Elektromagnetische Theorie der Strahlung (1908)

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Autor: Max Abraham
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Titel: Theorie der Elektrizität, Zweiter Band: Elektromagnetische Theorie der Strahlung
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Auflage: 2.
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Erscheinungsdatum: 1908
Verlag: B. G. Teubner
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons, Internet Archive
Kurzbeschreibung: Die für die Lorentzsche Elektronentheorie, und später die Relativitätstheorie, relevanten §§ 22 und 45-50 wurden transkribiert.
Themenseite: Relativitätstheorie
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Inhalt
§ 22. Das Lorentzsche und das Bucherersche Elektron.
§ 45. Die Lichtzeit in einem gleichförmig bewegten System.
§ 46. Die Ortszeit.
§ 47. Die Lorentzsche Transformation.
§ 48. Das Theorem der Relativität.
§ 49. Anwendung des Relativitätstheorems auf die Dynamik des Elektrons.
§ 50. Die allgemeinen Feldgleichungen für rasch bewegte Körper.
§ 22. Das Lorentzsche und das Bucherersche Elektron.

Gewisse später zu erörternde Fragen der Optik bewegter Körper haben H. A. Lorentz[1] veranlaßt, der auf der kinematischen Grundhypothese (VII) fußenden Dynamik des Elektrons eine andere gegenüber zu stellen, welche diese Grundhypothese aufgibt. H. A. Lorentz behält nicht nur die allgemeinen Grundgleichungen (I bis V) bei, sondern auch die dynamische Grundgleichung (VI), welche verlangt, daß die resultierenden elektromagnetischen Kräfte des äußeren und des vom Elektron selbst erregten Feldes einander im Sinne der Mechanik starrer Körper das Gleichgewicht halten. Er nimmt indessen das Elektron nicht als „starr“ an, sondern läßt eine Formänderung desselben zu. Im Ruhezustande soll das Elektron eine Kugel vom Radius sein; bei der Bewegung aber soll es sich parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis

kontrahieren. Das gleichförmig translatorisch bewegte Elektron soll demnach ein Heaviside-Ellipsoid sein.

Wir wollen die Lagrangesche Funktion sowie die elektromagnetische Energie und Bewegungsgröße eines solchen Lorentzschen Elektrons berechnen. Das elektromagnetische Feld bestimmt sich aus den Ansätzen des § 18; die Anwendung der dort gegebenen Transformation (105) gestaltet sich hier besonders einfach. Das bewegte System ist ein Heaviside-Ellipsoid; geht man durch Streckung parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis zum ruhenden System über, so erhält man eine Kugel vom Radius . Die Energie dieser Kugel ist, im Falle der Flächenladung,

(124)

Die Lagrangesche Funktion, welche nach (104b) im Falle gleichförmiger Bewegung der Kräftefunktion entgegengesetzt gleich ist, wird, gemäß (106d),

(124a)

Ferner folgt aus (102) und (106)

(124b)

und daher aus (101d) und (105)

(124c)
Hieraus und aus (101f) bestimmt sich die -Komponente des Vektors , welcher die Dichte der elektromagnetischen Bewegungsgröße anzeigt:

Durch Integration über das Feld des Systemes , dessen Volumelemente denen des ruhenden Systemes durch (105) zugeordnet und daher im Verhältnis

verkleinert sind, folgt

(124d)

Beachtet man ferner, daß in das Feld dasjenige einer ruhenden Kugel ist, daß mithin aus Symmetriegründen

gilt, so erhält man

Der Betrag des der Bewegungsrichtung des Heaviside-Ellipsoides parallelen Vektors wird demnach

(124e)

Aus der so bestimmten elektromagnetischen Bewegungsgröße folgt, auf Grund der allgemeinen Beziehung (103), die doppelte magnetische Energie

(124f)

Hieraus und aus (124a) erhält man, für die gesamte elektromagnetische Energie des Heaviside-Ellipsoides, den Ausdruck

(124g)
H. A. Lorentz nimmt nun an, daß die träge Masse des Elektrons rein elektromagnetischer Art ist; demgemäß zieht er, neben der elektromagnetischen Bewegungsgröße (124e), eine materielle Bewegungsgröße nicht in Rechnung. Er erhält auf Grund der Formeln (115) und (115a); für die longitudinale und transversale Masse
(125)
(125a)

stellt dabei den gemeinsamen Grenzwert beider Massen bei langsamer Bewegung vor, der im Falle der Flächenladung durch (117b), im Falle der Volumladung durch (117c) gegeben wird. Nach dem in § 18 bewiesenen Satze geht der Wert von im Falle der Volumladung aus dem im Falle der Flächenladung gültigen Werte durch Multiplikation mit 6/5 hervor; mit demselben Faktor sind demnach die Ausdrücke der Lagrangeschen Funktion (124a), der Bewegungsgröße (124e) und der elektromagnetischen Energie (124g) beim Übergang zur Volumladung zu multiplizieren.

Versucht man, die longitudinale elektromagnetische Masse des Lorentzschen Elektrons auf Grund der Formeln (115b) und (124g) zu berechnen, indem man annimmt, daß die Energie des Elektrons rein elektromagnetischer Natur ist, so gelangt man zu einem Ergebnis, welches zu (125) in Widerspruch steht. Das kann nicht wundernehmen; haben wir doch in § 19 gesehen, daß die Relation (111b), welche die Identität der aus der elektromagnetischen Energie und aus der elektromagnetischen Bewegungsgröße abgeleiteten Werte der Masse ausspricht, auf der Annahme einer unveränderlichen Ladungsverteilung beruht. Für das Lorentzsche Elektron, welches der Grundhypothese (VII) nicht gehorcht, gilt diese Relation ebensowenig wie die Gleichungen (111) und (111a), welche Impuls und Energie mit der Lagrangeschen Funktion verknüpfen. In der Tat, nach (124a) ist

(126)
während nach (124e) und (125a)

ist.

