Textdaten
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Autor: A. Weber
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Titel: Ueber den Gartenzaun
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40–44, S. 705–710, 725–728, 741–746, 757–760, 773–779
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[705]
Ueber den Gartenzaun.
Erzählung von A. Weber.


Ja, wenn nur der Maulbeerbaum am Gartenzaun nicht gewesen wäre! Der hat die ganze Geschichte auf dem Gewissen. Aber so machen’s die Dinge immer: schon das kleine Kind muß den Tisch schlagen, weil derselbe seinem Köpfchen nicht hat ausweichen wollen. Und mit derselben Tücke stellen sich uns vernünftigen Menschen die unvernünftigen Dinge unser ganzes Leben lang in den Weg, so daß wir über sie stolpern und uns stoßen müssen; oder sie reizen uns, bis wir um ihretwillen Sünde thun und hinterher den Schaden davon haben.

Und so ist es, wie gesagt, der Maulbeerbaum, welcher diese Geschichte auf seinem Gewissen hat – er und allerdings auch zwei Ohrfeigen, die in zwei kritischen Augenblicken gegeben und empfangen wurden; aber der Maulbeerbaum ist doch der eigentliche Schuldige. Er stand dicht an einem Zaun, welcher die Gärten zweier merkwürdig gleichartiger Bauernhäuser in Szegedin trennte. Aber versteht mich recht: nicht die völlige Gleichartigkeit dieser Gebäude an sich wäre merkwürdig gewesen; denn der weitaus größte Theil der großen Stadt Szegedin besteht aus Reihen von niedrigen, mit weißem Kalk beworfenen Bauernhäuschen, welche für das Auge des Fremden einander so ganz und gar gleichen, daß er in diesen Straßen sich verirren kann, wie ein Unkundiger auf der weiten See oder in der Heide aus Mangel an unterscheidenden Merkzeichen. Von allen diesen weißen Bauernhäuschen heben sich die erwähnten zwei durch ihre Eigenart stark ab. Das eine hat grüne, das andere rothe Fensterläden und Thüren und in umgekehrter Reihenfolge das eine rothe, das andere grüne Quadrate über den weißen Wänden; denn sie bestehen nicht aus Lehm, sondern aus Fachwerk, und zeigen diesen Vorzug durch besagte Malerei. Ferner sind sie, wenn möglich, noch sauberer als die anderen Häuschen, haben auch jedes ein Vorgärtchen, dessen Buchsbaum, Narcissen und Lilien im Sommer mit dickem Staub bedeckt sind, in den übrigen Jahreszeiten aber im Sumpf versinken. Geht man durch die grün oder roth bemalte Hausthür, so tritt man bei beiden Häusern linker Hand in eine Küche, welche von schön bemalten Näpfen und Löffeln schillert und in deren Estrich mit Wasser geometrische Figuren gegossen sind, rechter Hand aber in ein großes Zimmer, welches den unerhörten Luxus eines Sofas und eines großen Spiegels aufweist. Geht man dagegen durch die hintere Thür in den Hof, so findet man in dem Vordertheil des einen kindliche Versuche, in abgezirkelten Beeten eine Art von Teppichgärtnerei zu erzielen, in dem des andern schöne, wohlgepflegte, alte Bäume, Flieder- und Jasminsträucher und dicht am Zaun einen Maulbeerbaum, eben jenen schon genannten Schuldigen, der seine mächtigen Zweige weit in den Nachbargarten hineinstreckt und demselben den einzigen Schatten spendet, welchen er überhaupt aufzuweisen hat. Diese beiden [706] Anwesen verdanken alle ihre ausgezeichneten Vorzüge, die eingebildeten wie die wirklichen, der grimmigen Feindschaft ihrer Besitzer, welche diesmal nicht, wie es sonst wohl zu geschehen pflegt, die Feinde dazu getrieben hat, einander ruiniren zu wollen und dadurch sich selbst zu ruiniren, sondern dazu, es sich gegenseitig in allen Tugenden zuvorzuthun. Und dieser rühmliche Wettlauf ist wohl aus der Entstehung der Feindschaft zu erklären. Es war, um es nur gleich herauszusagen, in Haß umgeschlagene Liebe.

Er, der ziemlich passive Held dieser Geschichte, hieß Janos und war im Beginn seiner Laufbahn Utvaros (Hausknecht) in dem größten Mädchenerziehungs-Institute Szegedins; sie, die Heldin, hieß Terka und war Köchin in demselben Hanse. Er war ein so hübscher Bursche, wie man nur einen in den weiten Pußten Südungarns treffen kann; sein schlanker, geschmeidiger Wuchs, seine schwarzen Augen, feine krausen Haare, die kühne Nase und die rothen Lippen mit dem verwegen zugespitzten Schnurrbärtchen thaten es allen Mädchen an. Und tanzen konnte er! Kein besserer Csardastänzer war weit und breit zu finden. Nur arbeiten mochte er nicht gern; doch war ihm das nicht sehr zu verdenken; denn Lasten schleppen verdirbt den geraden Wuchs und Holzspalten schlanke Hände. Auch brauchte er sich nicht übermäßig anzustrengen. Das thut ein Szegediner Utvaros überhaupt selten und ein hübscher nun gar nicht! Wozu wären da die Mädchen auf der Welt, welche die schmucken Bursche so gern haben?

Seit Janos vollends bei der Terka in Gunst stand, war sein Los beneidenswerth; denn eine Köchin ist beinahe allmächtig in Szegedin. Vor ihr zittert selbst die Hausfrau, und der Herr hält sie mit Geschenken und Schmeicheleien bei guter Laune, damit sie ihm die Apfelkrapfen und Schinkenfleckerl und den Paprika zu seiner schmunzelnden Zufriedenheit bereite. Ob es aber ein unabänderliches Naturgesetz ist, daß alle Szegediner Köchinnen häßlich sein müssen, weiß ich nicht; Thatsache ist, daß ich nie eine hübsche gefunden habe. Vielleicht trägt der Umstand dazu bei, daß ein mehr oder minder ehrwürdiges Alter zur Bekleidung dieses Amtes erforderlich zu sein scheint, vielleicht mehr noch der, daß die Köchin sich kontraktlich ein- bis zweimal in der Woche berauschen und auch an den übrigen Tagen eine ziemlich große Menge Weines zu sich nehmen darf.

Da aber unsere Terka von diesem Vorrechte nur mäßigen Gebrauch machte, so waren ihre breiten Backen noch nicht gar zu blauroth geworden und ihre derbe Gestalt noch nicht allzu sehr aus einander gegangen. Auch hielt sie viel auf ihren Anzug, flocht ihr schwarzes, dickes, straffes Haar am Wirbel des Kopfes so fest in den üblichen Mongolenzopf und durchwand ihn Sonntags mit so breiten rothen Bändern, daß sie – mindestens in ihren eigenen Augen – eine gar nicht üble Person war. Sie hatte freilich schon das bedenkliche Alter von vierundzwanzig Jahren erreicht, ein Alter, in welchem in Szegedin die Mädchen mehr zur Köchin als zur Frau begehrt werden. Was that das aber, da sie und Janos sich dennoch ineinander verliebt hatten? Eigentlich hatte der Zeit nach Terka sich zuerst in den Janos verliebt. Er sah wirklich zu hübsch aus, wenn er ihr den großen Henkelkorb auf den Markt nachtrug und dazu einen Csardas pfiff oder ihr ein keckes Wort zuraunte. Terka hob dann noch einmal so stolz den Kopf, denn sie merkte wohl, wie die vierschrötigen walachischen Marktweiber hinter ihr und dem Janos die Köpfe zusammensteckten. Ja, sie konnten weit suchen, bis sie eine Köchin fanden, welche einen so stattlichen Utvaros hinter sich hatte wie die Terka!

Dem Janos aber schmeichelte die Vorliebe der gestrengen Köchin, die ihm durch die vier Jahre, welche sie vor ihm voraus hatte, noch besonders imponirte, und da die Eitelkeit viel mehr noch der Männer als der Frauen schwächste Seite ist, so eroberte Terka von dort aus sein Herz, wenn auch vorläufig ohne weitere Folgen; denn an Heirath dachte wohl sie, nicht aber er.

Nun war gerade in die Zeit, da die Beiden ziemlich stark in einander verliebt waren, der Karfreitag gefallen, der eine von den beiden Tagen, welchen die Szegediner durch gänzliche Enthaltung von aller Speise heiligen und welcher neben dem Weihnachts-Heiligabend dem Herrn Sarosdy, dem Institutsvater, wie ihn die Pensionärinnen unter sich nannten, stärkere und zahlreichere Seufzer erpreßte, als alle übrigen dreihundertdreiundsechzig Tage des Jahres zusammengenommen.

Am heurigen Karfreitag goß es zur Vollendung der Plage in solchen Strömen vom Himmel, daß die ungepflasterten Straßen sich im Nu in Sümpfe verwandelten und dem Herrn Sarosdy das einzige Mittel nahmen, den Tag zu kürzen: das Schlendern von einer Kirche zur andern. Das heißt, er hätte ja freilich mit seinen hohen Stulpstiefeln ungefährdet die Pilgerreise unternehmen können, wozu aber, da er genau wußte, daß von allen den hübschen Frauen und Mädchen, welche sonst die Kirchen bevölkern, heute auch nicht das kleinste Stirnlöckchen dort zu erblicken sein werde! Und da an diesem Tage jede Weinstube geschlossen, das Anrühren von Karten verboten war, da Madame, die Gattin und Institutsvorsteherin, heute den unschuldigsten Spaß mit den Pensionsfräulein durch strenges Stirnrunzeln bestrafte, da man nicht einmal ein Buch aufschlagen durfte – in welche Versuchung übrigens Herr Sarosdy seit seinen Studienjahren noch nie gerathen war – was sollte er Anderes thun, als seufzen? Und wer konnte es ihm verdenken, daß er mit lautem „Eljen Sarody néni!“ („Es lebe Tante Sarosdy [Scharoschdi]!“) das kleinste Institutsfräulein, die achtjährige serbische Katicza, bis über seinen grauen Kopf hob, als seine Gattin schon um drei Uhr Nachmittags die Behauptung aufstellte, die Sonne sei bereits untergegangen, und den Tisch decken ließ, welcher nun in der ganzen Länge des kleineren Schulsaals mit Kuchen, Kaffee, Fleisch und eingelegten Früchten besetzt wurde.

War nun seine Empfänglichkeit für solche Genüsse gesteigert, oder hatte Terka sich wirklich besondere Mühe gegeben; genug, Herr Sarosdy fand die Aprikosenkrapfen so vorzüglich, daß er die Köchin hereinrufen ließ und ihr eine launige Lobrede in sehr schlechtem Ungarisch hielt; denn Herr Sarosdy war wie viele Ungarn früher deutscher Abstammung gewesen, hatte „Gärtner“ geheißen und war erst, als die magyarische Abstammung Modesache wurde, zu dieser, seinem magyarischen Namen und seinem schlechten Ungarisch gekommen. Außer der Lobrede aber verehrte Herr Sarosdy der Terka noch einen ganzen Papiergulden, und die überglückliche Köchin trug das Geschenk gleich nächsten Tages den Weg, welchen alle Ersparnisse aller ungarischen Köchinnen gehen: „ins Terno“, die Lotterie, welche dreimal wöchentlich ihre Ziehungen hält. Sie setzte den Gulden auf die Nummer vierundvierzig, welche sie durch Addiren von ihrem Alter zu dem des Geliebten unter schwerem Kopfzerbrechen gefunden hatte. Zwar sah sie im Traume der nächsten drei Nächte jedesmal die Zahl fünfzig mit leuchtender Schrift auf dem Kuchenblech stehen und machte sich schwere Vorwürfe, daß sie ihr Glück nicht auf diese Ziffer gebaut hatte, welche das Alter ihres Gönners bezeichnete; aber diesmal wie immer trug die Liebe über die Pflicht der Dankbarkeit den Sieg davon; die Nummer vierundvierzig kam heraus und zwar mit dreihundert Gulden.

Dieser Erfolg machte die Terka närrisch, den Janos hingegen klug; er fühlte plötzlich, daß er ohne Terka nicht länger leben könne, und da Terka in Bezug auf Janos im Stillen schon lange zu dem gleichen Schluß gekommen war, so beschlossen die Beiden, schon am zweiten Pfingstfeiertage Hochzeit zu machen.

Der erste Pfingsttag war herangekommen; Janos und Terka kehrten aus der Kirche zurück, wo sie als Vorbereitung für ihre Hochzeit zusammen die Messe gehört hatten. Terka wollte den letzten Abend ihres Mädchenlebens bei ihrer alten Mutter verbringen, welche sie bei einer Bäuerin in Kost und Pflege gegeben hatte. Aber es war ein so schöner Nachmittag: die Sonne leuchtete, die Oleander vor den Häusern blühten, ein schier betäubender Duft voll Rosen und Nelken zog aus den ummauerten Hofgärten durch die Straßen, eine bunte Menge geputzter Menschen strömte aus den dunkeln Kirchen heraus in das Licht des Maitages, den großen Plätzen zu, von welchen her Geige und Cimbal zum Csardas lockten! In Terka’s Adern wallte das Blut; eine unbestimmte und furchtsame Sehnsucht glühte in ihr auf. Sie scheute zum ersten Mal das Alleinsein mit ihrem Geliebten und mochte ihn doch nicht lassen und ihr glühendes Herz in der dumpfen, dunkeln Stube der kranken Mutter abkühlen. So faßte sie Janos bei der Hand und zog ihn in das dichteste Gewimmel der Menschen hinein, die dem großen Marktplatz der oberen Stadt zudrängten. Janos, dem ziemlich gleichgültig zu Muth war, tanzte gern und folgte der Braut willig. [707] Der Csardas wogte schon her und hin. Die Geige schrie, das Cimbal hämmerte, zuckte und wirbelte, wie Terka’s Herz und Kopf. Mit voller Leidenschaft begann sie sofort die zuckenden Tanzschritte zu machen und jauchzte hellauf, wenn Janos sie umschlang, mit wilder Schnelle herumdrehte und sie wieder fahren ließ, worauf sie dann floh, um ihm um so feuriger in die Arme zu fliegen. Eine volle Stunde schon hatte sie getanzt, ohne zu ermüden. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung und fühlte nur, daß das wilde Gewoge ihre Lust verstärkte und ihr mehr Sicherheit gab.

Janos dagegen, dessen Blut, wie gesagt, ziemlich ruhig floß, hatte bald in Nähe und Ferne viele Einzelheiten betrachtet, und sein Blick war vorzugsweise auf einem Paare ruhen geblieben, welches dicht neben ihm tanzte. Das Paar, ein Bauer und eine Bäuerin, Beide am Ende der Dreißiger stehend, war natürlich kein Ehepaar, da die Beiden sonst, so schloß Janos, nicht mit einander getanzt hätten. Aber obgleich die Bäuerin viel älter und keineswegs hübscher war als seine Braut, fiel doch der Vergleich, welchen Janos zwischen den Beiden zog, sehr zu Ungunsten der Letzteren aus; denn Terka hatte wohl ihren Zopf mit handbreiten rothen und grünen Bändern durchflochten und die verhältnißmäßig zierlichen Füße in hübsche graue Atlasschuhe mit grünen Rosetten gesteckt; sonst aber trug sie, wie alle geringeren Leute, nur ein helles Battistkleid, und ihren Busen umspannte ein Mieder von schwarzem Tuch. Die Bäuerin dagegen trug ein vielfältiges Kleid von schwerer rother Seide; ihren hartknochigen Oberkörper umschlossen ein goldgeschnürtes Sammetmieder und ein rothseidenes Busentuch, und um das scharfe Gesicht schlang sich ein Kopftuch von ebenfalls schwerer Seide; ein großes, schwarzseidenes Umschlagetuch mit eingestickter Blumenborte hatte sie sich der Hitze wegen über den Arm gehängt. Und ihre großen, tiefliegenden schwarzen Augen blickten unverwandt zu Janos hinüber. Der ärgerte sich unwillkürlich, daß er nicht seinen Hochzeitsstaat anhatte, und freute sich, daß sein schlanker Wuchs auch in den älteren Kleidern der reichen Bäuerin in die Augen stach. Je öfter er nach ihr hinsah, desto mehr erblich der Reiz der rothen Wangen und der liebeglänzenden Augen Terka’s vor der Pracht der rothen Seide und der goldglänzenden Schnüre. Als vollends die Zigeuner wieder einmal den Csardas in den wiegenden „Lassan“ des ersten Theiles übergehen ließen, da trat die Bäuerin einen Schritt von ihrem Partner weg zu Janos hin, Janos aber that fünf Schritte von Terka fort zur Bäuerin. Nun wiegten sich die Beiden vor einander in den Hüften, und Janos sah mit aufleuchtenden Augen in die düstern der Bäuerin, die ihren Ausdruck nicht änderten, aber unverwandt an ihm hingen.

Terka hatte nur einen Augenblick allein gestanden; im nächsten wiegte sich der Bauer vor ihr in den Hüften und sah sie dabei zuerst mit grimmiger Miene, dann wie wägend und schätzend an.

Auch Terka betrachtete ihren Partner; er hatte ein verwettertes Gesicht mit ungeheurem Schnauzbart, sah trotz seiner listig funkelnden Aeuglein eher dumm als klug, aber sehr gutmüthig aus; seine Gestalt war auch verwettert und ausgearbeitet, starkknochig und so wenig elastisch, wie die von Leuten wird, welche lange Zeit schwere Arbeiten verrichtet haben. Aber das hagere Bein steckte in bestem Tuch und hohen Stulpstiefeln; eine rothe Weste mit großen silbernen Knöpfen öffnete sich über einen reichgestickten Gurt, und der Szür (Mantel), welchen er über den knochigen Schultern trug, war von feinster, weißer Wolle, über und über bedeckt mit kostbarer Handstickerei von bunter Seide. Der Bauer war also reich, und Terka hätte mit dem Tausch des Tänzers zufrieden sein können; aber ihr Herz brannte und bebte in einem unklaren Gefühl von Gekränktheit, Scham, Eifersucht und Liebe. Indeß war es so sehr üblich, im Csardas den Partner zu wechseln, daß sie vorläufig keinen rechten Grund zum Zorn hatte und den aufsteigenden Argwohn niederhielt.

Der Bauer hatte sie indeß immer schweigend betrachtet; ihre stattliche Fülle mußte nach seinem Geschmack sein; denn er sagte mit wohlgefälligem Augenzwinkern:

„Bist ’ne saubere Dirn!“ Dann mit einem Augenwink nach dem Nachbarpaar: „Wohl Dein Liebster? He?“

Terka schoß das Blut ins Gesicht, und sie antwortete rasch und scharf: „Wir wollten morgen Hochzeit machen.“

„Wollten?“ fragte der Bauer. „Wollen jetzt nicht mehr? He? Er will nicht? Oder Du willst nicht? He?“

„Was geht das Euch an? Ihr seid unverschämt!“ rief Terka zornig.

