Textdaten
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Titel: Zwei deutsche Gelehrte †
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 803–804
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[803] Zwei deutsche Gelehrte †. Der grimme Meister Tod reißt schwere Lücken in die stolzen Reihen unserer deutschen Geistesstreiter. An einem Tage hat er zwei Opfer abgefordert, Gustav Rümelin und Richard Gosche.

Der Name Gustav Rümelins, in seiner engeren Heimath der ersten einer, ist zum letztenmal in weite Kreise unseres deutschen Volkes gedrungen im Zusammenhange mit einer Frage, die ja heute die Geister lebhaft beschäftigt, der Fremdwörterfrage. Er trat vor einigen Jahren mit einer Schrift hervor, in welcher er gegen die Uebertreibungen in der Verdeutschungssucht seine Stimme erhob und eine Reihe von Fremdwörtern als zulässig, ja unentbehrlich gegen die Bestrebungen der Sprachreiniger zu decken suchte. Es gab viele, die Rümelin diese Stellungnahme verargten, und doch ist gerade diese Schrift charakteristisch für die Eigenart des Mannes. Eine seltene Selbständigkeit des Denkens zeichnete ihn aus und es gab für ihn weder Mode noch Vorurtheil, weder den Strömungen der öffentlichen Meinung noch dem Glauben an große Namen gestattete er einen bestimmenden Einfluß auf Ziel und Richtung seines forschenden Verstandes. Diese Eigenschaft begründete seine Größe als Gelehrter, er verleugnete sie aber auch nicht als Politiker. Und selbständig wie in dem Gang seines Denkens war er auch in der Wahl der Gebiete, die er in den Kreis seiner wissenschaftlichen Betrachtung zog. Wenn man seine „Reden und Aufsätze“ durchblättert, so erstaunt man vielleicht weniger noch über die verschiedenartigen Wissenszweige, denen er den Stoff zu seinen Abhandlungen entnimmt, als über die Entdeckerkühnheit, mit der er ganz neue, von den gewohnten Pfaden der Wissenschaft kaum gestreifte Gefilde betritt, um goldene Schätze der Erkenntniß auf ihnen zu heben. So verliert an dem Manne, der nach kurzem Krankenlager am 28. Oktober zu Tübingen dahinschied, die Tübinger Hochschule einen geistreichen, tief wirkenden Lehrer, der württembergische Staat einen treuen, besonnenen, unerschrockenen Berather, Deutschland aber, ja die Menschheit eine Leuchte der Wissenschaft und einen vorbildlichen Charakter.

Gustav Rümelin ist am 26. März 1815 in Ravensburg geboren. Seine amtliche Laufbahn begann er als Lehrer an verschiedenen württembergischen Unterrichtsanstalten, sie führte ihn durch das Mittelglied des Oberstudienraths zu der wichtigsten staatsmännischen Stellung, die er im Laufe seines Lebens eingenommen hat: im Jahre 1856 wurde ihm die Leitung des Departements des Kirchen- und Schulwesens übertragen, die er fünf Jahre lang beibehielt, bis unheilbare Meinungsverschiedenheiten mit der Kammer der Abgeordneten ihn zum Rücktritt veranlaßten. Er trat dann an die Spitze des statistisch-topographischen Bureaus (des heutigen statistischen Landesamtes), habilitirte sich aber 1867 als Dozent für Statistik, Völkerkunde etc. an der Universität Tübingen. Das Jahr 1870 brachte ihm die Würde eines Kanzlers der Universität und als solcher wirkte er – unter gleichzeitiger Fortsetzung seiner Lehrthätigkeit bis zu seinem Tode.

In seiner Eigenschaft als Kanzler war er Mitglied der württembergischen Kammer der Abgeordneten, aber auch vorher hatte er mannigfache politische Vertrauensstellungen übertragen erhalten. Hervorgehoben sei nur, daß er im Jahre 1848 in die deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt gewählt wurde; als einen der hervorragendsten Anhänger der erbkaiserlichen Partei sandte ihn das Frankfurter Parlament im Frühjahr 1849 mit jener bekannten Abordnung nach Berlin, die dem Könige Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die deutsche Kaiserkrone anzubieten hatte. Mannigfache Ehrenerweisungen wurden ihm von seinem König wie von seiten der Universität zu theil, er bekleidete die Würde eines Geheimraths mit dem Titel Excellenz und vereinigte mehrere Doktorhüte auf seinem Haupte. Aber alle diese Ehrenzeichen erscheinen fast als etwas Unwesentliches neben dem Denkmal, das er sich selbst errichtet, – dem Andenken eines echten Mannes der Wahrheit.

Fast zu derselben Zeit wie Rümelin hat noch einen zweiten deutschen Gelehrten ein jähes Schicksal dahingerafft. Richard Gosche ist in der Nacht zum 29. Oktober zu Halle verschieden. Mit Rümelin hat er die Vielseitigkeit seines wissenschaftlichen Strebens gemein, orientalische, klassische und neuere Philologie hat er mit gleichem Eifer umfaßt und als Litteraturkenner und Litterarhistoriker sich einen glänzenden Namen gemacht. Er war am 4. Juni 1824 zu Neundorf bei Crossen a. d. O. geboren, wurde 1847 Bibliothekar an der königlichen Bibliothek in Berlin und habilitirte sich einige Jahre darauf an der dortigen Hochschule. Das Jahr 1863 führte ihn als ordentlichen Professor an die Universität Halle, [804] wo er bis zu seinem Tode als Lehrer und Schriftsteller thätig war und insbesondere auch durch gemeinverständliche öffentliche Litteraturvorträge einen weitreichenden Einfluß übte. Von seinen Werken haben wohl die neueren, „Richard Wagners Frauengestaltcn“ und seine Ebersbiographie, seinen Namen in die weitesten Kreise getragen; aber von den Fachgenossen werden nicht minder seine strengwissenschaftlichen Arbeiten, vornehmlich seine „wissenschaftlichen Jahresberichte über die morgenländischen Studien“ hochgeschätzt. Um die deutsche Litteratur und ihre Geschichte hat er sich als Lessingherausgeber und Bearbeiter der Schlegel-Tieckschen Shakespeareübersetzung, sowie durch Begründung des „Archivs für Litteraturgeschichte“, das später durch Schnorr von Carolsfeld fortgesetzt wurde, wesentliche Verdienste erworben. Die ihn gekannt haben, rühmen auch die freimüthige, dabei maßvolle und duldsame Gesinnung und das freundlich gewinnende Wesen des Mannes, den mit ihnen die deutsche Wissenschaft betrauert. =