Zwanglose Blätter/Vom Bücher- und Zeitungstische/Herman Semmig’s Schriften

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Titel: Hermim Semmig’s Schriften
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 348 a–b
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Beilage Zwanglose Blätter, Nr. 6
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[348 a] Herman Semmig’s Schriften. Von Herman Semmig’s in den letzten Jahren erschienenen vier Werken haben wir zwar zwei unsern Lesern bereits genannt. Wiederholte Anfragen nach denselben veranlassen uns, um den Anfragenden ein für allemal gerecht zu werden, zur vollständigen Aufführung derselben mit den nöthigen Bemerkungen. Als Semmig’s bedeutendstes Werk stellen wir voran:

„Die Cultur- und Literaturgeschichte der französischen Schweiz und Savoyens“. In ihrer selbstständigen Entwickelung zum ersten Male dargestellt. Zürich, 1882. Trüb’sche Buchhandlung (Th. Schröter). Die Literatur der „Französischen Schweiz“ bildet einen Gegensatz zur eigentlichen französischen Literatur, sie bietet eine französisch-protestantische Literatur, die sich in republikanischen Staaten entwickelt hat, während diejenige Frankreichs auf Grund einer despotischen Monarchie entstanden ist. Sodann ist es denen, welche die französische Sprache erlernen wollen, bei dem Deutschenhaß in Frankreich schwierig, jetzt daselbst ihre Studien zu machen; sie müssen darum in die Schweiz gehen, und aus Semmig’s Buche erlernen sie die Geschichte und die Literatur derselben. Endlich bringen ganze Familien den Sommer in der französischen Schweiz zu; dieses Buch ist die beste Vorbereitung zur Ausnutzung dieses Aufenthaltes, sowie die angenehmste Erinnerung nach der Reise. In dem Buche sind alle Dichter und Prosaiker dieser französisch sprechenden Länder angeführt, die Dichter meist mit ausgewählten Poesien. Auch die dortige Volkssprache (das sogenannte Patols in Greyerz) lernen wir kennen, z. B. den Anfang des Kuhreihens etc.

„Das Kind, Tagebuch eines Vaters“ (Rudolstadt, H. Hartung und Sohn, 2. Auflage) ist ein Gemälde der Familie von der Geburt des ersten Kindes an, um das sich alles Andere gruppirt; es macht, wie viele Mütter dem Verfasser selbst gesagt haben, die Frauen auf eine Menge von Beobachtungen und Genüssen des Geistes und Herzens aufmerksam, die so vielen Müttern ganz entgehen. Lehrer haben dem Verfasser für verschiedene darin enthaltene pädagogische und psychologische Winke gedankt. Religiöse Gemüther waren dadurch um so tiefer und wahrer erbaut, als das Buch frei von Gewissenszwang und confessioneller Engherzigkeit ist und doch den Materialismus mit überzeugender Rede bekämpft.

„Das Frauenherz“, (Leipzig, E. Kempe). Lebensbilder und Dichtungen, reich an Abwechselung und durchstreut mit unterhaltenden Erzählungen und Geschichten aller Art, schildert das Weib in allen gesellschaftlichen Stellungen als Kind, Jungfrau, Braut, Gattin, Mutter, Hausfrau, Wittwe, Großmutter, Lehrerin. Es ist ein hervorragendes gegenseitiges Festgeschenk unter Liebenden (zahlreiche Lieder der Liebe!), Brüdern und Schwestern, Brautleuten, Gatten, und ergänzt vielfach „das Kind“.

Das „Französische Frauenleben“ (Leipzig, Alfred Krüger) bekämpft die Vorurtheile, die der Chauvinismus, an welchem Deutschland wie Frankreich leidet, gegen die Französinnen hegt und verbreitet. Dieses jüngste Werk H. Semmig’s, das überaus reich an fesselnden Novelletten und Erzählungen ist und auch manche bekannte Episode am Hofe Ludwig’s des Vierzehnten, z. B. die der Louise de la Vallière, von neuem Gesichtspunkte aus beleuchtet, bildet eine sittengeschichtliche Ergänzung zu der „Cultur- und Literaturgeschichte der französischen Schweiz“ desselben Verfassers. Wir empfehlen dieses „Französische Frauenleben“ im Augenblick besonders wegen der darin enthaltenen scharfen Streiflichter auf den deutsch-französischen Conflict; die Vergleichung des deutschen und französischen Frauenlebens muß die Leserinnen noch besonders interessiren.

Daß Semmig vollkommen competent zu diesen Werken ist, sagt uns sein zwanzigjähriger Aufenthalt jenseits der Vogesen. Er hat Frankreich in allen Richtungen durchwandert, mit allen Volksschichten verkehrt, zwei Jahre lang Savoyen bewohnt und zweimal die französische Schweiz bereist; er kennt alle von ihm geschilderten Geistesströmungen aus persönlichem Verkehr. Zwölf Jahre lang war er an französischen Gymnasien angestellt, hat 1861 in Paris sein Examen als Oberlehrer für neuere Sprachen und Literaturen und 1865 dasselbe als Titularprofessor bestanden [348 b] und dabei die gründlichste Kenltmiß der französischen Sprache und Literatur bekundet: er war Mitarbeiter an einer historischen Revue in Nantes, an einer literarischen Wochenschrift in Tours und hat einen interessanten Aufsatz über das savoyer Volksthum in der Pariser „Illustration“ veröffentlicht. Die Schwächen und Gebrechen der französischen Literatur und Bildung aber, die das Pariser Literatenthum nicht sieht oder nicht sehen will, hat der Fremde gesehen und offen dargelegt. Seine Vergleichung der Literatur der französischen Schweiz mit derjenigen Frankreichs ist somit für Alle unentbehrlich, die sich mit moderner Literatur beschäftigen; es ist das erste Werk, das über diesen Gegenstand geschrieben ist.