Zur Geschichte des Fingerhutes und seiner Verfertiger

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Autor: Hans Boesch
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Titel: Zur Geschichte des Fingerhutes und seiner Verfertiger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 779–780
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zur Geschichte des Fingerhutes und seiner Verfertiger.

Wie die Geschichte der Erfindung vieler nützlicher Gegenstände sich im Dunkel der Vorzeit verliert, so ist uns auch der Ursprung des Fingerhutes völlig unbekannt geblieben.

Aus dem 12. Jahrhundert stammt die erste Nachricht über den Fingerhut, die allerdings sehr kurz ist und nur dessen Namen nennt. Es lebte damals die heilige Hildegard, die wegen ihrer Frömmigkeit wie nicht minder wegen ihrer Gelehrsamkeit in großem Ansehen stand. In einem ihrer Werke hat die heilige Hildegard eine Zusammenstellung von 900 Wörtern mit Uebersetzung in einer räthselhaften, unbekannten Sprache niedergelegt, in der man den sehr frühen, interessanten Versuch einer Weltsprache vermuthet. Unter diesen Wörtern findet sich nun auch der ,,vingerhuth“, der in der räthselhaften Sprache den Namen „Ziriskanz“ führt. Da die in der Handschrift zusammengestellten Wörter vielfach Gegenstände des täglichen Gebrauches nennen, so ist anzunehmen, daß unser Hütchen schon im 12. Jahrhundert etwas Gewohntes war.

Fingerhut aus dem 14. Jahrhundert.
Gefunden auf der Burg Tannenberg.

Wohl recht fleißige Damen jener Zeit sind es gewesen, auf deren Grabstein man eine Scheere anbrachte, was namentlich in England öfter geschah; leider hat man versäumt, ihr den Fingerhut als Genossen beizugesellen und dadurch seine älteste Gestalt zu überliefern. Dieselbe dürfte aber kaum wesentlich anders gewesen sein, als sie der im Kabinettsmuseum zu Darmstadt befindliche bronzene – wohl gegossene – Fingerhut zeigt, der im Jahre 1848 auf der Burg Tannenberg an der Bergstraße ausgegraben worden. Da die Burg 1399 wegen raubritterlicher Thaten ihrer Herren zerstört und nie mehr aufgebaut wurde, so ist das Alter dieses Fingerhutes, der so ziemlich die Form der heutigen hat, nur etwas breit ist, genau festgestellt.

Die Reichsstadt Nürnberg mit ihren tüchtigen Handwerkern, deren Witz, das ist Erfindungsgabe, sprichwörtlich geworden, war ein Hauptfabrikationsort der Fingerhüte. Die Verfertiger derselben, die Fingerhüter, das heißt Fingerhutmacher, werden zum ersten Male 1462 erwähnt, doch bildeten sie damals noch keine geschlossene selbständige Korporation, sondern werden in den Meisterbüchern von 1462 bis 1533 ausnahmslos dem Handwerke der Rothschmiede zugetheilt. Erst 1534 erscheinen die Fingerhüter zum ersten Male als besonderes Gewerbe, das 1537 eine eigene Ordnung erhielt. Doch sind gewiß die Erzeugnisse derselben von den unternehmenden Kaufleuten dieser Stadt schon im 15. Jahrhundert allenthalben auf den Jahrmärkten und in den Kramläden feilgeboten worden, etwa mit Worten, die in einem Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts einem das Publikum zum Kaufe einladenden Krämer in den Mund gelegt werden:

„Ich han gut Schnur in das Unterhemd,
Auch hab’ ich Nadeln, Bürsten und Kämm,
Fingerhut, Taschen und Nesteln viel,
Heftlein und Häcklein, wie man will.“

Nachdem die Nürnberger Fingerhüter ein besonderes Gewerbe geworden, hatten die Rothgießer noch das Recht, gegossene Fingerhüte zu machen. Auf welche Weise die Fingerhüter – denen dagegen natürlich das Gießen der Hütchen verboten war – die Fingerhüte fertigten, verräth uns die älteste Abbildung einer Fingerhüterwerkstätte, speciell einer Nürnberger. Sie findet sich in dem 1568 erschienenen Buche „Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden, Hoher und Niedriger, Geistlicher und Weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln“, illustrirt durch Jost Amman, den fruchtbarsten deutschen Künstler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der namentlich als Illustrator aller möglichen Werke des verschiedensten Inhaltes eine außerordentliche Thätigkeit entfaltete. Wie unter allen Darstellungen dieses Werkes, so finden sich auch unter dem „Fingerhüter“ Verse des Altmeisters Hans Sachs, die aber meist derartig sind, daß sie seinen Ruf als Dichter weder begründen noch vergrößeren konnten.

