Textdaten
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Autor: Johann Hermann Baas
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Titel: Pflege des Gehörs
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 780, 782–783, 792, 794
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[780]

Pflege des Gehörs.

Von Dr. Joh. Hermann Baas (Worms).

Unzählige feine Nervenfäden nehmen vom Gehirn ihren Ursprung und erhalten von diesem, wie von einer elektrischen Centralbatterie, ihre Erregung und Kraft, darunter ganz besonders die Drähte jener fünf Telegraphenstationen, der Sinne, welche alle Nachrichten von der äußeren Erscheinungswelt in Empfang nehmen, um sie mittelst eigenthümlicher, für eine jede derselben besonders ausgewählter Chiffern, die man gewöhnlich Farben, Töne, Gerüche etc. nennt, als Sinneswahrnehmungen nach dem Gehirn hinzuleiten, damit sie dort zum Bewußtsein kommen und verarbeitet werden. Will Jemand aber grade das Ohr nicht als Telegraphen-, sondern lieber als Telephonstation bezeichnen, so haben wir dagegen nichts einzuwenden.

Unter den fünf Sinnen betrachtet man das Gehör, einer althergebrachten Eintheilung zufolge, als den zweithöchsten, der gemäß dieser Rangordnnng nach dem Auge und vor dem Tastsinn steht. Uns erschien diese Art der Rubricirung zwar immer hinkend; denn wer vermag Dinge, die im tiefsten Grunde doch gleichwerthig unter sich dastehen, in solch „ein verständlich System“ zu bringen? Man höre doch nur auf die Stimme derer, welche einen Sinn verloren haben, und wäre es selbst der niedrigste, wie sie regelmäßig aussagen, sie wollten sehr gern einen anderen für den verlorenen opfern. Immerhin aber wollen wir zugestehen, daß, wenn man die Sache nicht dem innersten Wesen nach, sondern mehr äußerlich beurtheilt, Auge, Gefühl und Ohr den obersten [782] Rang einnehmen; denn sie sind für die Existenz zweifellos die wichtigsten, die wahren Erwerbssinne im praktischen Leben.

Auge und Ohr sind bekanntlich in doppelter Zahl vorhanden, während Geschmack und Gefühl nur je eine einzige Nummer haben. Das letztere ist jedoch durch seine große Flächenausdehnung ausgezeichnet, umfaßt die ganze Haut und erscheint dadurch vervielfältigt. Das Geruchsorgan, obwohl zweigetheilt, ist durch räumliche Annäherung wiederum zu einem Organ geworden. Jene Verdoppelung bei Aug’ und Ohr ist aber eine Schutzvorrichtung von Seiten der Natur; denn geht die eine Hälfte je verloren, so ist durch die andere für einen guten, wenn auch nicht vollen Ersatz vorgesorgt.

Neben diesem Schutze, der in der zweifachen Anzahl liegt, ist für das Gehör noch ganz besonders durch seine tiefe Einbettung in das Schädelinnere und zwar in den festesten Knochen des Körpers, der deßhalb den Namen des Felsenbeins trägt, eine noch viel handgreiflichere Schutzvorrichtung geschaffen. Aber wie wenig unterstützt so oft der Mensch die schützende und erhaltende Absicht der Natur! Man kann dreist behaupten, daß kein Sinnesorgan im Allgemeinen so wenig gepflegt und vor Gefahren geschützt wird, wie gerade das Gehörorgan. Wir sehen dabei ganz ab von der ästhetischen Mißhandlung, zu welcher dasselbe durch die „Klavier-, Gesang- und Koncertseuche“ verdammt ist, sondern denken nur an die rein physischen Gesichtspunkte der Sache.

Es ist deßhalb wohl eine lohnende Aufgabe, vom Standpunkte der alltäglichen Praxis die Gefahren, welche dem Gehör drohen und deren mögliche Verhütung hier zu besprechen, nicht systematisch, sondern nur in den Hauptzügen.

