Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen/Einleitung

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Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen.

Die Schrift περὶ τῆς πρὸς τὰ προπαιδεύματα συνόδου (de congressu quaerendae eruditionis causa) knüpft direkt an die Schrift: Quis rerum divinarum heres sit (Über den Erben des Göttlichen) an und enthält eine durchgehende Erklärung der Bibelverse 1 Mos. 16, 1–6, die von 2 Exkursen (§§ 24–62. 89–120) unterbrochen wird.

Inhaltsübersicht.

I. §§ 1–62: 1 Mos. 16, 1.

A. §§ 1–10. Nicht Sarah, die Tugend, ist von Natur unfruchtbar, sondern der Tugendschüler Abraham ist nicht eher fähig, der Tugend Kinder zu zeugen, bis er nicht mit deren Magd verkehrt hat.
B. §§ 11–19. Die notwendige Vorschule der durch Sarah symbolisierten Tugend ist die durch Hagar vertretene enkyklische Bildung.
C. 20–23. Die charakteristischen Eigenschaften der allgemeinen Bildung lassen sich an Abkunft und Namen der Hagar erkennen. Sie ist Ägypterin, d. h. der Sinnenwelt verhaftet, und ihr Name bedeutet „Beisassentum“, d. h. sie ist keine edelbürtige, sondern eine kebsweibartige Wissenschaft.
1. Exkurs: §§ 24–62.
Allegorische Deutung des analogen Verhältnisses zwischen:
a) Jakob und seinen beiden Frauen Leah und Rachel sowie seinen Kebsweibern Bilha und Zelpha (§§ 24–33),
b) Isaak und Rebekka (§§ 34–38),
c) Manasse und seiner Kebsfrau (§§ 39–43a),
d) Nachor, seiner Gemahlin Melcha und seinem Kebsweib Ruma und deren Sohn Ephraim (§§ 43b–53),
e) Eliphas, Esaus Sohn, und seiner Kebsfrau Thamna und deren Sohn Amalek (§§ 45–62).

[2] II. §§ 63–70: 1 Mos. 16, 2. In dem Unterschied in der Ausdrucksweise von 1 Mos. 16, 2 (‘er gehorchte der Stimme’) und 1 Mos. 28, 7 (‘er lauschte auf den Vater’) drückt sich der Gegensatz zwischen dem lernenden und dem „asketischen“ Typus aus.

Exkurs (§§ 64–68): Schilderung der verschiedenen Arten von Zuhörern bei einem philosophischen Lehrvortrag.

III. §§ 71–88: 1 Mos. 16, 3.

1. Die Tugend führt ihren Schüler vorerst zu ihrer Magd, der allgemeinen Bildung, bleibt aber seine edelbürtige Frau (§§ 71–80).
2. Sie führt ihn erst 10 Jahre nach seiner Wanderung von Ägypten, dem Symbol des Affekts, nach Kanaan, dem Sinnbild des Übels, weil seine innere Entwicklung erst diese beiden Phasen durchwandert haben muß (§§ 81–88).
2. Exkurs: §§ 89–120. Über die Zehnzahl im Petateuch.
These: Die Zehn ist eine vollkommene Zahl (§ 89).
Beispiele:
1. Noah, der erste Gerechte, lebte in der 10. Generation (§ 90).
Allegorische Deutung:
2. der 9 Könige (1 Mos. 14), die von dem „zehnten“ Abraham besiegt wurden (§§ 91/93).
3. der Abgabe des Zehnten (§§ 94–101)
4. des Zehents vom Priesteropfer (§§ 102–105)
5. des Passahopfers, das am 10. des 1. Monats aufbewahrt wird (§ 106)
6. des Sühnopfers (§ 107)
7. des Schuldennachlasses (§ 108ff.)
8. der Abgabe der Vornehmen zum Bau der Stiftshütte (§ 114ff.)
9. die 10 Gebote (§ 120).