Während für das „starre“ Elektron die Differenz dieser beiden Größen verschwindet, hat sie für das deformierbare Elektron den von Null verschiedenen Wert

(126a)

Da nun allgemein gilt:

so folgt

Hieraus ersieht man, daß (115) und (115b) nicht zu demselben Werte der longitudinalen Masse führen können. Bestimmt man die Masse durch die elektromagnetische Bewegungsgröße, so ist, für das Lorentzsche Elektron, (115b) zu ersetzen durch

(126b)

Da die longitudinale Masse des Lorentzschen Elektrons sich nicht aus der elektromagnetischen Energie allein ableiten läßt, so müssen wir, um das Energieprinzip aufrechtzuerhalten, diesem Elektron eine innere Energie nicht elektromagnetischer Art zuschreiben. In der Tat, es soll sich ja das Elektron bei einer Zunahme der Geschwindigkeit abplatten; dabei wird gegen die elektrodynamischen Kräfte, mit denen sich die Volumelemente abstoßen, Arbeit geleistet. Während für das starre Elektron die Zunahme der elektromagnetischen Energie gleich der von der äußeren Kraft geleisteten Arbeit ist, findet das hier nicht mehr statt. Die Zunahme der elektromagnetischen Energie bei einer Beschleunigung ist, für das Lorentzsche Elektron, größer als die Arbeit der äußeren Kräfte.

Die innere Energie , durch deren Annahme man das Energieprinzip aufrechterhalten kann, darf nicht als kinetische Energie im Sinne der gewöhnlichen Mechanik betrachtet werden; denn in diesem Falle würde jede Berechtigung dafür wegfallen, daß Bewegungsgröße im Sinne der gewöhnlichen Mechanik nicht angenommen wird. Immerhin kann von der Geschwindigkeit abhängen, da ja diese die Form des Elektrons bestimmt. Die Energiegleichung verlangt

(127)

und der Impulssatz

(127a)

Durch Kombination dieser beiden Sätze erhält man

oder

(127b)

Für gleichförmige Bewegung ist nun

Für quasistationäre Bewegungen wird diese Beziehung als gültig angesehen, und es wird wie als Funktion der jeweiligen Geschwindigkeit betrachtet. Es wird mithin

(127c)

Da ferner, bei stationärer und quasistationärer Bewegung, für das Lorentzsche Elektron aus Symmetriegründen der Impuls parallel der Bewegungsrichtung ist, so gilt

(127d)

Nach (127b) sollen nun die Ausdrücke (127c) und (127d) einander gleich sein, und zwar für beliebige Werte der Beschleunigung; hieraus folgt die Relation

(128)
Dieselbe ist als Verallgemeinerung der Relation (111) anzusehen; sie geht in jene über, wenn man eine Energie nicht elektromagnetischer Art ausschließt.

Hier tritt der bereits in § 16 erörterte Zusammenhang der kinematischen Grundgleichung (VII) mit dem Gedanken der rein elektromagnetischen Begründung der Dynamik des Elektrons deutlich hervor. Für das starre Elektron gilt (111) allgemein, es folgt daher aus (128)

d. h. eine etwa angenommene Energie nicht elektromagnetischer Art würde bei einer Änderung der Geschwindigkeit sich nicht ändern. Etwa angenommene innere Kräfte nicht elektromagnetischer Natur würden dabei keine Arbeit leisten. Unsere auf der Grundgleichung (VII) fußende Dynamik des Elektrons braucht daher solche Kräfte und eine solche Energie nicht einzuführen, eine „potentielle“ Energie ebensowenig wie eine kinetische. Die Lorentzsche Dynamik des Elektrons sieht gleichfalls die träge Masse als rein elektromagnetisch an und schließt daher eine kinetische Energie im Sinne der gewöhnlichen Mechanik aus. Sie muß indessen eine „potentielle“ innere Energie des Elektrons einführen. Aus (128), im Verein mit (126a) und (126), folgt:

(128a)

und, durch Integration,

(128b)

hier sind die Werte, welche und für das ruhende Elektron besitzen. Aus (124a) folgt

(128c)

Diese Formel gibt an, wie die „potentielle“ Energie des Lorentzschen Elektrons mit wachsender Geschwindigkeit abnimmt. Für Lichtgeschwindigkeit, wo das Elektron in eine Kreisscheibe übergeht, wird gleich Null, mithin die potentielle Energie

(128d)

Wir können daher (128c) auch schreiben

(129)

Diese potentielle Energie nicht elektromagnetischer Art muß man dem Lorentzschen Elektron zuschreiben, wenn man das Energieprinzip aufrechtzuerhalten wünscht.

Bei diesem Ergebnis wird man sich kaum beruhigen; man wird vielmehr weiter fragen, nach welchem Gesetz die Kräfte wirken sollen, die sich aus einer solchen potentiellen Energie herleiten. Nur indem man hierüber bestimmte Annahmen macht, wird man über das Verhalten des Lorentzschen Elektrons bei allgemeineren Bewegungen (nicht quasistationären oder nicht rein translatorischen) etwas Bestimmtes aussagen können. Man kann daran denken, elastische Kräfte zwischen den benachbarten Volumelementen des Elektrons anzunehmen, und eine Theorie des deformierbaren Elektrons von der in § 16 angedeuteten Art zu entwickeln. Eine solche Theorie würde die Trägheit des Elektrons erklären, aber nicht rein elektromagnetisch; sie würde die kinetische Energie zurückführen auf die weniger gut verstandene potentielle Energie und auf die elektromagnetische Energie. Auf einer solchen Dynamik des Elektrons läßt sich kein elektromagnetisches System der Physik aufbauen. Wenn man in die Dynamik des Elektrons elastische Kräfte einführt, so ist es logisch unmöglich, die Elastizität der Materie durch Zurückführung auf die Mechanik der Elektronen rein elektromagnetisch zu deuten.

