Zur Erinnerung an Eduard Mörike

Textdaten
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Autor: Adolf Rümelin
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Titel: Zur Erinnerung an Eduard Mörike
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 490–492
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zur Erinnerung an Eduard Mörike.
Von Adolf Rümelin.

Am mittleren Neckar, gleichweit von Tübingen und Cannstatt entfernt, liegt die Oberamtsstadt Nürtingen. So sehr im Herzen des württembergischen Landes liegt sie, daß ein Fußgänger von dort aus an einem Tage durch alle vier nahe zusammentretende Regierungsbezirke des Königreichs seinen Weg nehmen und Abends wieder in Nürtingen sein kann. Der Neckar mit seinen Zuflüssen, die Alb mit ihren stolzen burggekrönten Häuptern, der Wechsel von Höhe und Thal, Acker, Wiese und Wald giebt der Gegend solchen Reiz, daß man sie mit Recht zu den schönsten Theilen Schwabens zählt. Auch in die Geschichte Württembergs ist der Name des Städtchens fast von deren Beginne an verflochten. Auf dem „Schloßberge“ hatten württembergische Herzoginnen ihren Wittwensitz, und in der Nähe, im hohlen Stein des malerisch gelegenen Dörfchens Hart soll Herzog Ulrich, der durch seine Kämpfe mit dem schwäbischen Bunde bekannt geworden ist, beschützt von dem „Pfeifer von Hart“, Zuflucht vor seinen Feinden gefunden haben. Die Muse hat die kleine Neckarstadt aus Hölderlin’s, des kühnen Feuergeistes, Munde gegrüßt, der viele Tage seines Lebens dort zugebracht hat und dahin, zerrütteten Geistes und mit verwildertem Aeußern, zu den erschrockenen Verwandten später zurückgekehrt ist. Auch Schelling, der Dichter unter den Philosophen, hat seine ersten Jugendjahre auf der altberühmten Nürtinger Lateinschule zugebracht, und endlich hat in der Stadt der jüngst zu Stuttgart verstorbene Dichter Eduard Mörike seinen Sitz für Jahr und Tag genommen. der Mann,

               „dem wahrlich die Muse
Heiter Lippen und Stirn’ und beide die glänzenden Augen
Mit unsprödem Kusse berührt,“

wie er selbst von seinem Landsmanne Hermann Kurz singt.

Der Reiz des Stilllebens und der herrlichen Gegend hat Mörike zur Zeit des deutsch-französischen Krieges nach Nürtingen geführt, nachdem er bisher im Winter zu Stuttgart, Sommers in Lorch, der Hohenstaufenstadt mit ihren schönen Wäldern, gelebt hatte. Die Erinnerungen seines eigenen Lebens mögen ihn in seinem Entschlusse bestärkt haben. Am Fuße der nahen Teck, in Owen, hatte er der Muse köstliche Erstlingsopfer gebracht, und in einem Pfarrhause auf den Höhen über dem Neckar hatte zuerst die Liebe tiefer sein Herz berührt, ohne der Verlobten ein anderes Loos als dasjenige der Friederike von Sesenheim zu bereiten.

„Rosenzeit, wie schnell vorbei
          schnell vorbei,
     Bist Du doch gegangen!“

In späteren Jahren schickte er wohl manchmal dem befreundeten Rector der Lateinschule liebliche Idyllen in elegischem Maße, um sie nicht ohne philologische Superrevision zu lassen, so z. B. seinen Besuch im Karthäuserkloster und Anderes. Wie sehr er aber in der Gegend von jeher selbst heimisch war, zeigen seine Poesien. Ein Hügel mit herzerfreuender Rundschau, die er im „Maler Nolten“ schildert, ist kein anderer, als das Geigersbühl bei dem nahen Großbettlingen. Der Lateinschule Nürtingens widmet er freundliche Disticha, und in der klappernden Neckarmühle läßt er den wandernden Schuster seines Märchens „das Hutzelmännlein“ mit den Zauberschuhen und dem „Klötzle Blei plei bei Blaubeura“, dem glücklich gefundenen zauberkräftigen Kreckenzahn, die letzte Nachtrast vor der Rückkehr nach Stuttgart bei Kartenspiel und geringem Schlummer halten. Ob er wohl damals ahnte, daß etliche Jahr später er selbst, der Liebling holder Geister, wenige Schritte von der Mühle die vorletzte Station seines Lebensweges beziehen würde?

