Textdaten
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Autor: Paul Lang
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Titel: Zwingli der Reformator
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 844, 850–851
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Das Zwingli-Denkmal in Zürich, 1885, Heft 41
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[844]

VENITE AD ME QVI LABORATIS EGO REFICIAM VOS

HVLDRICVS ZVINGLIVS
ANNO AETATIS 44
B.

Nach einem alten Kupferstich von Rene Boqvin. (Vergl. S. 850.)

[850]

Zwingli der Reformator.

Wenn das deutsche Volk seinen Doctor Martin Luther nicht vergessen hat, wenn es bei der letzten Säcularfeier seines Geburtstages auf’s Neue inne geworden ist, wie viele lebenskräftige Anregungen, die von diesem seinem größten Sohn ausgehen, noch in die Gegenwart hineinreichen, so wird die stammverwandte Schweiz gewiß auch mit hoher Begeisterung das Andenken ihres Reformators Zwingli erneuern und es sich lebendig vergegenwärtigen, was dieser Name für die ganze nationale Entwickelung der Eidgenossenschaft zu bedeuten hat. Für die Schweizer ist Zwingli Fleisch von ihrem Fleisch und Bein von ihrem Bein. „Er war der Bürger eines republikanischen Gemeinwesens, in welchem ganz anders als auf demjenigen Boden, auf welchem Luther stand, auch die Forderungen politischer Mitthätigkeit an jeden Einzelnen herantraten, in welchem er selbst von Jugend auf weit reichere politische Erfahrungen als Luther gemacht hatte, in welchem auch eine zugleich politische und kirchliche Reform weit leichter als auf jenem Boden sich vollzog.“ (Jul. Köstlin.)

Uns Deutschen aber steht Zwingli nicht nur etwa deswegen nahe, weil er in die kirchliche Reformbewegung, wie sie zu seiner Zeit durch verschiedene oberdeutsche Städte und Länder ging, hier mehr mittelbar, dort mehr unmittelbar eingriff, oder weil das, was wir bei uns im Unterschied vom Lutherthum als „reformirt“ bezeichnen, mit an seinen Namen sich knüpft; sondern wir ehren in ihm mit der ganzen gebildeten Welt, soweit sie sich der Reformation nicht verschlossen hat, einen der Vorkämpfer für die Freiheit des Gedankens.

Ulrich (Huldreich) Zwingli wurde am 1. Januar 1484 in Wildhaus geboren, einem Alpendorf zwischen dem Säntis und den Churfirsten im Bezirk der Quellbäche der Thur, wo man, am Westende, noch heute die altersgraue Holzhütte zeigt, in welcher seine Wiege gestanden. Sein Vater war ein wohlhabender Bauer, auch Ammann der Gemeinde; seine Mutter hieß Margaretha geborene Meili, ihr Bruder stand von 1510 bis 1523 als Abt dem Kloster Fischingen im Thurgau vor. Die Kindheitsjahre verlebte der Knabe in ungetrübtem Frohsinne inmitten der großartigen Gebirgswelt und im trauten Schooße einer geordneten, kinderreichen Familie. Gar freudvoll vergingen die langen Winterabende, wenn der Vater die Großthaten der Ahnen erzählte, wie sie gegen verschiedene Machthaber sich die Freiheit errungen und behauptet, und die Großmutter mit biblischen Geschichten und Legenden die Herzen der Kinder erregte. Mit neun Jahren kam Ulrich nach Wesen am Wallenstätter See, wo sein Oheim (seines Vaters Bruder) Decan war, unter dessen Aufsicht er auch die dortige Schule besuchte. Zwei Jahre später schickten Oheim und Vater ihn nach Basel, im Jahre 1497 nach Bern zu dem weitgereisten, sprach- und geschichtskundigen Heinrich Wölflin. Als die dortigen Dominikaner den begabten Jüngling wegen seiner schönen Singstimme dauernd für ihren Orden zu gewinnen suchten, ging er 1499 auf die Wiener Hochschule, die damals einen neuen Aufschwung genommen hatte, und hier studirte er im Kreise strebsamer Altersgenossen aus der Schweiz und aus Schwaben zwei Jahre lang Philosophie.

Die Jahre 1502 bis 1506 brachte er wieder in Basel zu; hier wurde der bereits in reformatorischem Geiste wirkende Thomas Wyttenbach sein Lehrer und Führer in der Theologie, in welcher [851] derselbe bereits an die Stelle der veralteten Scholastik die heilige Schrift gesetzt hatte; zugleich wirkte Ulrich hier als Lehrer an einer Lateinschule. Er war erst zweiundzwanzig Jahre alt, als die Gemeinde von Glarus ihn zu ihrem Pfarrer wählte.