IV. §§ 121–150: 1 Mos. 16, 4.

A. 1 Mos. 16, 4a: „Und er trat zu Hagar ein“. Der Weisheitsschüler betritt das Haus der allgemeinen Bildung, die ihm zuweilen entgegeneilt (Beispiel Leah, vgl. 1 Mos. 30, 16), bisweilen ihn an sich lockt (Beispiel Thamar, vgl. 1 Mos. 38, 14ff.): §§ 121–126.
B. 1Mos. 16, 4b: Der Unterschied in der biblischen Ausdrucksweise „im Leibe besitzen“ und „im Leibe empfangen“ deutet[3] auf den Gegensatz zwischen dem Sophisten und dem wahren Philosophen hin (§§ 127–139).
C. 1 Mos. 16, 4b: „Und (Sarah) sah...“ Die Wissenschaft (ἐπιστήμη) begreift schärfer als die Fertigkeit (τέχνη) die Gegenstände der sinnlichen Welt. Durch ihre Definitionen hat sie erst das Mittel für eine sichere Erkenntnis geschaffen (§§ 140–145). Erörterung über das Verhältnis der Einzelwissenschaften zur Philosophie (§§ 146–150).

V. 1 Mos. 16, 5/6. Auf die Klage der Tugend (Sarah), die sich vom Weisheitsschüler (Abraham) verlassen fühlt, erklärt dieser, daß er sie stets als seine edelbürtige Gemahlin und Herrin geachtet habe (§§ 151–157).

VI. 1 Mos. 16, 6. Der Ausdruck „Und sie peinigte ihn“ bedeutet keine körperliche Züchtigung, sondern bezieht sich auf die geistige und physische Kasteiung des Tugendschülers. Zur Bestätigung dienen die Verse: 5 Mos. 16, 3 (das Brot der „Peinigung“, § 161). 2 Mos. 12, 8 (das Bitterkraut, § 162). 2 Mos. 15, 23ff. (Quelle der Bitterkeit, §§ 163–169). 2 Mos. 23, 29. 3 Mos. 2, 11 (Ungesäuerte Brote, § 169). 5 Mos. 8, 2 (Hunger in der Wüste, § 170ff.). Prov. 3, 11f. (§ 177). 2 Mos. 22, 22 (§§ 178/179).

[Philos Auffassung der Verbindung Abrahams mit Hagar beruht:

1. auf der Übersetzung der LXX von 1 Mos. 16, 2. Während nach dem Urtext Sarai den Abram bittet „komme doch zu meiner Magd; vielleicht erhalte ich Kinder von ihr“, läßt LXX sie sprechen „vielleicht wirst du mit ihr Kinder zeugen“. Durch diese Übersetzung entfällt die Voraussetzung des Textes, daß Abram in seiner Beziehung zu Hagar der Sarai treu bleibt und ihr zuliebe handelt.

2. auf kennzeichnenden Eigentümlichkeiten der griechischen Anschauung von der Ehe. Die Bibel bezeichnet 16, 3 die Hagar ausdrücklich als „Frau Abrams“, obwohl sie unter den „Nebenfrauen“ 25,6 mitverstanden ist; auf ihren Sohn Ismael kann das Wort ממזר‎, das meist ungenau mit Bastard übersetzt wird, nicht angewandt werden. Nach griechischer Anschauung dagegen, mit der Philo ständig rechnet, ist eine Vollehe nur mit einer freien Bürgerstochter möglich; Hagar aber ist „Ausländerin“ und Magd; also kann sie nur als Nebenfrau gelten, und die Kinder aus einer solchen Verbindung sind nicht echtbürtig (γνήσιοι, ἀστοί), sondern Bastarde (νόθοι). So häufig nun in Griechenland derartige Verhältnisse zwischen Herr und Sklavin waren (natürlich ohne [4] Zustimmung der Ehefrauen), so wenig trugen sie einen sittlichen Charakter; daher bereitet diese Beziehung eines vorbildlichen Menschen zu seiner Sklavin Philo starke apologetische Schwierigkeiten, zumal nach ihm jeder Geschlechtsverkehr nur durch die Absicht, echtbürtige Kinder zu zeugen, seine Legitimation erhält (Heinemann, Philons Bildung 262ff. auch zum vorhergehenden).

Verwandtes gilt natürlich auch von den im Exkurs § 24ff. herangezogenen Beziehungen eines Jakob und Manasse zu Nebenfrauen.

Überdies hat aber Philo auch das Bedürfnis, dem Streit Sarahs mit Hagar sein Peinliches (§ 180!) zu nehmen.

Die ganze Schrift steht also im Dienste der Apologetik. Aber Philo weiß die Verteidigung des Judentums formal an die Methode der Homererklärer (zu § 10 Ende) anzuknüpfen, inhaltlich an die Darlegungen der Überlegenheit der Philosophie über die Enkyklia (zu § 150), die gerade in Alexandreia, wo Mathematik und Philologie weit stärker blühten als Philosophie, gewiß von besonderem Interesse waren. I. H.]

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