Zur Erinnerung an die Säcularfeier von Schiller’s Geburt

Textdaten
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Autor: Robert Schweichel
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Titel: Zur Erinnerung an die Säcularfeier von Schiller’s Geburt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 747
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zur Erinnerung an die Säcularfeier von Schiller’s Geburt.

Die Feierlichkeiten, die man am 10. November in Weimar zu ehren der deutschen Schiller-Stiftung begeht, rufen die Erinnerungen an die großartige Säcularfeier von Schiller’s Geburtstag wach, welche vor 25 Jahren nicht Deutschland allein, sondern die ganze Welt mit brausender Begeisterung erfüllte. Ueberall wo Deutsche auf dem Erdkreise wohnten, wurde der Tag gefeiert, und die Nationen, deren Gastrecht sie genossen, schlossen sich ihnen an in dem Gefühle der Verehrung, Liebe und Bewunderung für den unsterblichen Dichter. Das Genie leuchtet wie die Sonne der ganzen Menschheit.

Charlotte von Lengefeld.

Auch Lausanne am Genfersee feierte den hundertsten Geburtstag unseres Schiller, und selbstverständlich war das Jubelfest von den dort lebenden Deutschen in’s Werk gesetzt worden. Ich gedenke dessen besonders, weil es durch einige Umstände charakterisirt wurde, denen ein gewisses literatur- und kulturhistorisches Interesse nicht abzusprechen ist. Zudem dürfte in der deutschen Presse von dem Feste in der Hauptstadt des Waadtlandes damals kaum die Rede gewesen sein, ruhte doch auf dem zerstückelten Deutschland noch von 1818 her der schwere Druck der einheitlichen Reaction, und in der Schweiz vergaß man vor allen Dingen nicht und am wenigsten vergaßen es die politischen Flüchtlinge aller Nationen, die an den weinreichen Ufern des Lemansees ein Asyl gefunden hatten, daß Schiller der Dichter des Teil war. Selbst deutsche Flüchtlinge aus dem Jahre 1831 lebten damals noch in Lausanne.

Schiller’s „heißester Wunsch seines Lebens“, wie die Tochter des Dichters Sehnsucht nach den Alpen gegen den Schreiber dieser Zeilen bezeichnete, war bekanntlich nie erfüllt worden. Er war gestorben, ohne die Schweiz je mit leiblichen Augen geschaut zu haben. Charlotte von Lengefeld aber hatte, bevor sie seine Gattin wurde, eine glückliche Zeit an den herrlichen Gestaden des Genfersees verlebt. Sie war, um sich in der französischen Sprache, der Hofsprache jener Zeit, zu vervollkommnen, die Kostgängerin einer waadtländischen Familie gewesen und hatte hier theure Freunde zurückgelassen, mit denen sie von Rudolstadt aus fleißigen Briefwechsel unterhielt. Diese Briefe befanden sich noch im Besitze der Familie, und Herr von Crousaz, ein Nachkomme derselben, stellte sie sowie eine Silhouette Charlottens dem Comité des Lausanner Schiller-Festes mit der größten Liebenswürdigkeit zur Verfügung.

Dieser bis zur Stunde in Deutschland unbekannt gebliebene Schattenriß, welchen die „Gartenlaube“ jetzt ihren Lesern zur Anschauung bringt, wurde am Festabend unter den Anwesenden vertheilt.

Es war somit eine innigere Beziehung des Waadtlandes zu dem Dichter für die Säcularfeier gegeben, als deren Schauplatz das reich mit Blumen- und Lorbeergewinden geschmückte Theater diente, das später in eine Capelle des orthodoxen Protestantismus, die sogenannte Eglise libre, umgewandelt wurde. Zum ersten Male ertönte von dieser Bühne die deutsche Sprache zu Parterre und Logen, die mit Waadtländern, Deutschen, Engländern, Franzosen, Italienern Kopf an Kopf gefüllt waren. Es war im wahren Sinne des Wortes ein kosmopolitisches Fest. Das deutsche Festgedicht war von Professor Neßler, einem Elsässer, verfaßt und drückte die deutschen Sympathien seiner Heimath aus, die deutsche Festrede hielt der Schreiber dieser Zeilen, ein Königsberger, und es ist nicht zu viel behauptet, daß unter den mitwirkenden Musikern, Sängern und Sängerinnen neben den verschiedenen Cantonen der Schweiz jeder deutsche Volksstamm vertreten war. Pascal Dupraz, der als politischer Flüchtling in Lausanne lebte, hielt die französische Festrede, in der er das Verdienst Schiller’s um die Ehrenrettung der Jungfrau von Orleans gegenüber den Schmähungen Voltaire’s hervorhob. L. de la Cressonniere, ein Waadtländer, der als Capitain in der französischen Flotte gedient und aus Haß gegen den dritten Napoleon seinen Abschied genommen hatte, sprach das von ihm selbst verfaßte französische Festgedicht. Er pries darin Schiller als den Sänger der ewigen Jugend, als das Genie der Freiheit und Humanität, des Zieles aller Nationen. Dem talentvollen Herrn von Cressonniere verdankt das Fest auch die kolossale Thonbüste Schiller’s, die er nach Dannecker’s kleinem Gypsabguß höchst gelungen angefertigt hatte. In Lausanne und Genf war eine auch nur lebensgroße Büste des Dichters nicht aufzutreiben gewesen.