In jenem Hause „an der Neckarsteig“ habe ich den Dichter manchmal besucht, und auch er ist, herzlich und freundlich wie er war, öfter zu mir in meine Wohnung oder in das Haus meiner Mutter gekommen. So gewaltig mich die Kriegs- und Siegestage ergriffen und mit ihren Eindrücken erfüllten, so unvergeßlich sind mir doch auch die stillen Stunden geblieben, die ich da mit dem Dichter hinbringen durfte. Und was ist natürlicher? Hatte ich doch längst zu der „stillen Gemeinde“ gehört, von der Friedrich Vischer in seinem Nachruf an Mörike’s Grabe sagte, daß sie sich labe und erquicke an des Entschlafenen wunderbaren, hellen und seligen Träumen und die hohe Weihe schaue in diesen Träumen. Wie oft im Freundeskreise oder als Lehrer im Unterrichte hatte ich seiner Poesie als eines zu wenig bekannten Kleinods, des Dichters als des trefflichsten unter den deutschen Lyrikern der Neuzeit gedacht! Und nun war mir die traute Gemeinschaft eines stillen Städtchens mit dem Manne beschieden, den auch dort nur Wenige in seiner dichterischen Bedeutung [491] kannten. Es war bei Mörike so: Manche seiner Lieder wurden gesungen, oft gesungen, so das volksthümliche schwäbische Lied „Die Soldatenbraut“:

Ach, wenn’s nur der König auch wüßt’,
Wie wacker mein Schätzelein ist!
Für den König, da ließ er sein Blut,
Für mich aber ebenso gut.

oder das von Kaufmann herrlich in Melodie gesetzte „Schön-Rohtraut“. Andere, wie die „Geister am Mummelsee“, wurden wohl in Schulen gelesen und vorgetragen. Aber der Mann und sein Name blieb doch der Menge ziemlich unbekannt. Er lebte zu still und bescheiden, und im Genießen und Schaffen des Schönen, in wunderbarer Mischung des Romantischen und classisch Antiken den vollen Frieden seiner Seele findend, verschmähte er die Erregung und den Beifall der Menge. Schon früher, noch mehr aber, als er, ein vorgerückter Sechziger, in Nürtingen wohnte, verbrachte er seine Tage gern in häuslicher Zurückgezogenheit, umgeben von seiner Gattin (siehe das Gedicht „An Gretchen“), zwei lieblich aufblühenden Töchtern, einer „Blondine“ und einer „Mohrin“, wie er sie unterscheidet, und von seiner immer besonders enge mit ihm verbundenen Schwester Clara, jetzt mehr lesend und künstlerisch genießend als dichtend und schaffend, aber doch immer von freundlichen Genien und neckischen Geistern besucht und in seine Rede heiteren Scherz und holde Anmuth webend. Unter den Freunden, die ihn während seines ländlichen Stilllebens ab und zu besuchten, sind Männer wie David Friedrich Strauß und Moritz von Schwind, der Münchener Maler, die ihm beide im Tode vorausgegangen, und viele andere bedeutende Männer, besonders auch Dichter gewesen. Denn bei den Dichtern selbst und auch bei den Jüngern anderer Künste, bei Malern und Tondichtern, galt Mörike als ein hochverehrter, gottbegnadeter Sänger. Ihrer Liebe und Verehrung bedurfte aber auch sein weiches Gemüth. So scheu er sich dem lärmenden Tage verschloß, so empfindlich er gegen jede Störung und Verneinung seines Schönheitsdienstes war, so tief erquickte und so reich förderte ihn die Mittheilsamkeit der Genossen und Freunde in Dichtung, Malerei und Tonkunst. Und wie gern er von ihnen empfing, so gern theilte er ihnen und überhaupt Denen aus dem Reichthum seines Geistes und Gemüthes mit, welche mit offenem, zugeneigtem Sinne ihm näher traten. Ja, so paradox es lauten mag über einen so zurückgezogenen und oft als hypochondrisch berufenen Mann, die Theilnahme, mit welcher sich Mörike in Andere, in Dichter und Laien versetzte, ihren Kräften das Zusagende bot und ihrer Förderung nachsann, war ein schöner Grundzug seines Wesens. Dem geistigen Austausche, der hierdurch bewirkt wurde, verdankte Schwind den Gedanken zur „schönen Melusine“ und mancher Componist die Anregung zu seinen Melodieen.