„Geht mich schon an,“ sagte der Bauer nun grimmig. „War mit der da versprochen, mit dem dalketen Fratz da, der verliebten Bäuerin. Ich Wittwer, sie Wittwe … Nachbarn! Reich! Keine Kinder! In vier Wochen Hochzeit … Vorhin a bissel gezankt,.. Und nun? Dank schön! Ess’ kein abgefall’nes Obst. Ist wurmstichig. Solltest es auch so machen, Dirn’!“

„Ich brauch keinen Rath; weiß mir selbst zu helfen,“ brauste Terka auf. Der Bauer aber erwiderte gutmüthig:

„Auch gut! Resolutes Frauenzimmer. Gefällst mir.“

Der eifersüchtige Argwohn in Terka’s Herzen war nun aber üppig ins Kraut geschossen. Sie that sich Gewalt an, die Augen von dem Nachbarpaar ab und ihrem Partner zuzuwenden; aber sie drehten sich unwillkürlich immer wieder nach der Seite hin. Der Csardas wogte wilder; man trug Wein von den benachbarten Schenken herbei; die Männer griffen begierig nach den Gläsern; lautes Jauchzen übertönte schon die schrille Geige. Die Bäuerin winkte während des Tanzes mehrere Male den Schenken herbei, nippte ein wenig von dem rothen Wein und reichte ihn dann dem Janos, der ihn in einem Zuge herunterstürzte. Beider Augen wurzelten in einander. Der Terka Herz und Wangen brannten im Zorn; ihr Tänzer betrachtete sie schmunzelnd. Jetzt reichte die Bäuerin während des Tanzes wieder ein Glas dem Janos hin; als er es nahm, verzog sich ihr Gesicht zum ersten Mal zum Lächeln, und sie nickte ihm zu. Da stürzte er den Wein herunter, warf mit einem hellen Jauchzer das Glas in die Luft, umfaßte die Bäuerin, wirbelte sie umher, und als sie athemlos stillstand und ihn mit ihren brennenden Augen ansah, stieß er wieder einen Jauchzer aus und küßte sie auf den Mund.

Kaum hatte er’s gethan, so verflog im Schreck sein Rausch zur Hälfte; er blickte unwillkürlich nach Terka hin, die schneebleich und nach Athem ringend mechanisch die Bewegung des Tanzes machte. Noch ganz unter dem sinnverwirrenden Einfluß des Rausches, und doch im unklaren Reuegefühl trat er rasch auf sie zu und sagte:

„Na, Terka, bist ja ganz blaß, Schatz! Nimm’s Dir nicht so zu Herzen, wenn ich ’ne Andere hübsch finden und ihr ’nen Kuß geben thu’. Da hast auch einen.“

Er legte den Arm um sie und wollte sie küssen. Sie aber, blaß bis in die Lippen, bog sich weit zurück und schlug ihn ins Gesicht.

Ein lautes Lachen scholl aus zwei Kehlen; vor Wuth ebenso blaß wie Terka, aber mit einer flammendrothen Wange sah sich der Bursche um.

Noch immer lachend trat die Bäuerin auf ihn zu.

„Ich lach’ über die da,“ sagte sie, mit dem Finger auf Terka deutend. „Wie dumm sie ist! Nun ist’s doch aus zwischen Euch Beiden. Komm her, ich hab’ Dir was zu sagen.“ Sie faßte Janos bei der Hand und zog ihn fort, in dichtes Gewühl hinein.

Terka stand noch einen Augenblick wie angewurzelt. Dann stürzten ihr die Thränen aus den Augen; sie drehte sich kurz um und ging, immerfort schluchzend und nichts um sich her sehend, weiter und weiter durch die heißen, staubigen Gassen bis an die Theißbrücke. Hier forderte ihr der Zöllner die zwei Kreuzer Zoll ab, und da sie nicht einsah, warum sie für ihren Gram noch bezahlen sollte, so stand sie still, sah, daß die Kaufbuden an der andern Seite des Weges geschlossen und die Gassen ganz menschenleer waren, setzte sich Platt in den Sand am Ufer des trägen gelben Wassers, legte die Schürze über die Augen und heulte laut. Dann, als sie sich des Schmerzes ersättigt hatte, nahm sie die Schürze von den Augen und schaute sich um. Da stand der Bauer, sah auf sie und lachte.

Sie wollte in zorniger Scham aufspringen; er aber sagte: „Bleib sitzen, Dirn’! Hast’s recht gemacht mit dem dalketen Bub’. Gefällst mir. Aber was nun? Abbitten? Ihn doch heirathen?“

„Nimmermehr!“ schrie Terka auf; denn die Worte stachen sie so stark ins Herz, daß sie schreien mußte; aber desto größer war ihr Zorn auf den ungetreuen Janos.

Der Bauer nickte und schmunzelte. „Ist schon recht. Gefallt mir,“ sagte er wieder. „Aber die Hemdlein sind genäht, die Betten gestopft, der Kuchen ist gebacken. Wer ißt ihn? Dein Blut kocht. Meins auch. Und Du gefällst mir. Was meinst, [710] Dirn’? Wir sind Beide betrogen. Jetzt lachen sie über uns. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. Sie denkt natürlich, ich nehm’ sie doch, weil sie reich ist; und er denkt, Du kommst zu ihm zurück, weil Du in ihn verliebt bist. Wollen wir ihnen ein Schnippchen schlagen? Was meinst? In zwei Wochen bist Du Bäuerin und ’ne reiche dazu. Und ich hab’ ’ne saubere junge Frau. Was meinst?“

Terka trat zurück, bis ins Herz erschrocken. Ihr ganzes Wesen wehrte sich gegen den Antrag.

„Nein,“ stammelte sie, „nein, Bauer! Ich kann nicht.“

„Na, überleg’s Dir, ich komme nach ’ner Stunde zurück,“ sagte der seltsame Freier ruhig. „Willst dann nicht, so geh fort; willst, so bleib’ hier sitzen; das soll meine Antwort sein. Ueberleg’s recht. ’s kommt nicht alle Tag’ ein reicher Bauer nach Dir.“

Er ging über die Theißbrücke in den Park.

Und Terka saß im Sand und überlegte. Das heißt, sie fing wieder an heftig in ihre Schürze zu weinen und dünkte sich die gottverlassene ärmste Kreatur auf der ganzen Welt, und da ihr von dem starken Schluchzen das Herz bis in den Hals hinauf weh that, dachte sie, daß sie nun alle Tage ihres Lebens so werde verweinen müssen; denn was konnte einer verlassenen Braut noch Gutes auf der Welt beschieden sein?

Dann warf sie einen rechten Haß auf den Janos, den schlimmen Buben, der sie in Elend und Schande gestoßen – denn es war doch immerhin eine Schande, einen Tag vor der Hochzeit verlassen zu werden! Und sie war vierundzwanzig Jahre alt! Wer würde sie noch freien?

Nun nahm sie die Schürze von den Augen, Wer sie freien würde? Ei, ein reicher Bauer in den besten Jahren hatte sie so sauber gefunden! Sie verweilte bei dem Gedanken, denn er richtete ihren gedemüthigten Stolz wieder auf. Sie war also noch hübsch und begehrenswerth und würde das dem ungetreuen Janos beweisen.

Wie er sich ärgern würde, wenn er sie sehen würde, wie sie als reiche, angesehene, vom alten Mann gehätschelte Bäuerin im Hause herumhantirt und die Dienstboten ausschilt!

Sie konnte sich dann Dienstboten halten! Vielleicht nahm sie einmal den Janos zum Utvaros! Sie lachte hell auf bei dem Gedanken.

„Nu, bist ja schon gar lustig!“ rief hinter ihr plötzlich der Bauer. „Schön, daß Du da sitzest,“ fuhr er fort, als er auf sie zugekommen war. „Also heut über vierzehn Tage ist Hochzeit. Gilt’s? Schlag’ ein!“

Er reichte ihr die Hand hin, und Terka legte nach kurzem Zögern die ihre hinein.

Als an einem der nächsten Tage Terka den Janos vor dem Hause ihrer Mutter stehen sah, schlug sie ihm die Thür vor der Nase zu und riegelte sie zum Ueberfluß mit großem Geräusch ab.

Als an demselben Tage die Bäuerin dem Bauern einen großen Wels mit schönem Gruß hinüberschickte, warf der Bauer das Thier über den Hofzaun, gerade in der Bäuerin Schoß hinein.

Und Terka weinte nach ihrer Kundgebung ein paar Stunden, und der Bauer lachte nach der seinen und sagte bei sich: „’s ist gut so; krieg ’ne saubere, junge, arme Frau, die mir um den Bart gehen wird, und an der sich meine Augen verlustiren können, statt ’ner alten, geizigen, herben Hex’. Ei, wie sie sich ärgern soll, wenn sie am Sonntag die Ueberraschung haben wird!“

Und ganz heimlich betrieb er die Anstalten zur Hochzeit. Auch Terka flüsterte in den vierzehn Tagen, während welcher sie mehr weinte, als lachte:

„Ei, wie er sich ärgern soll, wenn er die Ueberraschung haben wird!“

Und eine Ueberraschung wurde es, aber für beide Paare. Denn als am bezeichneten Sonntag nach der Messe der Bauer mit Terka von der einen Seite her an den Altar trat, kam Janos mit der Bäuerin von der andern Seite im Hochzeitsstaat daher.

Auch dieses Paar hatte dem andern eine Ueberraschung bereiten wollen.

Da wurden denn zwei Ehen in halbem Aerger und halber Verliebtheit geschlossen. [725] Terka’s Ehe hatte einen besseren Fortgang, als ihn der Anfang versprach; denn der „alte Pista“, wie Terka ihren Vierziger bei sich nannte, war gutmüthig und verliebt und that seiner jungen Frau Alles zu Gefallen. Terka aber war nicht unempfänglich für seine Güte und für die Annehmlichkeiten eines eigenen, reichen Hauses, und da sie von Natur arbeitsam war, machte ihr das Wirthschaften Vergnügen. Doch gab es ihr allemal einen Stich ins Herz, wenn sie über den damals noch niedrigen Gartenzaun hinweg den Janos mit der Martscha in verliebtem Getändel sah; denn die Beiden prahlten vor ihr ohne Scheu mit ihrer Zärtlichkeit. Als nun einmal der alte Pista dazukam, lief Terka ihm entgegen und fiel ihm um den Hals; aber [726] als Pista, ganz erfreut über ihre plötzliche Zärtlichkeit, ihr einen herzhaften Kuß gab, da schämte sich Terka ihrer Heuchelei, der Prahlerei ihrer Nachbarin und ihrer eigenen sündigen Eifersucht zugleich von ganzem Herzen, entschloß sich kurz und legte auf den Gartenzaun so viele Latten, das; Niemand mehr herüber und hinüber sehen konnte. Und dann wirthschaftete sie eifrig, bis eine gewisse Zufriedenheit über sie kam, aus welcher vielleicht ein ruhiges Glück hätte entstehen können, wäre ihre Ruhe nicht bald wieder erschüttert worden.

Nach kaum Jahresfrist gebar die Frau Martscha ein Knäblein, und es ward nun im Nachbarhause ein so großes Gethue und Gerenne, so feierliche Taufe und so viel Kindergeschrei und -Jauchzen, daß das Alles Wohl über den Zaun in Terka’s stillen Hof und in ihr Herz dringen mußte. Denn sie selbst hatte nicht ein gleiches Glück, und als die Jahre kamen und gingen, trug ihre vergebliche Sehnsucht über alle durch Arbeit mühsam errungene Ruhe den Sieg davon.

Nun ward sie ehrgeizig. Da sie der Martscha und dem Janos in dem einen, besten Stück nachstehen mußte, so wollte sie es ihnen in allen übrigen zuvorthun, und sie begann damit, daß sie statt des alten Lehmhauses ein neues von Fachwerk ausführen ließ.

Aber siehe da, als der zweite Sommer kam und Terka’s Haus im Rohbau fertig war, wurde das Nachbarhaus niedergerissen. Auch Janos war ehrgeizig geworden. Hätte Terka durch die Mauern und in die Herzen sehen können, sie hätte Janos minder heftig beneidet. Denn er hatte schon nach wenigen Monaten mehr Haare in seinem Glück gefunden, als Terka bei allem wirklichen Schmerz je in dem ihren fand. Die alte Martscha war bei aller Verliebtheit in ihren schmücken Gatten doch sehr stark von dem Bewußtsein durchdrungen, daß sie ihn zu sich emporgehoben und ihm ein großes Glück in den Schoß geworfen habe. Das sollte er ihr denn auch gehörig danken durch fortwährende zärtliche Aufmerksamkeit und gehorsamen Fleiß. Und weil sie die Stärkere war, so zwang sie den Mann zur Fügsamkeit und Arbeit; das behagte ihm schlecht. Weil er aber phlegmatisch, herzenskalt und leichtsinnig war, so konnte sie ihm mit allem Schelten nicht bis ans Herz kommen, und das reizte und grämte sie, und sie arbeitete und rang sich an ihm matt bis zur Verzweiflung. Als nun das Kind geboren wurde, war ihr das freilich eine große Genugthuung und gab ihr in ihren eigenen Augen wieder ein Stück von jener Wichtigkeit, welche die aalglatte Gleichgültigkeit ihres Mannes erschüttert hatte; aber sie war zu alt, zu hart und prosaisch, um nicht das viele Windelwaschen und Kindergeschrei als eine große Unbequemlichkeit zu empfinden und öfter ungeduldig als herzensfroh über ihren Kleinen zu werden. Janos nun gar war in heller Verzweiflung über die schlechten Nächte, die ihm die kräftige Lunge seines Söhnleins bereitete; denn den Schlaf hielt er für das größte aller Erdengüter. So wurde er diesseit des Zaunes nicht weniger von Herzen neidisch auf das ruhige Wohlleben der Terka, als diese jenseit des Zaunes den Janos um sein zappelndes Glück beneidete. Beide sahen im Geschicke des Andern nur das Licht und im eigenen den Schatten.

Darum dachte Janos, als Terka sich ein neues Haus baute, sie könne es vor Uebermuth im alten nicht mehr aushalten, und da er ihr zeigen wollte, daß er ebenso viel könne wie sie, so riß auch er sein altes Haus nieder und baute sich genau ein eben solches wie das der Terka war. Seine Frau war damit einverstanden; sie haßte Terka viel mehr als er; denn sie war eifersüchtig auf die jüngere Frau, welche jetzt, da sie den Mongolenmädchenzopf abgeschnitten hatte, im zierlichen Kopftuche der Frauen beinahe hübsch aussah. Als nun Terka ihre Fensterladen grün anstreichen ließ, malte Janos die seinen roth, worauf dann Terka ihre Querbalken roth anstrich und Janos die seinen grün. Als dann die Häuser von außen und innen fertig waren, schaffte sich Terka ins Wohnzimmer ein mit Kattun bezogenes Kanapée und einen Querspiegel im Barockrahmen, und Janos, welcher die Sachen ins Nachbarhaus hatte tragen sehen, kaufte ein Sofa mit Wollbezug und einen Pfeilerspiegel. Als Terka im Hause nichts mehr für ihren Ehrgeiz zu thun fand, verfiel sie auf die Idee, auch ihren Hofgarten ganz anders zu gestalten als alle Nachbargärten, und sie ließ die alten Bäume herunterschlagen und Teppichbeete anlegen. Als aber Janos ihrem Beispiel folgen wollte, fiel ihm seine Frau in den Arm.

„Die da drüben wird sich noch genug darüber ärgern, daß sie die schönen Bäume niedergeschlagen hat, daß die Sonne ihr den armseligen Plunder von buntem Kraut versengen und in die Zimmer brennen wird,“ sagte sie mit möglichst lauter Stimme und wies mit dem Daumen über die Schulter nach dem Zaune, hinter welchem, wie sie wußte, Terka stand.

Da ließ Janos seine Bäume stehen, und Terka ärgerte sich wirklich bald über ihre Thorheit, pflanzte aber, da sie diese einzugestehen sich schämte, keine neuen Bäume, quälte sich jahraus jahrein mit der Erhaltung der undankbaren Teppichbeete und setzte sich in den Schatten des Maulbeerbaums, der vom Feindeshofe her seine Zweige über den Zaun breitete.

Darüber Waren fünf Jahre vergangen; als aber der Maulbeerbaum zum sechsten Mal seit jenem entscheidenden Pfingsttage Blätter bekam, hörte Terka plötzlich auf, neue Verbesserungen in Haus und Hof einzuführen; sie saß still im Schatten des Baumes, hatte die Hände in den Schoß gelegt und die Augen in die Ferne gerichtet. Was hatte sie so viel zu sinnen? Und wo war ihr Ehrgeiz geblieben? Das Glück hatte ihn hinaus geworfen aus dem Herzen: es brauchte den ganzen Platz für sich allein. Als der Maulbeerbaum blühte, saß Terka, schaute durch seine Zweige zum Himmel und dachte zum ersten Mal in ihrem Leben, wie schön doch die weißen Blüthen und der blaue Himmel und die helle Sonne seien, und wie gut ihr Mann! Und als des Baumes Beeren sich rötheten, nähte sie Hemdchen und Jäckchen, weinte und lachte und horchte hinaus, ob nicht ihr Pista vom Felde herkäme und die Gartenthür aufklinke. Und als die Blätter des Baumes fielen, lag sie mit einem kleinen Dirnlein im Arm und flüsterte dem Mann zu, der scheu und so leise, wie es seine steifen Beine nur fertig brachten, zum Bett trat:

„Schau doch, welch goldene Härchen es hat und welch große Augen! Unser Kind!“

Und als sich der alte Pista über sie beugte, faßte sie nach seinem verwetterten Gesicht und gab ihm den ersten freiwilligen Kuß nach sechsjähriger Ehe.

Und nun erst hätte Janos Grund gehabt, Terka zu beneiden; aber um inneres Glück beneiden Einen die Menschen nicht; das ist ganz still, und sie gewahren oder verstehen es gar nicht. Janos wunderte sich nur, daß Terka viel sachter hantirte als früher und im nächsten Frühjahr ganze Stunden am Zaun saß und mit leiser Stimme ihrem kleinen Mädchen Wiegenlieder sang. Sie selbst dachte gar nicht mehr an Janos. Wenn sie ihm einmal zufällig begegnete, so gab es ihr keinen Stich mehr ins Herz, und sie wunderte sich nicht einmal über diese Veränderung ihres Gefühls; so wenig waren ihre Gedanken bei der Vergangenheit.

Aber die Nachbarfamilie brachte sich ihr bald in unliebsame Erinnerung, und zwar durch ihren Sprößling, den sechsjährigen Stefan. Der war ein sehr kecker, wagehalsiger, zu allen Streichen aufgelegter kleiner Bursch, Obgleich er von der strengen Mutter mehr Schläge als Brot bekam und der bequeme Vater dem lästigen Störenfried nie ein gutes Wort gab, so minderte das weder den Frohsinn noch den Wagemuth des Buben, und alle Tage mußte ihn die erschreckte Mutter aus irgend einer Todesgefahr erretten und ihn nachher für den gehabten Schrecken durchprügeln. Bald hing er, den Kopf nach unten, am Gartenzaun, der seine Hose mit einem herausstehenden Nagel festhielt, bald schrie er von dem benachbarten Tümpel her, dessen Wasser ihm bis an den Hals ging, oder er steckte Bohnen in die Nase und brennende Schwefelhölzer als Cigarre in den Mund; denn er mußte alles erkundschaften und nachmachen, was es in der Welt von gefährlichen Dingen und Hantirungen gab.

