Zur Elektrodynamik bewegter Körper (Abraham)

Textdaten
Autor: Max Abraham
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Titel: Zur Elektrodynamik bewegter Körper
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aus: Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo 28, S. 1–28
Herausgeber: Circolo matematico di Palermo unter der Leitung von G. B. Guccia
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Erscheinungsdatum: 1909
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Erscheinungsort: Palermo
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Quelle: Michigan-USA* = Commons
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Themenseite: Relativitätstheorie
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ZUR ELEKTRODYNAMIK BEWEGTER KÖRPER.
Von Max Abraham (Göttingen).



Adunanza del 17 gennajo 1909.


§ 1.
Einleitung.


     Wie bekannt, erweisen sich die von H. Hertz[1] aufgestellten Grundgleichungen der Elektrodynamik bewegter Körper, die als nächstliegende Verallgemeinerung der Maxwell’schen Feldgleichungen für ruhende Körper gelten konnten, als unzulänglich; sie widersprechen den Experimenten, die A. Eichenwald[2] und H. A. Wilson[3] über das Verhalten bewegter Dielektrika angestellt haben.

     Diese Versuchsergebnisse befinden sich im Einklange mit den elektrodynamischen Theorieen von H. A. Lorentz[4] und von E. Cohn[5]. Die heuristischen Ideen, von denen sich die beiden Forscher leiten lassen, sind von einander durchaus verschieden; während H. A. Lorentz von Hypothesen über das Verhalten der Elektronen und der Moleküle ausgeht, wird von E. Cohn die einfachste Beschreibung der elektromagnetischen Vorgänge im Sinne Kirchhoff’s angestrebt.

     Die Ergebnislosigkeit aller der bisherigen Versuche, einen Einfluss der Erdbewegung auf die an der Erdoberfläche sich abspielenden elektromagnetischen Vorgänge zu entdecken, erklärt die Theorie von E. Cohn in befriedigender Weise. Dagegen legte die Lorentz’sche Elektronentheorie, indem sie von dem elektromagnetischen Felde im Aether ausging, die Auffassung nahe, dass die Bewegung eines Systemes durch den Aether auf die Wahrnehmungen eines mitbewegten Beobachters von Einfluss sein möchte. Doch ist es H. A. Lorentz[6] gelungen, durch geeignete Hypothesen über die Veränderungen, welche die elektrischen und mechanischen Eigenschaften der Materie bei der Bewegung durch den Aether erfahren sollen, seine Theorie dem Postulat der Relativität anzupassen. Dass dies möglich ist, erklärt sich bekanntlich aus der Eigenschaft der Feldgleichungen für den Aether, durch gewisse Transformationen von Koordinaten und Lichtweg, die sogenannten[7] « Lorentz’schen Transformationen » in sich selbst überzugehen.

Es ist nicht meine Absicht, in dieser Arbeit den gesamten Komplex der Fragen zu erörtern, die man mit dem Postulate der Relativität in Verbindung gebracht hat; ich habe an anderem Orte[8] zu einigen dieser Fragen Stellung genommen. Hier interessiert uns dieses Postulat nur insofern, als es mit der Elektrodynamik der ponderablen Materie zusammenhängt. Eine kürzlich erschienene Arbeit von H. Minkowski[9] stellt gerade diesen Zusammenhang an die Spitze; es wird hier den Grundgleichungen für bewegte Körper eine solche Form gegeben, dass sie durch die Lorentz’sche Transformation in die Maxwell’schen Feldgleichungen für ruhende Körper übergehen.

Die Minkowski’schen Grundgleichungen erklären, ebenso wie diejenigen von E. Cohn und von H. A. Lorentz, alle vorliegenden Versuchsergebnisse; ihnen und den Cohn’schen Grundgleichungen, mit denen sie, bei Vernachlässigung von Grössen zweiter Ordnung (in dem Quotienten aus der Geschwindigkeit der Materie und des Lichtes), übereinstimmen, ist die Symmetrie der elektrischen und magnetischen Grössen gemeinsam. Die Lorentz’schen Grundgleichungen in ihrer ursprünglichen Form hingegen, bei denen diese Symmetrie nicht vorhanden ist, weichen bereits in Gliedern erster Ordnung von denen der beiden anderen Theorieen ab; doch betrifft diese von E. Cohn[10] bemerkte Abweichung nur die para- und diamagnetischen Isolatoren, und entzieht sich durch ihre Geringfügigkeit der experimentellen Prüfung.

Es ist jedoch nicht schwer, die von Lorentz angenommenen Beziehungen der elektrischen und magnetischen Vektoren so abzuändern, dass die Symmetrie gewahrt bleibt; mit der so modificierten Form der Lorentz’schen Theorie werden sich die Paragraphen (8) und (10) der vorliegenden Untersuchung beschäftigen. Es wird sich zeigen, dass sie dem tatsächlichen Inhalt nach mit der Minkowski’schen Theorie sich völlig deckt. Der formelle Unterschied liegt in der Deutung, die den mit und bezeichneten Vektoren gegeben wird; bei H. A. Lorentz stellen sie die elektrische und magnetische Erregung des Aethers dar, während sie bei Minkowski einer anschaulichen Bedeutung ermangeln. Gerade in dem Verzicht auf eine anschauliche Interpretation liegt nach meiner Meinung das aktuelle der Minkowski’schen Theorie. Nachdem die Elektronentheorie so reiche Früchte getragen hat, scheint jetzt die Elektrodynamik wiederum in eine phänomenologische Phase ihrer Entwickelung einzutreten.