Wie wunderbar vorsorglich die Natur in der ersten Lebenszeit das Gehör behandelt, zeigt die Thatsache, daß das Mittelohr des Kindes – der Raum hinter dem Trommelfell, welcher die zierlichen Gehörknöchelchen enthält – durch einen Schleimpfropf noch Tage lang nach der Geburt verstopft bleibt, so daß das Neugeborne anfangs nicht viel hören kann. Erst allmählich, während der Pfropf aufgesaugt wird, fängt das Kind an, zu hören. Aber wie wenig schonend verfahren im Gegensatz dazu die Eltern und Verwandten! Sobald wie möglich wollen sie wissen, ob das Kind auch gut hört: man ruft es an, damit es das Köpfchen der Stimme zuwende oder gar erschrecke, singt ihm mit lauter Stimme zu; alsbald belästigt man es auch mit Klingeln, Rasseln u. dergl. schönen Kinderinstrumenten, wenn man es nicht etwa gar noch für besser hält, ihm etwas mit den Händen vorzuklatschen, stark genug, daß selbst einem Erwachsenen davon die Ohren gellen. Diesem fast regelmäßigen Unfuge gegenüber ist es wahrhaft zu verwundern, daß das zarte Gehör nicht noch öfter Schaden nimmt, als es vielfach der Fall ist. Wie vor allem das Kinderohr durch solche starken Eindrücke gegen alle feineren Töne abgestumpft wird, geht daraus hervor, daß die meisten Kinder nur auf laute Gehöreindrücke reagiren. Also: man halte das ganze erste Jahr hindurch möglichst alle starken Schallerscheinungen fern, vor allem aber lasse man doch die Rasseln, Schnarren, Pfeifen, Trompeten etc. aus der Kinderstube fort! Es wird dann viel weniger schwer und träge empfindende Gehörnerven geben!

Und wer kann den Gegenbeweis liefern, daß nicht durch solche allzustarke und grelle Gehörseindrücke in frühester Jugend der Grund zu manchen Fällen von Abzehrung und Absterben der von Hause aus gesunden Gehörnerven gelegt wird, woraus dann unfehlbar Taubstummheit erwächst? Denn diese ist ja nicht immer, wie geglaubt wird, angeboren, sondern kann unter Anderem noch in ziemlich später Zeit, wenn das Kind schon zu sprechen angefangen hatte, in Folge einer Ueberreizung entstehen.

Ein weiteres Erforderniß der Gehörpflege bei kleinen Kindern ist die sorgfältigste Reinhaltung der Ohrmuschel, des Gehörgangs und der hinteren Ansatzrinne der Ohrmuschel an die Kopfhaut, da im frühesten Alter im Allgemeinen mehr Haut- und Ohrenschmalzabsonderung stattfindet, als bei Erwachsenen. „Diese Regel ist aber ganz selbstverständlich und wird doch gewiß grade bei Wiegenkindern überall befolgt!“ wird man sagen. Selbstverständlich ist sie freilich, aber es wird ihr recht häufig nicht nachgekommen, so lautet die Antwort der täglichen Praxis. Merkwürdigerweise herrscht sogar vielfach und nicht allein bei dem sogenannten „gemeinen Mann“, sondern noch mehr fast in „höheren Schichten“ das wunderliche Vorurtheil, man dürfe am Kopfe, also auch an den Ohren, keine Seife beim Waschen verwenden, weil dadurch „die Haut angegriffen werde“. Daran ist kein wahres Wort! Man muß sowohl die Muschel wie die Ansatzrinne gründlich mit lauem Seifenwasser täglich reinigen, weiter aber auch den Gehörgang, was fast gar nicht geschieht, mit lauwarmem Wasser öfters ausspritzen und den Eingang zuweilen mit kegelförmig zusammengefalteten zarten Leinwandläppchen auswaschen, nicht reibend, sondern sanft drehend, wodurch jede Abschürfung vermieden wird. Daran denken Amme und Mutter in der Regel so wenig, daß sie, wenn man die Vorschrift giebt, Einen recht verwundert ansehen. Von der Vernachlässigung solcher einfachen Reinlichkeitsmaßregeln rührt aber eine gute Anzahl der nässenden Ohren und Gehörgänge her; denn jeder an der Haut haftende Schmutz, und seien es auch nur kleienartige Schuppen, reizt die Haut oder entzündet sie allmählich. Dadurch wird nach und nach die Muschel verdickt, verliert einen Theil ihrer Elasticität; der Gehörgang schwillt und wird dadurch enger, ja es entstehen selbst Geschwürchen und daraus schließlich Narben. All das aber stört den akustisch so vollkommenen Bau der Schallzuleitungstheile und schwächt das Gehör. „Da müßten aber viele Kinder schlecht hören, wenn jedes Ohrennässen so schädliche Folgen hätte!“ Leider ist das Letztere ja auch der Fall; denn genaue Untersuchung der Hörfähigkeit vieler Schulkinder hat neuerdings die erstaunliche Thatsache ergeben, daß ein Drittel derselben schlecht hört! Anfügen wollen wir deßhalb sogleich, daß die obigen Reinlichkeitsvorschriften auch noch bei mehr erwachsenen Kindern beobachtet werden müßten, am meisten bei solchen mit skrophulöser Anlage, weil erfahrungsgemäß ganz besonders durch diese die Entstehung von Ohrausschlägen und Ohrenflüssen begünstigt wird, die immer leichter zu verhüten als zu heilen sind und oft genug allen ärztlichen Mitteln selbst Monate und Jahre lang widerstehen.