Nun hatte dieser kleine Held von den Nachbarfrauen oft die Schönheit von Terka’s Töchterchen, der kleinen Riza[1], rühmen hören, welche die goldigsten Haare, die lachendsten braunen Augen und die lieblichsten Wangengrübchen haben sollte, die je an einem kleinen Mädchen zu sehen gewesen. Da aber seine Mutter immer in großen, Aerger die Möglichkeit bestritt, daß der häßliche alte Pista und die breitnasige Terka solch engelhaftes Kind haben könnten, so war Held Stefan sehr neugierig auf


  1. Spr. Risa, magyarische Abkürzung von Therese; Terka volksthümliche Form des gleichen Namens.

[727] die Schöne in Feindesland geworden. Nun wußte er, daß das Korbwägelchen des Kindes an jedem schönen Nachmittage jenseit des undurchsichtigen Gartenzaunes stand, da, wo die herabhängenden Zweigen des Maulbeerbaumes Schatten spendeten. Als nun an einem schönen Sommertage die Mutter auf dem Felde war, lief Stefan nach dem Stall, wo der Vater nach einer kranken Kuh sehen sollte, und erblickte ihn auf der Krippe sitzen und schlafen. Da trippelte der Bube auf den Zehen aus dem Stall in den Hof, kletterte den Maulbeerbaum hinauf, der gerade schöne blaue Beeren trug, aß sich erst nach Herzenslust satt, machte sich Gesicht, Hände und Kleider schwarzfleckig, stopfte sich noch eine Menge der weichen Beeren in die Hosentaschen und dachte dann wieder an die kleine Riza im Nachbarhofe. Also klomm er noch höher, bis er auf einen Zweig kam, von welchem aus er gerade in das Wägelchen sehen konnte, darin das Kind schlief. Aber der Anblick enttäuschte ihn sehr; denn er sah nur ein rosenrothes Gesichtchen, das ihm sehr klein und gar nicht merkwürdig, sondern wie das aller anderen kleinen Kinder vorkam. Aus diesen machte er sich aber durchaus nichts, weil sie viel zu dumm waren, als daß man mit ihnen „Ritter und Räuber“ hätte spielen können, und weil sie außerdem gleich schrieen, wenn man ihnen einmal ins Gesicht fuhr oder sie ein bischen anfaßte. Da aber das kleine Mädchen die Augen geschlossen hatte, bildete sich Stefan ein, wenn es sie öffne, werde vielleicht etwas Wunderbares zum Vorschein kommen. Aus Furcht, den Vater zu wecken, konnte er die Kleine durch Anrufen nicht ermuntern; er pflückte eine Maulbeere nach der anderen und warf sie auf des Kindchens Bett, wo sie zerplatzten. Der Bube hörte jedesmal einen kleinen Knall, sah den Saft ausspritzen und freute sich unbändig darüber. Endlich trafen zwei wohlgezielte Beeren richtig das Gesicht der Kleinen; sie begann erbärmlich zu schreien, Terka stürzte aus dem Hause, sah Bett und Gesicht des Dirnleins ganz voll blauer Flecke und erblickte oben in den Zweigen des Maulbeerbaumes das halb erschrockene, halb trotzige Gesicht des Uebelthäters. Sie schalt entrüstet mit voller Kraft der Lunge hinauf; Stefan, zuerst bestürzt über diese Wirkung seiner Thätigkeit, welche ihm so großen Spaß gemacht, erinnerte sich, daß die Nachbarfrau nach der Mutter Reden sehr böse sei, und machte ihr von seinem sicheren Sitze aus die allerabscheulichsten Gesichter und Nasen, die Terka zu immer größerem Zorne reizten. Ueber dem Schelten kamen des Stefan verschlafener Vater und leider auch die eifrige Mutter herbei. Letztere, welche sofort erkannte, daß die Scheltreden der Nachbarin ihrem Büblein galten, strengte ihre Lunge zu weit giftigeren Erwiderungen an. Zwischen den beiden einander unsichtbaren keifenden Frauen, welche, der Veranlassung des Streites vergessend, sich mit jahrelang angesammelter Galle überschütteten, saß der eigentliche Uebelthäter auf dem Maulbeerbaum ganz verdutzt, aber sehr erfreut, als er merkte, daß die Kämpferinnen diesseit und jenseit des Zaunes ihn ganz unbeachtet ließen. Erst als der Mutter die Kraft der Lunge fast versagte, gebot sie dem Stefan, vom Baume herunter zu kommen. Mit einem mütterlichen Puff versehen, machte sich dex Bube eiligst aus dem Staube, im Herzen den festen Glauben tragend, daß die Nachbarin eine böse, böse Hexe, ihr Dirnlein ein langweiliges Ding sei – und daß es der Mutter behagen werde, wenn er Beiden so viel Schabernack spiele wie irgend möglich. Das that er denn um so eifriger, als er sonst Niemand hatte, an dem er sein Bubenblut und seinen Bubenwitz erproben und austoben konnte! Natürlich bestärkten alle die auf weiße Wäsche geschleuderten Maulheeren, die unvermuthet explodirenden Knallerbsen, der auf Riza’s Köpfchen gestreute Sand und tausend andere Unarten des Knaben in Terka die Meinung, daß noch nie ein schlimmerer Galgenstrick der Menschheit zum Schaden und Aerger gereicht habe, und ebenso natürlich wurde die schon halb im Einschlummern begriffene Feindschaft zwischen den Nachbarn dadurch immer eifriger angestachelt. Doch ist der Zorn des Glücklichen dem Aprilschauer gleich, durch den die Sonne lacht und dessen Spur sie sogleich auftrinkt von dem Herzen des Zürnenden. Und so verschwand Terka’s Aerger eben so rasch, wie er aufgewallt war.

Als die kleine Riza, aber fünf Jahre alt war, kam der alte Pista einmal an einem heißen Sommertage sehr erhitzt vom Felde heim, trank hastig einen Schluck von dem Theißwasser, welches Terka in durchlassenden thönernen Krügen sehr kühl erhielt, und stürzte auf der Stelle todt zu Boden.

Drei Tage später kletterte Stefan auf den Maulbeerbaum und schaute von dort aus zu, wie der Priester mit den Chorknaben, welche brennende Kerzen und bunte Heiligenbilder trugen, und die Träger in ihren wallenden schwarzen Mänteln durch den Hofraum ins Nachbarhaus schritten und eine Weile später mit einem silberbeschlagenen Sarge zurückkamen. Und als er die kleine Riza im schwarzen Kleidchen und mit breiten, schwarzen Bändern in den gelben Zöpfchen an der Hand der Mutter in einem Zuge hinter dem Särge erblickte, da empfand er eine rechte Hochachtung vor dem Dirnlein, das als eine Hauptperson in einem so merkwürdigen, bunten Abenteuer mitthat. Die Kleine war sich auch ihrer Wichtigkeit bewußt; über ihr durch das Jammern der Mutter verschüchtertes Gesichtchen ging ein lustiger Sonnenstrahl; sie lachte mit allen ihren Grübchen zu ihrem Erbfeinde hinauf, dem sie plötzlich sehr hübsch vorkam, und nahm dann gleich wieder eine ernsthaft wichtige Miene an. Nachher, als das Trauermahl im Hof auf einer langen Tafel aufgestellt war, ging das kleine Mädchen von Hand zu Hand, wurde von den Männern mit einem derben Scherz in die Bäckchen gekniffen und von den Frauen mitleidig gestreichelt und bewundert. Stefan konnte von seinem Maulbeerbaum aus so viel rufen als er wollte, das Dirnlein schaute nicht ein einziges Mal zu ihm auf. Da ballte er endlich sein Taschentuch zu einem großen Knäuel zusammen und warf es nach ihr, es fiel aber auf die Tafel und warf den Weinkrug um, so daß der Wein weit umher verspritzte.

Da lachte unter dem Stefan sein Vater, der an dem Geschrei und Stühlerücken im Nachbarhof wohl merkte, daß sein Bube drüben wieder Unheil angerichtet haben müsse und den das freute. Denn Janos war diese drei Tage seit dem Tode des alten Pista in immer steigendem Grimme umhergegangen; er fühlte einen wachsenden Neid auf die Terka – die jetzt frei war von ihrem alten Mann und nach Willkür schalten und walten konnte.

Und die beneidete Terka, welche so lange gegen ihre sonstige Gewohnheit still dagesessen hatte, schaute, als des Stefan’s Wurfgeschoß solch Unheil angerichtet, müde auf und gerade in das erschrockene Gesicht des Schützen. Aber statt zu schelten, zog sie Riza auf ihren Schoß, legte das Kinn auf den Blondkopf der Kleinen und ließ bitterliche Thränen auf Riza’s Haar fallen; denn Stefan hatte einen Vater und ihr Dirnlein war verwaist. Als sie aber drüben den herzlosen Janos lachen hörte, that sie einen feierlichen Schwur, daß ihre Riza doch glücklich werden solle, viel glücklicher als des lebenden, lachenden Janos’ Sohn.

In der Folgezeit kam in ihr Weinen hinein immer die Erinnerung an des Janos’ Lachen; dann trocknete sie ihre Thränen und begann resolut zu wirthschaften; ihr Anwesen sollte nicht, wie der Janos wohl dachte, darunter leiden, daß ihm eines Mannes Auge und Hand fehlte; die Terka war Manns genug, den Wohlstand noch zu mehren und ihre Tochter zu dem reichsten Bauernmädchen in ganz Szegedin zu machen.

Ihr trauriges und leeres Herz füllte sich mit ehrgeizigen Zukunftsplänen für ihr Kind; um seinetwillen wies sie alle Freier ab, welche um die reiche und saubere Bäuerin warben, und schaffte den ganzen Tag im Felde. Ihr Dirnlein spielte indessen unter der Obhut der alten Großmutter im Hofe, jagte sich lachend mit seinen Kätzlein herum und breitete nur erschrocken die Hände über das Köpfchen, wenn der schwarzäugige Erbfeind im Maulbeerbaum saß und es anrief oder Blätter und Blüthen, wohl auch Steinchen herabwarf.

Mit wachsenden Jahren wurde Stefan es aber müde, die Rolle des Bösewichtes zu spielen, die man ihm im Nachbargarten zuertheilte; er kletterte immer seltener auf den Maulbeerbaum, hatte auch schon aus dem Grunde weniger Lust und Gelegenheit dazu, als die strenge Mutter ihn in den Stunden, welche ihm die Schule freiließ, sehr bald zur Feldarbeit heranzog, die er mit wachsendem Geschick und Eifer verrichtete. Er wurde der Mutter bald eine Stütze, und der Vater konnte mehr Zeit als früher zum Schlafen verwenden. Die Riza aber sah er fast gar nicht mehr; denn Terka erzog sie nach Art vornehmer Leute, welche die Mägdlein streng im ummauerten Haus und Hof halten und sie sehr selten, nie aber ohne Begleitung, die Straße betreten lassen.

Als Stefan siebzehn Jahre alt geworden war und an einem Mai-Abende vom Felde heimkehrte, waren Vater und Mutter [728] zu einer Kindtaufe gegangen, und es war ganz still in Haus und Garten. Stefan holte sich einen Krug Wein und ein Stück Kukuruzbrot heraus auf den Tisch unter dem Maulbeerbaum und trank, vergaß aber das Essen; denn er war durstig und müde; es war sehr heiß gewesen und noch jetzt warm. Zur andern Seite der Gartenbank stand ein Fliederbusch, der duftete süß und einschläfernd; eine wonnige Traurigkeit beschlich zum ersten Mal in seinem Leben den jungen Burschen, und dabei pochte sein Herz in unbestimmtem Sehnen. Auf der andern Seite des Gartenzauns sang eine junge, süße Stimme leise ein schwermüthiges Liebeslied. Sonst war Alles ganz still. Die sanften Töne kamen herübergeschwommen, wie der Duft des Flieders hinüberzog. Das mußte der junge Bursch denken, und daß jenseit des Zauns die Sängerin den Flieder nicht blühen sehen konnte, dessen Duft sie athmete, wie er diesseits nur die Töne hörte, ohne die Sängerin zu sehen. Und es kam eine starke Sehnsucht über ihn, mit dem unsichtbaren Wesen da drüben, welches jung war wie er, das unbestimmte Etwas zu theilen, das ihn mit so seliger Unruhe erfüllte.

Er pflückte einen großen Strauß von dem Flieder; dabei fiel sein Blick auf einen Strauch jener frühen weißen Rosen mit leichtem rothen Anhauch, welche man dort „Jungfernrosen“ nennt. Seine Blumen hatten am Morgen noch alle in der Knospe gesteckt; jetzt blühte er über und über. Da brach Stefan die schönsten Rosen ab und steckte sie sammt dem Flieder in seine weiten Hosentaschen; dann klomm er eilig, als hätte er ein Versäumniß nachzuholen, auf den Maulbeerbaum und schaute hinunter in den Nachbargarten. Drin saß auf ihrem Lehnstuhl die Großmutter und schlief, und neben ihr, auf der Bank, saß die blonde Riza, hatte die Hände in den Schoß gelegt und sang mit halb geöffneten Lippen wie ein träumendes Vögelchen. Doch saß sie so dicht am Zaun, daß Stefan ihr gerade auf den Kopf sah und folglich nichts mehr erblickte, als ihr gelbblondes Haar, das in zwei starken Zöpfen über die Schulter herabhing. Weil ihn aber eine sonderbare Ungeduld plagte, in ihr Gesicht und namentlich ihre Augen zu sehen, so zog er ein paar Rosen aus der Tasche und ließ sie hinabfallen. Sie sanken auf Riza’s Köpfchen; die griff danach und betrachtete sie mit bewunderndem und mitleidigem Ausruf: „Die schönen Rosen! Und so kurz am Kelch ohne Stengel abgepflückt!“

Dabei sah sie in die Höhe und lachte.

„Hast Du noch mehr?“ fragte sie.

„Ja,“ rief er hinunter, „darf ich sie Dir bringen?“

„Warum nicht? Wenn Du artig sein und die Großmutter nicht aufwecken willst,“ lachte sie hinauf.

Mit einem Satz sprang Stefan in den Garten, und die Großmutter mußte wahrlich einen festen Schlaf haben, daß sie von dem Geräusch des Sprunges und Riza’s Schrei nicht erwachte.

„Jesus Maria!“ sagte der Blondkopf halb lachend, halb vorwurfsvoll, „Du bist noch immer der Alte, Stefan! Konntest Du nicht zur Thür hereinkommen? Mußt vom Himmel fallen wie ein Unwetter?“

Dabei ließ sie die Augen über ihn schweifen und sagte:

„Wie groß Du geworden bist! Du bist ja ein Mann!“

Er aber stand und sah sie an; denn er meinte, noch nie so etwas Schönes gesehen zu haben, wie sie mit ihren welligen goldenen Haaren, den lachenden, goldbraunen Augen und dem weißen Gesichtchen, in welchem bei dem kleinsten Lächeln Grübchen in Wange und Kinn erschienen. Er war völlig verwirrt und wußte nichts zu sagen, sondern kramte nur Flieder und Rosen aus den Taschen auf den Gartentisch, und Riza, die, im Herzen noch völlig Kind, ganz unbefangen war, schlug ein über das andere Mal die Händchen zusammen, bald aus Freude über die Fülle der schönen Blumen, bald aus Entrüstung über den grausam zerdrückten Zustand derselben. Doch suchte sie sich die schönsten Rosen heraus, wand sich davon einen Kranz und setzte ihn sich aufs Blondhaar, unter dem ihr Gesichtchen unglaublich lieblich hervorlachte, so daß Stefan den Athem anhielt, als könne der das schöne Bild fortblasen.

Weil nun die Beiden so völlig mit einander beschäftigW waren, hörten sie nicht drüben im Hause die Thür klappen, welchen nach der Straße führte und sehr selten benutzt wurde; denn man hatte sich daran gewöhnt, durch den Hof zu gehen, in welchem sich im Sommer das häusliche Leben abspann, und von welchemn eine Thür ins Feld, eine gegenüberliegende auf die Straße führte. Diesmal aber war Terka zufällig durch die Hausthür ins Haus und von da ans Fenster getreten und hatte den unerwarteten Anblick des Feindessohnes, der ganz still, aber – der Terka argwöhnischem Blick blieb das nicht verborgen – auch ganz verliebt ihr einziges, schönes, für ein großes Glück bestimmtes Kind anstarrte. Freilich belehrte ein zweiter Blick die Terka, daß dieses Kind noch völlig unbefangen sei; indeß – das Dirnlein war fast eine Jungfrau, und die Rosen brechen über Nacht auf.

[741] Als Terka den jungen Stefan in ihrem eigenen Hofe vor ihrer Riza erblickt hatte, fühlte sie ihr Herz klopfen. Sie war ihm öfter zwar in Feld und Gassen begegnet, aber Terka hatte bei Begegnungen mit den Nachbarleuten geflissentlich immer den Blick abgewandt; nun sah sie erst, daß Stefan des Janos’ leibhaftiges Ebenbild geworden war, nur daß er sich sogar in diesem Augenblick der Selbstvergessenheit straffer aufgerichtet hielt als sein Vater, daß sein Kinn energischer war und seine schwarzen Augen in einem Feuer leuchteten, welches denen des schönen Janos immer gefehlt hatte. Der Terka schlug das Herz in einem [742] schmerzlich heftigen Gefühl; was der Anblick seines Vaters, der ihr gleichgültig, ja verächtlich geworden war, nicht mehr vermochte, bewirkte der seines jungen Ebenbildes: die Tage der versunkenen Liebe, in der Erinnerung verschönt, stiegen vor Terka auf. Es kam ihr plötzlich der Gedanke, daß, so lieb und werth sie später auch ihren alten Pista in dankbarer Gattentreue gehalten, sie doch nie das Glück genossen hatte, dessen Vorgefühl sie damals an jenem Pfingstabende empfunden hatte, dessen Entbehrung ihr jetzt die Thränen aus tiefstem Herzen herauf brennend in die Augen trieb.

Und wer hatte Schuld daran, daß sie es nie genossen? Der Janos mit seiner schnöden Untreue, der Janos, dessen Sohn jetzt neben ihrer Tochter saß und sie mit Blicken anschaute – mit denen Janos die Terka eben nie angeschaut hatte.

Nun wußte Terka, was sie entbehrt hatte in ihrem Leben; die Jahre ihrer Ehe zogen in raschen Schattenbildern an ihr vorüber, in Bildern, worin sie nur den Schatten der Entbehrung sah, nicht das milde Licht, das ihre Pflichttreue und Liebe für Mann und Kind darüber gebreitet hatte.

Und dieser neue Janos dort sollte genießen, um was der alte sie gebracht, sollte durch ihre eigene schöne, liebe Tochter jenes Glück genießen? Nimmermehr!

Sie würde das schon zu verhindern wissen, sie, die Terka, welche noch in Allem die Hand oben behalten Hatte – außer in Sachen der Liebe.

Riza mußte fort, sogleich.

Wenn sie wiederkäme – die Terka lachte auf: wenn Riza zwei Jahre lang in einem Institut mit vornehmen Fräulein zusammen gewesen war, konnte ihr der Bauernbursche nicht mehr gefährlich werden. Dann besorgte ihr die Terka einen besseren Mann. Sie wollte schon jetzt Umschau unter den vornehmen Kavalieren halten.

So beruhigt, rief Terka ihrem Kinde, es sei Zeit, zu Bette zu gehen, und Stefan, von Anblick und Stimme der „bösen Nachbarin“ aus allen Himmeln gerissen, schlich nach Hause.

Terka hatte die Genugthuung, ihr Töchterlein, kaum daß es mit beiden Füßchen ins Bett gehüpft war, in ruhigem Schlafe athmen zu hören; sie selbst aber verbrachte die Nacht fast schlummerlos auf ihrem Lager.