Eines Tages zeigte mir Mörike ein ganzes Album, dessen lose Blätter voll von Erinnerungen an solchen Verkehr waren und die tiefe Gemüthlichkeit des Dichters bekundeten. Ein Haus, wo er viel ein- und ausgegangen, ein Baum, eine Gartenthür, der Cleversulzbacher Thurmhahn und viele andere Raritäten kamen zum Vorscheine, theils von seinem eigenen geschickten Stifte auf’s Papier geworfen, theils von Freundeshand gezeichnet. Sinnig und schalkhaft war die mündliche Erklärung dazu, und wie ich so bei seinen Bildern saß, war mir zu Muthe, als hätte ich seine Lieder und Idylle vor mir, die auch so gelegentlich und aus dem vollen Gemüthserlebniß heraus entstanden sind und, ohne zu großen Werken sich zu gestalten, in schöner Harmonie auf uns wirken. So ist mir eine Zeichnung in Erinnerung geblieben, welche sich auf einen Besuch Moritz von Schwind’s bezieht. Dieser ist in Lorch als Gast des Dichters angekommen. Er bedarf der Ruhe von der Reise am heißen Sommertage und sucht im Oberstübchen sich auszuschlafen. In Hemdärmeln liegt der wegemüde Mann auf dem Ruhebette. Liebliche Märchen treten im Hause des Dichters vor seine träumende Seele. Eben will er zum Pinsel greifen, sie festzuhalten – da, o Tücke des Schicksals, springt ein gewaltiger Kater durch’s offene Fenster auf den Leib des Malers, der entsetzt auffährt und der Mittagsruhe völlig entsagt.

Daß Mörike bei solcher Gemüthlichkeit gleichwohl für einen Feind der Geselligkeit gelten konnte, erklärt sich aus seinem Bedürfnisse, nicht Vielen nahe zu kommen. Denn eben weil seine Seele weich war und das für andere Augen Kleine und Unbedeutende mit Innigkeit erfaßte, konnten viele und geräuschvolle Eindrücke nur störend für sie sein. Und in der That gab es nicht leicht Jemanden, den jedes Rauhe und Unschöne so empfindlich verletzte wie ihn. Um die intensive Wirkung zu begreifen, die das Geschaute und Gehörte auf ihn übte, mußte man ihn vor einem Bilde stehen oder einer Mozart’schen Sonate lauschen sehen oder ihn über das Gesehene und Vernommene reden hören. Da war alles Andere um ihn vergessen, und niemals hat sich der Fluß der Farben und Töne in ein dankbareres, hingegebeneres Gemüth ergossen.

Und an diesem Priester der Musen habe ich etwas Unreines nie entdecken können. Er war in diesem Sinne das Seitenbild zu seinem Landsmanne Schiller, mit dessen auf das Reich der That gerichtetem Genius er sonst so wenig gemein hat. Wenn Schillern die Macht des Ethos emporhob, daß „hinter ihm blieb in wesenlosem Scheine das, was uns Alle bändigt, das Gemeine,“ so hat die Weihe der Kunst und der Friede der Harmonie von Mörike’s lichter Seele jedes Trübe ferngehalten. Schiller, der ungleich Gewaltigere, hatte sich durchgekämpft und durchgerungen zum sittlichen Ideale. Mörike war immer ein Kind geblieben und war bis zum Tode harmlos wie ein Kind. Wenn er mit seinen Töchtern sprach und ging und ihrer holden Anmuth sich freute, erschien er wie ein Gärtner, der zwei Rosen pflegt, eine dunkle und eine helle. Nie hat eine reinere Hand über reineren Blumen gewaltet. Dieselbe Scheu vor allem Trüben und Unharmonischen und dieselbe Kindlichkeit war es auch, die Mörike noch weit mehr, als seinen großen lyrischen Meister Goethe, von den Zeitereignissen fernhielt und sein Lied niemals auch nur im Geringsten politisch werden ließ.