Aber selbst im späteren Lebensalter wird noch gegen die Reinhaltung des Ohres, besonders des Gehörgangs gefehlt. Wäre das nicht der Fall, so fänden sich nicht so viele Schwerhörige, bei denen eine genauere Untersuchung ergiebt, daß ihr Gehörübel auf theilweisem oder auf gänzlichem Verschluß der Ohröffnung durch angesammeltes und zuletzt zu einer festen schwarzen Masse verhärtetes Ohrenschmalz beruht, welches man nur selten noch durch einfaches Ausspritzen nach vorausgegangener Aufweichung mittelst Oel entfernen kann, sondern mit feinen Instrumenten beseitigen muß. In vielen Fällen kehrt das Gehör dann wieder – in manchen sogar so gut, daß die von dem oft jahrelang vorhanden gewesenen Pfropfe Befreiten sich anfangs durch Zuhalten der Ohren gegen die ungewohnten Tagesgeräusche schützen, was manchmal komisch genug aussieht! In andern Fällen aber wird nicht viel oder auch gar nichts mehr gewonnen, weil der so lange nicht mehr thätige Gehörnerv funktionsunfähig geworden ist. Nach des Verfassers Beobachtungen geschieht das Letztere besonders, wenn jahrelange Verstopfung des Gehörgaugs im höheren Alter statthatte. Auch bei Erwachsenen ist demnach zeitweises Ausspritzen der Ohren nothwendig; ganz verwerflich aber ist das Bohren im Gehörgange mit Haarnadeln, Stricknadeln u. dergl. Dingen, mit denen leicht Unheil angestiftet werden kann. Man lasse lieber seinen Hausarzt kommen, damit er nachsehe und helfe, wenn nöthig; ärztliche Hilfe ist ja in Deutschland so leicht zu erreichen und so – billig, ein ordentliches Gehör aber so wichtig, daß man mit gutem Gewissen zu einem solchen „Luxus“ rathen darf. Gelegentlich wollen wir hier noch hinzufügen, daß man sogar Herabsetzung des Sehvermögens bei Gegenwart von Ohrpfröpfen beobachtet hat, nach deren Entfernung sich die erstere wieder verlor.