Sie dankte Gott, als der Morgen kam und die gewohnte Arbeit die Ruhe einigermaßen wieder in ihr herstellte. Nachmittags aber legte sie ihren Feststaat an, das schwere grünseidene Kleid, die breite rosa Schürze, das Sammetmieder mit silbernen Schnuren und die niedrigen Atlasschuhe, ordnete ihr schwarzes Kopftuch in zierliche Falten, legte den weichen Seidenshawl um und ging nach dem Institut, in welchem sie vor siebzehn oder achtzehn Jahren als Köchin gedient hatte. In stolzer Genugthuung bedachte sie jetzt, daß sie diesem Institute heute eine Patronin und Gönnerin zu werden beabsichtige; denn sie wollte ihm ja eine neue Kostgängerin zuführen.

Ihr Herz schwoll, als ihre ehemalige Herrin, die der Anstalt noch immer ebenso klug wie energisch vorstand, die frühere Dienerin keineswegs herablassend, sondern wie eine alte, liebe Bekannte empfing und sie, da soeben das Vesperbrot aufgetragen wurde, auf den Ehrenplatz der langen Tafel nöthigte. Terka saß, stippte das Gebäck in den reichlich gesüßten Milchkaffee, prüfte es mit der Zunge und dachte, daß es zu ihren Zeiten weit besser gewesen sei. Dann wurde sie sich wieder des Umstandes bewußt, daß sie jetzt an demselben Tische als „Dame“ geehrt, ja umschmeichelt sitze, für den sie früher im Hinterhause gekocht und gebacken habe. Das ging der Terka wie flüssiger Honig die Zunge hinunter.

Sie verschaffte sich in der Folgezeit noch oft diese Genugthuung; denn Riza siedelte schon Tags darauf in das Institut über, und da das Mädchen in den zwei folgenden Jahren das Elternhaus nicht betreten sollte, so besuchte die Mutter allsonntäglich ihr Kind im Institute. Hier wurde sie immer mit offenen Armen und vielen Ehren empfangen, so daß sie in diesen zwei Jahren in ihren eigenen Augen an Ansehen und Weisheit gewaltig zunahm.

Was Riza betraf, so wurde sie der verhätschelte Liebling der Lehrerschaft, einestheils wegen ihres schelmischen Liebreizes, andererseits wegen der Viktualien und Papiergulden, mit welchen die Mutter der Tochter Reiz erhöhte. Da nun ihre Kameradinnen Riza „einen guten Kerl, eine wilde Hummel und einen durchtriebenen Strick“ nannten; so ist ersichtlich, daß sie auch bei diesen in gutem Ansehen stand. Unter so bewandten Umständen quälte sie sich mit dem Lernen nicht allzusehr ab: Mademoiselle Adèle drückte beide Augen darüber zu, daß sie noch nach zwei Jahren ihre Puppe mon poupée“ nannte; der Geschichtsprofessor fragte sie um so weniger nach den unbequemen Jahreszahlen und Schlachtennamen, als in ungarischen Töchterschulen Nam’ und Zahl überhaupt für „Schall und Rauch“ gelten – und so war das Resultat dieser zweijährigen milden Dressur, daß Riza, als sie eines schönen Märztages an der Hand der Mutter unter einer Sündfluth allseitig vergossener Thränen das Institut verließ, sich gar nicht viele Mühe zu geben brauchte, um möglichst rasch überflüssigen Wissenswust aus ihrem Köpfchen zu treiben. Indeß muß man, um gerecht zu sein, zugeben, daß sie von der Institutserziehung doch manchen Nutzen gezogen: sie fertigte, möglichst tief über den Rahmen gebückt, augenmörderische Stickereien; sie hatte z. B. für die gleich nach dem Osterfeste zu eröffnende Szegediner Gewerbe-Ausstellung einen Teppich mit neun Quadratmeter Aehrenbüscheln gestickt, allerdings mit „Beihilfe“ der Handarbeitslehrerin, welche unglückliche Person von Morgens vier Uhr an die Arbeiten der Zöglinge „vollendete“, das heißt in der Hauptsache selbst fertigte. Auch aß Riza mit der Gabel und trank zierlich, wußte, daß der Werth eines Menschen in erster Linie von seinen Nägeln bedingt sei, machte eine elegante Verbeugung, tanzte entzückend, schlug sittsam die Augen nieder, wenn sie einem Herrn begegnete – obwohl sie eigentlich nicht begriff, warum sie sich vor demselben zu schämen hätte – und beobachtete die Regel, daß sie nie anders als in Gegenwart einer Respektsperson auch nur eine Minute lang mit einem Manne allein sein oder gar mit ihm sprechen dürfe – obwohl sie sich eigentlich gar nicht so sehr vor den Männern fürchtete und nicht glaubte, daß sie ihr gleich etwas Schreckliches anthun könnten.

Ferner wußte Riza, daß sobald sie das Institut verließ, die Mutter sie verheirathen werde. Wie alle ihre klösterlich erzogenen Gefährtinnen dachte sie sich die Ehe als eine herrliche Mischung von gänzlicher Freiheit, zu thun und zu lassen was sie wollte, mit etwas ganz Unbekanntem, Geheimnißvollem, etwas Aengstigendem und Reizendem, dem sie mit erwartungsvoller Neugier entgegensah. Wenn ihr diese letztere Vorstellung kam, war damit immer die Wiederkehr derselben Erinnerung verknüpft: sie sah Stefan vor sich stehen und ihr zuschauen, wie sie sich den Rosenkranz auf den Kopf setzte. Die Scene und der Blick hatten damals gar keine Wirkung auf sie gehabt, und doch hatten sie sich ihrem Gedächtniß eingeprägt und kamen ihr immer in den Sinn, wenn sie an die geheimnißvolle Zukunft dachte. Doch geschah das nicht oft; denn sie tanzte wie ein Mücklein im Sonnenstrahl der fröhlichen Gegenwart.

Aber heut schritt Riza, das Herz noch unter dem Eindruck der thränenreichen Abschiedsscene, ziemlich nachdenklich die staubigen Gassen, die sie zwei Jahre lang nicht betreten, an der Hand der Mutter herab. Und weil Terka auch ernsthaft und schweigsam war und ab und zu des Dirnleins Hand drückte, welches ungewohnte Thun ihm fast ängstlich bedeutungsschwer vorkam, war’s ihm, als schreite es jetzt geradeswegs in die unbekannte Zukunft hinein. Da trat vor die ahnungsvoll gespannte Seele wieder das Bild des schwarzäugigen, schlanken Buben, und das Dirnlein seufzte beklommen in halber Furcht und halber Sehnsucht.

Und gerade in diesem Augenblick fast feierlicher Spannung. zuckte die Hand der Mutter heftig in der ihren; Riza erhob den gesenkten Blick, sah erst erstaunt, dann erschrocken aus und – lachte dann in vollem, tollem Uehermuth ohne Aufhören.

Vor ihr stand der Gegenstand ihrer Träume, aber - in jenen weißen, ausgefranzten Linnenhosen, die in ihrer ungeheuerlichen Weite den lächerlichen Eindruck machen, als ginge ihr Träger im Hemd. Nun hatte Riza ja schon viele Bauern in diesen weiten Hosen gesehen, und es war heute trotz der frühen Jahreszeit so heiß, daß die Tracht Stefan’s, der mit seinem Gespann vom Felde kam, sehr erklärlich war. Aber was helfen Erklärungen und Vernunftgründe, wenn man den Gegenstand seiner Träume, den man sich nur in den erhabensten oder schönsten oder geheinmißvollsten Situationen gedacht hat, plötzlich in solcher Tracht vor sich sieht!

[743] Riza lachte, lachte, lachte, und fortgeblasen von diesem Lachen war das Traumgespinnst aus ihrem Herzen; die Wirklichkeit trat ja in so lächerlichen Gegensatz zu ihrer feierlichen Stimmung.

Stefan war ein Bauer und trug weite Linnenhosen; also würde man nicht mehr an ihn denken; denn man war ein feines Fräulein mit französischer Bildung und großen Aussichten auf die Zukunft. Und dachte man einmal an ihn, so würde man immer lachen müssen. Wie aber könnte man zugleich lachen und träumen? Man würde also nicht mehr träumen, wenigstens nicht mehr von ihm.

Die Mutter verstand nicht den Grund dieses Umschlags von Riza’s Stimmung; doch begriff sie leicht, daß ein Verehrer, über den ein Dirnlein lacht, ihm nicht mehr gefährlich ist. So hatte sie denn vollkommen erreicht, was sie erstrebt; sie legte sich mit dem stolzen Bewußtsein ihrer erfolgreichen Weisheit zu Bette und träumte, daß der Sohn des Obergespans um ihre Riza freite und Janos oder Stefan, sie konnte nicht erkennen, wer von Beiden, in weißen Linnenhosen auf dem Maulbeerbaum säße und vor Staunen und Aerger immerfort die Hände über dem Kopf zusammenschlüge. Darüber mußte Terka so lachen, daß sie erwachte, und da die Uhr die fünfte Morgenstunde zeigte, so sprang sie aus dem Bett, blieb aber, ehe sie an ihre Arbeit ging, noch einen Augenblick vor ihrem schlafenden Töchterchen stehen. Das lag, ein Lächeln auf den rothen Lippen, in so holdselig erblühter Schönheit da, die goldenen, krausen Härchen auf der reinen Stirn, die weißen Händchen auf der Brust: der Terka kamen Thränen des Stolzes in die Augen, sie schlug andächtig ein Kreuz über die Schlafende und flüsterte:

„Einen Prinzen für Dich, Liebchen – aber wo ihn herkriegen? – Nun, schlaf’ ruhig, mein Täubchen, Deine Mutter besorgt Dir doch einen!“

Nun ist es aber eine alte Geschichte, daß selbst Sonnenschein und Mädchenlachen nicht allen Menschen erfreulich sind; und so hatte auch gestern die Person, welche dieses lustige Lachen verursacht, nämlich unser Freund Stefan, zuerst ein ganzes Weilchen stillgestanden und verdutzt der lachenden Riza nachgeschaut. Dann schlug er wüthend auf seine Pferde ein, daß sie im Galopp nach dem Hofe liefen; er selbst aber rannte hinauf in sein Giebelzimmer, warf sich auf einen Stuhl, sprang wieder auf, lief zum Tisch, auf dem ein halb Dutzend Bücher lagen, ergriff diese unschuldigen Herbarien menschlicher Weisheit und schleuderte sie, eins nach dem andern, mit Wucht auf die Erde. Nun warf er sich wieder auf einen Stuhl, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, vergrub das Gesicht in die Hände und heulte wie ein wüthender Schulbube. Dann ergriff er die unglücklichen Bücher, schleppte sie zum eisernen Ofen und stopfte sie ihm in den schwarzen Schlund. Als er sie eben in Brand setzen wollte, kam ihm der Gedanke, zusammenzurechnen, wie viel sie ihm gekostet hatten, um seiner Wuth durch die Einsicht in die unnütze Verschwendung neue Nahrung zu geben. Aber das Rechnen, welches seine schwächste Seite war, ernüchterte ihn; er ließ die Bücher vorläufig unverbrannt im Ofen und warf sich, ohne gegessen zu haben, angekleidet aufs Bett, als solle sein armer Leib die Wunde seiner Seele büßen.

Daß Stefan aber seine Wuth an den Büchern ausließ, hatte einen triftigen Grund. Was hatte er sich mit ihnen herumgequält und abgearbeitet! Als er vor zwei Jahren gehört, daß Riza plötzlich ins Institut gesteckt worden, war ihm nach Ueberwindung des Schreckens über die Trennung die Ahnung aufgegangen, daß sie, von dort zurückgekehrt, nichts von ihm halten werde, wenn er nicht Schritt halten könne mit der entsetzlichen Bildung, welche man ihr dort aufpfropfen würde. Da hatte der arme gute Junge in seiner Liebe und Angst den schweren Kampf mit seinem harten Kopf aufgenommen, beim Antiquar für schweres Geld eine lateinische Grammatik, ein paar Toussaint-Langenscheidt’sche Briefe, den zweiten Theil einer fünfbändigen ungarischen Geschichte, einen „ungarischen Staatsbürger“ eingekauft und deren Inhalt auswendig gelernt. Und wann hatte er das gethan? Wenn er spät Abends, todmüde von der schweren Feldarbeit, nach Hause gekommen war, ihm die Augen zufielen und der Verstand wie zugeklappt war. Bald nach Riza’s Entfernung war Stefan’s Mutter, die alte Martscha, gestorben, zur großen Erleichterung des Janos, der nun seinen Tag mit Essen, Trinken und Schlafen hinbrachte. Der fleißige Sohn mußte Vater und Mutter in Feld und Hof ersetzen. Das war dem Stefan eine selbstverständliche Sache; die Arbeit ging ihm leicht von der Hand, und das Anwesen blühte unter dem tüchtigen jungen Bauern; aber das Lernen – lieber zwölf Stunden pflügen, als eine Stunde lang Zahlen oder Regeln pauken! Und doch bekam er’s zuletzt in sich hinein, wann, wo und wie oft König Stefan die Türken schlug und wie die Geschichte mit den verflixten unregelmäßigen lateinischen Verben war; denn hinter all der Quälerei stand der Gedanke, daß Riza, wenn sie seine Gescheitheit merken würde, ihn freundlich und vielleicht mit einigem Respekt anschauen müßte. Und während ihm zu Anfang der Trennungszeit das liebliche Köpfchen nur als etwas allgemein Schönes vorgeschwebt hatte, das man gern immer hätte anschauen mögen, etwa wie vornehme Leute gar viel Wesens von den Rosen und dem Sonnenschein machten, so hatte er im Laufe der Jahre, da er seinen eigenen dicken Kopf gar sehr für dieses Köpfchen plagte, sich dasselbe sammt der knospenden Gestalt in Gedanken immer mehr zugeeignet. Er war schließlich zu dem Glauben gekommen, daß alle diese Holdseligkeit allein für ihn blühen müsse und werde. Und mitten in diesen festen und ehrbaren Heirathsgedanken wurde er plötzlich durch ein helles Lachen ernüchtert.

Was hatte Riza zu lachen über ihn, den saubern, kräftigen, tüchtigen Stefan, über ihn, der sie seit, er wußte nicht, wie vielen Jahren treu liebte, der auf die Kunde ihrer Heimkehr eine halbe Stunde zu früh vom Felde gekommen war, bloß um sie zu sehen? – über ihn, der eben so gescheit war wie sie?

Armer Stefan! es kam ihm gar nicht der Gedanke, daß junge Mädchen allzu oft nicht danach fragen, was in einem Kopfe sei, der von außen häßlich aussieht, und wenig von einem treuen Herzen halten, das in einem ungeschlachten Körper oder auch nur in schlechten, lächerlichen Kleidern steckt.

Und weil Stefan das nicht verstand, wüthete er gegen Riza, gegen sich selbst und vor Allem gegen die Bücher, die Zeugen seiner aufopfernden Liebe. Doch entschloß er sich nach einer Nacht guten Schlafes – sein junger Liebeskummer schlug mehr nach außen um sich, als daß er sich nach innen hineinfraß – die Riza zu „stellen“ und von ihr selbst herauszubekommen, ob es nun für immer aus sein solle zwischen ihm und ihr. Er hatte sich mit der Zeit so in seine Heirathspläne hineingedacht, daß er die Riza nicht als passive, sondern als aktive Theilhaberin derselben ansah und ihr Betragen als Abfall und Untreue empfand.

Da aber ein Stelldichein vom Maulbeerbaum aus in so fern seine Schattenseiten hatte, als sich, wie dem Stefan trotz seiner Aufregung beifiel, eine Liebeszwiesprach’ am Ende nicht gut ausnehmen würde, wenn sie herauf- und hinuntergeschrieen werden müßte, und da er nach der gestrigen Enttäuschung doch nicht recht wagte, der Riza gleich wieder vom Himmel herab vor die Füße und zwar in den Garten ihrer bösen Mutter zu fallen, so beschloß er, vor allen Dingen sein Herz am Anblick der Geliebten zu ersättigen und dabei eine Gelegenheit abzupassen, ihr ein paar Worte zuzuraunen.

Da nun heute Karfreitag war, so that Stefan seinen schönsten Anzug an, und als er seine jungkräftige Gestalt, welche die reiche, knappe Kleidung vortheilhaft hervorhob, in dem großen Pfeilerspiegel betrachtete, durchlief ihn das frohe Gefühl, daß er ein schöner Bursch und der Riza werth wäre.

Er hatte auch wirklich das Glück, Riza in der Kirche neben ihrer Mutter in der Menge zu sehen, wenn es ihm auch nicht gelang, bis zu ihr zu dringen. Wie das zarte Dirnlein im lichtblauen Kleidchen da kniete, das reiche blonde Haar noch wie ein Institutsmädchen zum kindlichen Flechtenkrönchen aufgesteckt, die Händchen in demüthiger Bitte auf dem Busen gefaltet und die sonst so lachenden goldbraunen Augen in frommer Andacht zu dem celebrirenden Priester aufgehoben, erweckte sein Anblick in Stefan eine fromme Rührung und zarte Scheu, sich diese kindliche Holdseligkeit auch nur in Gedanken zuzueignen.

Leider wurde seine andächtige Verehrung bald getrübt, als er den Blicken der Terka folgte, die neben Riza kniete, aber ihre Augen oft verstohlen zur Seite wandte und dabei aufgeregt lächelte. Stefan wurde nun ebenfalls unruhig und spähte [744] umher, bis er gewahrte, daß unweit von Riza ein Herr ebenfalls in entzückte, aber keineswegs fromme Bewunderung Riza’s versunken war; denn seine kleinen, schwarzen Aeuglein funkelten unausgesetzt auf die Knieende herab und ein schmunzelndes Behagen verzog die dicken Lippen, welche ein dünner, rothblonder Bart, der in zwei langen Franzen über die Brust herabhing, nur wenig verdeckte.

Ueberhaupt war dieser Mann – mindestens in Stefan’s nicht ganz vorurtheilslosen Augen – ein unangenehmer Geselle. Er war schon „alt“, das heißt, er mochte am Ende der Dreißiger stehen, hatte eine Menge kleiner Fältchen um die Augen und auf den hervorstehenden Backenknochen; seine Figur war hochschultrig und hager, steckte aber in ausgesucht eleganter Kleidung, welche der unbillige Stefan geckenhaft schalt; seine Bewegungen waren geziert, und selbst seine augenscheinliche Bewunderung für Riza vermochte es nicht ganz, den Stolz auf seine Bartfranzen aus seinem Gemüth zu drängen; denn er fuhr oft mit der behandschuhten kleinen Hand sanft liebkosend darüber hin oder zauste sie zu größerer Breite aus einander, wobei jedesmal ein Zug von Hochmuth und Eitelkeit seine Nasenflügel blähte.

Mit klopfendem Herzen beobachtete Stefan, daß Riza freilich ihren Bewunderer nicht zu bemerken schien, daß aber ihre Mutter immer öfter zu ihm hinschaute und jedesmal immer stolzer lächelte und sich in die Höhe reckte.

Als nun das Hochamt beendet war und Riza sich erhob, setzten sich auch ihre beiden Verehrer in Bewegung. Stefan drängte sich rücksichtslos durch die murrende Menge dem Ausgang zu und wartete dort, um dicht hinter der Geliebten hergehen zu können. Dieses Vergnügen genoß er denn auch; aber es bekam einen unangenehmen Beigeschmack. Sein klügerer Nebenbuhler hatte sich, da er als Einer der Ersten im Freien anlangte, den besten Platz in jener Gasse erobert, welche die jungen Männer Szegedins an Sonn- und Festtagen zu beiden Seiten der Kirchthür bilden, um die Schönen Revue passiren zu lassen. Als nun Stefan dicht auf Riza’s Fersen in die Gasse hinaustrat, hatte er das Vergnügen, seinen Nebenbuhler die beiden Frauen in so tiefer Ehrerbietung grüßen zu sehen, daß ein Murmeln durch die lebendige Gasse lief.

