfasser in „Christi Seelengejaid“ 1618 eine Darstellung der Tugenden gegenüberstellt. – Der „Hirnschleifer“ 1618, ein zu seiner Zeit sehr beliebtes Büchlein, gibt, an emblematisch-allegorische Bildchen anknüpfend, eine Reihe moralisirender Betrachtungen über die verschiedensten Gegenstände. – „Newes unerhörtes Kloster- und Hofleben“ 1618 (nach des 1558 verstorbenen Jesuiten Adrian de Witte „Spirituale monasteriolum“) will in allegorischer Einkleidung (das Kloster ist die Kirche, Vorsteher desselben Frau Discretio etc.) zeigen, wie ein jeder Mensch in seinem Stande ein gottgefälliges Leben führen könne. Dazu kommen dann noch zwei übersetzte und überarbeitete Romane: „Des irrenden Ritters Raiß“ 1594, nach des französischen Carmeliterpriors Jean de Cartheny „Chevalier errant“, der seinerseits wieder auf einem älteren Werke des 15. Jahrhunderts beruht, eine breite, langweilige [219] Allegorie. Endlich der oft gedruckte „Landstörtzer Gusman von Alsarache“ 1615, nach des Spaniers Matthäus Aleman berühmtem Roman: „La vida del picaro Guzman de Alfarache“, dessen erster Theil 1599 erschien, der echte zweite 1605. A., dem es auch hier in erster Linie auf das moralisirende Element ankam, geht mit seinem Original sehr willkürlich um, verschmilzt auch mit diesem in dem ganz umgestalteten zweiten Theil die „Picara Justina“ des Francisco de Ubeda, eine rohe Nachahmung von Aleman’s Roman. Wie in Spanien und anderwärts, so auch in Deutschland ist dies Buch der Vater der Schelmenromane geworden.[1]
Albertinus: Aegidius A., Schriftsteller; gebürtig aus Deventer, † 9. März 1620. Er erscheint nach Münchener Hofkammerrechnungen zuerst daselbst 1593 als Hofcanzelist; 1597 als Hofrathssecretarius und 1604 daneben als herzoglicher Bibliothekar; seit 1618 nennt er sich hof- und geistlichen Rathssecretarius. Bei Kurfürst[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 219. Z. 9 v. o.: Jetzt zu vergl.: Lucifer’s Königreich und Seelengejaid von Aegid. Albertinus, herausgegeben (als Bd. XXVI der Kürschner’schen National-Litteratur) von R. v. Liliencron. Einleit. S. I–XXI; K. v. Reinhardstöttner: Aeg. Albertinus, der Vater des deutschen Schelmenromans, in Jahrbuch f. Münchener Gesch., 2. Jahrg. 1888, S. 13–86. [Bd. 28, S. 807]