Was den Vergleich der Lorentzschen Formel (125a) für die transversale Masse mit den Beobachtungen an Becquerelstrahlen anbelangt, so findet Kaufmann[2] bei seinen letzten Untersuchungen (1906), daß seine Kurven sich auch durch diese Formel darstellen lassen, mit einem mittleren Fehler von nur 5 Mikron; doch weichen die gemessenen Feldstärken von den aus den Kurvenkonstanten berechneten um 10,4% ab, und es beträgt der nach Lorentz extrapolierte Wert der spezifischen Ladung langsamer Elektronen

derselbe ist wesentlich kleiner als der bei Kathodenstrahlen (123a) gefundene und der aus dem Zeeman-Effekt ermittelte (123b). So gelangt Kaufmann zu dem Ergebnisse, daß sich die Lorentzsche Dynamik des bei der Bewegung sich abplattenden Elektrons nicht mit dem experimentellen Befunde vereinbaren läßt.

Das Lorentzsche Elektron ist ein spezielles Heaviside-Ellipsoid, mit den Halbachsen

wo von unabhängig ist.

Es liegt nahe, ein allgemeineres Heaviside-Ellipsoid zu betrachten, indem man als Funktion von auffaßt; auch für ein solches sind durch (124a, e, g) Lagrangesche Funktion, Impuls und Energie gegeben:

Man kann nun folgende Frage aufwerfen: Ist es möglich, als Funktion der Geschwindigkeit so zu bestimmen, daß die Beziehung gilt

daß mithin aus Impuls und Energie der gleiche Wert der longitudinalen Masse folgt:

ohne daß man wie beim Lorentzschen Elektron eine Energieform nicht elektromagnetischer Art heranzuziehen hat?

Indem wir den Betrag des elektromagnetischen Impulses dem Differentialquotienten der Lagrangeschen Funktion noch der Geschwindigkeit gleichsetzen, erhalten wir

mithin

(130)

wo den Radius des Elektrons im Falle der Ruhe darstellt. Bei Bewegung sind die Halbachsen des Heaviside-Ellipsoides:

Es bleibt das Volumen des Ellipsoides konstant. Wir sehen also: Das Heaviside-Ellipsoid von konstantem Volumen ist das einzige, bei dem die Arbeit der äußeren translatorischen Kräfte dem Zuwachs der elektromagnetischen Energie gleich ist.

Man kann diese Folgerung prüfen, indem man sich davon überzeugt, daß aus Impuls und Energie:

(130a)
(130b)

der gleiche Wert der longitudinalen Masse folgt:

(130c)

Für die transversale Masse erhält man

(130d)

Ein solches Heaviside-Ellipsoid konstanten Volumens ist von A. Bucherer[3] zuerst behandelt worden. Die Formel (130d) hat Kaufmann[2] bei seinen letzten Untersuchungen (1906) ebenfalls geprüft und gefunden, daß sie die Ablenkbarkeit der -Strahlen des Radiums ebensogut darstellt wie unsere Formel (117a). Die beiden Formeln stimmen überhaupt in dem hier in Frage kommenden Geschwindigkeitsintervall bis auf 2% überein.

Versucht man, sich die Bedingung konstanten Volumens kinematisch verständlich zu machen, so findet man Schwierigkeiten. Am nächsten liegt es wohl, Volumladung anzunehmen und die Kinematik der dieses Volumen erfüllenden Elektrizität derjenigen inkompressibler Flüssigkeiten nachzubilden. Doch zeigt es sich, daß dann bei Bewegung im magnetischen Felde Wirbel entstehen, die bei fehlender materieller Masse ins Unendliche wachsen könnten. Auch dürfte es kaum gelingen zu beweisen, daß unter diesen Annahmen bei veränderlicher Geschwindigkeit das Elektron jeweils die Gestalt des Heaviside-Ellipsoides annimmt. Es sind das Schwierigkeiten, welche das starre Elektron vermeidet.

Was die Beziehung zum Relativitätspostulat anbelangt, von der weiter unten die Rede sein wird, so befinden sich sowohl das starre kugelförmige Elektron wie das Heaviside-Ellipsoid konstanten Volumens im Widerspruche mit diesem Prinzipe, dem nur das Lorentzsche Elektron genügt.

§ 45. Der Lichtweg in einem gleichförmig bewegten System.

Wir hatten in § 41 die Aberration des Fixsternlichtes erklärt, indem wir zeigten, daß nach der Lorentzschen Theorie die Richtung des von einem mit der Geschwindigkeit bewegten Beobachter wahrgenommenen relativen Strahles durch den Vektor bestimmt ist (Gl. 209):

d. h. durch den Vektor der Relativgeschwindigkeit von Licht und Beobachter. Unter war dabei die Geschwindigkeit der Erde zu verstehen. Berücksichtigt man nur die Umlaufsbewegung um die Sonne, indem man eine gemeinsame Bewegung des gesamten Sonnensystemes zunächst außer acht läßt, so ist nahezu konstant; es ist

Welchen Einfluß hat nun die Erdbewegung auf dasjenige Licht, welches von irdischen Lichtquellen entsandt wird? Läßt sich nicht durch Beobachtung dieses Lichtes, also durch optische Versuche im Laboratorium, die Bewegung der Erde feststellen? Diese Frage führt uns dazu, die Lichtfortpflanzung in einem gleichförmig bewegten Systeme zu behandeln.

Abb. 6

Wir denken uns zur Zeit vom Punkte aus (Abb. 6) ein Lichtsignal entsandt. Zur Zeit mag es im Aufpunkte eintreffen. Die absolute Strahlrichtung wird durch den von nach gezogenen Fahrstrahl angezeigt. In dem Zeitintervalle hat die Lichtquelle sich, mit der Geschwindigkeit , von nach bewegt. Der von nach gezogene Fahrstrahl

(241)

hat die Komponenten

(241a)

wenn unter die Komponenten von , unter

(241b)

der im absoluten Strahlengang zurückgelegte Lichtweg verstanden wird. Da

so kann (241) auch geschrieben werden:

(241c)

Es wird demnach die Richtung des relativen Strahles durch den von der gleichzeitigen Lage der Lichtquelle aus gezogenen Fahrstrahl angezeigt, d. h. in einem gleichförmig bewegten Systeme sieht man die Lichtquelle dort, wo sie sich gerade befindet. Die gemeinsame Bewegung von Lichtquelle und Beobachter ist demnach durch Beobachtung der Strahlrichtung durchaus nicht festzustellen.