Riza erröthete darüber so sehr, daß selbst der schmale Streifen des Nackens, welchen Stefan über der Halskrause erblicken konnte, sich purpurn färbte, und die Mutter schaute sich um, ob auch Viele die ihnen erwiesene Ehre bemerkt hätten. Als sie dabei gerade in Stefan’s grimmiges Gesicht blickte, lächelte sie ganz abscheulich spöttisch. Natürlich schauten nun alle Herren sehr interessirt auf das so auffallend ausgezeichnete Mädchen, und selbst ungenirte Ausrufe, wie „schön! bildsauber! aufbrechendes Rosenknöspchen!“ und dergleichen drangen zu Stefan’s Ohren, der alle diese frechen Menschen, welche seine Heilige anzustarren wagten, hätte umbringen mögen. Als er nachher Riza’s Weg absichtlich kreuzte und sie grüßte, blickte sie nur flüchtig auf, ohne durch irgend eine Bewegung tiefern Antheil an ihm zu verrathen; ihre Gedanken waren entschieden noch bei der ersten Huldigung, die ihrer Schönheit geworden – oder am Ende gar bei „diesem abscheulichen Gecken“, der an der ganzen Scene schuld war. Stefan ballte die Fäuste bei diesem Gedanken.

Terka aber that Besseres. Zuerst erkundigte sie sich nach den näheren Verhältnissen des Bewunderers ihrer Tochter und erfuhr, daß er Perfy Viktor heiße, Advokat sei und aus vornehmer, wenngleich verarmter Familie stamme. Da die Advokaten nun außer dem Obergespan, dem Oberbürgermeister und wenigen anderen Vornehmen den ersten Rang in Szegedin einnehmen, so schwoll Terka’s Herz in der noch zaghaften Hoffnung, eine unerhörte Ehre und ein überschwängliches Glück könne vielleicht ihrem Hause widerfahren.

Sie beschloß, Perfy Viktor Gelegenheit zur Annäherung zu geben, miethete sogleich eine Loge und führte schon am ersten Osterfeiertag ihr Kind ins Theater, wo sich sofort alle Operngläser auf die junge Schönheit richteten, die eine Bäuerin zur Mutter hatte, aber in einer Loge saß und sich wie eine Dame bewegte. Perfy Viktor stand während des ganzen ersten Aktes im Parquet, mit dem Rücken gegen die Bühne, das Opernglas nach Terka’s Loge gewandt, und kaum fiel der Vorhang, so betrat er dieselbe. Stefan war auch im Theater und folgte wie ein Schatten den Bewegungen Riza’s, ohne jedoch von ihr beachtet werden zu können, denn er saß in angeborenem Sparsamkeitsbedürfniß und weil es immer sein Schicksal war, der Riza auf den Kopf zu schauen, hoch oben im Olymp. Doch hatte er sich zu dem Platz durchgedrängt, welcher Terka’s Loge gerade gegenüberlag, und seine Falkenaugen gewahrten sehr wohl, wie tief Riza erglühte, und wie der Mutter Gesicht strahlte, als „der storchbeinige Advokat“ um die Ehre bat, sich „den Damen“ vorstellen zu dürfen. Und nun begann eine sehr lebhafte Unterhaltung – das heißt der Advvkat sprach, und Riza hörte mit gesenktem Köpfchen zu. Was er ihr nur Alles sagen mochte?

Nun, er sprach angelegentlich von seiner Tante, der Tochter des verstorbenen Obergespans, welche er ins Theater begleitet hatte, erzählte den Lebenslauf seiner Dido, des schönsten Pferdes, das je einen Szegediner Kavalier getragen, sprach von seiner Juno, dem famosen riesengroßen Bernhardiner, dem größten Hunde Szegedins – „Fräulein kennen das Thier wirklich noch nicht? Aber wie schade! Wollen Fräulein die Gnade haben, morgen um zwölf Uhr Mittags die schönen Augen auf den Platz vor Ihrem Fenster zu richten? Es würde mich glücklich machen, und Dido und Juno verdienen, daß die reizendste Dame Szegedins sie einen Moment ihrer Aufmerksamkeit würdige. Mein seliger Großonkel, der Obergespan Teleky Viktor, behauptete immer, kein Kavalier Ungarns habe einen so sicheren Blick und eine so glückliche Hand in Auswahl und Zucht von Rassepferden und -Hunden, wie ich – und in der That: Dido und Juno sind zu einiger Berühmtheit in Szegedin gelangt. Es ist so meine Gewohnheit, immer das Rarste zu haben. Daß Fräulein noch nichts von den Thieren gehört haben! Aber was will das sagen gegen die viel wunderbarere Thatsache, daß meinen scharfen Augen bis vorgestern die größte Schönheit Szegedins entgangen war. Gnädige sagen, Fräulein wären so lange im Institut gewesen? Ach, das erklärt Alles! Diese neidischen Mauern welche so lange solchen Liebreiz versteckten! Aber man holt nach. Spielen Fräulein vielleicht Pianoforte? Nur wenig? O, das thut nichts, wenn man einen guten Partner hat. Ich bin nämlich, wie man sagt, in Szegedin der beste, wie ich sage, ein ziemlich guter Musiker. Ich hoffe, in allernächster Zeit das Urtheil und den Rath des größten Klaviervirtuosen der Welt – doch st! das ist noch tiefstes Geheimniß! – Ja, die Musik ist meine Leidenschaft, Fräulein; sie narkotisirt so reizend die Sinne, und man erholt sich dabei vom Denken – mon dieu, man wird allmählich ein gesuchter Advokat, und das strengt an. Aber es ist fad, mit einer schönen Dame von solchen ernsthaften Dingen zu plauschen. Ja, was ich sagen wollte: Fräulein werden doch unsere Gewerbe-Ausstellung anschauen? Ich gehöre natürlich zum Komité – man hat die Pflicht, seinem Lande aufzuhelfen. Ich kann Fräulein ganz im Vertrauen verrathen, daß es meinen Anstrengungen vielleicht gelingen wird, einen illustren Gast –“

„Ruhe da unten in der Log’; Eins will im Theater die Schauspieler hören, nicht die Advokaten!“ schrie plötzlich von der Galerie herab eine wüthende Stimme, und der Advokat richtete seine Gestalt, welche er tief über Riza gebeugt hatte, auf und schaute mit einer Miene hochmüthigen Erstaunens auf den Schreier, welcher sich mit dem ganzen Oberkörper über die Brüstung herabbeugte.

„Mon dieu, wie frech jetzt die Bauernbuben werden!“ sagte er, gelassen seinen schönen Bart arrangirend; dann aber erschrak er ein wenig; denn Riza war dunkelroth geworden, und Perfy Viktor fiel es ein, daß hinter dem schönen Mädchen eine Bäuerin saß, welche dessen Mutter war. So gerieth er denn ein wenig in Verlegenheit über seinen Mißgriff und empfahl sich ziemlich eilig, zum großen Aerger der Terka, welche in Wonne über die Herablassung des Edelmanns schwamm und in einem fort sagte: „Jesus, wie schön der halt plauschen kann! Eins glaubt gar nicht, welchen Unterschied es macht, ob ein Kavalier von Hunden und Pferden plauscht, oder ein Bauer! Wär’ nur nicht der dalkete Lump, der Stefan, dazwischen gekommen, der Unverschämte –“

„Aber, Mutter, er hat doch eigentlich Recht,“ fiel Riza ein, noch immer roth wie eine Rose, denn in ihr stritten Aerger und eine Art freudigen Respekts über Stefan’s dreistes Eingreifen, [746] „es war doch im Grunde rücksichtslos von dem Herrn, so laut zu sprechen –“

„Laß mich aus, albernes Kind!“ schalt Terka. „Hast kein Einsehen, daß es ein Unterschied ist, ob ein Bauer frech ist oder ein Edelmann? Das heißt, der Edelmann ist eben nicht frech, sondern kühn, und das ist halt sein Recht und steht ihm gut.“

„Das kann ich nicht finden,“ sagte Riza und hob eigensinnig das Köpfchen. Aber am Mittage des nächsten Tages stand sie doch am Fenster und lächelte mit allen Grübchen, als Perfy Viktor seinen schönen Rappen vor ihrem Fenster kourbettiren ließ und dabei höflich vertraulich hineingrüßte, und sein großer Hund, als kenne und theile er die Gefühle seines Herrn, sie schweifwedelnd mit den klugen, braunen Augen anblickte.

„Er schaut im Sattel weit schöner aus als so auf der Erden,“ sagte sie zur Mutter, die unaufhörlich hinter ihr knixte. „Er ist halt doch recht fesch und nun erst sein Pferd und sein Hund – Jesus, sein die schön!“

„Der Prinz, von dem ich geträumt hab’, der Prinz ist ’kommen!“ jubelte Terka und knixte noch einmal in tiefer Ehrfurcht hinter dem Davonreitenden her. „Jetzt muß ich aber schaun, daß ich die zwei Beiden rasch zusammenbring’, jetzt ist’s Eisen warm!“ [757] Der gütige Zufall half Terka, die Beiden, den „storchbeinigen“ Perfy Viktor und die schöne Riza, „rasch zusammenzubringen“. Noch an demselben Nachmittage empfing sie den Besuch der schon öfter genannten Institutsvorsteherin. Terka hätte aus Freude über die unverhoffte Ehre beinahe „ihrer Gnädigen“ die Hand geküßt; doch besann sie sich noch zu rechter Zeit auf ihre Würde als reiche Bäuerin. Sie begnügte sich damit, der Gnädigen aufzutischen, was nur die reich gefüllte Vorrathskammer von passenden und auch unpassenden guten Dingen zu Hause liefern konnte, und füllte trotz des Widerspruchs der alten Dame das Kelchglas derselben bis zum Rande mit Zuckerstücken, ehe sie den Milchkaffee hineingoß. Beim Genuß des also bereiteten Getränks kam Sarosdy [1] dann mit ihrem Anliegen heraus.

„Meine Gute,“ begann sie, „ich komme um unserer lieben Riza willen, der ich eine große Ehre zugedacht habe. Sie wissen doch, liebe Frau, daß am nächsten Sonntage unsere Gewerbe-Ausstellung eröffnet wird. Ich habe das Terrain für die Ausstellungsgebäude hergegeben – Sie wissen, das Stück Land, das ich im Winter zur Vergrößerung des Institutgartens kaufte, und das noch wüst dalag. Nun, die Szegeder sind halt dankbar gewesen und haben in Anerkennung dieser ‚patriotischen That‘ mich zum Mitglied des Ausstellungs-Komités gemacht. Und gar so unklug haben sie damit nicht gehandelt; denn ich habe alle die Decken und Teppiche, welche meine Schülerinnen für die Prüfung gearbeitet haben, zusammengerafft, habe die guten Franziskaner dazu gebracht, daß sie ihre alten goldgestickten Meßgewänder hergeliehen haben, die nun der Ausstellung einen prächtigen historischen Hintergrund geben. Dann bin ich zu allen Kaufleuten gegangen und habe so lang geredet, bis sie sich aus Paris und Wien die schönste Luxus- und Industriewaare haben kommen lassen, habe dann die herrlichen Gewand- und Wäschestickereien unserer Serbinnen und die bemalten hölzernen Näpfe und Löffel, welche unsere Bauern fertigen, so hübsch weit ausgebreitet und so malerisch drapirt und geordnet, daß ich, als Alles fertig war, beinahe selbst geglaubt habe, wir hätten eine Industrie auszustellen.

Meinem Gemahl, dem Sarosdy ur, hat das Arrangement so gefallen, daß er zu dem Komité gesagt hat: ‚Meine Herren, nun fehlt uns halt nichts mehr als ein gekröntes Haupt; dann ist unsere Ausstellung denen von Paris und Wien bei weitem überlegen.‘

Das haben die Herren auch eingesehen und sich nach einem fürstlichen Gaste umgeschaut. Aber der König hat abgelehnt, und der Kronprinz ist auf Reisen. So hat mein Gemahl gesagt: ‚Kriegen wir keinen Fürsten von Geburt, so laden wir uns einen König des Geistes ein, meinen alten Freund Ferencz, den größten Virtuosen der Welt, das edelste Kind des glorreichen Ungarlandes, den Erderschütterer und Herzenssieger.‘ Der große Meister ist [758] nämlich gerade in Budapest, und Sarosdy ur ist sein Jugendfreund. Nun, diese Rede meines Gemahls hat gezündet, und namentlich Perfy Viktor, ein vornehmer Advokat – sie nennen ihn ,den Raren’, weil er die Manie hat, immer ,das Rarste’ haben zu wollen – nun, einen kleinen Sparren zu viel hat am Ende wohl Jeder – also Perfy Viktor ist halt beinah verrückt worden bei dem Gedanken, daß er dem großen Mann wird vorspielen und sich dann seinen Schüler nennen können. Er hat fünf Briefe an ihn gerichtet in einem Ton, daß unser Herrgott schamroth werden möchte, wenn Einer ihn so ins Gesicht heinein lobte. Die Virtuosen sind aber daran gewöhnt und halten’s aus, und so wird unser großer Freund wirklich kommen und bei uns, bei Sarosdy ur, seinem Jugendfreund, wohnen.“

Sarosdy richtete ihre kleine Gestalt auf, warf einen siegesbewußten Blick umher und ging unwillkürlich aus der gemüthlich vertraulichen in eine höhere Tonart über, als sie fortfuhr:

„Natürlich weiß die Stadt die Ehre solches Besuches zu würdigen; man wird Triumphbogen bauen, die Häuser mit Kränzen schmücken, und eine Schar berittener Kavaliere unter Perfy Viktor’s Anführung wird unsern großen Freund abholen und zu dem Ausstellungspalast geleiten. Unter dem Portal desselben soll dann die schönste Jungfrau Szegeds dem greisen Beherrscher der Töne mit einer huldigenden Ansprache einen Kranz aus Lorbeeren und Rosen übergeben.“

Sarosdy pausirte einen Augenblick und sprach dann langsam die bedeutungsschweren Worte: „Mir ist die Ehre zugefallen, diese Jungfrau unter den Töchtern der Stadt auszuwählen und einzustudiren, und ich wähle –“

Sie hielt inne und schaute herablassend gütig auf Terka, welche den Athem anhielt.

„Ich wähle, liebe Frau – unsere Riza.“

Terka öffnete den Mund und stieß laut den Athem heraus.

„Meine Riza – das Kind – solche Ehr’,“ stammelte sie endlich beinahe weinend. „Und es ist also ein sehr vornehmer Herr, halt gar ein Prinz, dem sie das Grünzeug geben und das Gebet aufsagen soll? Und ist er halt noch jung, Gnaden? Gar ohne Frau vielleicht?“

Die alte Dame sah die Sprecherin verwundert an.

„Unser großer Meister ist alt und ein König im Reich der Töne, das heißt, er spielt halt ausgezeichnet Pianoforte,“ sagte sie ein wenig kurz.

„Jesus, das ist auch was Rechts! Und da soll meine Riza gar einem Zigeuner schön thun?“ meinte Terka sehr enttäuscht, und es dauerte eine geraume Weile, bis Sarosdy der Terka, welche als einzige Musiker von Profession nur die verachteten Zigeuner kannte, die Würde der Kunst in so weit klar gemacht hatte, daß sie die Ehre einigermaßen zu schätzen wußte, welche ihrer Riza widerfuhr. Sehr tröstlich war Terka der Gedanke, daß Perfy einer der Kavaliere war, welche „den Zigeuner“ einholen sollten. Wen Perfy ehrte, der mußte doch etwas gelten! Vor allen Dingen aber würde Perfy in nahe Berührung mit Riza kommen.

Einen großen Kampf gab es noch um den Anzug des Dirnleins; denn Terka wollte durchaus nicht leiden, daß es das ungarische Nationalkostüm anlegen sollte; ein recht enges modernes Kleid mit Quersäumen und Puffen erschien der Bäuerin viel vornehmer. Aber die Vorsteherin setzte ihren Willen durch und nahm sodann Riza gleich mit nach dem Institut, wo eine Hälfte ihres Köpfchens mit Versen und Verhaltungsmaßregeln, die andere mit der obligaten Begeisterung für den großen Virtuosen angefüllt wurde. Als Terka dann am Tage der Einholung ihr Töchterlein im Festschmuck wiedersah, war sie selbst erstaunt über die Schönheit der Kleinen. Riza’s Gestalt sah im vielfältigen rosenfarbenen Seidenrock und dem schwarzen Sammetmieder über der reich gestickten weißen Blouse so zart, ihr vor Aufregung blasses Gesichtchen unter dem goldgestickten weißen Schleier so feenhaft holdselig aus, daß Terka ein über das andere Mal vor sich hin murmelte: „Ein Prinzeßchen, das Kind, ein Prinzeßchen! – Und da kommt der Prinz für sie!“ rief sie aufgeregt aus, als ein sich fortwälzendes Eljen die Ankunft des berühmten Gastes schon von fern ankündigte und dem Zuge voraus Perfy Viktor dahersprengte, den Kalpak aus Silberfuchs mit der Brillantagraffe über der Habichtnase, den pelzgefütterten Dolman aus violettem Sammet auf den hohen Schultern, den krummen Säbel mit dem vergoldeten Griff wie zum Schlage ausholend in der Rechten.

Jetzt sah er Riza, die zitternd einen Schritt unter der blumenbekränzten Ehrenpforte hervortrat: ein Blick voll erstaunter Bewunderung, und er senkte salutirend den Säbel vor dem holden Dirnlein. Ein Murmeln ging durch die Versammlung, aber es wurde übertönt von dem donnernden Eljen, das den greisen Virtuosen empfing, der jetzt aus dem Wagen stieg und mit dem huldvollen Lächeln eines Königs auf Riza zutrat, die, ihren Kranz vor sich herhaltend, mit zitternder Stimme begann:

„O mächt’ger Herrscher in dem Reich der Töne,
Siegreicher Held, die blonde Tissa schaut
Des edlen Ungarlandes herrlichsten der Söhne –“

Hier hob Riza den Blick zu dem Gefeierten auf und sah dicht hinter ihm Stefan, der sich bis hierher durchgedrängt hatte, sie wie verzaubert anstarren, und neben ihm Perfy Viktor, noch zu Roß, mit dreister Bewunderung auf sie herablächeln. Eine ganz sonderbare, zwiespältige Bewegung trieb ihr das Blut ins Gesicht; sie stotterte, stockte, wiederholte sehr verlegen:

„Die blonde Tissa – herrlichster – o Söhne!“

und weil ihr die Worte und Reime immer sinnverwirrender im Kopfe tanzten und bei jeglicher Bemühung, sie festzuhalten, davonflatterten, brach sie ab, hob die jetzt mit Thränen erfüllten Augen flehend zu dem Gaste auf, faltete die Händchen über dem Kranze und sagte:

„Ich bitt’ schön, sein’s nicht schlimm, Herr, ich hab’ die Verse vergessen! Es stand drin, daß Sie gar so schön Pianoforte spielen und daß es eine Ehr’ für uns ist, und daß – daß wir den Herrn halt gar so lieb haben – und – da!“

Sie reichte ihm den Lorbeerkranz.

Und weil sie in ihrer Verwirrung sehr reizend aussah, wallte das Blut des greisen Gastes jugendlich auf, und er beugte sich zu ihr nieder und küßte sie auf den Mund.