Auch die Methode der vorliegenden Untersuchung ist eine phänomenologische. Angesichts der Verlegenheit, welche die wachsende Zahl rivalisierender Theorieen bereitet, schien es mir erwünscht, ein auf Maxwell’scher Grundlage aufgebautes System der Elektrodynamik bewegter Körper zu besitzen, welches sich von den speziellen Ansätzen der einzelnen Theorieen zunächst frei hält. Die Voraussetzungen des hier dargestellten Systemes sind in den Impulssätzen und dem Energiesatze (§3) und ausserdem in gewissen Gleichungen enthalten, die wir als « Hauptgleichungen » bezeichnen (§ 4.). Zwei von diesen verknüpfen, als sinngemässe Verallgemeinerung der im Falle der Ruhe geltenden Hauptgleichungen der Maxwell’schen Theorie, die Linienintegrale der Vektoren und (Kraft auf bewegte elektrische und magnetische Einheitspole) mit den zeitlichen Änderungen der Flächenintegrale der Vektoren und (magnetische und elektrische Erregung). Im Verein mit den hinzutretenden drei Hauptgleichungen, welche die Joule’sche Wärme, den relativen Strahl, und die relativen elektromagnetischen Spannungen in der bewegten Materie durch jene Vektoren ausdrücken, bilden sie einen mathematischen Rahmen, in den die verschiedenen Bilder der elektromagnetischen Vorgänge sich einfügen lassen. Jedes solche Bild ist, im Sinne unseres Systemes, gekennzeichnet durch zwei Beziehungen zwischen den vier Vektoren ; durch Hinzufügung dieser Beziehungen gehen die beiden ersten Hauptgleichungen in die Differentialgleichungen über, welche, der betreffenden Theorie gemäss, die zeitliche Veränderung des elektromagnetischen Feldes darstellen, während die anderen drei Hauptgleichungen die Energievorgänge und die ponderomotorischen Kräfte bestimmen. Es ist indessen bemerkenswert, wie weit man die Konsequenzen aus den Hauptgleichungen verfolgen kann, ohne die speziellen Verknüpfungsgleichungen der betreffenden Theorie heranzuziehen. Insbesondere sind die Abweichungen, die im Ausdrucke der ponderomotorischen Kraft (§ 12) zwischen den verschiedenen Theorieen bestehen, nur geringfügig; im Falle der Ruhe werden sogar die ponderomotorischen Kräfte der Lorentz’schen, Cohn’schen und Minkowski’schen Theorie miteinander identisch.

Indem ich die verschiedenen Theorieen der Elektrodynamik bewegter Körper in ein allgemeines System einordne, beseitige ich diejenigen Züge des einzelnen Bildes, die nicht durch die charakteristischen Verknüpfungsgesetze der elektromagnetischen Vektoren bedingt sind. Dass ich solche Veränderungen an einigen der erwähnten Theorieen vorgenommen habe, wird man mir wohl verzeihen; treten doch bei der gegebenen Darstellungsweise um so deutlicher die wesentlichen Züge der betreffenden Bilder hervor.
§ 2. Mathematische Hilfsformeln.


Die Zeitdifferentiation für feste Raumpunkte wird durch vorgestellt. Die zeitliche Änderung eines Flächenintegrales, erstreckt über eine Fläche, deren Punkte sich mit der Geschwindigkeit bewegen

definiert eine andere Art der Zeitdifferentiation eines Vektors

(1)
.

Ferner ist der auf bewegte Punkte bezogene Differentialquotient nach der Zeit

(2)

Dieser ist mit der zeitlichen Änderung des Volumintegrales eines Vektors verknüpft durch die Beziehungen

(2a)

Aus (2) und (2a) folgt

(3)

Für Skalare ergiebt sich dementsprechend

(3a)

Aus (1) und (3) folgt endlich, mit Rücksicht auf die allgemeine Regel

die Beziehung

(4)

Da die in (2) eingeführte Art der Zeitdifferentiation den gewöhnlichen Rechnungsregeln folgt, so gilt, mit Rücksicht auf (2a)

Aus dieser Gleichung, im Verein mit den aus (4) und (2a) folgenden

erhält man

Auf Grund der unschwer zu verificierenden Identität

ergiebt sich die Relation

(5)


§ 3. Die Energiegleichung und die Impulsgleichungen.


Wir verstehen unter Koordinaten und Zeit, gemessen in einem Bezugssystem, in welchem der Beobachter eine feste Lage einnimmt. Die von einem solchen Beobachter gemessene ponderomotorische Kraft, die infolge des elektromagnetischen Processes an der Volumeinheit der bewegten Materie angreift, soll die Komponenten besitzen:

(6)

Den hier auftretenden Vektor bezeichnen wir als « Dichte der elektromagnetischen Bewegungsgrösse » oder kurz als « Impulsdichte ». Das System der « fiktiven elektromagnetischen Spannungen » besteht aus sechs Grössen, nämlich den Normalspannungen , und den paarweise einander gleichen Schubspannungen:

(6a)

Den « Impulsgleichungen » (6) tritt die Energiegleichung an die Seite:

(7)

Hier bedeutet die Joule’sche Wärme, die elektromagnetische Energiedichte, den Energiestrom.

Während die Impulsgleichungen die vom elektromagnetischen Felde abgegebene Bewegungsgrösse bestimmen, giebt die Energiegleichung an, welche Energiemenge pro Raum- und Zeit-Einheit in nicht elektromagnetische Form (Arbeit und Wärme) umgewandelt wird.

Führt man in (6) und (7) den durch (3) und (3a) definierten zeitlichen Differentialquotienten ein, so erhält man eine andere Form der Impuls- und Energie-Sätze

(8)
(9)

Hier stellt der Vektor

den « relativen Energiestrom » dar. Das System der « relativen Spannungen »

(10)

ist so definiert, dass (6) und (8) zu dem gleichen Werte der ponderomotorischen Kraft führen.

Aus (6a) und (10) folgen die Relationen

die sich vektoriell schreiben lassen

(11)

ist das auf die Volumeinheit bezogene Drehmoment der relativen Spannungen; es verschwindet in der gewöhnlichen Mechanik, da hier der Impulsvektor der Richtung nach mit dem Geschwindigkeitsvektor übereinstimmt. In der elektromagnetischen Mechanik ist es im allgemeinen nicht zu vernachlässigen, doch wird es, bei Bezugnahme auf einen festen Momentenpunkt, durch dasjenige Drehmoment, welches von der mitgeführten Bewegungsgrösse herrührt, kompensiert.

Wir können den relativen Energiestrom uns in zwei Teile zerlegt denken, von denen der eine die durch die relativen Spannungen bedingte Energieübertragung darstellt, der andere die « relative Strahlung[11] », die sich z. B. in der Optik durch die Wärmeentwickelung in einer schwarzen Fläche messen lässt:

(12)

Den Vektor nennen wir den « relativen Strahl ».

Aus den Impulsgleichungen (8) finden wir für die Arbeitsleistung der ponderomotorischen Kraft den Ausdruck

Setzen wir hier, zur Abkürzung

(13)

so ergiebt die Energiegleichung (9), mit Rücksicht auf (12)

(14)

Diese aus Impulssatz und Energiesatz gewonnene Beziehung wird sich weiterhin als wichtig erweisen.