Dagegen sollte man vermuten, daß die Erdbewegung durch Messung des Lichtweges sich feststellen ließe. Denn die durch gehende Fläche konstanten absoluten Lichtweges ist eine Kugel um ; der Punkt jedoch, von welchem die relativen Strahlen ausgehen, liegt exzentrisch zu dieser Kugel. Somit würden sich einer gegebenen Länge des absoluten Lichtweges verschiedene Längen des relativen Lichtweges zuordnen, je nach der Richtung des Fahrstrahles . Es fragt sich, ob auf Grund dieses Umstandes durch Interferenzmessungen ein Einfluß der Erdbewegung festzustellen sein könnte. Die Untersuchung dieser Frage wird durch die folgenden geometrischen Betrachtungen vorbereitet.

Aus dem Dreieck (Abb. 6), mit den Seitenlängen , folgt:

somit bestimmt sich, bei gegebenem relativem Lichtweg , der absolute Lichtweg aus der Gleichung zweiten Grades

Für das stets positive erhält man

oder

(242)

Wir ordnen jetzt dem Fahrstrahl mit den Komponenten einen Fahrstrahl zu, mit den Komponenten

(242a)

Während die ursprünglichen Koordinaten sich auf ein im Räume festes Achsensystem bezogen, waren die in (241a) eingeführten Koordinaten in einem mitbewegten Bezugssystem gemessen zu denken. Die nunmehr durch (242a) eingeführten Koordinaten sind diejenigen eines materiellen Systemes, welches aus dem gegebenen Systeme durch eine Streckung parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis

hervorgeht. Es ordnet sich somit einem Heaviside-Ellipsoide des ursprünglichen Systemes im gestreckten Systeme eine Kugel zu:

(242b)

Jetzt wird Gl. (242) zu:

(243)

dabei ist der relative Lichtweg in dem Systeme . Die absoluten Koordinaten eines Punktes in und die relativen Koordinaten des entsprechenden Punktes in stehen, gemäß (241a), (242a), in dem Zusammenhange

(243a)

Aus (243) und (243a) folgt umgekehrt:

(243b)
(243c)

Wir sind jetzt imstande, die Frage zu erörtern, ob durch Messung des Lichtweges ein mit der Erde bewegter Beobachter die Erdbewegung festzustellen vermag. Dabei kommen für Interferenzmessungen im bewegten Systeme nur geschlossene relative Lichtwege in Betracht.

Wir denken uns Licht, im relativen Strahlengang, von nach gesandt, von dort reflektiert und nach zurückkehrend. Der zum Fahrstrahl gehörige absolute Lichtweg ist, nach (243):

wobei und durch (242a, b) den Komponenten des Fahrstrahles sich zuordnen. Wird nun im relativen Strahlengang der umgekehrte Weg, längs des Fahrstrahles oder , zurückgelegt, so entspricht ihm der absolute Lichtweg

Die Summe der beiden absoluten Lichtwege ist demnach
(244)

Wir denken uns, um als Mittelpunkt, eine Kugel vom Radius geschlagen. Für alle die Punkte dieser Kugel wäre, im Falle der Ruhe, der Lichtweg der gleiche. Anders im Falle der Bewegung; in diesem Falle bestimmt sich, wie (244) besagt, der zu gehörige absolute Lichtweg nicht durch den im Systeme gemessenen Abstand , sondern durch den im gestreckten Systeme gemessenen Abstand . Dieser aber ist, wie in (242b) gefunden wurde, nicht auf Kugeln, sondern auf Heaviside-Ellipsoiden des Systemes konstant. So kommt es, daß den relativen Lichtwegen des Systemes , bei gleicher Länge, je nach der Richtung von , verschiedene absolute Lichtwege entsprechen.

Ist parallel der Bewegungsrichtung, so wird, nach (242a)

Ist dagegen senkrecht der Bewegungsrichtung, etwa parallel der -Achse, so hat man

Demnach sind, gemäß (244), die zugehörigen absoluten Lichtwege

(244a)
(244b)

Bei gleichem relativem Lichtwege wäre hiernach der absolute Lichtweg im ersten Falle im Verhältnis größer als im zweiten Falle. Der Unterschied der beiden Lichtwege beträgt

(244c)

wenn Größen vierter und höherer Ordnung in gestrichen werden.

Auf die Entdeckung dieser zuerst von Maxwell aus der Annahme ruhenden Äthers abgeleiteten Differenz der Lichtwege, welche zwei parallel bzw. senkrecht zur Erdbewegung gerichteten relativen Strahlen entsprechen, zielte der Versuch von A. Michelson[4] hin. Es wurden zwei Lichtstrahlen zur Interferenz gebracht, welche, von derselben Lichtquelle ausgehend, längs zweier zueinander senkrechter Arme und sich fortgepflanzt hatten und dort durch Spiegel zurückgesandt waren. Indem jedes Lichtbündel mehrmals hin und her reflektiert wurde, konnte die Länge des Lichtweges auf 22 Meter gebracht werden. Es wurde nun zuerst der Arm in Richtung der Erdbewegung gestellt und dann durch Drehung des Apparates um einen rechten Winkel der Arm in diese Lage gebracht. Dabei wäre eine Verschiebung der Interferenzstreifen zu erwarten gewesen. In Bruchteilen der Wellenlänge des verwandten Natriumlichtes gemessen, beträgt die für die Verschiebung maßgebende doppelte Differenz der beiden Lichtwege

(244d)

Die erhaltenen Verschiebungen der Interferenzstreifen aber waren kleiner als 0,02 des Streifenabstandes.

Das negative Ergebnis des Michelsonschen Interferenzversuches spricht gegen die Vorstellungen über die Lichtfortpflanzung im leeren Raume, die den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen bildeten, falls die bei der Ableitung von (244a, b) stillschweigend gemachte Voraussetzung zutrifft, daß die Abmessungen der festen Körper auf der bewegten Erde die gleichen sind, die sie auf der ruhenden Erde wären. Läßt man die Möglichkeit einer Dimensionsänderung infolge der Erdbewegung zu, so sind die Betrachtungen entsprechend abzuändern. In der Tat haben Fitzgerald und H. A. Lorentz das negative Ergebnis des Michelsonschen Versuches erklärt, indem sie zur Hypothese der Kontraktion der Materie infolge der Erdbewegung ihre Zuflucht nahmen: Es sollen die Körper infolge der Erdbewegung eine Kontraktion im Verhältnis parallel der Bewegungsrichtung erfahren, derart, daß die Punkte, die auf der ruhenden Erde auf einer Kugel liegen würden, auf der bewegten Erde auf einem Heaviside-Ellipsoid liegen.