„Eljen das Genie, Eljen die Schönheit!“ brauste es über den Platz.

Perfy Viktor sprang vom Pferde und flüsterte Riza zu: „Gesegnet die Lippen, welche der Kuß des Meisters geweiht hat“, und sah dabei aus, als möchte er dieses Segens gern theilhaftig werden, indem ihn Riza weitergab, als ein Arm, welcher wohl zu einem „frechen Bauernbuben“ gehörte, aber dafür recht kräftig war, den Perfy Viktor von ihr wegschob und eine zornige Stimme sagte: „Platz da, Herr, Sie versperren den Weg.“ Als Riza sich von dem Schrecken über diese That erholt hatte, war ihr vornehmer Bewunderer den Spuren des Meisters gefolgt, von dessen Glanze ein Abglanz auch auf ihn fallen sollte, sein bäuerlicher Nebenbuhler aber schaute sie zornig an. Sie ward durch diese Blicke so verwirrt, daß sie sich umwandte und bis in den Hintergrund der Halle floh, wo sie, den Arm auf ein einsames Klavier stützend, im Sturm der beängstigenden Gefühle ein wenig zu weinen begann.

Doch hatte sie nicht lange Zeit zu so thörichtem Thun: denn der Meister kehrte von seinem Rundgange durch die Ausstellung zurück und setzte sich, den stürmischen Bitten seiner Anbeter huldvoll nachgebend, an den Bechstein’schen Flügel, welchen Perfy Viktor der Ausstellung hergeliehen hatte, just denselben, an den sich Riza lehnte.

Der Meister hatte das sinnende Dirnlein wohl bemerkt; er ließ seine Blicke an dem holden Gesichtchen sich weiden, so lange seine Finger über die Tasten stürmten. Und allmählich kam ein Leuchten in die Augen des Spielers und ein Lächeln um seinen Mund.

„Schaut, wie er weltentrückt, wie er gottgleich über der Erde schwebt,“ raunte Perfy Viktor laut genug, daß der Meister es hören konnte. Und der lächelte mild und überlegen und schaute auf Riza, deren Augen in naivem Staunen den dahinstürmenden Fingern folgten.

„Jesus, was die laufen können!“ flüsterten ihre halbgeöffneten Lippen, sahen dabei aber so roth und lieblich aus, und die staunenden Augen blickten so fromm bewundernd, daß das arme Dirnlein wohl für holde Verkörperung andächtigen Kunstgenusses gelten konnte.

Als nun der Meister geendet hatte und Eljenrufen und Stampfen und Klatschen die Bretterwände der Halle erbeben [759] machten, Lorbeerkränze und Blumen auf das Klavier flogen, da nahm der alte Herr ein Kränzlein rother Rosen wie wägend und sinnend in die Hand, und als Perfy Viktor eben rief: „Eljen dem Beherrscher der Herzen!“ da lächelte der Meister und sprach: „Eljen meiner siegreichen Rivalin, der Schönheit des holdseligen Weibes!“ und er drückte das Rosenkränzlein der Riza aufs Köpfchen.

Jetzt erreichte die Begeisterung der kunstsinnigen Ungarn, die sich alle in Riza geehrt fühlten, den Siedepunkt, und kräftige Hände hoben den greisen Meister auf willige Schultern, und rasche Beine marschirten mit ihm durch sonnenglühende, staubige Straßen. Und als Riza da stand und voll Staunen dem seltsamen Zuge nachschaute, stieg ihre Schönheit und der Glanz, welchen die Huldigung des Meisters auf sie geworfen, dem Perfy Viktor zu Kopf. Er hob das nichtsahnende Dirnlein plötzlich in die Höhe, setzte es in den Wagen, welcher den Virtuosen von der Bahn geholt, und spannte sich mit etlichen andern begeisterten Jünglingen davor. Als sie des Meisters Träger an der nächsten Straßenecke einholten, setzten sie die alte Berühmtheit neben die junge Schönheit. Und dahin rollten „Genie und Jugend, von Begeisterung gezogen“, und das alte Genie lächelte halb amüsirt, halb wohlig, und die junge Schönheit ließ ihr Händchen von seiner Hand ein wenig zitternd gefangen halten und wollte sich sehr freuen, brachte es aber aus Scham und Verwirrung nicht recht zuwege. Plötzlich jedoch kam ihr der Gedanke, daß alle diese Huldigung, die ihr heut zu Theil wurde, sie in den Augen des jähen, gewaltthätigen Stefan zu der Höhe heben mußte, die ihr ihm gegenüber gebührte, und sie fühlte nun wirklich eine stolze Freude in sich aufsteigen.

Da stand er ja, der Stefan, in seiner reichen, schönen, aber bäuerlichen Kleidung, mitten unter den Kavalieren, welche den zurückkehrenden Wagen umringten. Und als Perfy Viktor die Riza heraushob und sie ein wenig länger als nöthig in den Armen behielt und sie darüber lieblich erröthete, drängte er sich zu dem Dirnlein heran und flüsterte: „Schämst Dich nit, dalkete Dirn, daß Dich von jedem Hansnarren küssen und um den Leib fassen lässest?“

Ah! Das war also der Respekt, den er der Riza bezeugte.

„Von jedem Hansnarren!“ Einen Halbgott und einen Edelmann wagte der Bauernbub so despektirlich zu benennen! Und sie, die Riza, die von Allen gefeierte Schönheit des Tages, sie wagte er zu schmähen, zu beschimpfen! Riza ward roth und bleich; sie rang nach Athem und kämpfte mit jäh aufsteigenden Thränen; sie stand da, als wäre ihr unbegreifliche, unverdiente Unbill geschehen; sie fühlte sich gedemüthigt, erniedrigt und zugleich zornig über sich selbst, daß der Bauernbub die Macht hatte, sie so tief zu kränken. Aber jetzt beugte sich Perfy Viktor zärtlich zu ihr nieder und legte, da der Zug sich hinter dem Meister wieder in Bewegung setzte, beim Weiterschreiten ihren Arm in den seinen. Sie sah dankbar zu ihm auf, der sie besser zu schätzen wußte als der Bauer.

Und in eben dem Augenblicke schaute sich der Meister um, sah der Beiden Blicke in einander tauchen und sagte in halb wehmüthigem Schmerz:

„Ja, ja, dem Alter die Lorbeeren, der Jugend die Rosen! Glückliche Jugend!“

Perfy’s Antlitz leuchtete auf in geschmeichelter Eitelkeit; er schaute Riza zärtlich an und drückte ihren Arm; Riza erglühte, und der Meister, welcher keine Ahnung von der Verschiedenheit der gesellschaftlichen Stellung Beider hatte, mißdeutete diese Vertraulichkeit und flüsterte:

„Ich darf gratuliren? Seliger Mann, dem die schönste Ungarin das Glück ins Haus bringt! Halten Sie’s fest, Perfy ur, so lang es nur bleiben will! Denn es hat Flügel.“

Da wollte Riza erblassend ihren Arm aus dem Perfy’s ziehen, und auch dieser zuckte ein wenig zurück; denn es war Perfy noch nicht in den Sinn gekommen, die Tochter der Bäuerin zu seinem Weibe zu machen. Aber im nächsten Augenblick zog er Riza’s Arm um so fester in den seinen; Perfy Viktor mußte ja immer das Rarste von Allem haben, was es in Szeged gab: das beste Klavier, das schnellste Pferd, den größten Hund – die schönste Frau. Und die war Riza heut geworden, da der Meister sie zur Schönsten der Stadt erklärt, da ihm die Menge beigestimmt und das Dirnlein im Triumph als Schönheitskönigin durch die Stadt geführt hatte. Riza war heut eine Berühmtheit geworden, und eine Berühmtheit mußte Perfy Viktor zu seinem Eigenthum machen. Der große Meister hatte keine Zeit gefunden, des Perfy Viktor Klavierspiel zu hören und – zu loben; das kränkte den Perfy von Herzen; denn was half ihm seine Gefolg- und Jüngerschaft, wenn nicht vom Ruhme des Meisters etwas auf ihn überstrahlte? Nun hatte der Große wenigstens des Perfy Braut geküßt; das konnte Perfy allen Leuten erzählen, mit denen er bis zum Ende seines Lebens in Berührung kam.

So drückte er zärtlich Riza’s Arm und flüsterte:

„Morgen komme ich zu Ihrer Mutter, theure Riza!“

Sie gab ihm keine Antwort; aber er erwartete auch keine; es war ja selbstverständlich, daß Riza die Ehre zu schätzen wußte, das Weib des ersten Kavaliers in Szegedin zu werden.

Und Riza schätzte sie auch, schätzte sie um so höher, als sie schon morgen dem schlimmen Stefan beweisen konnte, daß sie sich nicht „von jedem Hansnarren um den Leib fassen ließe“, sondern nur von ihrem künftigen Gatten, der ein Edelmann war – wie der Stefan ein Bauer!

Aber als Riza zu Hause der Mutter, welche sich in der Ausstellung auf Betreiben der klugen Vorsteherin im Hintergrunde gehalten, des Perfy Vorsatz mittheilte und Terka freudestrahlend das Dirnlein in die Arme schloß und es ihr Prinzeßchen nannte, ihr Edelfrauchen, dem von nun an alle Grafen und Prinzen der Welt zu Füßen liegen würden, da bat Riza die Mutter, noch ein Weilchen in den nächtigen Garten gehen zu dürfen; es sei so heiß drinnen, sie meine ersticken zu müssen.

Darüber lächelte Terka und gewährte dem Töchterlein die Bitte; es war natürlich, daß das junge Herz brannte und hüpfte.

Ah, am Ziel! Schwiegermutter eines Edelmanns! Terka’s Augen blitzten, als hätte sie feurigen Wein getrunken – den Wein befriedigten Ehrgeizes!

Und wie sich des Janos’ Ebenbild, der Stefan, ärgern würde! Vielleicht empfände er gar dasselbe Weh, dieselbe Demüthigung, dasselbe Brennen im Blut, im Herzen, im Stolz, das der Vater sie einst hatte erleiden lassen! Ah, am Ziel! Gerächt durch die Tochter!

Unterdessen saß das Töchterlein draußen unter den Zweigen des Maulbeerbaums und weinte. Worüber? warum? wußte es selbst nicht. Es war ihm nur so beklommen zu Muth, so, als solle es eingesperrt werden und müsse nun Abschied nehmen von Blumen und Jugend und Frohsinn. Aber vom Nachbargarten zog süßer Fliederduft herüber, und der Mond goß silbernes Licht über die Blumenbeete; hinter dem Garten das Feld sah so weit und blau aus; die Abendluft umschmeichelte so wohlig die Schläfe: Riza hörte auf zu weinen und selbst zu denken; wieder kam jenes unbestimmte, träumerische Sehnen über sie, und in jenes Sehnen hinein dasselbe Bild: Stefan reichte ihr die Rosen mit einem Blick, so warm und sehnsüchtig wie die Frühlingsnacht.

Da rief die Mutter – das Bild zerfloß; die Beete lagen grau da, die Schatten waren tief, die Gegenstände hart und deutlich – und Stefan war ein Bauer, der weite Linnenhosen trug, der sie von Kindheit auf gekränkt und verfolgt hatte – und sie selbst wurde nun eine Edelfrau.

Am nächsten Tage holte sich Perfy das Jawort; in wenigen Wochen sollte, wie gebräuchlich, die Hochzeit sein. Als der Bräutigam die Braut in seine Arme schloß und küßte, lief ihr ein Schauer über den Leib; er hatte so feuchtglatte, dicke Lippen!

Da aber Perfy Viktor als ein musterhafter Kavalier gewissenhaft die Sitte respektirte, welche in Szegedin die Verlobten so vorsichtig aus einander hält, als wäre die Braut ein Pulverfaß und der Bräutigam eine Fackel, so wiederholte sich dieser Schauer nicht oft bei Riza; der unbewußte Widerwille in ihr hatte nicht Gelegenheit zu explodiren, sondern glimmte nur heimlich fort oder schoß von Zeit zu Zeit ein unschädliches kleines Flämmchen von Reizbarkeit und Widerspruchsgeist empor. Auch kam Riza kaum zum Denken und Fühlen; denn Terka hielt sie streng bei der Arbeit, und die Magazine schickten der reichen Bäuerin schier erdrückende Mengen von Stoffen und Geräthen ins Haus, so daß viele Tage mit dem Prüfen und Auswählen aller dieser für ihre kleine Person und ihr künftiges Haus bestimmten Herrlichkeiten ausgefüllt wurden. Dabei gewann sie in ihren eigenen Augen [760] eine Wichtigkeit, welche die bräutliche Freude ersetzen mußte. Und die unklare Furcht vor der Vermählung, welche näher und näher rückte wie ein unaufhaltsames, unabwendbares Naturereignis, wich allmählich der innigen Freude auf die Hochzeitsreise nach Paris, das ihre Phantasie und des Verlobten Berichte mit wunderkräftigem Zauber umgaben.

So beschäftigt, merkte sie gar nicht, daß die Mutter sie in diesen Wochen kaum das Zimmer verlassen und nie allein den Hof betreten ließ.

Terka hatte ihre guten Gründe zu solcher Vorsicht; allabendlich, und oft genug auch am Tage, sah sie ihren Erbfeind, den Stefan, auf dem Maulbeerbaum sitzen und mit den schwarzen Augen in ihren Hof spähen, als lauere er auf ein Wild, das ihm endlich über den Weg laufen müsse.

Und als Terka einmal in dunkler Nacht noch den Garten betrat, sah sie etwas Weißes auf dem Maulbeerbaum schimmern, und dieses große Weiße mißkannte in der Finsterniß die Terka und schleuderte etwas kleines Weißes ihr gerade vor die Füße. Und als Terka dasselbe aufhob, war es ein Zettel, der um einen Stein gebunden war. Da lief Terka ins Haus und entzifferte bei der Küchenlampe mit großer Mühe – denn sie konnte Geschriebenes schlecht lesen – die Worte:

„Ich muß Dich sprechen; komm’ gleich her, stell’ Dich auf den Tisch unter dem Maulbeerbaum, damit wir leise zusammen reden können.“

Terka verspürte nach dieser Lektüre auch große Lust, mit dem Burschen zu reden, aber sie bezwang sich und that Besseres. Sie band den Zettel wieder über den Stein, schlich in den Hof zurück, kletterte mit großer Mühe auf den Tisch, und ganz stillschweigend – sie preßte die Lippen mit Gewalt zusammen – schleuderte sie die verirrte Liebesbotschaft mit voller Wucht dahin, wo das Weiße auf dem Maulbeerbaum schimmerte. Ein unterdrückter Schrei bewies, daß der Wurf getroffen habe; darauf kletterte drüben das Weiße schleunigst vom Baum, hüben die Terka vom Tisch, Beide in lautlosem Schweigen. Seit dieser Nacht hatte Terka den Feind nicht mehr auf dem Maulbeerbaum erblickt, bewachte aber die Tochter ängstlicher denn je.

Mit solchem Thun arbeitete sie unwissentlich Riza’s Verlobtem in die Hände. Es wäre dem Perfy Viktor sehr peinlich gewesen, der Welt – das heißt Szegedin – das heißt dem Kreise seiner Bekannten – seine Braut, von deren Ruhm er die Stadt widerhallen machte, in der unerläßlichen Begleitung der bäuerischen Mutter vorzustellen. Unangenehm genug war es schon, daß er einige seiner Verwandten zum Vorabende seiner Hochzeit hatte einladen müssen; doch hatte Riza die Anwesenheit dieser Gäste als so selbstverständlich angesehen, daß Perfy seine empfindliche Braut durch eine direkte Weigerung nicht zu reizen gewagt hatte. So lud er denn einige seiner auf dem Lande lebenden Verwandten – nur Herren – zum Polterabend, in der stillen Hoffnung, daß die Schwiegermutter, welche ihm gegenüber noch sehr schüchtern auftrat, sich bescheiden im Hintergrunde halten werde.

Leider erwuchs ihm aber im letzten Augenblick noch eine schlimmere Verlegenheit. Er hatte die Schönheit seiner Braut und die Huldigungen der greisen Berühmtheit auch seiner vornehmen Tante, der Tochter des seligen Obergespans, so oft vorgerühmt, daß die alte Dame in halber Neugier und halbem Wohlwollen ihrem erschrockenen Neffen das herablassende Versprechen gab, seine Hochzeit mit der Schönheit Szegedins durch ihre Gegenwart zu ehren. Jetzt mußte er ihr Riza doch vorstellen, und zwar in der unerläßlichen Begleitung ihrer Mutter, und so lange Perfy auch mit der Erfüllung dieser unangenehmen Pflicht zögerte, endlich kam der letzte Tag vor dem Polterabend, und der Gang mußte gemacht werden.

Terka hatte sich zu dieser Feierlichkeit auf Perfy’s Wunsch in städtische Kleidung stecken müssen; aber als sie nun in dem schweren, schwarzen Seidenkleide, welches sein unfehlbarer Geschmack für sie gewählt und an dem die beste Schneiderin ihre Kunst erprobt hatte, über die Schwelle trat, da wich Perfy entsetzt einen Schritt zurück; denn das enge Gewand wickelte eine so derbknochige Gestalt ein, spannte sich um so breite Hüften – und der dicke, kurzgeschorene Kopf mit dem breiten, rothen Gesicht sah unter dem zierlichen Kapottehütchen so unglaublich komisch hervor, wie – ja wie der einer Köchin, welche die Kleider ihrer Herrin angezogen hat.

Auch Riza erblaßte beim Erscheinen der Mutter; aber der erschreckte und verächtliche Blick, mit welchem ihr Verlobter Terka maß, kränkte ihren Kindesstolz so tief und regte den Widerwillen gegen Perfy so stark in ihr auf, daß sie ihre alte Entschiedenheit wiedergewann. Sie ging auf die Mutter zu, streichelte ihr die Wangen und sagte zärtlich und bestimmt: „In dem abscheulichen Kleid schaut mein stattliches Mutterle beinah’ garstig aus. Auch erstickst Du bei der heutigen Hitze in dem engen Gewand. Geschwind, leg’ den schönen faltigen Seidenrock und das Kopftuch wieder an; wir warten derweil.“

Die Entschiedenheit, mit welcher sie sprach, verletzte aber Perfy’s eingebildete Selbstherrlichkeit gar zu stark, und so sagte er in seinem hochmütigsten Ton, mit beiden Händen in scheinbarer Gelassenheit seinen stolzen Bart ordnend:

„In Bauerntracht kann meine Schwiegermutter nicht bei der Tochter des Obergespans, meiner Tante, erscheinen. Kommen Sie, Riza. Wollen Sie vorausgehen. Frau Mama?“

Terka wollte schon eingeschüchtert gehorchen; aber in ihrem Töchterlein bäumte sich der gesunde Stolz der Jugend gegen unrechtmäßige Tyrannei auf; es trat von Perfy’s dargebotenem Arm zurück und sagte:

„Wir sind nicht gewohnt, Befehlen zu gehorchen, Perfy Viktor.“

„Nicht?“ – gab er mit einem höhnischen Blick auf die frühere Köchin zurück, fügte dann aber in wieder gewonnener Selbstbeherrschung hinzu:

„Die Liebe wird Sie die süße Pflicht der Unterwerfung lehren, theure Riza.“

„Die Liebe?“ rief Riza mit sprühenden Augen. „Aber ich liebe –“

In diesem kritischen Augenblicke gewann Terka ihre ganze Geistesgegenwart. Sie herrschte die Tochter an:

„Schwätz’ nicht soviel, Riza, die Visitenstund’ geht sonst vorüber, eh’ wir zu Teleky kisasony[2] hinkommen, und außerdem wird’s gleich losgewittern; es zieht schon ganz schwarz auf; geschwind, gieb Perfy Viktor den Arm – und vorwärts, Ihr Beiden!“

Mit heimlicher Bewunderung für die plötzlich erwachende Klugheit seiner Schwiegermutter zog Perfy Riza’s widerstrebenden Arm in den seinen und ging rasch mit ihr voran. Die Mutter folgte, mühsam die Beine in dem engen Gewand hebend, wie eine Henne hinter ihren Küchlein hersteigt.