Wirken die Ohrpfröpfe auch manchmal wie Fremdkörper, so sind sie doch keine solchen im gewöhnlichen Wortsinne; aber auch wirkliche Fremdkörper findet man bei Kindern häufig als Ursache von Ohrflüssen, und zwar von sehr hartnäckigen, so daß es geboten ist, jedesmal bei diesen das Augenmerk darauf zu richten, ob nicht durch Zufall oder ein bei Kindern gar nicht seltenes künstliches Einbringen etwas ins Ohr gelangt ist; denn oft sagen die Kinder davon nichts aus Furcht vor Strafe oder aus Vergeßlichkeit. Erfahren die Eltern aber die Sache sofort oder später, so ist dringend zu rathen, daß sie selbst alle Versuche unterlassen, den Fremdkörper – meist Bohnen, Erbsen, Johannisbrotkerne, Perlen, Kirschkerne u. dergl., auch kleine Kiesel, Glas- und Steinstückchen – zu entfernen; denn durch ungeschicktes Bohren werden diese Dinge nur tiefer in das Ohr geschoben. Leicht ist die Entfernung von Fremdkörpern, auch die von tief eingedrungenen [783] Wattepfröpfen, in der Regel durchaus nicht! Nur manchmal führt Ausspritzen zum Ziel; meist müssen ganz feine ärztliche Instrumente verwendet werden. Also: der Laie bohre nicht erst lange im Ohre herum, sondern sende sofort zum Arzt. Ist jedoch, was im Allgemeinen sehr selten vorkommt, ein Insekt, eine Mücke, ein „hüpfendes“ Thierchen, ein sogenannter Ohrwurm etc. ins Ohr gerathen und veranlaßt dasselbe, was die Regel ist, arge Beschwerden und noch mehr Angst, so ist das Beste, wenn man den betreffenden Gehörgang sofort ganz mit frischem Baumöl vollgießt, wodurch die Missethäter elenden Erstickungstodes sterben. Ist dies geschehen, so spritze man das Ohr mit lauem Wasser aus. Gelangt aber beim Baden, was bekanntlich nicht selten der Fall ist, Wasser ins Ohr, so fahre man ja nicht mit Bleistift, Taschentuch oder dergleichen darin herum, sondern man senke den Kopf tief nach der Seite und hüpfe auf dem entsprechenden Fuße auf und ab, oder man warte, wenn dies nichts nützt, bis durch allmähliche Verdunstung die kleine Unbequemlichkeit beseitigt wird. Es giebt Leute, denen bei jedem Untertauchen während des Schwimmens Wasser ins Ohr dringt: solchen ist zu empfehlen, daß sie vor dem Baden die Gehörgangsöffnung mit einem nicht zu dünnen, reinen Wattepfropfen verschließen, der sich dann mit den Fingern leicht wieder herausnehmen läßt. Es ist dies kein kleinlicher Rath; denn manchmal bewirkt das eingedrungene kalte Wasser nachträglich einen Ohrkatarrh, ja sogar einen meist sehr schmerzhaften Furunkel im Ohr, wie gar mancher Schwimmer an sich selbst einmal erfahren haben dürfte.

[792] Das Verständniß des Folgenden können wir dem Laien nur vermitteln, wenn wir vorher mit einigen Worten auf die wunderbare bauliche Einrichtung des Gehörorgans hinweisen und dabei die nebenstehende bloß schematische, also nicht naturgetreue, sondern nur einen allgemeinen Ueberblick gewährende Abbildung zu Hilfe nehmen.

Die Ohrmuschel, die äußere Ohröffnung und eine kurze Strecke des äußeren Gehörgangs (bis a) kann Jedermann ohne Weiteres sehen; der Rest des letzteren bis zum Trommelfell dagegen (von a bis b) ist nur mit Hilfe von Ohrspiegeln sichtbar zu machen. Das zuletzt genannte Gebilde ist ein papierdünnes Häutchen von der Größe eines Zwanzigpfennigstückes, das bei jedem Schall, der es trifft, hin- und herschwingt, wie das Fell einer Trommel. Dasselbe schließt das verhältnißmäßig weite Mittelohr, die sogen. Trommelhöhle (cc), welche die zierlichen Gehörknöchelchen (f) enthält, nach außen hin ab. Die letztere „Höhle“ ist wiederum ihrerseits nach dem Munde, respektive Rachenraum hin offen (d); sie steht durch die etwa rabenfederstarke, hohle Eustach’sche Röhre oder Ohrtrompete (l) mit diesem in Verbindung. Ganz in Knochen eingebettet liegt das innere Ohr (i) mit seinen halbcirkelförmigen Kanälen und der Schnecke, welche die Ausbreitung des Gehörnerven enthält, auf den sich die Schalleindrücke mittelst der Gehörknöchelchen übertragen.

Schematische Darstellung des Baues des Gehörorgans.
a Aeußerer Gehörgang. b Trommelfell. c Trommelhöhle (mittleres Ohr) mit dbe Gehörknöchelchen (f) und Eingang in die Eustach’sche Röhre (l). d Oeffnung dieser im Nasenrachenraum. i Inneres Ohr mit der Schnecke und den 3 halbzirkelförmigen Kanälen.
k Felsenbein.