Daß durch diese Hypothese das negative Ergebnis des Michelsonschen Versuches ohne weiteres erklärt wird, folgt aus den oben abgeleiteten Beziehungen. Denn nach der Kontraktionshypothese liegen die Punkte , die im Falle der Ruhe auf einer Kugel um lagen, im Falle der Bewegung auf einem Heaviside-Ellipsoide des Systemes . Diesem entspricht nun, nach (242b), im System wiederum eine Kugel um . Folglich sind jetzt die in gemessenen Lichtwege die gleichen, welches auch die Richtung des Fahrstrahles sein mag; dann besagt (244), daß auch die entsprechenden absoluten Lichtwege die gleichen sind.

Nach der Fitzgerald-Lorentzschen Hypothese ist demnach ein positives Ergebnis des Interferenzversuches ausgeschlossen, nicht nur, was Größen zweiter Ordnung, sondern auch, was Größen beliebiger Ordnung anbelangt. Wird der Arm statt beim Michelsonschen Versuch der Richtung der Erdbewegung parallel gestellt, so wird im Verhältnis verkürzt, im Verhältnis verlängert, und die hierdurch bedingte Veränderung der Lichtwege kompensiert gerade die infolge der Bewegung der Erde stattfindende, so daß keine Verschiebung der Interferenzstreifen zu erwarten ist.

Man könnte nun einwenden, daß die Dimensionsänderungen fester Körper, wenn sie auch sehr klein sind, der Messung zugänglich sein müßten. Das wäre aber nur dann möglich, wenn man die Abmessungen der Körper durch „absolut ruhende“ Maßstäbe messen könnte. Wir sind aber auf solche Maßstäbe angewiesen, die sich mit der Erde bewegen; diese erfahren nach der Kontraktionshypothese bei der Bewegung der Erde dieselbe Längenänderung wie die zu messenden Körper; eine Kugel des irdischen Maßstabes ist der Kontraktionshypothese zufolge ein Heaviside-Elllipsoid des „absolut ruhenden“ Maßstabes. Mit irdischen Maßstäben kann man diese Behauptung weder bestätigen noch widerlegen. Auch wenn man zur Längenmessung optische Methoden verwendet, ist es selbstverständlich unmöglich, die behauptete Kontraktion der Materie festzustellen. Man würde dann die Länge eines Stabes durch den Lichtweg messen, während beim Michelsonschen Versuch der Lichtweg durch die Länge eines festen Stabes gemessen wird. Der Einfluß der Erdbewegung auf Lichtweg einerseits und Länge des Stabes andererseits kompensiert sich aber gerade so, daß sie auf der bewegten Erde gleich erscheinen, wenn sie auf der ruhenden gleich wären; eine optische oder elektrische Messung kann also niemals die behauptete Anisotropie der Körper auf der bewegten Erde feststellen.

Die zur Erklärung des Michelsonschen Versuches eingeführte Kontraktionshypothese erscheint zunächst bedenklich. H. A. Lorentz hat indessen versucht, sie plausibel zu machen, indem er von der Vorstellung ausging, daß die Molekularkräfte, welche die Form fester Körper bestimmen, elektrischer Natur sind. An jedem Moleküle des ruhenden Körpers halten sich, dieser Vorstellung zufolge, die von den übrigen Molekülen herrührenden elektrostatischen Kräfte das Gleichgewicht. Wird nun der Körper in eine gleichförmige Translationsbewegung versetzt, so werden die Molekularkräfte abgeändert, indem zu dem elektrischen Felde ein magnetisches tritt. Wie in § 18 dargelegt wurde, entspricht dem Gleichgewichte der elektrostatischen Kräfte im ruhenden Systeme ein Gleichgewicht der elektromagnetischen Kräfte in einem bewegten Systeme, welches aus jenem durch eine Kontraktion im Verhältnis parallel der Bewegungsrichtung hervorgeht. In dem bewegten kontrahierten Systeme würde also an jedem Moleküle Gleichgewicht der Molekularkräfte bestehen, wenn es in dem ruhenden Systeme bestand. Es erscheint die Annahme nicht ungerechtfertigt, daß das System der Moleküle, in Bewegung gesetzt, von selbst die neuen Gleichgewichtslagen annimmt; dann erfährt der Körper gerade die Lorentzsche Kontraktion.

Betrachtet man die Molekularkräfte in ruhenden Körpern als elektrostatische Kräfte, und läßt man die Wirkungen der regellosen Molekularbewegungen außer acht, so erscheint es hiernach plausibel, daß ein fester Körper, in Bewegung gesetzt, sich der Bewegungsrichtung parallel im Verhältnis kontrahiert. Allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen, daß wir noch weit davon entfernt sind, die Molekularkräfte in ruhenden Körpern auf Grund der elektrischen Auffassung befriedigend gedeutet zu haben.


§ 46. Die Ortszeit.

Wir wollen uns in diesem Paragraphen auf den Standpunkt der Kontraktionshypothese stellen. Dann verstehen wir, wie es kommt, daß bei der Messung des Lichtweges die durch die Bewegung des Systemes gegebene Vorzugsrichtung dem mitbewegten Beobachter entgeht. Es empfiehlt sich, mit den Koordinaten des Hilfssystemes zu rechnen, welches aus dem gegebenen materiellen System durch eine Streckung parallel der Bewegungsrichtung, im Verhältnis , hervorgeht. Denn, wenn das System aus der Ruhe in den Zustand der Bewegung übergeht, werden die relativen -Koordinaten gemäß der Kontraktionshypothese im Verhältnis kleiner; die zugehörigen -Koordinaten jedoch sind im Falle der Bewegung die gleichen wie im Falle der Ruhe. Mit den Koordinaten des Systemes und dem in diesem Systeme gemessenen Lichtwege stehen die auf räumlich feste Achsen bezogenen Koordinaten und der absolute Lichtweg indem durch (243, 243c) bzw. durch (243a, b) formulierten Zusammenhange.