Die Feier des 10. November 1859 zu Lausanne, sowohl die Festlichkeit im Theater, wie das daran sich schließende Bankett, galt nicht dem unsterblichen Dichter allein. Sie war ein Protest der durch Schiller errungenen und repräsentirten Geistesfreiheit gegen die politische Unfreiheit, welche noch die Völker gebunden hielt. Sie war ein Protest der im Geiste sich einig fühlenden Deutschen gegen die Zerrissenheit des Vaterlandes, die sie um so tiefer und schmerzlicher empfanden, als in Italien eben die nationale Einheitsbewegung siegreich zum Ziele schritt.
Robert Schweichel.

Anmerkung der Redaction. Das große deutsche Schiller-Fest von 1859, dessen weihevolle allgemeine Feier in der Erinnerung aller, die daran theilgenommen haben, unverlöschlich bleiben wird, ist sicherlich eines Jubiläums werth, ja ein solches Erinnerungsfest an jenes erste ideale Einheitsgefühl aller Deutschen auf der ganzen Erde könnte heilsam wirken auf unsere Tage, in welchen so Viele vergessen haben, wie lange das schmerzlich ersehnt und wie schwer das zu erringen war, was wir heute in dem „deutschen Reich“ und dem „deutschen Kaiser“ besitzen. An jenes Fest denkt leider die große Masse der Nation ebenso wenig, als sie an dem Jubiläum Theil nimmt, welches in Weimar in diesem Jahre gefeiert wird: das des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Schiller-Stiftung.

Die Stiftung ist ihrer Natur nach auf ein stilles Wirken angewiesen. Ihre Aufgabe ist einfach die: „verdiente Dichter oder deren Angehörige in schweren Lebenslagen durch Ehrengaben zu unterstützen.“ Dieselbe Aufgabe hat sich in Dresden „Die Tiedge-Stiftung“ gestellt für die schaffenden Künstler (Maler, Musiker, Bildhauer etc.).

Die Schiller-Stiftung hat viele Thränen gestillt seit fünfundzwanzig Jahren, aber es sind in großer Ueberzahl die in Bedrängniß zurückgelassenen Wittwen und Waisen heimgegangener Dichter, denen die Ehrengaben zu Theil werden müssen, und es konnte dies leider nur geschehen auf Kosten der lebenden. Die Stiftung konnte schon seit Jahren den Hinterbliebenen und den Lebenden nicht gleicher Weise gerecht werden, weil ihr die Mittel dazu fehlten. Der Vorstand war vielfach bemüht, diesem schweren Uebel abzuhelfen, die Nation zur Aufraffung zu neuen, für den Einzelnen leichten Opfern zu bewegen, – bis jetzt ohne Erfolg. Auch das Schiller-Festjubiläum wird zu neuen Anregungen benutzt werden. Wenn wir hier im gegenwärtigen Augenblick diesen Versuchen nicht näher treten, so geschieht dies nur, weil die „Gartenlaube“ sich ein ausführliches Eingehen auf das Wesen und die Entwickelung der Stiftung für die nächste Zeit vorbehält.

Zum Schlusse mag hier noch der von Robert Schweichel im Jahre 1859 gedichtete „Epilog zur Schiller-Feier Deutschlands“ eine Stelle um so mehr finden, als er nicht nur die alte Wahrheit, daß Dichter Propheten sind, auf’s Neue erhärtet, sondern auch energisch die Verleumdung, daß die Liebe zur Freiheit unpatriotisch sei, Lügen straft:

Erwacht.
Epilog zur Schiller-Feier Deutschlands im Jahre 1859.