Der „Kilchherr von Glarus“ versah seine Stelle zehn Jahre lang mit dem vollem Bewußtsein von der schweren Verantwortlichkeit seines Pfarramtes als praktischer Seelsorger, ohne übrigens hinter den nächstliegenden Aufgaben seines Berufes und dem eifrig fortgesetzten Studium des Neuen Testaments die alten Classiker und die „Reformatoren vor der Reformation“ Petrus Waldus, Wiklef, Hus, sowie den geisteskühnen italienischen Philosophen Picus von Mirandula (1463 bis 1494) hintanzusetzen. Angeblich als wissenschaftliches Stipendium, in Wahrheit um ihn an den römischen Stuhl zu fesseln, setzte ihm damals der Papst auf Antrag seines Legaten ein Jahrgehalt von fünfzig Gulden aus, wegen dessen der Reformator, der später so mannhaft wider die fremdländischen Pensionen auftrat, in alter und neuer Zeit viel angefochten worden ist, das ihm übrigens nach seiner eigenen Darstellung aufgedrängt wurde und dem er im Jahre 1517, noch entschiedener im Jahre 1520 absagte.

Daß Zwingli noch im Jahre 1512 ein treuer Sohn der römischen Kirche und wenigstens in allen praktischen Fragen ein ergebener Anhänger des Papstes war, bethätigte er bei Gelegenheit des „Pavierzugs“, den er selbst beschrieben hat und den er als Feldpriester seines Landesbanners mitmachte. Damals vertrieben 20,000 Eidgenossen, welche Bischof Schinner für den Papst Julius II. gewonnen hatte, in wenigen Wochen die Franzosen aus der Lombardei, wofür sie den Ehrentitel „Vertheidiger der Freiheit der christlichen Kirche“ erhielten. Ruhmvoll, aber weniger glücklich, fiel der gleichfalls in päpstlichem Solde von den Eidgenossen gegen Franz I. unternommene Feldzug des Jahres 1515 aus, der mit der furchtbaren Niederlage von Marsignano (13./14. September) und dem „ewigen Frieden mit Frankreich“ (1516) endigte. Zwingli hatte auch diesen blutigen Tag mitgemacht. Er kehrte mit reifen Lebenserfahrungen von seinen Kriegsfahrten zurück, und fortan verurtheilte Niemand strenger als er den kriegerischen Söldnerdienst seiner Landsleute, das „Reislaufen“.

Doch bald konnte er sich in Glarus, wo die französische Partei die Oberhand gewonnen hatte, nicht länger halten und übernahm mit Freuden die untergeordnete Pfarrhelferstelle in dem weltberühmten Wallfahrtsort Maria-Einsiedeln. Abt war damals Conrad von Rechberg, Pfleger aber Diebold von Geroldeck, ein Mann, der, freien Geist mit der Liebe zu den Wissenschaften verbindend, Zwingli’s Werth sofort erkannte und es ihm möglich machte, dieses schweizerische Delphi in seine Wartburg zu verwandeln. Er bekam Mittel und Muße, seine biblischen Studien fortzusetzen und die griechische Sprache zu erlernen. Vom Neuen Testament schrieb er sich die Briefe des Paulus in der Grundsprache ab und lernte sie auswendig, kurz er sammelte hier die Waffen für seine späteren Kämpfe. Dazu hatte er auch nirgends bessere Gelegenheit, wie hier, den crassen Aberglauben der mittelalterlichen Kirche an der Quelle zu studiren. Oeffentlich begnügte er sich damit, einfach biblisch zu predigen, und auch sein rückhaltloses Auftreten gegen den die Schweiz bereisenden Ablaßkrämer Samson (Herbst 1518) hat bei Weitem nicht die Bedeutung, wie der fast gleichzeitige Kampf Luthers gegen Tetzel, schon deswegen nicht, weil Samson in der Schweiz nicht die mächtigen Gönner besaß, wie Tetzel in Deutschland.

Erst mit der Uebernahme des Pfarramts am Großmünster in Zürich, in das er an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag, am 1. Januar 1519 eintrat, beginnt sein eigentliches reformatorisches Wirken.

Dem Zwecke dieser Zeilen entsprechend deuten wir den Gang dieses reformatorischen Wirkens nur in den allgemeinsten Grundzügen an. Luther’s mehr gelegentlichem und räumlich zersplittertem, urkräftigem, aber oft auch stürmischem Eingreifen in die religiösen Zeit- und Streitfragen gegenüber erscheint Zwingli’s reformatorische Wirksamkeit wie ein wohldurchdachter, auf das innigste Zusammenwirken von Kirchenwesen und Staatsgewalt begründeter Feldzugsplan.