„Aus Messing mach’ ich Fingerhüt,
Blechweiß, werden im Feuer glüt,
Dann in das Eisen blank getrieben,
Darnach Löchlein darein gehieben,
Gar mancherlei Art, eng und weit,
Für Schuster und Schneider bereit,
Für Seidensticker und Näterin,
Des Handwerks ich ein Meister bin.“

Faksimile nach Jost Amman vom Jahre 1568.

Während ein großer Theil der Reichsstädte sich eines demokratischen Regiments erfreute, herrschte in Nürnberg die Aristokratie, die den Zünften keinerlei Selbständigkeit gönnte, sondern sie bis auf die geringsten Kleinigkeiten herab regierte. In ihren Vorschriften wurde zwar Vorsorge getroffen, daß nur gute, den Ruf des Handwerkes nicht schädigende Arbeiten die Stadt verlassen durften und daß jeder Meister sein genügendes Auskommen hatte. Um ihnen das letztere zu sichern, ging man aber manchmal zu weit und erließ sogar Verordnungen, welche die Ausbildung des Gewerbes hemmten und welche man von Nürnberg, dessen Handwerksmeister so mannigfache Erfindungen machten, eigentlich nicht erwarten durfte. So wurde 1572 auf eine Eingabe der geschworenen und gemeinen Meister des Fingerhüterhandwerks dem Jörg Endtner, ihrem Mitmeister, der sich ein Drehrad konstruirt hatte, bei Strafe verboten, diese gesuchte Neuerung, die sonst von keinem Meister auf dem Fingerhuthandwerk gebraucht wurde und die nur seiner Arbeit Vortheil, den andern Meistern aber Schaden bringe, ferner zu benützen. Uebrigens scheinen die Fingerhüter doch keine großen Reichthümer gesammelt zu haben, denn ein altes fliegendes Blatt vom Jahre 1621 verkündet von ihnen:

„Die Bader, Küfer, Fingerhüter
Bringen zusammen nicht viel Güter.“

[780] Offenbar aus einer Nürnberger Fingerhüterwerkstätte ist der hier abgebildete Fingerhut im Besitze des Germanischen Museums zu Nürnberg hervorgegangen. Er ist ziemlich eng und spitzig und, wie die meisten Geräthe jener Zeit, nicht schmucklos, sondern mit Verzierungen und einem Spruche versehen. Unter den Löchlein befindet sich eine Reihe verschiedener runder Stempel, welche Sterne, Adler, Lilien, Thiere etc. darstellen, unter denen sodann der Spruch: „Wen Got wil so ist mein Zil“ und die Jahreszahl 1595 eingeschlagen ist, und zwar jeder Buchstabe besonders und nicht sehr regelmäßig, theilweise mit verschieden großen Stempeln.

Nürnberger Fingerhut aus dem Jahre 1595.

Aus dem 16. Jahrhundert bewahrt das Germanische Museum aber noch einen Fingerhut, und zwar von solchen Dimensionen – er ist sicher der größte, der existirt – daß er sich für die Fingerspitze eines Riesen eignen dürfte, nämlich einen schönen, getriebenen, silbernen und vergoldeten Pokal, der die Gestalt eines auf einem Reifen stehenden großen Fingerhutes hat. Er ist, wie die Inschrift am Rande verkündet, dem Nürnberger Schneiderhandwerk durch die Gebrüder Gewandschneider im Jahre 1586 gestiftet worden.

Auf dem Deckel steht ein Genius mit einer großmächtigen Schere in der Rechten und einer großen Nadel als Lanze in der Linken. Unzweifelhaft hat den Nürnberger Schneidern kein Fingerhut so gut gefallen wie dieser werthvolle, ihnen zum Geschenk gemachte. Wie oft mag dieses prächtige Geschirr im heiteren Kreise umgegangen und des köstlichen Weines, denn nur solcher paßte für ein so vornehmes Gefäß, entleert worden sein! Das Sprichwort, daß ein Schneider einen Fingerhut ausgetrunken und davon schwer bezecht gewesen sei, verlor hier seinen beißenden Spott.

Silberner Pokal des Nürnberger Schneiderhandwerks vom Jahre 1586.