Es steht ein Baum verdorrt auf grüner Haide,
In Trümmern von dem Berge blickt ein Schloß.
Die Welt ward alt und Deutschland ward’s im Leide,
Seit jenem Baum der letzte Frühling sproß;
Doch eine Sage geht: ein neues Blühen
Wird einst den Stamm mit frischer Kraft durchglühen.

Im Berge schläft mit träumerischer Miene
Der Kaiser Rothbart an dem Tisch von Stein,
Es schlummern um ihn seine Paladine,
Die schlachtenfrohen, Truchseß und Wardein,
Es schläft der Page knieend ihm zu Händen
Und flimmernd keuchtet’s von den erznen Wänden.

Und eine feierliche Stille waltet,
Der Schläfer Athem nur durchweht den Raum.
Mit weicher Schwinge, farbenreich gestaltet,
Umspielt ihr Haupt entschwundner Zeiten Traum,
Und hell und trüber in des Kaisers Haaren
Erglänzt der goldne Kronreif der Cäsaren.

Da, hoch! beginnt die Wölbung leis’ zu tönen,
Als ob ein Schwert der Krieger Schilde traf,
Und lauter klingt es und die Felsen dröhnen:
Auffährt der Rothbart aus dem Zauberschlaf,
Er hebt das Haupt und lauscht, noch traumbefangen,
Er lauscht, und roth erglühen seine Wangen.

„So schlug denn endlich die ersehnte Stunde,
Und Deutschland hat der Zwietracht obgesiegt?
Hinaus, hinaus, mein Page, schau und kunde,
Ob noch die Rabenschaar den Berg umfliegt?“
Der Kaiser spricht’s, der Knabe geht in Eile
Und Und spähend steht er an des Felsens Steile.

Da grüßt ihn nah und fern in mächt’gen Chören
Der Dichterfeier heller Glockenton.
Indeß gen Himmel flammend rings die Föhren
Im Morgenroth auf allen Bergen loh’n.
Als ob ein Ostern brach des Grabes Hülle,
So festlich froh erbraust des Klanges Fülle.

Und durch die Seele schauert es dem Knaben;
Ein Geist der Liebe hat die Schuld gesühnt,
Von dannen, trägen Flugs, zieh’n die Raben
Und, sieh, der Baum, der dürre Baum, er grünt!
Aufrauschend sprüht aus dem verjüngten Stamme
Des neuen Lebens heiter schöne Flamme.

Da tritt gewappnet vor dem Ingesinde
Der Kaiser Rothbart aus dem Felsensaal,
Sein Banner flatter hoch im Morgenwinde
Und freudig blitzt sein helles Aug’ zu Thal,
Bis auf die Brust wallt ihm der Bart hernieder
Und gülden Erz bedeckt schimmernd seine Glieder.

„Zu mir, mein Volk!“ so ruft er durch die Gauen
Und schwingt empor das Schwert mit Heldenkraft,
„Nur auf dies Zeichen sollst du fürder bauen,
Die Zeit ist stählern, blutig, was sie schafft
Die Welt befreiend, hast du Rom zerschlagen;
Ein neues Rom seh’ ich im Westen ragen.

Nicht welscher Dünkel soll der Welt gebieten!
Heraus das Schwert! Ein Kleinod lichten Scheins,
Die Freiheit gilt’s, das Vaterland zu hüten,
Sein Hort, der liegt im Schooß des deutschen Rheins!“
Und ehern klirrt’s, wie Waffen, im Gefilde,
Die Recken aber heben hoch die Schilde.

Zum Fest der Eintracht ward die Dichterfeier,
Nicht Welf, nicht Waibling mehr! In Frieden sang
Der Brüder traurig langen Streit die Leyer,
Die einst gewaltig von dem Rütli klang.
Durch Eintracht wird die Freiheit nur errungen,
Und einig hat das Volk sich aufgeschwungen.

Nun mag es dräuen rings, nun mag es wettern,
Nun mag zum Kampfe denn der Franken Heer
Aufrasen die der Kriegstrompete Schmettern:
Ein einig Volk steht gleich dem Fels im Meer!
Schon einmal brach’s der Franken Macht in Trümmer,
Ein einig Deutschland zwingt der Franke nimmer!