Wer aber darum glauben wollte, er hätte überhaupt kein Herz gehabt für des Vaterlandes Wohl oder er hätte die Größe der Siegesjahre nicht empfunden, der würde sehr irren. An einem sonnigen Märztage, nachdem kurz zuvor die Kunde von der Annahme der Friedenspräliminarien aus Versailles eingetroffen, kam er in gehobener Stimmung zu mir. Meine Schwester mußte sich an das Piano setzen, und diesmal durfte sogar die „Wacht am Rhein“ nicht fehlen. Abends aber kam er in die hochgelegene Wohnung meiner Mutter, um nach den Bergfeuern zu schauen, die vom Hohenstaufen bis zum Hohenzollern leuchteten. Da barg er seine höchste Freude nicht über des deutschen Volkes Auferstehung zu Sieg und Einigkeit, und der Mann, der grundsätzlich keinen politischen Vers gedichtet, hat damals in überwallender Begeisterung von dem Großen gesprochen, das zu sehen ihm am Abend seines Lebens noch vergönnt war.

Daß er ein durch und durch deutsches Herz hatte, zeigen freilich auch seine dichterischen Träume und Phantasien deutlich genug. Wer so wie er mit sicherer Hand aus dem Wortschatze des Volkes und seiner Stämme schöpft (vergleiche „Das Hutzelmännlein“ und „Die Idylle am Bodensee“) und den Sinn seiner Sprüche und Redensarten belauscht, wer mit solch lebendiger Wärme die Heimath schildert, vom Blautopfe bis nach Cleversulzbach im Unterlande, vom Mummelsee mit seinen Geistern bis zur Waldstille des Lorcher Klosters, wer so den Altvordern gleich die Natur belebt mit geheimnißvollen Geistern, Nixen und Kobolden, ohne doch je unwahr und manierirt zu werden, wer so wie er das Grab von Schiller’s Mutter aufgesucht und ihm zu sinnigem Schmucke verholfen, kurz wer die herrlichsten Menschen (Kepler, Schelling und Andere) und die schönsten Gegenden seiner Heimath so lieblich in den Kreis seiner Dichtung zu ziehen gewußt hat, dessen Seele hängt mit tausend Banden am deutschen Wesen, dessen ganzes Dichten und Schaffen ist nur Liebe zum Vaterlande, so wenig er von dieser spricht. Und dabei ist die Beschaulichkeit seiner Muse gegen anders geartete Dichtung niemals ungerecht geworden. Seinen Landsmann Uhland hat er nicht trotz, sondern wegen der Vereinigung echter Poesie mit der praktischen, patriotischen oder politischen Richtung in seinem Werthe sehr wohl gewürdigt, und von denen, die überhaupt echte Dichter sind, hat in seinem „Lararum“ jeder den rechten Platz gefunden.

Mörike war sehr bescheiden und kannte seine dichterischen Kräfte und ihre Grenzen gar wohl. Lied, Idyll und Märchen mit ihrer tiefen, reinen Empfindung und ihrem heitern scherzenden

[492] Spiel, das waren die Kleinode, welche ihm die Götter anvertraut. Diese wollte er hüten und zeigen, nicht andere erbeuten. Darum ist er auch nie, wie die meisten andern Dichter so oft, auf poetische Abwege geraten; er hat nichts versucht, wozu ihn nicht die innere Stimme berufen, und hat die edlen Muster bei Griechen, Römern und Deutschen mit sicherem Blicke erkannt und immer wieder sich vorgehalten. Auch der Stunde nahm er treulich wahr, wo der Geist des Gesanges wirklich über ihn kam. Monate, Jahre konnten vergehen, wo er keine Zeile gedichtet, und wahrlich diese „Bequemlichkeit“, wie man es da und dort wohl nannte, ist verehrungswürdiger als der „Fleiß“ und die „Fruchtbarkeit“ vieler anderer Dichter.