Daß das Ohr mit dem inneren Mundraum wirklich in offener Verbindung steht, kann man sich leicht zum Bewußtsein bringen, wenn man Mund und Nase schließt und dann nach hinten zu blasen strebt oder, noch leichter, wenn man, während die Lippen fest zugepreßt und die Nasenöffnnngen mit Daumen und Zeigefinger zugehalten werden, einen ordentlichen Mund voll Luft nach hinten schluckt: es fahren dann, wie es gewöhnlich heißt, die Ohren zu, und es entsteht ein dumpfes Druckgefühl im Ohre selbst, welches daher rührt, daß Luft mit einer großen Gewalt ins Mittelohr durch die Eustach’sche Röhre hindurch getreten ist und das Trommelfell nach außen wölbt. Noch deutlicher wird die Sache, wenn das letztere, was in seltenen Fällen von Geburt aus der Fall ist, eine feine Oeffnung hat; dann dringt die eingetriebene Luft durch diese und den äußeren Gehörgang nach außen und verursacht ein blasendes Geräusch, welches ziemlich weit hörbar wird; die hervorströmende Luft vermag auch eine vorgehaltene Flaumfeder in Bewegung zu versetzen.

Jene offene Verbindung des Ohrs mit dem Nasen-Mundraum (bei d) ist nun nicht allein für das Hören an sich von großer Wichtigkeit (denn auch von der Eustach’schen Röhre aus gehen Schallwellen ins Ohr), sondern sie ist auch für die Schwingungen des Trommelfells (b), für die Existenz des letzteren von großer Bedeutung, mit einem Worte, sie ist zugleich ein Schutzmittel für dasselbe. Von einem starken Schall getroffen, spannt sich das Häutchen nämlich so, daß es nach innen ausgebogen wird; dadurch wird zugleich die Luft in der Trommelhöhle zusammengedrückt. Kann nun ein Theil davon durch die offene Ohrtrompete nach dem Munde entweichen, so ist die Gefahr der Zerreißung für gewöhnlich vermieden; könnte sie aber nicht austreten, so würde von innen her ein starker Gegendruck entstehen, der das Trommelfell zerreißen müßte. Die Existenz der Ohrtrompete ist also wieder einer jener zahlreichen Beweise, wie die Schöpfung beim Aufbau der Organe des Körpers mit wunderbarer Fürsorge auf deren Erhaltung bedacht war!

Die angeborenen Oeffnungen im Trommelfell, deren wir oben erwähnten, sind meist sehr fein und haben deßhalb wenig Einfluß auf die Gehörschärfe. Anders verhält sich die Sache dagegen, wenn solche durch Krankheiten des Ohrs oder durch Zerreißung in Folge plötzlicher, aus nächster Nähe kommender überstarker Schalleindrücke entstanden sind. Vor letzteren sollte das Gehör stets bewahrt bleiben! Und doch geschieht das bei Weitem nicht immer mit der nöthigen Sorgfalt, ja man ruft nicht selten aus Leichtsinn und Uebermuth solche geradezu hervor! Reißt in Folge davon das Trommelfell ein, so sind die Risse meist groß und heilen nur selten wieder vollkommen zu, so daß dauernde Verminderung der Hörfähigkeit zurückbleiben muß; ja es kann diese sogar durch nachfolgende Entzündung im Mittelohr ganz verloren gehen. Muthwillig herbeigeführte Zerreißungen ereignen sich z. B. nicht selten bei sogen, „festlichen Gelegenheiten“, bei denen es ja, besonders auf dem Lande, aber auch in Städten, immer noch aus meist überladenen Böllern heut zu Tage so knallen muß, wie wenn das Schießpulver erst gestern und bloß zur Freude der Menschheit erfunden worden wäre; auch dem Unfuge des Neujahranschießens fällt außer mancher Hand noch so manches Trommelfell zum Opfer. Seltener geschieht das in Folge einer „kräftigen“ Ohrfeige, die außer durch starken Schall auch noch durch plötzliche Luftverdichtung im Gehörgange gefährlich wird. Vor derartigen Züchtigungen sind besonders Lehrer zu warnen, ebenso wie vor dem vielfach beliebten Aufschlagen eines langen spanischen Rohres auf die Schultafel, um durch den plötzlichen Knall sich augenblickliche Ruhe zu verschaffen. Verfasser hat aus beiden Veranlassungen entstandene große Trommelfellrisse beobachtet. Was ist aber zum Schutze des Gehörs zu thun, wenn ein Trommelfellriß nicht mehr ganz verheilte? In der Regel beschränkt [794] man sich am besten darauf, einen kleinen, erbsengroßen Pfropf entfetteter, ganz reiner Baumwolle in den vorderen Theil des Gehörgangs einzubringen und ihn täglich zu erneuern; denn künstliche Trommelfelle – die ersten erfand der Arzt Marcus Banzer im Jahre 1640, der berühmte englische Ohrenarzt Toynbee aber konstruirte das heute gebräuchlichste – sind viel beschwerlicher zu tragen, nützen durchaus nicht mehr, ja oft weniger, und sind überhaupt nur bei völligem Verlust des natürlichen zu versuchen.