§ 4. Die Hauptgleichungen.


Allen Theorieen der Elektrodynamik bewegter Körper gemeinsam ist die Form der beiden ersten Hauptgleichungen

(I)
(II)

Sie sind nichts anderes, als ein allgemeines Schema, das erst durch Hinzufügung zweier Beziehungen zwischen den vier auftretenden Vektoren einen physikalischen Sinn erhält; denn zwei solche Beziehungen sind notwendig, um die Zahl der unbekannten Vektoren auf zwei zu reducieren; die zeitliche Veränderung des Feldes dieser beiden Vektoren wird dann durch die beiden ersten Hauptgleichungen beschrieben.

Die Vektoren deuten wir als die Kräfte, die an bewegten elektrischen und magnetischen Einheitspolen angreifen. Die Vektoren nennen wir, indem wir uns der Terminologie der Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften anschliessen, die « elektrische und magnetische Erregung ».

Der Bedeutung des Vektors entspricht es, dass wir für die in Zeit- und Raum-Einheit der bewegten Materie entwickelte Wärme den Ansatz machen

(III)

An diese dritte Hauptgleichung reiht sich als vierte eine Gleichung an, die den relativen Strahl mit den Vektoren verknüpft

(IV)

Für den Fall der Ruhe geht dieser Vektor in den Poynting’schen über.

Endlich bedürfen wir eines Ansatzes, welcher die in Gleichung (13) definierte Grösse , und damit die relativen Spannungen, durch die Vektoren ausdrückt. Wir setzen

(V)

und erhalten somit für die relativen Spannungen

(Va)

Für den Fall der Ruhe folgen hieraus die bekannten Formeln für die fiktiven Spannungen.

Die Wahl der Ausdrücke (IV) und (V) erscheint auf den ersten Blick als eine ganz willkürliche. Doch ist es die einfachste Verallgemeinerung der in ruhenden Körpern geltenden Gesetze, welche nur die vier in den beiden ersten Hauptgleichungen auftretenden Vektoren verwendet.

Aus (Va) folgt übrigens:

Demnach ist das Drehmoment der relativen Spannungen:

(Vb)

Die im vorigen Paragraphen dargelegten mechanischen Principien, und die fünf Hauptgleichungen sind die Grundlagen, auf denen unser System der Elektrodynamik bewegter Körper beruht.

§ 5.
Bestimmung der Impulsdichte und der Energiedichte.


     Die verschiedenen Theorieen der Elektrodynamik bewegter Körper unterscheiden sich durch die Beziehungen, die zwischen den vier in den Hauptgleichungen auftretenden Vektoren angenommen werden. Bevor wir jedoch zur Discussion spezieller Theorieen übergehen, wollen wir die allgemeinen Entwickelungen etwas weiter führen; dabei soll über die Form jener Beziehungen nur die recht allgemeine Voraussetzung gemacht werden: Die Vektoren sollen durch Gleichungen verknüpft sein, welche zwar den Geschwindigkeitsvektor selbst, aber nicht irgend welche Ableitungen desselben nach der Zeit oder nach den Koordinaten enthalten.

     Die Hauptgleichung (IV) ergiebt:

dies wird, mit Rücksicht auf die beiden ersten Hauptgleichungen:

Aus der Hauptgleichung (III), und der Relation (14) folgt:

(14a)

eine Bedingung, die man, gemäss (4), auch schreiben kann

(14b)

und die endlich, durch Heranziehung der Hauptgleichung (V), übergeht in:

(15)

Diese Beziehung dient zur Ermittelung der Dichten der Energie und der Bewegungsgrösse in ihrer Abhängigkeit von den elektromagnetischen Vektoren.

Mit Rücksicht auf (2a) lautet sie

(15a)

Da die nunmehr verwandte Art der Zeitdifferentiation den gewöhnlichen Rechnungsregeln genügt, so folgt, wenn abkürzungsweise gesetzt wird

(16)
(17)

     Wie im Eingange dieses Paragraphen erwähnt wurde, sollen die Beziehungen, welche mit verknüpfen, zwar den Geschwindigkeitsvektor , aber nicht dessen Differentialquotienten nach Zeit und Ort enthalten. Dasselbe wird von den Ausdrücken zu verlangen sein, welche und durch die elektromagnetischen Vektoren darstellen, und die zu finden unser nächstes Ziel ist. Demgemäss können wir die Terme in (17), welche nur Differentialquotienten nach der Zeit enthalten, von denjenigen trennen, in welche als Faktor die Divergenz von eingeht; so ergeben sich die Gleichungen

(17a)
(17b)

     Die Elimination von ergiebt:

(18) .

     Diese Relation wird uns dazu dienen, die Komponenten der Impulsdichte zu ermitteln, nachdem die rechte Seite auf Grund der für die betreffende Theorie charakteristischen Beziehungen zwischen den elektromagnetischen Vektoren als lineare Funktion der Beschleunigungskomponenten ausgedrückt ist.

     Für die zu senkrechten Komponenten von ergiebt sich aus (Vb) und (11) die Bedingung

(18a)

Diese muss in jedem Falle erfüllt sein, da sonst unser System einen inneren Widerspruch aufweisen würde.

     Aus (16) und (17b) bestimmt sich die Energiedichte

(19)

     Nach (Va) beträgt die Summe der relativen Normalspannungen

demnach folgt gemäss (10)

sodass die bemerkenswerte Beziehung besteht

(19a)

     Trägt man den Wert (19) von , sowie die Ausdrücke (Va) der relativen Spannungen in (12) ein, so erhält man für den Energiestrom

(20)

einen Ausdruck, der auf Grund bekannter Rechnungsregeln übergeht in

wenn abkürzungsweise gesetzt wird

Hierfür kann auch geschrieben werden

(21)
wobei unter der Vektor zu verstehen ist
(22)

Wir gehen nunmehr zu der Discussion spezieller Theorieen über, wobei wir uns durchweg auf isotrope Körper beschränken.


§ 6.
Theorie von H. Hertz.