Einem mitbewegten Beobachter, der in dem Systeme seine Messungen vornimmt, scheint das Licht nach allen Seiten hin mit der gleichen Geschwindigkeit fortzuschreiten; wir wollen diese Geschwindigkeit mit bezeichnen und zulassen, daß sie von dem Betrage der Geschwindigkeit des bewegten Systemes abhänge, mithin von der durch ruhende Beobachter gemessenen Lichtgeschwindigkeit verschieden sei. Da der Lichtweg jedesmal das Produkt der Lichtgeschwindigkeit und Lichtzeit ist, so kann Gl. (243) geschrieben werden:

(245)
Die Zeit , d h. den Quotienten aus Lichtweg und Lichtgeschwindigkeit im bewegten System , nennt H. A. Lorentz die „Ortszeit“. Diese Zeit ist es, nach der mitbewegte Beobachter ihre Uhren stellen, wenn sie sich zur Vergleichung des Ganges der Uhren elektrischer oder optischer Mittel bedienen. Dies kann etwa folgendermaßen geschehen.[5]

In den Punkten und des bewegten Systemes mögen sich zwei synchrone Uhren befinden. In dem Augenblick, wo die Uhr in die Zeit Null anzeigt, werde von aus ein Lichtzeichen gegeben; bei seinem Eintreffen in soll der Zeiger der dortigen Uhr auf diejenige Zeit eingestellt werden, die sich als Quotient aus dem mit einem mitbewegten Maßstabe gemessenen Lichtwege und der im bewegten Systeme gemessenen Lichtgeschwindigkeit ergiebt. Die so gestellte Uhr zeigt die Ortszeit des Punktes an. Ihren Zusammenhang mit der „allgemeinen“ d. h. der von ruhenden Beobachtern festgestellten Lichtzeit gibt (245) an; dabei ist die Projektion des Lichtweges auf die Bewegungsrichtung des Systemes.

Wir wollen annehmen, daß wie so auch der Quotient nur um Größen zweiter Ordnung in von eins verschieden sei. Dann wird (245) bei Vernachlässigung von Größen zweiter Ordnung

(245a)

Es geht also in einem Punkte des bewegten Systemes die auf Ortszeit gestellte Uhr nach oder vor gegen die allgemeine Zeit, je nachdem die -Koordinate des Punktes positiv oder negativ ist; dabei ist die Identität der allgemeinen Zeit und der Ortszeit im Koordinatenursprung willkürlich festgesetzt worden. Der Gangunterschied zweier nach Ortszeit bzw. nach allgemeiner Zeit gestellter Uhren erfährt einen entsprechenden Zuwachs, wenn man, durch ein Lichtzeichen von aus, in der oben erläuterten Weise eine in befindliche Uhr reguliert; dieser Zuwachs ist jeweils proportional der Projektion des im Systeme zurückgelegten Lichtweges auf die Bewegungsrichtung des Systemes. Wenn man, unter Einschaltung einer Reihe von Stationen, eine Uhr im bewegten Systeme durch Lichtzeichen einstellt, so gelangt man zu derselben Zeigerstellung, als wenn es durch direkte Zeichen von aus geschehen wäre. Die Ortszeit ist demnach in der Tat nur eine Ortsfunktion im bewegten Systeme.

Wir sind jetzt imstande, zu beurteilen, unter welchen Umständen die Beobachtung einen Einfluß der Erdbewegung auf die Lichtzeit und damit auf die Lichtgeschwindigkeit entdecken könnte. Es kommt offenbar darauf an, durch welche Mittel die Stellung der Zahnräder, Spiegel oder sonstigen Vorrichtungen reguliert wird, deren man sich zur Messung der Lichtzeit bedient. Geschieht die Regulierung auf elektrischem oder optischem Wege, so kommt es auf dasselbe heraus, als wenn die Lichtzeit durch die Differenz der Ortszeiten des Empfängers und Senders gemessen wird. Dann ist es, nach der Definition der Ortszeit, selbstverständlich, daß die gemessene Lichtzeit und daher auch die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Richtung des Strahles gegen die Bewegung der Erde wird. Um einen Unterschied der Geschwindigkeit zweier, parallel bzw. entgegen der Bewegung der Erde gerichteter Strahlen festzustellen, bedürfte es einer mechanischen Regulierung der Zahnräder oder rotierenden Spiegel, wobei Fehler gleich dem Bruchteil der Lichtzeit vermieden sein müßten. Eine so genaue mechanische Regulierung würde, wenn sie überhaupt theoretisch als möglich angesehen wird, doch praktisch nicht durchführbar sein. So spricht es denn keineswegs gegen die Grundannahmen der hier entwickelten Theorie, wenn ein derartiger Einfluß der Erdbewegung nicht entdeckt worden ist. Dabei kommt, da es sich hier nur um Größen erster Ordnung in handelt, die Hypothese der Kontraktion bewegter Körper zunächst nicht ins Spiel.

Das ist erst dann der Fall, wenn Größen zweiter und höherer Ordnung in berücksichtigt werden und dementsprechend die Ortszeit durch (245) definiert wird. Trifft die Kontraktionshypothese zu, so ist auch jetzt noch eine jede elektrische oder optische Regulierung einer Messung der Zeit durch die Differenz der Ortszeiten äquivalent. Dann bleibt einem mitbewegten Beobachter, selbst wenn er Größen zweiter oder höherer Ordnung messen kann, die durch die Erdbewegung bedingte Vorzugsrichtung verborgen, wenn er mit dem Lichte irdischer Lichtquellen Lichtzeiten oder Lichtgeschwindigkeiten bestimmt.

Wir denken uns jetzt die Dauer irgendeines Vorganges das eine Mal in allgemeiner Zeit gemessen, das andere Mal in der Skala der Ortszeit . Aus (245) folgt

(246)

dabei ist das mit der ruhenden Uhr gemessene Zeitintervall, das entsprechende Zeitintervall, gemessen in der Ortszeitskala an einem bestimmten Punkt des bewegten Systemes.