An dieser Stelle möchten wir zugleich ernstlich davor warnen, bei jeder geringen Veranlassung, wie leichtem Ohrenschmerz, bei Zahnweh, bei sog. rheumatischem Kopf- resp. Ohrenweh u. dergl., sofort, was allzuoft geschieht, einen dicken Wattepfropf, dazu von oft zweifelhafter Reinheit, in den gar nicht selten auch noch ein Korn Kampher eingewickelt wird, in den Gehörgang zu stopfen; denn ziemlich häufig gleiten diese Pfropfen tiefer und werden im Glauben, sie seien herausgefallen, dann im Ohr belassen, bis ein Ohrenfluß entsteht und der behandelnde Arzt sie entdeckt und entfernt, oder sie bringen auch durch ihre Größe allein schon einen Ausfluß zu Stande. Ist aber ein solcher als selbständige Krankheit vorhanden, so bilden sie, zumal, wenn sie nicht oft genug erneuert werden und nicht aus gereinigter Medicinalbaumwolle bestehen, nur ein Unterstützungsmittel der Eiterung. In diesen Fällen ist einfaches, leichtes Zubinden des Ohres mit einem dünnen Leinen- oder Seidentuche entschieden viel vortheilhafter für die Heilung, weil dabei der Eiter nicht zurückgehalten, zersetzt und schließlich übelriechend wird, wie durch Tragen von Wattepfropfen gar nicht selten geschieht. Jedenfalls muß bei deren Verwendung der Gehörgang um so öfter und gründlicher ausgespritzt werden.

Es bleibt uns jetzt noch übrig, die häufigsten Ursachen dauernder Schwerhörigkeit zu besprechen, und das muß um so mehr geschehen, als der Laie in der Regel gar nicht daran glauben will, daß sie, zu theilweisem, ja allmählich zu völligenn Verlust des Gehörs, dies freilich meistens erst nach langer Vernachlässigung, führen können und thatsächlich oft genug dazu führen. Wir meinen den Schnupfen und die Halsentzündung.

„Wie? ein ganz gewöhnlicher Schnupfen soll das Gehör gefährden? Und was kann erst eine Halsentzündung dem Ohre schaden?“ hört man in der Praxis oft voreilig ausrufen, und so denkt vielleicht auch der Leser.

Wenn derselbe aber gewohnt ist, sich selbst in Krankheiten genau zu beobachten, so wird er gewiß, da er jedenfalls so wenig, wie irgend Jemand, von den zwei genannten Uebeln ganz frei geblieben ist, schon bemerkt haben, daß dabei stets auch eine gewisse Schwerhörigkeit auftritt, sowie daß diese erst völlig verschwindet, wenn jene günstig abgelaufen sind. Und wir wollen hoffen, daß er nicht zu denen gehört, die selbst nach ganz gutem Verlaufe derselben einen geringen Grad von Schwerhörigkeit zurückbehalten haben – ohne es zu wissen.