     Die Hertz’sche Elektrodynamik bewegter Körper setzt die Vektoren und proportional zu und

(23)

Dementsprechend gilt, wofern und für einen bestimmten materiellen Punkt eines bewegten Körpers als Konstanten betrachtet werden

     Es folgt somit aus (18)

(24)

     Die Hertzsche Theorie kennt nicht die elektromagnetische Bewegungsgrösse. Sie leitet die ponderomotorische Kraft aus den Spannungen allein ab, wobei es, gemäss (10), gleichgültig ist, ob man die Spannungen auf feste oder auf mitbewegte Flächen bezieht. Ein Drehmoment der relativen Spannungen tritt nicht auf, wie denn auch die beiden Seiten von (18a) gleich Null sind.

     Die Energiedichte hat, nach (19), den Wert

(25)

     Die einfachen Ansätze, durch welche die Hertz’sche Theorie die Erregungen mit den elektromagnetischen Kräften verknüpft, hat indessen, wie oben erwähnt wurde, das Experiment nicht bestätigt. Es bleibt nur die Wahl zwischen den in den folgenden Paragraphen zu besprechenden Theorieen.


§ 7.
Theorie von E. Cohn.


     E. Cohn legt der Elektrodynamik bewegter Körper die folgenden Verknüpfungsgleichungen zu Grunde

(26)
Aus ihnen folgt, wenn wiederum und gleich Null gesetzt werden

Da nun die Relation (18) verlangt

so ordnet man die Cohn’sche Theorie in unser System ein, indem man setzt

(27)

In der Cohnschen Elektrodynamik ist die Impulsdichte dem durch geteilten relativen Strahle gleich zu setzen.

     Dass durch (26) und (27) auch der Relation (18a) Genüge geleistet wird, bestätigt man leicht, indem man beachtet, dass die Identität besteht

     Aus (19) folgt jetzt für die elektromagnetische Energiedichte

(28)

ein Ausdruck, der gemäss (26) auch geschrieben werden kann

(28a)

er stimmt mit E. Cohn’s Ansatz überein.

     Auf die Berechnung der ponderomotorischen Kraft komme ich weiter unten zurück.


§ 8.
Theorie von H. A. Lorentz.


     Wenn wir die Verknüpfungsgleichungen der Theorie von H. A. Lorentz so abändern, dass Symmetrie der elektrischen und magnetischen Vektoren besteht, so gelangen wir zu dem Ansatze

(29)
(30)

     Hier treten, neben den vier in den Hauptgleichungen enthaltenen Vektoren, zwei neue Vektoren auf. Dieser Umstand macht die Lorentz’sche Theorie komplicierter, als die Cohn’sche. Jene verknüpft unmittelbar die Komponenten von mit denen von durch Gleichungen, die linear in den Geschwindigkeitskomponenten sind; bei dieser dagegen sind die durch Elimination von sich ergebenden Verknüpfungsgleichungen (§ 10, Gl. 37b) nicht mehr linear in den Geschwindigkeitskomponenten.

     Doch kommt den Lorentz’schen Vektoren und eine anschauliche Bedeutung zu. Es lassen sich nämlich, den Gl. (29), (30) gemäss, die Erregungen und in zwei Teile spalten

(31)

     Den ersten Bestandteil der elektrischen und magnetischen Erregung, der durch und dargestellt wird, deutet Lorentz als elektrische und magnetische Erregung des Aethers, den zweiten, durch die Vektoren und (elektrische und magnetische Polarisation) vorgestellten Bestandteil als die elektrische und magnetische Erregung der Materie; letztere wird der elektrischen und magnetischen Kraft, und , die auf mit der Materie bewegte Einheitsladungen wirkt, proportional gesetzt.


     Wir wollen in diesem Paragraphen und , für einen bestimmten materiellen Punkt, als unabhängig von der Geschwindigkeit und von der Zeit betrachten, indem wir uns vorbehalten, diese Einschränkungen später wieder aufzuheben.


     Um auf Grund der Relation (18) die Impulsdichte zu ermitteln, berechnen wir die Grössen

(31a)

Aus (30) folgt

Da nun die beiden anderen Terme in (31a), gemäss (31), verschwinden, so ergiebt die Relation (18)

(32)

als Wert der elektromagnetischen Impulsdichte.


     Es ersteht nun die Frage, ob dieser Wert zugleich der Bedingung (18a) genügt

Nach (29) ist

Aus (30) folgt weiter

Auf Grund der bekannten Identität

erweist es sich, dass der Ausdruck (32) für die Impulsdichte wirklich der Bedingung (18a) genügt.


     Aus (19) folgt nun der Wert der Energiedichte

(33)

den man auch schreiben kann

(33a)
Die ersten beiden Glieder sind im Sinne der Lorentz’schen Theorie als Beiträge des Aethers, die beiden letzten als Beiträge der polarisierten Materie zur elektromagnetischen Impulsdichte anzusehen.

     Wir schreiten zur Berechnung des Energiestromes. Mit Rücksicht auf (32) und (31) gilt in der Lorentz’schen Theorie für den am Schlusse des § 5 eingeführten Vektor der Ausdruck

(34)

Nach (31) und (30) hat man

sodass die Gleichung (21) die Form annimmt

Da nun, nach (34), zu setzen ist

so folgt schliesslich als Wert des Energiestromes

(35)

     Das erste Glied lässt sich als Anteil des Aethers, das zweite als Anteil der elektrisch polarisierten Materie am Energiestrome auffassen, wie G. Nordström[12] in einer kürzlich erschienenen, auch sonst bemerkenswerten Arbeit dargelegt hat; das dritte, bei Bewegung magnetisch polarisierter Materie hinzutretende Glied entspricht dem zweiten so, wie es die hier angenommene Symmetrie der elektrischen und magnetischen Vektoren verlangt.


§ 9.
Theorie von H. Minkowski.


     In dieser Theorie gelten die folgenden Beziehungen zwischen den elektromagnetischen Vektoren

(36)
(37)

     Auch hier tritt, neben den beiden in den Hauptgleichungen enthaltenen Vektorpaaren, ein neues Vektorpaar auf, welches die Beziehung zwischen jenen vermittelt.