So hatte er der Rebe gleich wenig sonnige, gesegnete, mehr dürftige, magere Jahre. Daher aber auch die lichte Farbe, der edle Duft, das erwärmende Leben des Weins, den er uns spendet. Was sein Lied singt und sein Mund erzählt, das paßt und klappt und sitzt und trifft den Nagel auf den Kopf, ob sein Vers scherzend durch die kühle Waldung wandle oder seine Epistel launige Hiebe nach den Tröpfen führe, welche den Erdball zieren, oder sein Lied des Mädchens gedenke, das vom Liebsten verlassen ist. Denn Mörike hat nur gedichtet, wenn für die rechte Sache das rechte Lied, für die rechte Gelegenheit das rechte Gelegenheitsgedicht ihm auf die Lippen sich gelegt. Das war doppelt schön in einer Zeit, wo Alles nach Geld drängt und Alles am Golde hängt und wo auch er den Pegasus zu gewinnreichem Rennen hätte spornen und sein äußeres Loos, das bescheiden genug ausgefallen, verbessern können. Er that es aber nicht, weil sein ästhetisches Gewissen – und das war sein Alles – es nicht erlaubte und sich lieber, als die landläufige Entweihung der Poesie, die Sorge gefallen ließ, welche ihm nahte, wenn das letzte Geld ausgegeben war. Er war auch in dieser Beziehung ein harmloses Kind und hat manche Aehnlichkeit mit seinem Mozart, wie er ihn in der köstlichen Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ uns vor Augen stellt.

Seine Bedürfnißlosigkeit freilich war weit größer als diejenige des Maestro und paßte auch besser zu seinen bescheidenen Einnahmen. Ein eigenes Haus mit lauschigem Garten wäre wohl seine Freude gewesen. Es war ihm nicht beschieden, und er mußte sich mit Miethwohnungen begnügen, zu welchen ihm die Freunde verhalfen. Aber auch zwischen den gemietheten Wänden und bei seinem Schälchen Kaffee wie glücklich, heiter und launig konnte er sein! Die Wenigsten mögen das bei ihm gesucht haben. Erst flog sein leichter Scherz nur dann und wann über den Tisch. Dann zuckte es um seine Lippen, und der Schalk, der ihm im Mundwinkel saß, ließ prasselndes Feuerwerk steigen. Er war dann der leibhaftige Märte seiner „Idylle vom Bodensee“, erzählte lustige Schwänke vergangener Tage und ahmte Stimme und Sprechweise von Abwesenden so täuschend nach, daß man den Nachgeahmten vor sich zu haben glaubte. Die bleibende Bewunderung früherer Schülerinnen für seine Art, Dichtungen, besonders Schauspiele vorzutragen, wird dadurch wohl erklärlich. Freilich wechselten mit solcher Laune häufige Tage, wo er in körperlichem Mißbefinden und trüber Stimmung selbst vor den Nächsten sich verschloß, oder, ganz inwendigen Träumen hingegeben, einsame Wege ging. Aber gegen Natur und landschaftliche Schönheit war er niemals gleichgültig. Oft genug blieb er auf seinem Gange wie festgewurzelt stehen. Befragt über das, was ihn festhalte, zeigte er auf einen Baum, eine Durchsicht durch den Wald, ein Stückchen Fluß.

Ein landschaftliches Vermissen war es auch, was ihn von Nürtingen hauptsächlich wieder weggetrieben. Er vermißte Wald und schattige Wege in der nächsten Umgebung der Stadt. Die vielen anderen Naturschönheiten der Gegend konnten ihm das nicht ersetzen. So zog er denn – auch durch andere Gründe mitbewogen – wieder nach Stuttgart. Manches Schmerzliche erwartete ihn noch hier. Seine Frau, mit der er lange Jahre ruhig zusammengelebt, trennte sich von ihm. Die Weichheit und Verletzbarkeit von Mörike’s Natur und häusliche Verhältnisse, die hier nicht weiter zu erörtern sind, haben zu dieser gewiß für beide Theile wehthuenden und auch für die Freunde schmerzlichen Trennung geführt. Daß einige Wochen vor dem Tode des Dichters die Gattin wieder zu ihm eilte, um ihn zu pflegen, mildert die Erinnerung an solchen Lebensabend.

Nun ist der Treffliche in die Arme des Todes gesunken; der Vergessenheit anheimfallen wird er nimmermehr. Seiner Muse ist es nicht beschieden gewesen, in raschem Triumphzug Lorbeeren zu ernten, aber nach Menschenaltern, wenn viele Sänger des Tages vergessen sind, wird sie die Freunde des Echten, und wahrhaft Schönen immer mit neuer Freude erfüllen.