Leider ist aber die Zahl derer, bei welchen dies der Fall, nicht gerade klein; doch erst, wenn ein Dutzend oder mehr Schnupfen- und Halsentzündungsattacken überstanden sind, kommt ihnen schließlich zum Bewußtsein, daß auch am Ohre viele Wenig ein Viel machen, mit anderen Worten, daß jede noch so kleine Gehörstörung, die nach Schnupfenanfällen zurückbleibt, sich zuletzt zu einer empfindlichen Behinderung der Hörfähigkeit summirt. Das kommt sowohl bei Erwachsenen, wie ganz besonders häufig bei Kindern vor: nicht wenige jener Kinder, die zu Schnupfen und Halsentzündung „Anlage“ haben, in erster Linie also die skrofulösen, hören in der That schlecht, ja oft schon sehr schlecht, bevor das die Eltern beunruhigt, weil die allmähliche Abnahme des Gehörs sich über Jahre erstreckte und man sich daran gewöhnt hatte, immer etwas lauter mit ihnen zu sprechen, „weil die Kinder mit den Jahren bekanntlich immer zerstreuter werden.“ Ja manchmal bekommen sie Strafen zudiktirt, eben weil sie so zerstreut sind, in der Schule aber, weil sie „deßhalb“ so schlecht lernen, im Grunde aber mit Unrecht, weil ja alles das nur Folge schlechten Hörens ist, wie neuere Untersuchungen in zahlreichen Fällen bewiesen haben: es wird ihnen als Unachtsamkeit oder gar als Beschränktheit angerechnet, was doch auf Rechnung ihrer Schwerhörigkeit kommt!

Wie diese Schädigungen des Gehörs in Folge von Schnupfen und Halsentzündung zu Stande kommen, wird auch der Laie sehr leicht einsehen, wenn er unsere obige Abbildung nochmals ansieht und bedenkt, wie leicht jene Krankheiten durch einfache Fortwanderung auf die Eustach’sche Röhre und das Mittelohr übergehen können, weil ja der Weg dahin ganz offen steht. Die Röhre wird dabei entweder vorübergehend durch Schleimabsonderung bei der Oeffnnng d verstopft, die „Ohren fahren zu“, was sich auf kurze Zeit durch das oben beschriebene Luftschlucken oder Blasen nach hinten beheben läßt, oder dieselbe wird in ihrem ganzen Inneren verstopft und verdickt, oder es entsteht selbst schwere Entzündung des Mittelohres, (cc), was alles dann nur sehr langsam oder gar nicht mehr der ärztlichen Kunst weicht, die an sich, wie leicht begreiflich, in solch versteckten Theilen nicht sehr mächtig ist.

Aus diesen Darlegungen ergiebt sich in Bezug auf das Ohr unschwer die hygieinische Regel: man taxire mit Rücksicht auf die leicht mögliche Schädigung des Gehörs Schnupfen und Halsentzündung, namentlich, wenn sie öfters wiederkehren, und ganz besonders bei Kindern, nicht gering, sondern fasse sie als Leiden auf, die leicht ernste Folgen fürs ganze Leben nach sich ziehen können durch Herabsetzung der Hörfähigkeit: man kurire sie richtig aus, wie man zu sagen pflegt.

Zum Schlusse wollen wir noch mit wenigen Worten andeuten, wie gerade das Gehör von allen unseren Sinnen hygieinisch am ungünstigsten gestellt und am ununterbrochensten angestrengt ist; denn selbst im Schlafe wird dasselbe, zumal in Städten, bis zu einem gewissen Grade in Thätigkeit erhalten. Während das Auge in der Nacht durch natürliche wie künstliche Dunkelheit und die Lider völlig gegen die Erregung durch Licht abgeschlossen wird, Geruch, Geschmack und Gefühl aber ohnedies während derselben vollkommen ausruhen, bleibt das Gehör auch des Nachts für seine specifischen Sinneseindrücke halb wach; denn die Geräusche der Straße, der Eisenbahnen und wie sie alle heißen, die Lärmmacher des heutigen Lebens, wirken selbst im Schlafe auf dasselbe, wenn sie auch nicht immer so stark sind, daß wir dadurch erwachen, was übrigens oft genug der Fall ist. Eine Hauptregel der Ohrpflege ist daher auch die, daß man das Schlafzimmer so viel wie irgend möglich von der Straße weg in den allerstillsten Theil des Hauses verlegt, damit auch das Gehör seinen Schlaf möglichst vollkommen genießen kann. Warum haben wohl die Bewohner „der schweigsamen Wüste“, der Prairieen, mit einem Worte die von dem ununterbrochenen Lärm der Civilisation verschonten sogenannten Wilden anerkanntermaßen schärferes Gehör? Unter Anderem gewiß auch deßhalb, weil ihr Gehör nicht fort und fort von Geräuschen getroffen wird, sondern zeitweise ausruhen, und vor Allem, weil es wenigstens ungestört schlafen kann!