     Vom Standpunkte des von uns zu Grunde gelegten Systems entsteht wiederum die Aufgabe, die Impulsdichte aus der Relation (18) abzuleiten. Es folgt aus (36)

Somit wird die rechte Seite von (18)

(38)

Wir drücken, auf Grund von (37), sowie durch die in den Hauptgleichungen auftretenden Vektoren aus, und finden

(38a)
(38b)

Indem wir (38a,b) in (38) einsetzen, erhalten wir

(38c)

Nun folgt aber aus (36)

es nehmen somit die zweite und dritte Zeile der rechten Seite von (38c) die Werte an

Wenn nun in der Tat, wie es (18a) verlangt, gilt

(39)

so liefern die zweite und dritte Zeile zusammen

Daher folgt aus (18) schliesslich

(39a)

     Die Vergleichung mit (20) ergiebt die wichtige Beziehung

(40)
Fügt man die Minkowskischen Verknüpfungsgleichungen zwischen den elektromagnetischen Vektoren in unser System ein, so wird die Impulsdichte im bewegten Körper gleich dem durch geteilten Energiestrome.

     Aus (40) und (21) folgt, mit Rücksicht auf (37)

(40a)

wobei sich der Vektor

(40b)

bestimmt aus

(40c)

Lassen wir die -Achse in die Richtung von weisen, und setzen

(40d)

so werden die Komponenten von

(41)

und es folgt aus (40a),

(42)

     Die obige Ableitung hat eine Lücke; es fehlt der Nachweis, dass die als geltend angenommene Gleichung (39) wirklich erfüllt ist. Um ihn zu führen, berechnen wir den Vektor

Da man hat

so wird mit Rücksicht auf (40a)

     Man kann, weil hiernach die in die Richtung des Vektors fallende Komponente von gleich Null ist, auch schreiben

(43)

Damit ist die Bedingung (18a) als giltig dargetan, und gleichzeitig die Lücke in der obigen Ableitung des Wertes von ausgefüllt.

     Aus (19) folgt der Wert der Energiedichte

(44)
der gemäss (37) und (40b) auf die Form zu bringen ist
(44a)

     Um die Vergleichung unserer Ergebnisse mit den Ansätzen Minkowski’s zu erleichtern, schreiben wir

Dann lauten die Impulsgleichungen (6) und die Energiegleichung (7)

Dabei besteht, gemäss (19a), die Beziehung

Nun besagt die Relation (40)

Im Verein mit (6a) enthalten diese Beziehungen eine merkwürdige Symmetrieeigenschaft jenes Gleichungssystemes, die sich in Minkowski’s Ansätzen nicht findet. Was das Verhalten bei Lorentz’schen Transformationen anbelangt, so transformieren sich die 10 Grössen

wie die Quadrate und Produkte der Koordinaten und des Lichtweges . Demgemäss genügt dieser « Raum-Zeit-Tensor » dem « Principe der Relativität » im Sinne Minkowski’s; dasselbe gilt von dem aus ihm abgeleiteten « Raum-Zeit-Vektor erster Art » . Auch die ponderomotorische Kraft, die wir im § 12 berechnen werden, genügt somit dem Relativitätsprincipe.


§ 10.
Beziehung zwischen den Theorieen von Lorentz und von Minkowski.


Wir haben die anschauliche Bedeutung hervorgehoben, welche in der Lorentz’schen Theorie den Vektoren zukommt, als Anteil des Aethers an der elektrischen und der magnetischen Erregung. In der Theorie von Minkowski entbehren die Vektoren durch deren Vermittelung und mit einander verknüpft werden, einer solchen Veranschaulichung. Es liegt auch, wenn man sich auf den Standpunkt des Relativitätsprincipes stellt, kein Grund vor, vom Aether und dessen elektromagnetischen Eigenschaften zu sprechen. Dieses Princip betrachtet nur die Materie in ihrer Bewegung relativ zum Beobachter, und die elektromagnetischen Vorgänge in dieser Materie.

     Für unser System der Elektrodynamik bewegter Körper sind indessen die Vektoren und von geringerer Bedeutung, als die Vektoren . Wenn wir, unter Elimination von und , diese vier Vektoren unmittelbar mit einander verknüpfen, wird die Verwandschaft der Theorieen von Minkowski und Lorentz deutlich werden.


A) Theorie von Minkowski.


Aus den Gleichungen (36) und (37) des § 9 folgt

(45)

Legen wir die -Achse in Richtung von , so gilt für die nach dieser Richtung genommenen Komponenten

(45a)

Hingegen gilt für die senkrecht zur Bewegungsrichtung genommenen Komponenten

(45b)


B) Theorie von Lorentz.


     Aus den Gleichungen (30) des § 8 folgt

(46)

Es sind also die Komponenten von und parallel bezw. senkrecht zur Richtung der Geschwindigkeit

(46a)

     Während bei Minkowski in isotropen Körpern und von der Richtung unabhängig sind, wird bei Lorentz zugelassen, dass für die Erregungen parallel und senkrecht zu verschiedene Werte von und in Frage kommen. Demgemäss erhält man, aus (29) und (46a), für die longitudinalen Komponenten von und

(47a)
und für die transversalen Komponenten
(47b)

     Vergleichen wir einerseits (45a) und (47a), andererseits (45b) und (47b), so erkennen wir, dass die Gleichungen, die und verknüpfen, in beiden Theorieen übereinstimmen, wenn man in der Lorentz’schen Theorie setzt

(48a)
(48b)

Es werden dann die longitudinalen und die transversalen Komponenten der elektrischen und magnetischen Polarisation, nach (31)

(48c)
(48d)

     Dass die elektrische Polarisation eines im Ruhezustande isotropen Körpers in der durch (48c) angezeigten Weise durch seine Bewegung beeinflusst werden muss, wenn das Relativitätspostulat mit der Lorentz’schen Theorie vereinbar sein soll, hat schon H. A. Lorentz (1904) ausgesprochen. Nimmt man die Symmetrie der elektrischen und magnetischen Vektoren an, so ergiebt sich für die magnetische Polarisation das entsprechende Verhalten.

     Die in § 8 gemachte Voraussetzung, dass und von der Geschwindigkeit unabhängig sein sollen, ist nunmehr hinfällig geworden. Mithin müssen auch die dort gefundenen Werte der Impulsdichte, der Energiedichte und des Energiestromes corrigiert werden. Nicht mehr zu vernachlässigen sind jetzt die in (31a) eingehenden Grössen

(49)

Es folgt, aus (48c)

(49a)

Ferner erhält man, unter Berücksichtigung der transversalen Beschleunigung und der durch sie bedingten Drehung des Polarisationsellipsoides, für die Komponenten von die Ausdrücke

(49b)
Hieraus folgt
(49c)

während (49a) ergiebt

(49d)

Da man nun, nach (48c), hat

so ergiebt sich

(49c)

Die Einführung dieses Ausdruckes, und des ihm entsprechenden für den magnetischen Term, in (31a), ergiebt, an Stelle des Wertes (32) der Impulsdichte, den berichtigten Wert

(50)

Dass die Relation (18a) erfüllt bleibt, ist leicht zu verificieren.

