Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten/9. Der Genossenschafts-Revolver

Textdaten
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Autor: Friedrich Zimmermann
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Titel: Der Genossenschafts-Revolver
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 527–528
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten
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Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.
9. Der Genossenschafts-Revolver.


Zu der Menge von originellen Typen, die das heitere, leichtlebige Künstlervölkchen aufzuweisen hat und welche an dieser Stelle bereits Beachtung und Besprechung gefunden, gesellt sich in letzterer Zeit eine neue, noch gar nicht genugsam gewürdigte Gattung von Originalien, deren Anzahl indessen schon eine bedeutende ist und unter denen sich ebenso interessante wie merkwürdige Exemplare befinden.

Die „Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger“, dieses segensreiche, nicht hoch genug zu schätzende Institut ist es, der diese sonderbare Species von „homo theatralis“ ihre Entstehung verdankt. Jedem meiner Collegen und Colleginnen ist sie genugsam bekannt, das Publicum indessen hat noch wenig oder gar keine Gelegenheit gehabt, einen Blick in die stille Wirksamkeit dieser interessanten Käuze zu thun, die es werth sind, daß man sie ihrer Verborgenheit entreißt, ihr Thun und Treiben, ihre hohen Verdienste zur Kenntniß weiterer Kreise bringt. Ich spreche von dem sogenannten „Genossenschafts-Revolver“.

Die Gelder, die der Pensionscasse der „Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger“ durch die obligatorischen monatlichen Einzahlungen der Mitglieder zuströmen, werden um ein Beträchtliches vermehrt durch freiwillige Beiträge der Bühnenkünstler. Tausende von Thalern fließen auf diese Weise jährlich der Generalcasse zu. Diese freiwilligen Beiträge mit allen Mitteln von seinen Collegen einzutreiben, ist Ziel und Lebensaufgabe des Genossenschafts-Revolvers, und er weiß sich dieser selbstübernommenen heiligen Verpflichtung mit einer Consequenz, Ausdauer und Unermüdlichkeit, mit einem Aufwande von Erfindungsgabe ohne Wahl der Mittel, nach wirklich jesuitischen Grundsätzen zu entledigen.

Der Genossenschafts-Revolver gehört gewöhnlich der jüngern Generation darstellender Künstler an, spielt Liebhaber, Komiker oder Bonvivants, ist ein gefälliger, angenehmer College, ein beliebter Gesellschafter, immer liebenswürdig und bei Humor, kurz der Urtypus eines sorglosen, heitern, gutmüthigen Komödianten, bis auf die eine schon erwähnte Leidenschaft, in welcher er weder Mitleid noch Erbarmen kennt. An Zähigkeit und Geschicklichkeit in Schröpfung der Geldbeutel seiner Collegen kann er sich mit dem gewiegtesten Collectenbruder messen, den er an Gefährlichkeit noch bei Weitem übertrifft. Alle seine Fähigkeiten concentriren sich in diesem einen Brennpunkte. Der ihn beseelende, nie rastende Feuereifer findet seine Erklärung allein in dem Umstande, daß der Genossenschafts-Revolver für die Unsterblichkeit arbeitet. Sein einziger Lohn ist nämlich der, seinen Namen allwöchentlich in den Spalten des officiellen Organs der Genossenschaft unter der Rubrik für kleine Beiträge zu lesen.

Da steht denn: „Durch Herrn N. N. gesammelt.“ Mit freudestrahlenden Augen liest der Genossenschafts-Revolver diese Notizen, streicht die Stelle mit einem Rothstifte sorgfältig an und legt die Zeitung zu den vielen übrigen, in denen bereits sein Name prangt, um sie am Jahresschlusse einbinden zu lassen. Auf einen solchen Band blickt er dann mit größerer Liebe, als irgend ein Autor auf seine Geisteswerke. Der Anblick ermuthigt und stärkt ihn zu neuen Thaten, er spornt ihn an, setzt ihn über alle Hänseleien und Grobheiten von Seiten seiner Collegen, seiner Opfer, hinweg und ist für ihn die unerschöpfliche Quelle reiner Freude und stolzer Genugthuung.

Ich will mich bemühen, die Wirksamkeit des Genossenschafts-Revolvers in den folgenden Zeilen in einigen Zügen zu schildern.

Die Mitglieder eines Provinzial-Stadttheaters sitzen gemüthlich des Abends beim Glase Bier zusammen, nichts Uebles ahnend. Plötzlich tritt der gefürchtete Geossenschafts-Revolver ein. Jeder greift ängstlich nach dem Portemonnaie und gelobt sich im Stillen, diesmal durch keinerlei „bübische Kniffe“ sich nur einen Pfennig ablocken zu lassen.

Der Genossenschafts-Revolver weiß das – er befindet sich stets auf dem Kriegspfade, und die Gesinnung seiner Gegner ist ihm kein Geheimniß. Ein humoristisches Lächeln gleitet über seine Züge; siegesgewiß nimmt er in der Mitte seiner Collegen Platz. Er kennt seine Pappenheimer; einige fallen doch herein und er hat sich schon vorbereitet.

Das Gespräch dreht sich eine Weile um allerlei Theater-Historien und Scandälchen, um die Auffassung dieser oder jener Rolle etc.; der Genossenschaft wird nicht erwähnt – Alles athmet auf. Plötzlich zieht der Genossenschafts-Revolver eine große in Bast gehüllte Cigarre aus der Tasche und legt sie auf den Tisch.