Man ist also gezwungen, wenn man für die Lichtfortpflanzung im Raume die hier zugrunde gelegten Annahmen macht, entweder die Lichtgeschwindigkeit , gemessen im bewegten Systeme , als verschieden von der Lichtgeschwindigkeit in einem ruhenden Systeme anzunehmen, oder einen Unterschied in der Zeitdauer eines Vorganges, wenn sie das eine Mal auf die Skala der allgemeinen Zeit, das andere Mal auf die Ortszeitskala eines mit dem Systeme bewegten Beobachters bezogen wird, zuzulassen.

A. Einstein[6] stellt die Forderung auf, daß die Lichtgeschwindigkeit denselben Wert haben soll, sei es, daß sie im ruhenden oder im bewegten Systeme gemessen wird:

Diese Forderung führt ihn dazu, zu verlangen, daß die Dauer irgendeines, etwa periodischen Vorganges eine verschiedene sei, je nachdem sie in der Skala der allgemeinen Zeit oder in der Skala der Ortszeit eines bewegten Beobachters gemessen wird:

(246a)
Würde es eine Uhr geben, welche, aus dem Zustande der Ruhe in den der Bewegung versetzt, ihren Gang nicht änderte, so würde es hiernach prinzipiell als möglich erscheinen, jene Veränderung der Skala der durch Lichtzeichen regulierten Zeit festzustellen und damit einen Einfluß zweiter Ordnung der Bewegung eines Systemes zu erhalten. Anders, wenn die Geschwindigkeit, mit welcher der Zeiger der Uhr vorrückt, durch die Bewegung gerade in dem Verhältnis verringert wird; dann mißt sie im Falle der Ruhe die Zeitintervalle in allgemeiner Zeit; dagegen in ein bewegtes System eingefügt, mißt sie die Zeitintervalle in der Ortszeitskala. Eine solche Uhr würde nicht dazu dienen können, einem mitbewegten Beobachter die Bewegung des Systemes anzuzeigen. Indem nun Einstein zu dem obigen Postulate der „Konstanz der Lichtgeschwindigkeit“ noch das Postulat der „Relativität“ hinzunimmt, welches eine Feststellung der gleichförmigen Translationsbewegung eines abgeschlossenen Systemes durch mitbewegte Beobachter ausschließt, gelangt er zu der Forderung, daß eine Uhr — und jeder periodische Vorgang kann als Uhr betrachtet werden — ihren Gang infolge der Bewegung in dem durch (246a) gegebenen Verhältnis verlangsamt.

Diese Forderung führt, wie Einstein selbst bemerkt, zu höchst sonderbaren Konsequenzen. So würde von zwei sonst gleich beschaffenen Unruhuhren, von denen die eine am Äquator, die andere an einem der Pole der Erde sich befindet, die erste infolge der Umfangsgeschwindigkeit der Erde um einen kleinen Betrag langsamer laufen als die zweite; der Gangunterschied würde nach Verlauf einer Zeit betragen:

bei Vernachlässigung von Größen der Ordnung . Ebendasselbe würde stattfinden, wenn die eine Uhr in einem Punkte ruhen, die andere, im Falle der Ruhe mit ihr synchrone, nach Durchlaufung eines geschlossenen Weges, wieder in anlangen würde.

Diese Konsequenzen erscheinen, obwohl die Gangunterschiede unter der Grenze der Meßbarkeit liegen, als nicht annehmbar; sie machen es notwendig, die Einsteinsche Zeitdefinition abzulehnen. Wir stellen ihr die Forderung entgegen, daß die Dauer irgendeines Vorganges die gleiche sei, ob sie nun in der Skala der allgemeinen Zeit oder in der Ortszeitskala gemessen wird. Dann müssen wir allerdings das Postulat der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit fallen lassen; denn dann folgt aus (246):

(246b)

Die Lichtgeschwindigkeit, gemessen auf der Erde mit dem Lichte irdischer Lichtquellen, wäre hiernach infolge der Bewegung der Erde im Sonnensystem etwas kleiner als die astronomisch gemessene Lichtgeschwindigkeit, und zwar um

Diese Abweichung liegt ebenfalls innerhalb der Grenze der Fehler der Beobachtung.

Ein Einfluß der Bewegung des Systemes auf den Gang einer Uhr würde nach dieser Auffassung nicht anzunehmen sein. Vielmehr würde das Postulat der Relativität auf Grund von (246b) gerade die Unabhängigkeit des Ganges einer Uhr von ihrer Bewegung verlangen. Es bezieht sich überhaupt, wie aus den Entwickelungen der folgenden Paragraphen noch deutlicher hervorgehen wird, das sogenannte „Theorem der Relativität“ keineswegs auf Zeiten, sondern auf Längen, d. h. auf Produkte aus Geschwindigkeiten und Zeiten. So können denn auch die beiden soeben dargelegten Auffassungen zusammengefaßt werden in der Formel:

(246c)


§ 47. Die Lorentzsche Transformation.

Wir verstehen unter Koordinaten und Lichtweg, bezogen auf ein im Raume festes Achsensystem. Diesem ursprünglich gegebenen Systeme von vier Größen wurde durch die Gleichungen (243a, b) ein anderes System von vier Größen zugeordnet:

(247)
Diese Größen haben, für einen Körper, welcher in Richtung der -Achse mit der Geschwindigkeit bewegt wird, die Bedeutung von Koordinaten und Lichtweg, bezogen auf mitbewegte Achsen, aber nicht in dem bewegten materiellen Körper selbst gemessen, sondern in dem Hilfskörper, welcher durch eine Streckung parallel der -Achse, im Verhältnis

aus ihm entsteht. Durch drücken sich, gemäß (247), die ursprünglich gegebenen Größen folgendermaßen aus:

(247a)

Die durch (247), bzw. durch (247a) gegebene Transformation der Koordinaten und des Lichtweges nennen wir mit H. Poincaré[7] eine „Lorentzsche Transformation“. Wir beschränken uns auf den Fall , da für die Transformation zu imaginären Werten führen würde.