     Wird der Wert (50) von in die allgemeine Formel (19) für die Energiedichte eingetragen, so folgt an Stelle von (33)

(51)

Auch erhält man auf Grund von (20) für den Energiestrom die berichtigte Formel

(52)

     Aus (50) und (52) ersieht man, dass auch in der Lorentz’schen Theorie, wenn man sie in der angegebenen Weise modificiert, zwischen Energiestrom und Impulsdichte die Beziehung besteht

(53)

die uns bereits in der Theorie von Minkowski begegnet ist.

     Dieses Ergebnis war vorauszusehen; nachdem die Gleichungen, welche und mit und verknüpfen, in Übereinstimmung gebracht sind, besteht zwischen den beiden Theorieen, vom Standpunkte unseres Systemes aus, kein wesentlicher Unterschied mehr. Nur die Bedeutung der mit bezeichneten Vektoren ist eine verschiedene. Wie aus (50) und (51) hervorgeht, erlaubt die Lorentz’sche Definition dieser Vektoren auch jetzt noch, die Beiträge des Aethers und der Materie zu der elektromagnetischen Energie und dem elektromagnetischen Impulse von einander zu sondern; freilich gelten für die Beiträge der Materie jetzt Formeln, die nicht mehr eine einfache Deutung zulassen.


§ 11.
Berücksichtigung der zeitlichen Veränderung von und .


     Wir haben bisher die Dielektrizitätskonstante und die magnetische Permeabilität als Grössen betrachtet, die für einen gegebenen materiellen Punkt konstante Werte besitzen, oder doch (Vergl. § 10) in vorgegebener Weise mit der Geschwindigkeit variieren. Den Fall, dass diese Grössen von dem Deformationszustande des Körpers, und damit von der Zeit abhängen, haben wir bisher nicht in Erwägung gezogen. Wie sind nun die Betrachtungen zu modificieren, wenn und nicht gleich null sind?


A) Theorieen von H. Hertz und E. Cohn.


     Sei es, dass wir die Formeln (23) der Hertz’schen oder die Formeln (26) der Cohn’schen Theorie zu Grunde legen, so finden wir in dem Falle, dass und von der Zeit abhängen, dass an Stelle von (18) die folgende Beziehung tritt

(54)

wo gesetzt ist

(54a)

dabei ist angenommen, dass für die Impulsdichte die früheren Ausdrücke (24) bezw. (27) giltig bleiben.


B) Theorieen von H. Minkowski und H. A. Lorentz.


     Etwas umständlicher wird die Berechnung, wenn man von den Verknüpfungsgleichungen (36) und (37) der Minkowski’schen Theorie ausgeht. Es sind nicht nur in (38) rechts die Terme hinzuzufügen

sondern auch in (38c) ist bei der Berechnung der Glieder, die und enthalten, die Veränderlichkeit von und zu berücksichtigen. Auch hier ergiebt sich – wofern, der Wert von nicht geändert wird – eine Relation von der Form (54); doch haben die Grössen hier eine etwas verschiedene Bedeutung

(54b)

     Dieses Resultat gilt auch für die Lorentz’sche Theorie in der Gestalt, die wir ihr im § 10 gegeben haben; denn alle Ausdrücke, die nur die Vektoren enthalten, sind in dieser Theorie mit den entsprechenden Ausdrücken der Minkowski’schen Theorie identisch.

     Da nun die Gleichung (54) der Relation (18) widerspricht, und da wir eine Änderung in den Werten der Impulsdichte und der Energiedichte nicht zulassen wollen, so sehen wir uns genötigt, den in (V) angegebenen Wert der Grösse zu corrigieren und zwar um

dann führen nämlich die Betrachtungen des § 5, statt zur Relation (18), gerade zu der Beziehung (54).

     Diese Auffassung findet eine Stütze in der Theorie der Elektrostriktion[13]. In dem einfachsten, bei Flüssigkeiten und Gasen vorliegenden Falle, wo und nur von der Dichte abhängen, hat man

dies wird in Folge der Kontinuitätsbedingung der Materie

Bedenkt man die Definition (13) der Grösse , so sieht man, dass jener Zuwachs einer Vermehrung der relativen Normalspannungen , um

(55)

entspricht. Falls und mit wachsender Dichte zunehmen, wird der zusätzliche Druck negativ, d. h. die Flüssigkeit strebt im elektrischen und magnetischen Felde sich zu kontrahieren. Im Falle der Ruhe ergiebt (55), im Verein mit (54a) oder (54b), den in der Theorie der Elektrostriktion gebräuchlichen Ansatz.

     Bei festen Körpern sind allgemeinere Betrachtungen erforderlich, um die Abhängigkeit der elektrischen und magnetischen Konstanten vom Deformationszustande darzustellen. H. Hertz[14] hat, vom Standpunkte seiner Theorie aus, die entsprechenden Zusatzspannungen allgemein berechnet; dagegen haben E. Cohn sowie H. Minkowski von der Einführung solcher Zusatzspannungen abgesehen. Diese bei der Geringfügigkeit der Zusatzspannungen erlaubte Vereinfachung werden auch wir uns weiterhin gestatten.

§ 12.
Die ponderomotorische Kraft.

     Da nunmehr für jede der vorliegenden Theorieen die relativen Spannungen, sowie die Impulsdichte, in ihrer Abhängigkeit von den elektromagnetischen Vektoren bestimmt sind, so ergeben sich aus den Gleichungen (8) die Komponenten der ponderomotorischen Kraft. Nach (Va) ist

(56)

Hieraus folgt

(57)

     Betrachten wir die letzte Zeile, so springt die Analogie zur linken Seite von (54) in die Augen; die Ausdrücke unterscheiden sich nur dadurch, dass dort nach der Zeit, hier nach einer Koordinate differenziiert wird.