„Meine Herren,“ beginnt er, „diese vorzügliche Cigarre erhielt ich heute von Baron X. Er bot sie mir eigenhändig an. Sie ist mir zu schwer; ich will sie daher zu Gunsten der Genossenschaft versteigern – wer bietet?“

Starrer Schrecken! Endlich faßt sich ein muthiger Jüngling ein Herz – die Cigarre scheint ja eines Gebotes werth zu sein.

„Zehn Pfennige gebe ich,“ sagt er entschlossen, um der Sache ein Ende zu machen.

„Fünfzehn Pfennige!“ ruft ein Zweiter.

[528] „Es ist eine echte Havanna,“ sagt der Genossenschafts-Revolver, „dreißig Pfennige gebe ich selbst dafür. Wer bietet mehr?“

„Zwanzig Pfennige will ich geben,“ sagt der Heldenvater, der ein starker Raucher ist, „aber mehr nicht.“

„Schön, lieber Freund! Geben Sie zwanzig Pfennige!“

Der Käufer zahlt. Der Genossenschafts-Revolver zieht mit verbindlichem Lächeln die zwanzig Pfennige ein und sagt: „Im Namen der Genossenschaft besten Dank!“ Die Cigarre ist fünf Pfennige werth und von ihm eigenhändig präparirt.

Man schlägt ein Spielchen vor. Der Genossenschafts-Revolver ruht und rastet nicht, bis Alle versprechen, zehn Procent des Gewinnes für die Genossenschaft zu geben. Er zieht Karten hervor, die er stets bei sich trägt.

„Hier sind Karten, meine Herrschaften. Das Kartengeld ist an mich zu entrichten, nicht an den Wirth, es ist zum Besten der Pensionscasse.“ – Ehrenhalber müssen die Collegen auf die Offerte eingehen, da der Wirth sich damit einverstanden erklärt, und ein dreimal höheres Kartengeld zahlen, als gewöhnlich.

Zum Schluß, wenn das Spiel vorüber, macht der Genossenschafts-Revolver Kartenkunststücke, natürlich nur gegen ein entsprechendes Entgelt für die Pensionscasse. Läßt einer der Anwesenden aus Neugier sich verleiten, einige Pfennige zu zahlen, so schämen sich die Uebrigen zurückzustehen, und es fließt wieder ein Sümmchen zusammen. Dann erzählt er die neuesten pikanten Anekdoten aus der Stadt, die er, wer weiß wo, aufgefangen hat, selbstverständlich nicht umsonst, und hält beim schönen Geschlecht eine reiche Ernte. Er ist unwiderstehlich, keine Abweisung schreckt ihn. Er verschluckt glühende Kohlen und Spazierstöcke, sticht sich Nadeln durch die Backe, trinkt Bier mit Petroleum ohne eine Miene zu verziehen – Alles zu Gunsten der Genossenschaft. Er besitzt den Stoicismus des Spartaners und die Opferfreudigkeit eines Märtyrers.

In der That benutzt er jede freie Stunde zu Haus, um sich Taschenspielerkunststücke einzuüben, sowie neue Kniffe zu ersinnen, die den Dickfelligsten mürbe machen.

Macht einer der Collegen einen Kalauer, der die entsetzten „Ach“ und „Au“ der Beschädigten zur Folge hat, so ist er es, der energisch eine Geldstrafe beantragt, wobei ihn die Uebrigen gewöhnlich unterstützen, da ihre Geldbeutel ja diesmal verschont bleiben.

Genug – an Gemeingefährlichkeit kann sich keine noch so gefürchtete Species von Collegen mit ihm messen. Dies sind indessen noch die liebenswürdigeren Seiten des Genossenschafts-Revolvers, aber er hat auch unangenehme.

Einer Collegin, die von einem säumigen Schauspieler das geliehene Geld nicht zurückerhalten kann, bietet er sich als Commissionär unter der Bedingung an, die Hälfte der Summe an die Pensionscasse abführen zu dürfen. Die Gläubigerin, die schon längst auf ihr Geld verzichtet hat, geht den Handel ein, und richtig – sie erhält die Hälfte ihres Eigenthums zurück. Der eingefleischteste Schuldenmacher, der dem blutgierigsten Wucherer lachend ein Schnippchen schlägt, ist unfähig, dem Genossenschafts-Revolver zu widerstehen.

Geht es gar nicht anders, so macht der für seine Mission Begeisterte auch wohl selbst unter allerlei rührenden Vorwänden bei seinen Collegen Schulden, denkt aber nie an’s Bezahlen. Die energischsten Forderungen um Rückgabe des Geliehenen werden mit einem Lächeln, einem Achselzucken und der stereotypen Redensart: „Im Namen der Genossenschaft besten Dank!“ abgewiesen. Vorzüglich die Kunstnovizen beiderlei Geschlechts, die Anfänger, die man in der Theatersprache als „junge Vergnüglinge“ bezeichnet, fallen dieser Manipulation zum Opfer.

Auf diese und ähnliche Weise wirkt der Genossenschafts-Revolver zum Besten der Pensionscasse, der, wie gesagt, dadurch jährliche Tausende zufließen. Sind auch die Mittel, die er anwendet, nicht immer die besten und nobelsten, der Zweck ist gut. Der gutherzige Künstler sieht in dem Genossenschafts-Revolver ein nützliches Glied des großen Bühnenstaates. Wenn der unverdrossene Zahlungseintreiber ihm auch manchmal lästig wird, er zahlt ihm schließlich doch und murmelt: „Es muß auch solche Käuze geben!“
Friedrich Zimmermann.