So erklärte er gleich beim Antritt seines Züricher Pfarramtes rundweg und öffentlich, daß es von jetzt an gelte, das Evangelium von Christo „ohne Menschentand“ zu verkündigen und das Neue Testament vom ersten Capitel des Matthäus an durchzupredigen, und da er dies ohne Wanken durchführte, so erfocht er mit dem Schwert des Geistes der Sache der Reformation binnen wenigen Jahren in Zürich einen vollständigen Sieg. Marksteine in diesem Kampfe sind die drei großen Religionsgespräche von 1523 und 1524, welche in Folge des Eingreifens der weltlichen Obrigkeit unmittelbar praktische Folgen hatten und nach einander Fastengebote, Messe, Heiligenbilder-Verehrung und die erzwungene Ehelosigkeit der Geistlichen für das Züricher Gebiet und darüber hinaus beseitigten. In der Frage der gewaltsamen Entfernung aller Werke der bildenden Kunst aus den Gotteshäusern nahm Zwingli theoretisch eine vermittelnde Stellung ein; praktisch wurde er freilich von den Stürmern und Drängern überholt.

Im Jahre 1524 – also wiederum fast gleichzeitig mit Luther – trat Zwingli in die Ehe mit Anna geborene Reinhard, der Wittwe eines Meyer von Knonau. Er hinterließ einen gleichnamigen Sohn, der eine gelehrte Laufbahn einschlug.

Von dieser Zeit an werden Zwingli’s kirchenpolitische Pläne immer weittragender. Bern, nebst einigen anderen Schweizerstädten, wurde zwar von ihm noch für die Reformation entschieden gewonnen; aber die Verbindung der Schweizer mit den evangelischen Fürsten und Städten Deutschlands, die der Landgraf Philipp von Hessen so gern vermittelt hätte, scheiterte an der schroff ablehnenden Haltung Luther’s bei Gelegenheit des zur Beilegung des Abendmahlstreites berufenen Marburger Religionsgesprächs (1529). Der Widerspruch gegen den kühnen und gewaltigen geistlichen Dictator fand in Zürich und Bern festen Boden, während für die dem alten Glauben treu gebliebenen Eidgenossen die „fünf Orte“ Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden einen festen Mittelpunkt bildeten. Zwischen ihnen und Zürich entbrannte ein Bruderkrieg.

Wohl riefen die Züricher Sturmglocken die Streiter zusammen, aber Befehle und Gerüchte liefen beängstigend durch einander, und als die Stunde des Aufgebots schlug, war erst ein geringer Theil der Mannschaft zum Abmarsch bereit. Mit diesem Häuflein zog Ulrich Zwingli nun zum dritten Male als Feldprediger über den Berg nach Kappel. Todesgedanken begleiteten ihn diesmal auf dem Wege. Es war der 10. October 1531. Als sie auf das Schlachtfeld kamen, befand ein schwacher Vortrab der Ihrigen sich schon im Feuer, fünfhundert Mann stark standen sie achttausend Feinden gegenüber. Die Züricher kämpften um das Leben, aber von den Tapferen sah keiner die Sonne untergehen. Umringt und niedergeschmettert bedeckten sie den Boden. Mitten unter ihnen lag auch Ulrich Zwingli, zum Tode verwundet, die Hände auf der Brust gekreuzt. Katholische Soldaten sahen ihn so und riefen ihm zu: „Willst Du beichten und zur heiligen Jungfrau beten?“ Zwingli schüttelte das Haupt und empfing den Todesstoß. Am zweiten Tage darnach schleppten sie den Leichnam zum Scheiterhaufen und streuten die „verfluchte“ Asche des Ketzers in alle Winde. Sein Herz aber, verkündet die Sage, sei unversehrt zwischen den Feuerscheinen gefunden worden.

So endete der Schweizer Reformator, dessen Name für alle Zeiten würdig neben dem des deutschen Martin Luther in der Weltgeschichte glänzt. Nicht mit Unrecht hat der alte Meister, nach dessen Kupferstich unser Bildniß (auf Seite 844) entworfen worden, in lateinischer Sprache den Bibelspruch auf Zwingli bezogen: „Kommt zu mir, die Ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken.“

Wenn auch Ulrich Zwingli in manchen Stücken, wie als Sprachmeister, als theologischer Schriftsteller, als Dichter, auch was weitgreifende Popularität anlangt, hinter Luther zurücksteht, so ragt er doch als urkräftiger Geist empor, und manche Züge seines Wesens, vor Allem die Unbefangenheit, mit der er, auch wenn er Luthern als Gegner gegenübertritt, die Größe des deutschen Reformators voll und ganz würdigt, gewinnen ihm mit unserer Verehrung auch unsere Liebe.

Und gerade weil er, wie er selbst betont, ganz von sich aus auf seine reformatorischen Gedanken gekommen ist und dieselben durchgeführt hat, wird sein Charakterbild die wesentlichste Ergänzung zum Verständniß der großen Reformationszeit bleiben.
Paul Lang.