     Da nun der Gedankengang, der zur Relation (54) geführt hat, von der Bedeutung der unabhängigen Variablen nicht berührt wird, so gilt

(57a)

     Die vektorielle Verallgemeinerung von (57) ergiebt als den von den relativen Spannungen herrührenden Kraftanteil

(58)

     Hierzu tritt, gemäss (8), der von dem elektromagnetischen Impulse herrührende Anteil

(58a)

     Die in (58) auftretenden Vektorprodukte wollen wir mit Hilfe der beiden ersten Hauptgleichungen des § 4 umformen in

Mit Rücksicht auf die Regel (5) des § 1 wird die Summe dieser beiden Terme

     Die ponderomotorische Kraft ergiebt sich durch Addition der Kräfte und ; der entstehende Ausdruck vereinfacht sich, wenn man den in (22) definierten Vektor

(59)

einführt, und die Bezeichnungen gebraucht

(59a)

Es mag ferner für die Dichte der wahren Elektrizität gesetzt werden

(59b)

und die Dichte des wahren Magnetismus gleich Null angenommen werden

(59c)

auch werde statt des elektrostatischen Maasses der Stromstärke das elektromagnetische eingeführt durch

(59d) .

Dann lautet der Ausdruck für die ponderomotorische Kraft, welche auf die Volumeinheit der bewegten Materie wirkt

(60)

     Der erste Term stellt die an der bewegten Elektrizität angreifende Kraft dar, der zweite die am elektrischen Leitungsstrome angreifende; der dritte und vierte Term berücksichtigen den Einfluss der Inhomogenität des Körpers. Während diese vier Terme schon bei statischen oder stationären Feldern in ruhenden Körpern in Betracht kommen, spielen die letzten, den Vektor enthaltenden Terme nur bei nicht stationären Vorgängen, oder in bewegten Körpern eine Rolle.

     In dem erhaltenen Ausdrucke der ponderomotorischen Kraft kommen die Unterschiede der einzelnen Theorieen der Elektrodynamik bewegter Körper nur dadurch zur Geltung – wenn man von der äusserst geringfügigen Abweichung in der Bedeutung der Grössen und (Gl. 54ab) absieht –, dass der Vektor verschiedene Werte annimmt.

     Ergiebt die von dem elektromagnetischen Felde abgegebene Bewegungsgrösse, so wird die in nicht elektromagnetische Formen umgewandelte Energie durch die Summe von Joule’scher Wärme und Arbeit der ponderomotorischen Kraft gegeben. Für die Joule’sche Wärme gilt, gemäss der Hauptgleichung (III), und (59d)

während die Arbeitsleistung der Kraft sich aus (60) ergiebt

     Erwägt man nun, dass der Berechnung der ponderomotorischen Kraft die Voraussetzungen zu Grunde liegen

und dass, aus (3), und der bekannten Rechnungsregel

sich ergiebt

und dass weiter, mit Rücksicht auf (3a), folgt

so erhält man schliesslich für die in der Zeiteinheit von der Volumeinheit abgegebene Energie die Formel

(60a)

Auch hier unterscheiden sich, von der in den Grössen zweiter Ordnung etwas abweichenden Bedeutung von und abgesehen, die verschiedenen Theorieen lediglich durch den Wert des Vektors , wenn man sie vom Standpunkte unseres Systemes aus betrachtet.

     Man denke sich nun für jedesmal denjenigen Wert gesetzt, welcher ihm in der betreffenden Theorie zukommt, und vergleiche unseren Ausdruck (60) der ponderomotorischen Kraft mit dem von anderen Autoren erhaltenen.

     Der von E. Cohn angegebene Wert der ponderomotorischen Kraft weist eine kleine Abweichung von dem unsrigen auf. Diese rührt zum Teil daher, dass E. Cohn’s Ansatz für die relativen Spannungen nicht ganz mit (Va) identisch ist; er setzt nämlich dort an Stelle von , wohl in der Absicht, das Drehmoment der relativen Spannungen zum Verschwinden zu bringen. Der hierdurch bedingte Unterschied im Werte des von den relativen Spannungen herrührenden Kraftanteiles findet sich gleich

Wir haben es nur dann als notwendig angesehen, dass verschwindet, wenn – wie in der Theorie von Hertz – kein elektromagnetischer Impuls in Frage kommt. E. Cohn stellt indessen ebenfalls einen zweiten Teil der Kraft in Rechnung, der mit dem Vektor verknüpft ist, nämlich

dieser Ausdruck der elektromagnetischen Trägheitskraft weicht von dem unsrigen (58a), gemäss (4), ab um

Es beträgt also der Unterschied zwischen dem Kraftausdrucke E. Cohn’s und dem hier erhaltenen im Ganzen

wobei durch (27) bestimmt ist. Er ist wohl zu gering, um der experimentellen Prüfung zugänglich zu sein.

     Wir gehen zur Theorie von Minkowski über. Bereits im § 9 wurde erwähnt, dass die enge Beziehung zwischen Impulsdichte und Energiestrom, die nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung in dieser Theorie stattfindet, bei Minkowski nicht angenommen wird. Dementsprechend weicht auch der Wert (60) der ponderomotorischen Kraft von Minkowski’s Ansatz ab; es fehlt dort insbesondere das Glied (60) , das bereits im Falle der Ruhe in Frage kommt. Von A. Einstein und J. Laub[15] ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Kraft, die nach Lorentz im magnetischen Felde auf den Polarisationsstrom wirken soll, in Minkowski’s Ansatz fehlt. Nun ist zwar ein experimenteller Nachweis für die Existenz dieser Kraft nicht erbracht worden, doch gründet sich die Überzeugung von ihrem Vorhandensein auf die Analogie, welche nach den Vorstellungen der Elektronentheorie zwischen Leitungsstrom und Polarisationsstrom besteht; diese Analogie bewährt sich so, dass man jene Kraft nicht ohne gewichtige Gründe wird leugnen wollen. Unser Kraftausdruck enthält, wie aus Gl. 63 hervorgeht, jene Kraft; dass er dem Princip der Relativität nicht widerspricht, bemerkten wir bereits am Schlusse des § 9.

     Im Falle der Ruhe, wo, statt , zu schreiben ist, wird die ponderomotorische Kraft

(61)

In den verschiedenen Theorieen besitzt der Vektor folgende Werte:


A) Theorie von H. Hertz.


     Hier folgt aus (22) und (24)

(61a)


B) Theorieen von E. Cohn, H. A. Lorentz und H. Minkowski.


