Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Nicolaus Ludwig , Graf zu Zinzendorf
Der berühmte Stifter der evangelischen Brüdergemeinde!
Ein Mann von edlem Herzen, frommem Wandel, erregbarer
Phantasie voll innerlichen Geistes- und Gemüthslebens,
religiöser Mystik zugänglich und ihr neuzeitlicher
Vorkämpfer. – Graf Zinzendorf wurde zu Dresden
geboren und erhielt seine erste Erziehung durch seine
Großmutter, eine Frau von Gersdorf, zu Großhennersdorf,
einem jetzt blühenden Fabrikort in der Lausitz.
Die Frömmigkeit dieser Frau und der Einfluß Philipp
Jacob Spener’s, der vor seinem Weggang von Dresden
nach Berlin viel mit ihr verkehrte, die lebhafte
Sehnsucht desselben, die Kirche aufs neue zu reformiren,
gaben dem jungen Grafen frühzeitig die Geistesrichtung,
der er durch sein ganzes Leben unerschütterlich
treu blieb. Treulich gehegt und gepflegt wurde sie auf
dem Pädagogium zu Halle, wohin man den Knaben
in seinem 11. Jahre sandte, dessen Stifter, der große
Menschenfreund August Herrmann Franke, unmittelbar
sich des gräflichen Knaben annahm, und ihm den eignen
frommen, vielleicht überfrommen Geist einhauchte. Nicht
reiten, tanzen und fechten war es, was dort die Stunden
des Sprossen eines altreichsgräflichen Geschlechts
ausfüllte, sondern weinen, beten und grübeln; und die
Neigung zum selbstvertiefen in das dunkle mystische
Gebiet einer heißersehnten Gottseligkeit ließ ihn schon
in Halle ein Bündniß mit Gesinnungsgenossen gründen,
das den Namen vom Senfkorn im Evangelium des
Matthäus lieh. Um dieser Richtung ein Gegengewicht
zu geben, wurde der junge Graf 1716 auf die Hochschule
Wittenberg gesandt, dort dem Studium der Rechtskunde
obzuliegen, allein ihn zog es ausschließlich zur
Theologie. Er sah das kirchliche Leben allgemein verflacht,
und ersehnte nichts mehr als eine Wiedergeburt
und Läuterung der christlichen Kirche, und wo möglich
eine Vereinigung der drei Konfessionen zu einem großen,
allgemeinen, auf die schöne Einheit des Urchristenthums
zurückgeführten Bruderbunde. Diese suchte er aber nicht
durch verflachende Allgemeinheit, philosophische Spitzfindigkeiten
und vernünftelndes Lossagen von jedem Glauben
zu erreichen, sondern er hielt unwandelbar fest an
den unumstößlichen Satzungen der heiligen Schrift und
des geoffenbarten Christenglaubens. Daher waren
[Ξ] Unterhaltungen mit würdigen Gottesgelehrten ihm stets
die liebsten, sein Herz zog ihn zu stillen Andachtsübungen
auch außerhalb der Kirche, und nichts war ihm willkommener,
als das Gesuch einiger 1722 aus Böhmen
auswandernden mährischen Brüderfamilien, auf seinen
Gütern sich niederlassen zu dürfen. Sogleich wies Graf
Zinzendorf ihnen das Gut Berthelsdorf zum Wohnsitz
an, gab ihnen einen Prediger, richtete ein Schulhaus
und 1724 einen Betsaal für sie ein, gab die 1721
ihm gewordene Hofrathstelle bei der Landesregierung
zu Dresden 1727, die ihm ohnehin bei seiner Geistesrichtung
nie hatte zusagen können, freiwillig auf, und
wandte sich ganz jenen Brüdern zu, die sich am Hutberge
bei Berthelsdorf angebaut hatten, von der Gemeinde
Berthelsdorf sich schieden und ihren werdenden
Ort Herren Hut nannten. Der Graf, erfüllt von den
Plänen einer idealen Frömmigkeit, stellte sich als ein
geistliches Oberhaupt an die Spitze dieser Gemeinde,
suchte deren Wachsthum zu befördern, und bewirkte,
daß sie sich nicht von der evangelisch-lutherischen Kirche
lossagte. Ein edler christlich frommer, sittlich reiner,
liebevoll brüderlicher und dabei arbeitsamer Geist wurde
herrschend in der schnell sich ausbreitenden deutschevangelischen
Brüdergemeinde, in ihr ward manches erreicht,
was in Deutschland und Frankreich auf anderen, schlimmeren
Wegen zu gewinnen, in neuerer Zeit fruchtlos
versucht wurde. Doch blieb die junge Kirchengemeinschaft
auch nicht ohne Anfechtung und Bekämpfung.
Das spielende, häufig pietistisch sinnliche, verhimmelnde
in manchem Brauch, in Gesängen und Gebeten, die
namentlich in den Liedern oft selbst bis zur Anstößigkeit
getriebenen Bilder vom Lamm und Lämmlein, von
Blut und Wunden, von der Einigung mit dem himmlischen
Seelenbräutigam, waren es hauptsächlich, was
man der neuen christlichen Sekte zum Vorwurf machte,
und keineswegs mit Unrecht. Da sich die Brüdergemeinden
auch des christlichen Missionswesens auf das
eifrigste annahmen, so geschah schon auf diesem Gebiete
durch sie unendlich viel Gutes. Graf Zinzendorf
war glücklich, das Ziel, nach welchem von Jugend auf
seine ganze Seele gestrebt, so weit als es nur immer
möglich war, verwirklicht zu sehen; er durchreiste einen
großen Theil Europas und schiffte selbst nach Amerika
in Angelegenheiten der neuen Religionsverbrüderung,
ließ sich zum Geistlichen weihen, war durch Lied und
Lehre, wie durch zahlreiche Schriften für sie thätig,
und starb im Schoose Herrenhuts, auf dessen Kirchhof
er dem großen Auferstehungsmorgen entgegen schlummert,
tief betrauert, weit gepriesen und verherrlicht
und seiner Gemeinde unvergeßlich.