Textdaten
Autor: Wilhelm Wien
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Titel: Zur Elektronentheorie
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aus: Physikalische Zeitschrift, 5 (14)
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Entstehungsdatum: 1904
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Verlag: S. Hirzel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zur Elektronentheorie.
Von W. Wien.

Bei den meisten Untersuchungen über die Theorie der Elektronen wird eine unveränderliche Kugelgestalt für sie angenommen, wohl unter der Voraussetzung, dass diese Hypothese zunächst die einfachste sei. Nun hat aber bereits Searle[1] darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Heavisideschen Feldgleichungen einer in gleichförmiger Bewegung befindlichen Ladung die Fläche, welche der Kugel im Ruhezustande entspricht, ein abgeplattetes Ellipsoid ist, dessen Achsen im Verhältnis stehen, wo die Translationsgeschwindigkeit, die Lichtgeschwindigkeit bezeichnen. Will man daher zu einer Ladung von verschwindenden Dimensionen übergehen, so hat man nicht eine Kugel von verschwindendem Radius, sondern ein solches Ellipsoid anzunehmen, was in einer zwischen Searle und Heaviside geführten Diskussion völlig klar gestellt ist (vgl. Heaviside, Electrical Papers, Bd. II). Es geht hieraus hervor, dass die einfachste Hypothese, die man über die Gestalt der Elektronen machen kann, nicht die Annahme einer unveränderlichen Kugelgestalt ist, sondern die einer veränderlichen Gestalt, so dass die Kugelgestalt nur im Zustande der Ruhe vorhanden ist, während sie sich bei der Bewegung immer mehr abplattet. Mit Rücksicht hierauf habe ich[2] auch bei der Berechnung der elektromagnetischen Masse ein solches von Searle sogenanntes Heavisidesches Ellipsoid für die Gestalt der Elektronen angenommen. Weitere Gründe als die der Einfachheit liessen sich zunächst für diese Annahme nicht beibringen.

Eine sehr wesentliche Stütze hat die genannte Hypothese nun durch die Untersuchung von H. A. Lorentz[3] gewonnen, der gezeigt hat, dass sich unter dieser Annahme Heavisidescher Ellipsoide für die Elektronen die hauptsächlichsten Schwierigkeiten überwinden lassen, die für die Elektronentheorie bisher noch in den negativen Ergebnissen der bekannten Versuche von Michelson und Morley, Rayleigh, Brace, Trouton und Noble über den Einfluss der Erdbewegung auf optische und elektrische Phänomene lagen. Auch die Versuche von Kaufmann über die magnetische und elektrische Ablenkung der -Strahlen lassen sich durch die Annahme Heavisidescher Ellipsoide mit befriedigender Genauigkeit darstellen.

Es scheint mir daher nicht zweifelhaft, dass für die nächste Weiterbildung der Theorie die Hypothese Heavisidescher Ellipsoide für die Elektronen die geeignetste ist, zumal darauf zu rechnen ist, dass die Ergebnisse für sie immer den einfachsten Charakter annehmen werden.

In meinen letzten Untersuchungen[4] über die Ausstrahlung eines bewegten strahlenden Centrums war ich unter Vermeidung aller Hypothesen davon ausgegangen, die Verallgemeinerung zu suchen, welche die bekannten Hertzschen Ausdrücke eines strahlenden Dipols durch die Bewegung erfahren müssen. Die Ergebnisse liessen sich in vollständig eindeutiger Weise gewinnen und enthalten die Theorie eines bewegten, beliebige elektromagnetische Strahlungen aussendenden Centrums unabhängig von jeder weiteren Hypothese über den Strahlungsvorgang.

Mit der Hypothese, dass die Strahlung durch bewegte Elektronen erfolgt, müssen sie so weit in Übereinstimmung sein, als sich diese Ausstrahlung für die Ruhe durch die Ausdrücke von Hertz darstellen lässt, was bekanntlich unter gewissen Einschränkungen zutrifft.[5] Bei der Bewegung muss aber dann nach den vorhergehenden Erörterungen, soweit man überhaupt die Gestalt der Elektronen in Frage zu ziehen hat, diese sich wie bei den Heavisideschen Ellipsoiden ändern.