     In allen drei Theorieen wird im Falle der Ruhe, wie aus (27), (32), (40a) hervorgeht

(61b)
Dass für die ponderomotorische Kraft in ruhenden Körpern alle drei Theorieen denselben Wert ergeben, ist im Sinne unseres Systemes darin begründet, dass die Gleichungen, die und mit und verknüpfen, mit Einschluss der in linearen Glieder übereinstimmen. Es mag bei der Diskussion der Kraft in ruhenden Körpern die Bezeichnungsweise der Lorentz’schen Theorie gebraucht werden.

     Setzt man für den Wert (61b), so lässt sich die ponderomotorische Kraft (61) in zwei Teile zerlegen

(62)

welche als Anteil des elektrischen und des magnetischen Feldes zu deuten sind.

     Aus den Hauptgleichungen für ruhende Körper

leitet man durch Einführung der elektrischen und magnetischen Polarisation

die beiden folgenden Beziehungen ab

Mit Rücksicht auf sie gehen die Ausdrücke (62) über in

(62a)

Da ferner gilt

(63)

so wird schliesslich

(63)
Es mögen diese Formeln für den elektrischen und magnetischen Kraftanteil, die sich hier aus (61) und (61b) ergeben haben, mit den Ansätzen verglichen werden, welche A. Einstein und J. Laub[16] für die ponderomotorische Kraft in ruhenden Körpern machen. Die ersten drei Terme in und finden sich auch dort; die ersten Terme werden als die Kräfte des Feldes auf elektrisch und magnetisch polarisierte Volumelemente gedeutet, das Vektorprodukt von und als Kraft des magnetischen Feldes auf elektrische Leitungsströme; hierzu kommt die oben erwähnte Kraft des magnetischen Feldes auf den elektrischen Polarisationsstrom, und die ihr entsprechende Kraft, welche auf den magnetischen Polarisationsstrom im elektrischen Felde wirkt. Doch fehlen in dem Ansatze der genannten Autoren die beiden letzten Terme der Ausdrücke (63), was damit zusammenhängt, dass ihre Werte der fiktiven Normalspannungen von den sonst angenommenen etwas abweichen. Handelt es sich um die Kraft auf einen Bereich, an dessen Begrenzung und gleich null sind, so fallen jene beiden Terme fort; denn die Flächenintegrale, welche sie liefern, verschwinden dann.

In diesem nicht selten vorliegenden Falle mag man sich also des Ansatzes von Einstein und Laub bedienen. Doch scheint mir die Folgerung, die jene Autoren ziehen, dass nämlich nicht der Vektor für die Kraft auf Leitungsströme massgebend sei, nicht zuzutreffen. Haben wir doch gesehen, dass in (61) gerade der Vektor es ist, der die Kraft auf den Stromleiter bestimmt. Es ist indessen die Kraft, die in magnetischen Felde auf einen stromdurchflossenen und gleichzeitig magnetisierten Draht wirkt, weder schlechtweg aus dem Vektorprodukte von und , noch aus demjenigen von und zu berechnen; jenem Vektorprodukte ist vielmehr die Kraft hinzuzufügen, die an der Übergangsschicht zwischen Draht und Luft ihren Sitz hat, während zu diesem die Kraft tritt, die in dem magnetisierten Drahte wirkt, falls das Feld daselbst nicht zufällig homogen ist. Von diesem ganz speziellen Falle abgesehen, ist demnach die Kraft, die an magnetisierten Volumelementen eines homogenen stromdurchflossenen Drahtes angreift, dem Vektorprodukte von und , aber nicht demjenigen von und gleich zu setzen.

Es kommt übrigens den Formeln (63) keineswegs eine so principielle Bedeutung zu, wie dem ursprünglichen Ausdrücke (61) für die ponderomotorische Kraft. Während jener sich aus einem Systeme der Elektrodynamik ergab, welches auch die bewegten Körper umfasst, dürften diese sich kaum so verallgemeinern lassen, dass sie auch in bewegten Körpern die ponderomotorische Kraft bestimmen.

Ospedaletti Ligure, Dezember 1908.
Max Abraham.

  1. H. Hertz, Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für bewegte Körper. 1890. [Gesammelte Werke, Bd. II, pp. 256-285].
  2. A. Eichenwald, Über die magnetischen Wirkungen bewegter Körper im elektrostatischen Felde [Annalen der Physik, Bd. XI (1903), pp. 421-441].
  3. H. A. Wilson, On the Electric Effect of Rotating a Dielectric in a Magnetic Field [Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series A, Vol. CCIV (1905), pp. 121-137].
  4. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie der electrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern (Leiden 1895).
  5. E. Cohn, Zur Elektrodynamik bewegter Systerne. II. [Sitzungsberichte der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), Jahrgang 1904, pp. 1404-1416].
  6. H. A. Lorentz, Electromagnetische verschijnselen in een stelsel dot sich met willekeurige snelheid, kleiner dan die van het licht, beweegt [Koningklijde Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Deel XII (1904), 2, pp. 986-1009].
  7. H. Poincaré, Sur la dynamique de l’électron [Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo, t. XXI (1° semestre 1906), pp. 129-176].
  8. M. Abraham, Theorie der Elektrizität, Bd. II, Auflage 2 (Leipzig 1908), pp. 356-397.
  9. H. Minkowski, Die Grundgleichungen für die elektromagnetischen Vorgänge in bewegten Körpern [Nachrichten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1908, pp. 53-111].
  10. E. Cohn, Zur Elektrodynamik bewegter Systeme. I. [Sitzungsberichte der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), Jahrgang 1904, pp. 1294-1303], p. 1301.
  11. M. Abraham, l. c. 8), p. 324.
  12. G. Nordström, Die Energiegleichung für das elektromagnetische Feld bewegter Körper (Dissertation, Helsingfors 1908).
  13. F. Pockels [Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Bd. V, 2, Artikel 16, Nr. 4].
  14. H. Hertz, Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für bewegte Körper [Gesammelte Werke, Bd. II, pp. 256-285], p. 280.
  15. A. Einstein und J. Laub, Über die im elektromagnetischen Felde auf ruhende Körper ausgeübten ponderomotorischen Kräfte [Annalen der Physik, Bd. XXVI (1908), pp. 541-550].
  16. A. Einstein und J. Laub, l. c. 15), p. 549.