Aber ach, wenn ihre Sünden einst gewogen werden, so wird die Stunde, welche sie bei der Tochter des Obergespans verlebten, allen drei Personen schwer in die Wagschale der Gnade fallen. Als das alte Fräulein Teleky, in schwarze Seide gehüllt, Wespe an Taille, Aristokratin in jedem Zuge ihres hochmüthigen, hageren Gesichtes, mit vornehm langsamen Bewegungen dem Besuche entgegentrat und die Mutter der Schönheit Szegedins, ihre zukünftige Verwandte, erblickte, wurde ihre Nase spitz und ihr gelbliches Gesicht aschfarben. Sie reichte Terka zögernd die Fingerspitzen und richtete, so viel es ihre vollkommene Erziehung erlaubte, ihre Rede an Perfy Viktor; denn auch Riza’s Lieblichkeit wurde in den Augen der Aristokratin völlig von dem Umstande ausgelöscht, daß eine so plebejische Mutter hinter ihr stand.

Terka aber wurde aus Verlegenheit vertraulich und geschwätzig. Sie schüttelte derb des alten Fräuleins Hand und sagte:

„Schaun’s, Gnaden, da bring’ ich Ihnen nun die Riza. Sie ist halt a herziger Fratz, halt nit, Gnaden? Perfy Viktor kann schon mit ihr zufrieden sein; denn schön ist sie, die Riza, und reich auch – und so lieb und herzig – und plauscht halt französisch, wie ich ungarisch – und der alte Mann, von dem sie so ein Wesen und Gethue in Szeged machten, hat die Riza geküßt und gesagt, sie sei die Schönste in der ganzen Stadt, und ich sag’s auch und hab’ immer gemeint, ein Prinz werd’ nach ihr kommen – Aber der Perfy Viktor ist mir auch schon recht; denn er ist ein vornehmer Kavelier und fesch und hat Alles vom Besten – und ich sag’ immer, ich weiß, daß er uns eine Ehr’ anthut, und freu’ mich, daß die Riza in eine vornehme Familie hineinheirathet, und sie wird halt eine schöne Edelfrau werden –“

[773] Terka war die Erste, welche, als das Gewitter sich gelegt hatte, die Sprache wiederfand. Sie zog hörbar die Luft ein, lachte dann laut auf und sagte mit der Vertraulichkeit, welche die Frucht der gemeinsam bestandenen Gefahr war:

„Wenn uns das Wetter auf der Gasse überrascht hätt’! Hut und Schuhe hätt’ man hernach dem Haderlump geben können und die Kleider vielleicht auch – meins kostet allein über zweihundert Gulden! Und Sie hätten sich ja wohl aus Haut und Haaren geängstigt, Fräulein! Ihre Nase ist noch ganz weiß! Warten’s, ich bring’ Ihnen ein Schlückchen Wein zur Herzstärkung.“

Ja, die Terka war sonst eine erfahrene Frau; aber das wußte sie noch nicht, daß wir uns nur in Momenten von Angst, Grauen und Schmerz, selten, sehr selten in solcher schönen, stürmischen Freude an etwas Großem, Allgemeinem als Menschen unter Menschen fühlen, daß aber, sobald der fliegende Puls sich beruhigt, wir wieder Aristokraten und Plebejer, Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete sind, einander fremd und unnahbar wie die Bürger verschiedener Welten.

Teleky kisasony trat vor Terka, die ihr vertraulich auf die Schulter klopfen wollte, zurück und dankte verlegen und wortkarg.

Aber Terka, die noch immer nicht das Bewußtsein der veränderten Sachlage gewonnen hatte, fuhr ebenso vertraulich fort:

„Wir müssen jetzt nach Hause; sonst kocht uns meine Janka einen Teufelsbrei statt Gulasch zum Nachtmahl. Aber morgen kriegen’s was Gut’s zu speisen, Teleky kisasony; denn wenn ich auch halt nicht gut plauschen kann und meine Riza mich in der Hinsicht in den Sack steckt, kochen kann ich dafür wie Eine; ’ne bessere Köchin als mich hat’s halt auf der Welt kaum gegeben, und meine frühere Gnädige hat immer gesagt: ‚Terka,‘ hat sie gesagt, ‚so wie Du –‘“

„Wir wollen gehen,“ sagte Perfy Viktor, ihr kurz die Rede abschneidend. Er war dunkelroth geworden und hatte eine dicke Zornesader auf der Stirn.

„Nu, nu, nicht gleich so hitzig, Sie Schlimmer, wenn die Schwiegermutter sich halt mal verplauscht,“ sagte Terka mit einem Versuch zu scherzen und wandte sich dann nochmals an das Fräulein:

„Kommen’s halt recht zeitlich, Teleky kisasony!“

Aber das alte Fräulein war weder geneigt, noch fähig, Terka’s Zudringlichkeit als das zu nehmen, was sie war: gutmüthiges Verkennen der Sachlage, und da in ihren Augen Taktlosigkeit weit unverzeihlicher war als Bosheit, so erwiderte sie kurz und kalt:

„Da ich es einmal meinem Neffen versprochen habe, werde ich kommen, liebe Frau.“

Ehe Terka wieder zu Worte kam, war Riza zu ihr getreten; sie zog ihrer Mutter Arm in den ihren, verbeugte sich förmlich und kühl gegen das alte Fräulein und schritt mit der Mutter hinaus, ohne sich nach ihrem Verlobten umzuschauen, der wie betäubt folgte.

In tiefem Schweigen durcheilten die Drei die Gassen, und da der Regen dieselben in Sümpfe verwandelt hatte und die das Trottoir vertretenden Holzbretter sehr schmutzig waren, schürzte Terka ihr Kleid haushälterisch nach Bauernart, was den [774] nachfolgenden Perfy recht unangenehm berührte. Doch sprach auch er kein Wort; denn er fürchtete, wenn er überhaupt spräche, sich nicht mäßigen zu können.

Nur Terka, welche noch immer nicht begriff, was geschehen, war mehr verblüfft als zornig, und da sie sich weniger mit ihren Gedanken beschäftigte als das Brautpaar, war sie auch die Erste, welche gegenüber ihrem Wohnhause, just an der Stelle, wo die Diele über dem unergründlichen Schmutz des Straßendammes lag, ihren Feind, den Stefan, stehen und nach Jemand ausschauen sah.

Terka erschrak heftig. Wenn es Riza war, auf welche Stefan wartete! Was konnte er aber zu thun wagen in Gegenwart vvn Mutter und Bräutigam?

Und doch, dem Buben, einem Nichtsnutz von Jugend, ja von Geburt an – denn er war eines Nichtsnutzen Sohn – mußte man Alles zutrauen.

Terka begann vor Aufregung zu zittern. Aber es war unmöglich, einen anderen Uebergang über den Straßendamm zu wählen, ohne umzukehren! Und dann hätte sie ja das Brautpaar ins Vertrauen ziehen müssen! So stieg denn Terka in ihrem engen Kleid, das sie jeden Augenblick von Neuem aufraffen mußte, weil die Schleppe immer wieder herabfiel, mühsam und angstvoll neben Tochter und Schwiegersohn der gefährdeten Stelle zu.

Nun hatte auch Riza den Stefan erblickt; sie wurde dunkelroth und verlangsamte den Schritt.

Aber endlich kamen doch alle Drei an der fatalen Stelle an und sahen – daß die Diele verschwunden war. Ob der Wolkenbruch sie fortgeschwemmt, ob irgend ein Bösewicht sich an ihr vergriffen und sie weggeschleppt hatte, das weiß kein Mensch, außer vielleicht dem Stefan; der aber stand und schwieg und schaute Riza an, die, roth wie Blut und völlig verwirrt, Miene machte, mitten durch den Schmutz zu waten.

„Riza, bist Du toll?“ schrie Terka entsetzt; aber in demselben Augenblick stand Stefan neben Riza, hob sie auf und trug sie nun auf seinen Armen durch den Lehm, der ihm bis über die Mitte der Stulpstiefel ging.

Terka stieß einen Schrei aus und stand einen Augenblick starr vor Schreck und Wuth; dann verleugnete sie vor den Augen des entsetzten Schwiegersohnes alle Bildung, nahm ihr Kleid über den Kopf und stieg dem Paare nach, zuerst zeternd, dann keuchend; denn kaum hatte sie ein paar Schritte gethan, so hing sich der zähe Lehm an sie, zog ihr die Schuhe aus, machte aus ihren Kleidern eine kleisterige, schwere Masse, und sie mußte mühsam einen Fuß nach dem andern aus dem gelbbraunen, zähen Teige herausziehen. Endlich blieb sie in der Mitte des Weges ganz stecken und, die Arme mit dem noch immer behüteten Seidenkleid hoch über dem Kopf haltend, bis über die Kniee eine Lehmmasse, stand sie da wie ein oben geformtes, unten formloses Götzenbild, ein Opfer ihrer mütterlichen Pflichttreue.

Unterdessen war Stefan mit seiner schönen Last weiter geschritten und zwar, um genau zu berichten, nicht in der kürzesten, geraden, sondern in einer recht schrägen Linie. Riza hatte, um sich fest zu halten, instinktiv die Arme um seinen Hals geschlungen; er fühlte ihre Hände zittern und ihr Herz klopfen: so, nun hatte er, was er so lange vergeblich, mit Sehnsucht, Zorn, Verzweiflung im Herzen, erstrebt, das geliebte Mädchen allein mit sich, in seinen Armen – freilich nur für einen Augenblick, den er aber ausnutzen konnte, auszunutzen sich geschworen hatte, einen Augenblick, den er mit aller Schlauheit und Energie eines verzweifelten Liebhabers sich selbst geschaffen hatte. Nun mußte er sprechen, mußte Alles vorholen, was sich seit Jahren in seinem Herzen aufgehäuft, mußte sie beschwören, überreden, schelten – und nun klopfte ihm das Herz bis in den Hals hinauf; die Kehle war ihm wie zugeschnürt; im Kopf wirbelten die Gedanken schwindelerregend herum, taumelten über einander, und nur zwei blieben aufrecht stehen:

„Sie nicht mehr aus den Armen lassen, sie tragen immerzu, bis ans Ende der Welt!“ jauchzte der eine, und der andere pfiff gellend dazwischen: „Sie ist bloß eine hübsche, dumme Puppe; sie läßt mit sich machen, was die da drüben wollen –“

In diesem Augenblicke stieß Terka einen Hilferuf aus; Riza wandte das Köpfchen, sah die Mutter im Schlamm stecken, that einen kleinen Schrei und löste unwillkürlich ihre Arme vom Halse des Stefan; der Zauber war gebrochen. Auch Stefan schaute zurück, sah das arme Götzenbild hilflos genau in der Mitte zwischen den Beiden stecken, die seine Schwiegersöhne werden wollten, sah den begünstigten Bewerber rathlos und verlegen seinen schönen Bart streichen und auf den Lehm und auf seine eigenen mehr elegant bekleideten als leistungsfähigen Gliedmaßen schauen, die zum Ritterdienst für die gewichtige Schwiegermama weder geeignet noch gewillt waren. Da setzte Stefan die Riza vor ihrem Mutterhause auf den Boden, schluckte ein paarmal, als wollte er etwas sagen, was nicht herauskönnte, nahm sie plötzlich mit beiden Händen bei den Schultern, schüttelte sie tüchtig und stieß dabei, dunkelroth im Gesicht, heraus:

„Schäme Dich – Du – Du – schäme Dich!“

Dann ließ er die völlig Fassungslose stehen, watete beherzt zum Götzenbilde, das ihn, wie wirklich versteinert vor Erstaunen, anstarrte, zog und hob mächtig an dem armen Koloß, bis er ihn auf seinem Rücken hatte, und schleppte ihn hinüber, diesmal kühl bis ans Herz hinan. Hierauf stellte er den triefenden Koloß neben Riza, die blaß und stumm dastand, wandte sich und ging, ohne daß Einer von den Dreien ein einziges Wort gesprochen hätte.

Drüben jenseit des Schlammes stand der Vierte auch blaß und stumm, wandte sich dann und schlich fort.

Wäre Perfy Viktor seinem jetzigen Gefühle gefolgt, so wäre er nimmer dieses Weges wiedergekommen. Er schämte sich der unpassenden Verbindung, die ihn in seinen eigenen Augen und in denen der Verwandten erniedrigte; er schämte sich der Schwiegermutter und hatte jenes dem Haß verwandte Gefühl gegen seine Braut, welches ein sehr eitler Mensch gegen den empfindet, den er als tief unter sich selbst stehend und von seiner Huld begnadigt ansah und der sich nun plötzlich gegen ihn auflehnt. Riza sollte das büßen; sie sollte fühlen, daß er ihr Herr, daß sie in seinen Augen ein Nichts sei; sie sollte tief gedemüthigt vor ihm zittern – wenn sie erst seine Frau war!

Denn heirathen mußte er sie – leider! Perfy Viktor selber hatte ja mit ihrem Ruhm die Stadt erfüllt; ganz Szegedin wartete gespannt, daß er die Schönste der Schönen in die Gesellschaft führte, ganz Szegedin, welches daran gewöhnt war, daß „der fesche Perfy“ das Rarste von Allem aufspürte und für sich nahm.

Schlaflos und unruhvoll lag in dieser Nacht auch die junge Braut auf ihrem Lager. Scharf und brennend wie ihr Verlobter empfand sie heute zum ersten Mal das Erniedrigende der Verbindung, welche sie in ihrer Unerfahrenheit übereilt eingegangen war.

„Schäme Dich!“ hatte Stefan gesagt.

Und sie schämte sich, daß ihr die Gluth in die Wangen schoß, daß sie das Gesicht in die Kissen drückte, als müsse sie’s verbergen selbst vor der blinden Nacht. Sie sollte eines Mannes Weib werden, der, das wußte sie jetzt, niedrig dachte und fühlte, der die Mutter verachtete, weil er keine Augen und kein Herz hatte für ihre Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit und Güte; der an ihr selbst nichts schätzte, nicht ihr Herz, nicht ihren Verstand, nicht ihren Frohsinn, nicht einmal ihre Schönheit; dem sie nur „’was Rares“ war!

„Schäme Dich!“

Ja, schäme dich; denn bist du besser als er? Warum verlobtest du dich mit ihm? Schätztest du ihn, hattest du ihn gern? Nein! Aus kindischer Eitelkeit gabst du ihm das Jawort. Du, die Bauerntochter, wolltest in vornehme Gesellschaft kommen, seidene Kleider tragen und auf feine Bälle gehen; du, die Bauerntochter, fühltest dich geschmeichelt durch die Bewerbung des Edelmannes! Und vor Allem, du wolltest dem Stefan zeigen –

„Schäme Dich! Du – Du – schäme Dich!“

Der Ton, mit welchem der brave, fleißige Stefan die Worte hervorgestoßen, klang ihr im Ohr und Herzen. Und sie hatte ihn verlacht und verachtet, weil er sich seiner ehrlichen Arbeit und seines ehrlichen Standes nicht schämte, den Stefan, der tausendmal gescheiter, tausendmal braver und besser war als sie – und der sie dennoch liebte, noch jetzt liebte!

Und nun schossen ihr die Thränen aus den Augen, und ihr Herz jubelte dabei und sang den Lerchensang: „Er liebt mich! er liebt mich!“ und flog mit den Worten empor, hoch über den Staub und die Verwirrung und den Schmerz der Erde bis in den blauen Himmel hinein.

Und so, von seinem hohen Himmel her, schienen ihm die irdischen Dinge so klein und ihre Verwirrung so leicht zu lösen, [775] und es war so geschwellt und ganz erfüllt von dem leichten und treibenden Muth der Jugend und Liebe, daß aus ihm heraus wie ein ’Jubelruf die Worte über Riza’s Lippen drangen:

„Mutter, liebe Mutter, wachst Du? Mutterle, ich liebe den Stefan und er mich! Und morgen in der Früh’ geben wir dem garstigen Perfy Viktor, den Abschied – halt ja?“

Ach, arme Riza, wie rasch ihr Herz vom Himmel herab auf die Erde fiel, getroffen von bösen, bösen Worten aus sonst so gütigem Munde! So gut hatten Mutter und Tochter bisher sich verstanden, so liebevoll stets mit einander geredet, und nun war’s, als ob zwei Feinde einander bekämpften; denn durch das Dunkel der Nacht, das die lieben, altvertrauten Gesichter verhüllte, klangen die Worte so schwer, so kränkend …

Als der Morgen graute, hatte Terka sich zu der Drohung verstiegen, sie werde Riza aus Haus und Herzen stoßen, wenn sie gegen den vornehmen Freier, der unermeßliche Ehre ins Haus bringe, ein Wort verlauten lasse von der dummen, eingebildeten Liebe zu dem verhaßten Sohne eines schlechten Vaters; Riza aber hatte ebenso entschieden versichert, sie werde eher sterben, als des niedrig gesinnten Perfy Weib werden.

Stumm und ohne einander anzublicken, erhoben sich dann Mutter und Tochter, und während die Erstere in die Küche eilte, um Vorbereitungen zum festlichen Nachtmahl zu treffen, blickte Riza hilfesuchend aus dem Fenster und sah Stefan auf dem Maulbeerbaum sitzen und hinüberschauen. Da ging sie resolut durch die Küche an der Mutter vorbei in den Hof und rief laut zum Baum hinauf:

„Du, Stefan! geh’ zu Perfy Viktor und sag’ ihm –“

Da war die Mutter schon neben ihr, riß sie zurück in die Küche und schrie:

„Ich verfluche Dich, wenn Du dem Perfy Dein Wort brichst!“

Bleich wich Riza zurück; der Fluch der Mutter war etwas, worüber sie nicht hinauskonnte, was Gewalt über sie hatte. Endlich sagte sie tonlos:

„Ja, ich werde ihn heirathen, den Perfy, der Dich und mich verachtet. Und weißt, was hernach kommen wird? Dich wird er aus seinem Hause jagen, weil Du eine Bäuerin bist, mich wird er mißhandeln, weil er mich nicht wird zwingen können; denn ich werde ihn hassen und verachten und ihm trotzen – und dann werde ich sterben vor Gram, und der Stefan auch –“ hier schluchzte sie auf und zwischen dem Schluchzen kam noch hervor: „Und Du wirst Schuld haben an seinem Tod und dem meinen und – und –“

Sie legte den Köpf auf den Küchentisch und weinte laut.