Meine Ergebnisse waren durch gewisse Transformationen nach Einführung neuer Variabeln gewonnen. Durch ganz ähnliche Umformungen hat nun H. A. Lorentz[3] ein allgemeines Schema für die Feldgleichungen erhalten, durch das man für den Zustand der Ruhe bekannte Vorgänge auf den der Bewegung unter der Voraussetzung übertragen kann, dass alle in der Richtung der Bewegung fallenden Dimensionen im Verhältnis verkleinert werden.

Für das durch die Bewegung eines einzelnen kugelförmigen Elektrons hervorgerufene Feld ist nur die Annahme nötig, dass die ursprüngliche Kugelgestalt des Elektrons in ein Heavisidesches Ellipsoid übergeht.

Ich will nun zeigen, dass in der That die Ausdrücke, die für ein einzelnes schwingendes Elektron bekannt sind, nach dem Lorentzschen Schema auf den Fall der Bewegung übertragen, die von mir gewonnenen Ausdrücke für eine bewegte Strahlungsquelle ergeben.

Die für die Strahlung eines schwingenden Elektrons in Betracht kommenden Feldausdrücke lauten:

Wollen wir nun diesen Zustand auf die Bewegung in der Richtung mit der Geschwindigkeit übertragen, so haben wir zu setzen

Nun ist

Nach Ausführung dieser Transformationen erhält man

Hier erfolgt die Schwingung in derselben Richtung, wie die Bewegung. Die Schwingung ist longitudinal.

Die Ausdrücke sind identisch mit den früher von mir angegebenen. Für transversale Schwingungen haben wir zu setzen

und erhalten durch die Transformation und Berücksichtigung der Gleichung

Auch diese Ausdrücke stimmen mit den früher von mir angegebenen bis auf den in die Amplitude aufzunehmenden konstanten Faktor überein.

Also sind die von mir angegebenen Resultate für die Ausstrahlung beschleunigter oder schwingender Elektronen als diejenigen anzusehen, die der Übertragung auf eine Bewegung der Strahlungsquelle mit konstanter Geschwindigkeit entsprechen.

Die weitere Verfolgung der Hypothese Heavisidescher Ellippsoide bietet nun eine Anzahl neuer Fragen, die der bisherigen Elektronentheorie fremd waren. Zunächst scheiden alle Erörterungen über die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit aus. Bei der Lichtgeschwindigkeit würde jedes Elektron die Gestalt einer Kreisscheibe annehmen und die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit würde die Ladung des Elektrons nach der gemachten Annahme nicht mehr im stabilen Gleichgewicht lassen.

Dagegen tritt die Frage auf, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn bei einer Beschleunigung des Elektrons die Gestaltsänderung während der Geschwindigkeitsänderung berücksichtigt werden muss. Dies wird allerdings nur bei sehr plötzlichen Änderungen der Geschwindigkeit erforderlich sein. Doch ist es leicht möglich, dass sie bei einer genauen Theorie der Röntgenstrahlen in Frage kommt.

Die hier vertretenen Gesichtspunkte rücken den Standpunkt, dass man alle Massen und alle Kräfte elektromagnetisch auffassen muss, immer mehr in den Vordergrund. Denn nur unter dieser Bedingung gelingt es, in konsequenter Weise von den erwähnten negativen Einflüssen der Erdbewegung Rechenschaft zu geben.

Dagegen würde ich es für die weitere Entwicklung der Wissenschaft für äusserst schädlich halten, wenn man in einseitiger Weise solche auf Hypothesen gegründete Theorien nun schon als endgültig feststehend ansehen wollte. Gerade der grosse Umschwung, den die Physik in der letzten Zeit erfahren hat, mahnt zu doppelter Vorsicht und besonders dazu, die Augen auch noch für andere theoretische Möglichkeiten offen zu halten, damit immer die Möglichkeit einer Änderung des eingeschlagenen Weges gegeben ist.

Würzburg, 1. Juli 1904.

(Eingegangen 3. Juli 1904.)

  1. Searle, Phil. Mag. 44, 340, 1897.
  2. W. Wien, Lorentz-Festschrift S. 96, 1900.
  3. a b H. A. Lorentz, K. Akad. v. Wetenschappen te Amsterdam, 27. Mai 1904.
  4. W. Wien, Boltzmann-Festschrift S. 174; Ann. d. Phys. 13, 641 u. 663, 1904.
  5. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie etc., Leiden 1895, S. 54.