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Unterhaltungen mit würdigen Gottesgelehrten ihm stets die liebsten, sein Herz zog ihn zu stillen Andachtsübungen auch außerhalb der Kirche, und nichts war ihm willkommener, als das Gesuch einiger 1722 aus Böhmen auswandernden mährischen Brüderfamilien, auf seinen Gütern sich niederlassen zu dürfen. Sogleich wies Graf Zinzendorf ihnen das Gut Berthelsdorf zum Wohnsitz an, gab ihnen einen Prediger, richtete ein Schulhaus und 1724 einen Betsaal für sie ein, gab die 1721 ihm gewordene Hofrathstelle bei der Landesregierung zu Dresden 1727, die ihm ohnehin bei seiner Geistesrichtung nie hatte zusagen können, freiwillig auf, und wandte sich ganz jenen Brüdern zu, die sich am Hutberge bei Berthelsdorf angebaut hatten, von der Gemeinde Berthelsdorf sich schieden und ihren werdenden Ort Herren Hut nannten. Der Graf, erfüllt von den Plänen einer idealen Frömmigkeit, stellte sich als ein geistliches Oberhaupt an die Spitze dieser Gemeinde, suchte deren Wachsthum zu befördern, und bewirkte, daß sie sich nicht von der evangelisch-lutherischen Kirche lossagte. Ein edler christlich frommer, sittlich reiner, liebevoll brüderlicher und dabei arbeitsamer Geist wurde herrschend in der schnell sich ausbreitenden deutschevangelischen Brüdergemeinde, in ihr ward manches erreicht, was in Deutschland und Frankreich auf anderen, schlimmeren Wegen zu gewinnen, in neuerer Zeit fruchtlos versucht wurde. Doch blieb die junge Kirchengemeinschaft auch nicht ohne Anfechtung und Bekämpfung. Das spielende, häufig pietistisch sinnliche, verhimmelnde in manchem Brauch, in Gesängen und Gebeten, die namentlich in den Liedern oft selbst bis zur Anstößigkeit getriebenen Bilder vom Lamm und Lämmlein, von Blut und Wunden, von der Einigung mit dem himmlischen Seelenbräutigam, waren es hauptsächlich, was man der neuen christlichen Sekte zum Vorwurf machte, und keineswegs mit Unrecht. Da sich die Brüdergemeinden auch des christlichen Missionswesens auf das eifrigste annahmen, so geschah schon auf diesem Gebiete durch sie unendlich viel Gutes. Graf Zinzendorf war glücklich, das Ziel, nach welchem von Jugend auf seine ganze Seele gestrebt, so weit als es nur immer möglich war, verwirklicht zu sehen; er durchreiste einen großen Theil Europas und schiffte selbst nach Amerika in Angelegenheiten der neuen Religionsverbrüderung, ließ sich zum Geistlichen weihen, war durch Lied und Lehre, wie durch zahlreiche Schriften für sie thätig, und starb im Schoose Herrenhuts, auf dessen Kirchhof er dem großen Auferstehungsmorgen entgegen schlummert, tief betrauert, weit gepriesen und verherrlicht und seiner Gemeinde unvergeßlich.