Terka zog sie bei der Hand in die Höhe, führte sie in die Kammer und sagte:

„Hier bleibst, bis Du gescheit geworden bist; mit solch dalketem Fratz werd’ ich halt noch fertig werden!“

Sie schloß die Tochter ein und murmelte vor sich hin:

„Bis zum Abend wird sie sich beruhigen. Und ist sie erst Edelfrau und in Paris, wo alle Gassen mit Steinen gepflastert und in den Häusern die Wände aus Spiegeln und Marmelstein sind, wo es so viele Grafen giebt wie Ziegel auf den Dächern, Grafen, die ihr alle flattiren – denn ein herziger Fratz ist sie doch, das dumme Ding – dann wird sie mich segnen, daß ich heut ihre Narrheit gezwungen hab’.“

Aber noch einmal sollte Terka’s Fassung ernstlich erschüttert werden. Denn Stefan betrat, zum ersten Mal in seinem Leben, ganz frank und frei durch die große Vorderthür ihr Haus – gut nur, daß sie die Riza in die Kammer gesperrt hatte, wo sie von dem frechen Buben nichts hören und sehen konnte!

Der Stefan hatte zuerst verlegen etliche Sätze gestottert; aber bald hatte er die Scheu abgeschüttelt und hatte der Terka gesagt, er, der Stefan, liebe Riza und er glaube, sie liebe ihn auch, und da sei es eine Sünde und Schande, daß die Mutter sie zur Ehe mit dem miserablen Gliederschlotterer zwingen wolle, dem Advokaten, der keine Kraft in den Knochen, kein Herz im Leibe, kein Geld im Beutel und bloß Dünkel im leeren Gehirnkasten habe. Und wenn die Mutter ein Einsehen haben und ihm, dem Stefan, die Riza zur Frau geben wolle, so werde er Riza sein Leben lang auf den Händen tragen und die Mutter hochhalten wie seine eigene. Wenn aber Terka seine Riza zwingen wolle, so werde er dem Dirnlein aus der Noth helfen, und solle er den Advokaten noch am Altar von ihr reißen oder gar todtschlagen.

Terka hatte dem frechen Buben gehörig heimgeleuchtet. Aber er hatte ihr doch einige Besorgniß dagelassen. Wer weiß, wozu der Kecke fähig war! Muth genug hatte er zu den größten Tollheiten; wie ihm die schwarzen Augen geblitzt hatten! Sauberer war er schon als der storchbeinige Perfy Viktor, und reden konnte er – auch handeln, wie er gestern erst bewiesen hatte. Es war doch eigentlich hübsch von ihm gewesen, daß er sie, die Terka, die ihm die Jahre hindurch so viele schlimme Worte gegeben, aus dem Schlamm gezogen und hinübergeschleppt hatte. Und sie war nicht leicht! Perfy Viktor wäre sicherlich unter der Last zusammengebrochen. Das heißt: er hätte sie überhaupt nie auf sich zu nehmen versucht; zu solchem Dienst war er viel zu vornehm.

Zu vornehm! Daß er sich doch ja nicht zu viel einbildete! Wenn der Stefan seine Kleider anzöge, wäre er dann nicht ein schönerer Gemahl für das vornehmste Edelfräulein, als der dürre Advokat? Und rühmte sich der einer großen Familie, so hatte Stefan dafür Geld – und Liebe. Denn er liebte die Riza gewiß und wahrhaftig, und sie würde vielleicht mit ihm so glücklich werden, wie Terka nie gewesen, wie sie aber einmal gehofft, gewünscht, ersehnt hatte, zu sein! Um dann betrogen, verrathen zu werden von dem Janos, dem schlechten Vater dieses kecken Buben! Und warum sollte es der Stefan anders machen mit der Riza, als es sein Vater mit der Terka gemacht? War er doch sein Sohn und ihm gleich bis aufs Leberflecklein auf der Nase.

Und Janos würde sich ins Fäustchen lachen, wenn sein Sohn ihre einzige, schöne, reiche, feine Tochter zur Frau bekäme; wenn die Terka schließlich geschafft und gespart hätte für den Janos, die Terka, die ihn am liebsten zertreten hätte – die jetzt im Begriff gewesen war, ihrem ehrgeizigen Streben die Krone aufzusetzen, ihre Riza und sich selbst zu erheben in die vornehme Welt, in welche der Janos sammt seinem Sohne nie und nimmer auch nur durch ein Thürritzchen werde gucken können!

Aber wenn es nun wahr wäre, was Riza gesagt, wenn diese vornehme Welt der Mutter die Thür vor der Nase zumachte und die Tochter fühlen ließe, daß sie aus Bauerngeschlecht stamme? Wenn’s wahr wäre, daß die Familie des Perfy Viktor, ja daß dieser selbst sie und ihr Kind mißachteten? Er war gestern so sonderbar gewesen –

Gestern? nur gestern? – Terka schoß alles Blut zu Kopf: mit peinlicher Schärfe stand plötzlich jedes tadelnde Wort, jeder spöttische, geringschätzige Blick vor ihr, mit denen Perfy Viktor sie nach und nach in den Winkel gedrängt hatte – wo sie stehen geblieben war, schüchtern und demüthig, wie ein gescholtenes Kind, sie, die reiche, angesehene, stolze Terka!

Scham, Zorn, Haß bäumten sich in ihr auf:

Das mußte anders werden, noch, heut’! Noch heut’ würde sie Perfy Viktor zeigen –

Noch heut’! Da fiel ihr ein, daß heute ja der Polterabend war. Die Uhr zeigte schon auf Mittag, Und der Bräutigam hatte seinen täglichen Besuch nicht gemacht. Wenn er Riza im Stiche ließe, in Schmach und Schande brächte vor der ganzen Gesellschaft seiner Verwandten und dazu vor derjenigen der Bauern, welche Terka ohne Wissen des Schwiegersohnes eingeladen hatte, weil sie mit der Heirath der Tochter prahlen wollte?

Mit ihrem Denken auf diesem Punkt angelangt, fühlte Terka nichts mehr, als eine sich steigernde Angst, daß Perfy nicht kommen werde, und diese machte sie so reizbar, daß sie bei jedem Geräusch erblaßte und zitterte und bei jedem kleinen Versehen der Mägde in größte Aufregung gerieth.

Nun hatte sie bereits Riza angekleidet und heftig auf die Tochter gescholten, daß ihre Wangen so weiß wären wie ihr Kleid und sie sich anstelle wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt würde. Darauf hatte Riza nichts erwidert, sondern nur die Mutter angeschaut mit einem Blick so voll Schmerz und Flehen, daß Terka sich rasch abwenden mußte. Aber das saß ihr doch im Herzen und mehrte ihre Aufregung.

Es war fünf Uhr geworden. Perfy kam noch nicht.

Terka zog das schwarze Seidenkleid an, aber als sie ihre Mißgestalt im Spiegel sah, kam ein plötzlicher Trotz über sie: sie wollte sich nicht ihres Eidams wegen zur Vogelscheuche machen. Sie zog das Kleid aus und legte ihren prachtvollen Bauernstaat [778] an, in welchem sie so ansehnlich und hübsch aussah, daß Perfy Viktor sich ihrer nicht zu schämen brauchte, wenn er nur ein Fünkchen Einsicht und Verstand hatte.

Ja, hatte er die?

Es schlug Sechs. Die Festtafel mußte im Hof gedeckt und mit Blumen geschmückt werden. Und das war ein peinliches Geschäft; denn im Maulbeerbaum saß groß und breit der Stefan und schaute mit finstern Augen zu. Riza durfte den Hof nicht betreten; der Terka aber schlug das Herz immer ängstlicher.

Sieben Uhr. Die ersten Gäste langten an: ein paar reiche Bauernfamilien in prächtigen Festkleidern; sie wechselten kräftigen Handschlag mit Terka und Riza und fragten nach dem vornehmen Bräutigam. Der aber war nicht da.

Dann kam der Advokat, welcher den Ehevertrag aufzusetzen hatte, und Terka wurde roth und blaß, als sie dem verwundert aufhorchenden alten Herrn erklärte, ihr Eidam sei noch nicht gekommen, er müsse nothwendige Abhaltungen haben. Der alte Herr wiegte den Kopf.

„Nothwendige Abhaltungen?“ wiederholte er. „Als ich meiner Zeit zur Hochzeit reiste, war die Tissa, die ich passiren mußte, ausgetreten und hatte, wie sie das zu thun liebt, Häuser und Vieh und Menschen mitschwimmen heißen, und dazu wüthete eine furchtbarer Sturm. Meine Mutter jammerte, mein Vormund redete mir im Namen der Vernunft zu, doch die Hochzeit ein paar Tage oder Wochen aufzuschieben. Ich aber sagte: ,Aufschieben? Warten? Aufs Glück warten? Meine Janka auch nur eine Stunde später küssen, als ich’s kann? Ein Narr und eine Memme, wer’s thäte!‘ Und ich nahm mir einen guten Kahn und einen tapfern Fährmann und fuhr durch Trümmer und Leichen und Wellen zur Braut. Die machte, als sie mich sah, große, starre Augen, als käm’ ich geradewegs aus dem Grabe; dann aber fiel sie mir vor allen Leuten um den Hals – sie, die so für die Beobachtung der Schicklichkeit erzogen war, sie küßte mich wieder und wieder und rief: ‚Ich bin Dein, mein tapferer Ferencz, Dein von diesem Augenblick an bis ans Eude der Welt und ins Grab!‘ Noch in derselben Stunde wurden wir getraut, und ich hatte sie und habe sie behalten bis heut, da wir schon graue Köpfe haben. Ja, ja, Terka né, wir Alten hatten mehr Feuer im Blut als die bleichsüchtige Jugend von heut zu Tage –“

„O nein,“ fiel dem alten Herrn Riza ins Wort, die herangetreten war und Alles gehört hatte, „ich weiß Einen, der noch heut’ dasselbe wagte und thäte und durch Wasser und Feuer und Tod ginge bloß mit dem einen Gedanken im Herzen, daß ich dahinter stände und so spräche, wie Ihre Braut damals – und ich – o ich –“

„Es klopft, Riza, geh, nachzuschauen, wer’s ist!“ unterbrach sie die Mutter, aber mit zitternder Stimme und blaß im Gesicht, das sie hastig zur Seite wandte, und der alte Herr sah den Beiden, welche in das Vorderzimmer gingen, nach und murmelte: „Merkwürdig! sie weiß Einen, aber es ist nicht ihr Verlobter – und die Mutter weiß das und weint – und sie warten auf den Bräutigam, der nicht kommt.“

Aber er war gekommen, umgeben von einem ganzen Hofstaate seiner Verwandten und Freunde, und er führte das alte Fräulein Teleky am Arm, das der Terka die Fingerspitzen hinreichte und sagte: „Sehen Sie, ich bin gekommen, liebe Frau, den Ehrentag meines guten Neffen mitzufeiern“, und Perfy Viktor, welcher beim Anblick der bäuerlichen Gäste erblaßt war, stellte seine übrigen Verwandten – nur Herren – seiner Braut vor – nur der Braut – und fügte hinzu: „Sie werden mein spätes Erscheinen verzeihen, theure Riza, wenn Sie hören, daß ich meine Verwandten, welche uns solche Ehre erweisen, erst vor einer Stunde vom Bahnhof abgeholt habe und die Wagen noch den Umweg zu dem Hause meiner gnädigen Tante machten.“

Riza hörte ihn stumm an und wandte sich dann mit verächtlich zuckender Lippe von ihm ab und den Herren zu, welche ihr Glückwünsche und Schmeicheleien sagten. Als aber Terka’s Schüchternheit vor der Galanterie der Edelleute aufthaute und sie sich in ihrer zuthunlichen Weise in das Gespräch zu mischen begann, fiel Perfy Viktor, dem die Schweißtropfen auf der Stirn standen, ihr ins Wort, fragte sie, ob das Nachtmahl bereit wäre, und raunte ihr zu:

„Sorgen Sie für Ihre Bekannten, liebe Mama; ich werde meine Verwandten placiren.“

Und Terka gehorchte, obwohl sie im Gefühl der Demüthigung erbleichte und zitterte. Aber die Vornehmheit ihres Eidams verwirrte und unterjochte sie.

Perfy Viktor komplimentirte indeß seine Verwandten in den Hof und wies ihnen die oberen Plätze der Tafel an; die Bauern mußte Terka ans untere Ende setzen. Dann bot Perfy seiner bleichen Braut den Arm und geleitete sie zu dem Ehrenplatze, welcher dem Brautpaar gebührte.

Aber Riza blieb stehen und schaute sich um. Ihr zur Rechten saß ein alter Verwandter Perfy’s, ihr Verlobter hatte seine Tante zur Nachbarin.

Sie erblaßte noch tiefer; mit zitternden Lippen fragte sie leise:

„Und meine Mutter? Wo soll meine Mutter sitzen?“

„Ei, wo sie mag! – So setzen Sie sich, machen Sie keine Scene, Riza,“ flüsterte Perfy, dessen arg bestürmte Selbstbeherrschung zu wanken begann.

Riza blickte ihn einen Moment mit sprühenden Augen an und ging dann an den aufschauenden Gästen vorbei auf ihre Mutter zu, die ganz fassungslos vor Scham, Angst und Wuth am untersten Ende des Tisches auf einen Stuhl gesunken war, gab der Willenlosen den Arm, führte sie zu dem Platze, welchen das alte Fräulein einnahm, und sagte mit ehrerbietiger Verbeugung, aber mit fester, lauter Stimme:

„Sie verzeihen, gnädiges Fräulein; es ist ein Irrthum geschehen; der Platz neben dem Bräutigam gebührt der Brautmutter.“

Das Fränlein erhob sich sofort und erwiderte:

„Ich räume den Platz und das Haus, in welches Sie eine Dame Ihrer Verwandtschaft nicht hätten führen sollen, Viktor.“

Da verlor Perfy Viktor alle Selbstbeherrschung; er sprang auf und stammelte wuthbebend:

„Das sollen Sie mir büßen, Riza; diesen Schimpf sollen Sie mit blutigen Thränen abwaschen –“

Nun aber rang sich endlich Terka’s Stolz durch ihre Angst und Verwirrung hindurch, und sie rief mit befehlshaberischem Ton:

„Jetzt ist’s genug, jetzt schaun’s, daß Sie ganz still schweigen, Herr Schwiegersohn!“

Sie legte ihm gebieterisch die Hand auf die Schulter. Wüthend schüttelte er sie ab und rief:

„Berühren Sie mich nicht! Wer spricht denn mit Ihnen, Sie einfältige –“

Weiter kam er nicht; denn Riza hatte ihn ins Gesicht geschlagen.

Und in demselben Augenblicke geschah dicht neben der Tafel ein Knall wie von einem aus großer Höhe herabfallenden Gegenstande. Stefan lief an der entsetzten Tischgesellschaft vorbei auf Riza zu, hob sie auf starken Armen in die Höhe und küßte sie und jubelte:

„Dirn’! Dirn’! Dirn’! Was bist für ’ne brave Dirn’! Und mein bist, mein! Schau, ich bin Dir ja halt zum Sterben gut!“

Und Riza schlang die Arme um Stefan’s Hals und sagte ganz laut:

„Jetzt hab’ ich Dich mir verdient, mein Stefan!“

Dann sprang sie aus seinen Armen zur Erde und umschlang die Mutter und flüsterte:

„Jetzt giebst mich dem Stefan gern, halt ja, Mutter?“

Aber Terka konnte nichts thun als weinen.

Die Hochzeitsgesellschaft war längst zerstoben. – –

Ein Vierteljahr später saß eine große Schar festlich geschmückter Bauern um eine Tafel, die fast von einem Ende des Hofes bis zum andern reichte und unter der Last des Paprikasch und der Spanferkel und der vielen guten Krapfen ächzte, und lärmend tranken sie auf das Wohl des schönen jungen Ehepaares, das nur Augen hatte für einander. Neben dem Bräutigam saß Terka und schaute glückstrahlend auf Stefan, der ihr von Zeit zu Zeit heimlich die Hand küßte; neben der Braut Janos, fett und hübsch, und blickte vergnügt in sein Weinglas. Und Janos stand auf, ging um den Tisch herum zu Terka und flüsterte ihr zu:

„Schau, Terka, die fliegen noch heut’ in den Himmel – meinst nicht? – Hei, wer das auch noch könnt’! – He, was meinst, alte Liebste, wollen wir zwei Beid’ nicht am End’ nachholen, was wir vor zwanzig Jahren versäumt haben? Die alte Feindschaft haben wir nun doch begraben, und ich bin halt übrig [779] geworden, da das junge Paar meine Wirthschaft übernimmt. Was meinst, wenn ich zu Dir zöge? Schmuck genug bist noch, alte Liebste, und ich – na, ein sauberer Bub’ war ich immer –“

„Ein Lump warst immer und bleibst immer,“ sagte Terka herb. „Schämst Dich nicht, den Verliebten zu machen und auf die Freit zu gehen, Du, der bald Großvater sein wird?“

„Nu, wenn halt der Großvater die Großmutter nimmt –“ scherzte Janos. „Warum sollen wir Alten nicht noch ’mal das Glück nachholen –“

„Weil sich’s nicht nachholen läßt,“ sagte Terka. „Meinst, ich mag Dich noch? Das ist vorbei für immer, und mein Glück ist jetzt, zu schauen, wie meine Riza so einen guten, tüchtigen, treuen Mann hat, wie Du nie warst, Janos. Ja, mein Glück ist in dem meiner Kinder beschlossen, und ich hab’ Gott sei Dank keinen dummen Ehrgeiz und keinen Wunsch mehr, als den, daß sie immer rechtschaffene und glückliche Eheleut’ bleiben möchten. Und das werden sie; denn sie haben ihre Eh’ gebaut auf Lieb und Treu – wir hatten die unsere gesetzt auf Eitelkeit und Habsucht und Hochmuth; darum ist mein Leben durch tiefen Sand gekeucht und Deins ist in den Schmutz gefallen. Und nur die tüchtige Kraft des Stefan und die Kindeslieb’ meiner Riza haben uns bewahrt vor Unglück und Schmach, in die mein dummer Hochmuth – na, das ist nun vorbei und ich freu’ mich an meinen Kindern, und das ist mein Glück – und Deins, Janos, ist hinter dem Ofen und war immer da, und es würd’ Dir halt ebenso schlecht gefallen, unter meine Zuchtruth’ zu kommen, wie mir, Dich altes Kind noch zu ziehen.“

Da lachte Janos ein wenig gezwungen auf, schlich auf seinen Platz zurück und vertrank im feurigen, rothen Landwein seine Beschämung.

Fortan saß er immer im Lehnstuhl und trank und schaute zu, wie Stefan und Riza fleißig und fröhlich wirthschafteten, und war glücklich im Nichtsthun. Wenn es aber Feierabend wurde, ging das junge Paar durch die Thür, welche Terka in den Gartenzaun gefügt hatte, zur Mutter und bewunderte die alten, lieben, verstaubten Teppichbeete und plauderten von des Tages Hitze und Last und Glück. Und Stefan sprach auch von öffentlichen Angelegenheiten, denn die Stadt hatte den verständigen und tüchtigen Bauern in ihren Rath gewählt, und er konnte nun die Weisheit des „ungarischen Staatsbürgers in fünf Bänden“ reichlich anwenden.

Als aber Riza’s ältester Bube in seinem fünften Lebensjahre auf den Maulbeerbaum kletterte, um in der Großmutter Garten zu schauen, da ließ Terka in Angst um die runden Glieder ihres Herzblattes den hohen Zaun niederreißen, und Stefan zimmerte neue Bänke um den alten Baum, in dessen Schatten jetzt die vereinigte Familie saß.

Und Terka sprach davon, daß ihr Liebling, der kleine Janos, gewiß einmal Oberbürgermeister von Szegedin werden müsse. Denn sie war halt die alte Terka geblieben.


  1. – Frau; ur – Herr.
  2. Kisasony – Fräulein.