Außer diesem riesigen Fingerhut gab es noch andere aus edlem Metalle, welche die Goldschmiede für reiche und vornehme Herren herstellten, die sie als Angebinde für die holde Braut oder die anmuthige Hausfrau verwendeten; manchmal mag auch ein Goldschmied mit ganz besonderem Eifer für seine Herzallerliebste ein solch werthvolles Stück angefertigt und dabei sein ganzes Können zum Ausdruck gebracht haben. Zur letzteren Kategorie gehörte der vom Amsterdamer Goldschmied Nikolaus van Benschoten vor zweihundert Jahren hergestellte, dessen Begleitzeilen zu dem Märchen Veranlassung gaben, es sei der Fingerhut erst vor zweihundert Jahren erfunden, zunächst lediglich Luxusartikel und später erst allgemeiner Gebrauchsgegenstand geworden. Was Benschoten „eigens erfunden“, war nicht der Fingerhut an und für sich, sondern der künstlerische Schmuck, welchen er seinem Exemplare verlieh. Fingerhüte aus edelm Metalle mit reichem Schmucke, die nicht für den täglichen Gebrauch verwendet wurden, sondern nur als Schmuckgegenstände dienten, wurden jedoch auch schon früher gefertigt. Der Frankfurter Kupferstecher Joh. Theod. de Bry (1561 bis 1623), der eine Reihe prächtiger Goldschmiedevorlagen gestochen, lieferte auch ein reizendes Blatt mit den Entwürfen schöner Fingerhüte, die auf das Reichste mit ziemlich freien, theilweise mythologischen Darstellungen geschmückt waren. Auf der oberen Abrundung der Fingerhüte sollte ein Amor oder ein Genius, umgeben von den Inschriften: „Force d’amour* Vis amoris“, La puissance d'amour“ (Macht der Liebe) angebracht werden. Derartige kostbare Fingerhüte haben sich vielfach bis auf unsere Zeit erhalten; interessant sind namentlich solche, welche in mehrere Theile zerlegt werden konnten, mit Portraits und Wappen geschmückt wurden und zum Theil die Stelle unserer Medaillons vertraten.

Recht ausführliche Mittheilungen über die Fingerhutfabrikation am Ende des 17. Jahrhunderts erhalten wir aus Christoph Weigel’s „Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten … biß auf alle Künstler Und Handwerker“ vom Jahre 1698, woselbst ebenfalls die Werkstätte eines Fingerhüters und zwar in Kupferstich dargestellt ist, die sich durch reichere Äusstattung von der Jost Amman’schen unterscheidet. Dem Geschmacke jener Zeit entsprechend, finden sich unter dem Bilde, das die Ueberschrift: „Der Tugend starker Schutz, bezwingt der Laster Trutz“, trägt, schwülstige Verse allegorischen Inhaltes (vergl. Illustration S. 773).

Entwürfe zu Fingerhüten nach Theod. de Bry (1561 bis 1623).

Der beigegebene Text erzählt, daß außer in Nürnberg, Köln und Holland Fingerhüter nur an wenig Orten gefunden werden. Es wird ferner berichtet: „Fingerhüte, so man Stern-Hüte mit Knöpffgen nennet, haben oben einen Knopff, welchen man mit Balsam füllen kann, andere aber sind oben offen.“ Weiter wird berichtet: „Es gibt auch gedoppelte Fingerhüte, daran die untere gantz glatt und verguldet, die obere aber, so sehr nett über die untere passen, silbern und gantz durchgebrochen gehauen sind, so gar artig anzusehen.“ Der Verfasser zählt die Gewerbe auf, welche den Fingerhut benützen und von der Nutzbarkeit des Handwerkes der Fingerhutmacher Zeugniß ablegen können. Galant setzt er hinzu: „Insonderheit gebühret ihnen (den Fingerhüten) der Ruhm, daß sie die zarte Finger des Preiswürdigen Frauen-Zimmers bey so viel tausend Stichen, welche sie so künstlich als nützlich zu mancherley Arbeit führen, Stich-frey erhalten, und manches Blut-Vergießen verhüten, welches doch noch offt, wann der Fingerhut nicht alsobald bey der Hand ist, unschuldig vergossen wird.“

Im 18. Jahrhundert rächte sich an den Nürnberger Fingerhütern die uns heute ganz unglaublich scheinende Thatsache, daß der Nürnberger Rath den Meistern die Ausübung von mühsam ersonnenen Verbesserungen und Erleichterungen bei der Fingerhutfabrikation früher verboten hatte; Nürnberg ward gegen Ende desselben von Aachen, Jülich’schen und anderen Orten, wo man Maschinen benützte, die durch Wasserkraft in Bewegung gesetzt wurden, auf dem Gebiete der Fingerhutfabrikation überflügelt.

In der Gegenwart wird der Fingerhut, der jetzt meist aus Stahl hergestellt wird, nicht mehr durch das Kleingewerbe, sondern in großen Massen in Fabriken angefertigt, leider meist ganz schmucklos. Es würde uns eine Genugthuung sein, wenn in Folge dieses Artikels uns recht bald Fingerhüte begegnen würden, welche mit schönen Denksprüchen oder sonstigem passenden Schmucke geziert wären. Die Fingerhüte würden dadurch nicht theurer werden, die Fabrikanten aber gewiß bessere Geschäfte machen. Hans Boesch.