Aus (247) folgt, wenn wir als Unabhängige betrachten:

(247b)

Entsprechend folgt aus (247a), wenn Unabhängige sind:

(247c)

Aus jedem dieser Gleichungssysteme kann man schließen, daß die Determinante der Lorentzschen Transformation gleich 1 ist.

Wir denken uns jetzt einen — materiellen oder elektrischen — Punkt, der sich in vorgegebener Weise bewegt. In dem ursprünglichen Systeme wird seine Bewegung dargestellt, indem seine Koordinaten als Funktionen der Zeit und damit des vom Lichte in der Zeit zurückgelegten Weges angegeben werden:

(248)
Ist der Geschwindigkeitsvektor des Punktes, so werden die Geschwindigkeitskomponenten, wenn man sie auf die Lichtgeschwindigkeit als Einheit bezieht:
(248a)

Man gehe nun zu dem transformierten Systeme über; die durch

(249)

gegebene Bewegung in mag der durch (248) gegebenen Bewegung in entsprechen, mithin die Geschwindigkeitskomponenten in , bezogen auf die Lichtgeschwindigkeit in als Einheit:

(249a)

den durch (248a) gegebenen Geschwindigkeitskomponenten in . Es ist die Aufgabe, die Regeln festzustellen, nach denen die Geschwindigkeiten in und vermöge der Lorentzschen Transformation einander zuzuordnen sind.

Aus (247) folgt, wenn, gemäß (248), als Funktion von betrachtet wird:

(250)

Durch Division der beiden letzten Gleichungen ergibt sich

(250a)

In entsprechender Weise erhält man für die -Komponente von

aus Gl. (250) den Ausdruck

(250b)
und für die -Komponente
(250c)

Durch eine leichte Rechnung leitet man aus (250a, b, c) für den Betrag von die Formel ab:

(250d)

Ein Punkt, der sich in mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, bewegt sich auch in mit Lichtgeschwindigkeit; denn entspricht nach (250d) . Ebenso ersieht man, da , ohne weiteres aus dieser Formel: Unterlichtgeschwindigkeit in entspricht Unterlichtgeschwindigkeit in , Überlichtgeschwindigkeit in entspricht Überlichtgeschwindigkeit in .

Aus den Gleichungen (250a bis d), denen gemäß sich die Komponenten und der Betrag von durch die Komponenten von ausdrücken, erhält man die Formeln, nach denen sich umgekehrt in transformiert:

(251a)
(251b)
(251c)
(251d)

Wir machen, bevor wir weitergehen, von den obigen Transformationsformeln eine Anwendung auf die folgende Frage: In einem materiellen Systeme (etwa dem Planetensysteme) soll eine Uhr (man mag dabei an einen umlaufenden Jupitermond denken) ihren Ort ändern. Dem Systeme und der Uhr werde ferner eine gemeinsame Translationsbewegung im Räume gegeben. Wird ein mitbewegter Beobachter diese Bewegung des Systemes durch [Beobachtung jener relativ zu ihm bewegten] Uhr feststellen können? [Wir werden sehen, daß er sie nicht] feststellen kann, falls die Lorentzsche Kontraktionshypothese zutrifft, und falls der Gang einer im bewegten Systeme festen Uhr durch die Bewegung in dem Verhältnis (246c) abgeändert wird, wie wir am Schlusse des vorigen Paragraphen forderten.

Wir betrachten zunächst das durch den Weltenraum bewegte System; der in ihm feste Beobachter bewegt sich mit der Geschwindigkeit parallel der -Achse, die Uhr mit der Geschwindigkeit in beliebiger Richtung. sei die Zeit eines Zeigerumlaufes (Mondumlaufes), welche ein mit der Uhr (dem Jupiter) bewegter Beobachter wahrnehmen würde, gemessen in der „allgemeinen“ Zeitskala. Unser Beobachter, der sich mit einer anderen Geschwindigkeit bewegt, nimmt jedoch eine andere „allgemeine“ Zeit des Umlaufs wahr. Diese bestimmt sich aus dem Dopplerschen Prinzip; dabei ist die Formel (75c) des § 14 anzuwenden, welche sich auf den allgemeinen Fall bezieht, wo sowohl die Lichtquelle wie der Beobachter sich bewegt. Sie ergibt, bei entsprechend geänderter Bezeichnung:

Der Kontraktionshypothese zufolge ist das Körpersystem infolge seiner Bewegung parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis kontrahiert. Geht man nun mit Hilfe der Lorentzschen Transformation zum System über, so bedeutet dies eine Streckung parallel der Bewegungsrichtung, im Verhältnis . Hierdurch gelangt man zu derjenigen Konfiguration zurück, welche dem Systeme bei fehlender Translationsbewegung im Weltenraume zukommen würde. Das System ist also mit dem materiellen Systeme im Falle der Ruhe identisch.

Im Systeme ruht nun der Beobachter, während die Uhr sich mit der Geschwindigkeit bewegt. Hier ergibt die Anwendung des Dopplerschen Prinzips:

(252a)

Dabei ist die Umlaufszeit des Zeigers der bewegten Uhr, bezogen auf deren Ortszeitskala, die vom Beobachter wahrgenommene Umlaufszeit, gemessen in seiner Ortszeitskala.

Durch Division von (252a) und (252) folgt, mit Rücksicht auf den in (247) angegebenen Ausdruck von :

(252b)

Aus (247) und (250a, b, c) leitet man die Formel ab:

mit deren Hilfe (252b) übergeht in:

(252c)

Unter und haben wir ein bestimmtes Zeitintervall verstanden — die Dauer eines Umlaufes des Zeigers der bewegten Uhr (des Jupitermondes), beobachtet von einem mit der Uhr (dem Jupiter) bewegten Punkte aus — welches wir das eine Mal auf die Ortszeitskala der bewegten Uhr, das andere Mal auf die Skala der allgemeinen Zeit bezogen haben. Das Verhältnis ist daher identisch mit dem durch (250) bestimmten Verhältnis zweier einander entsprechender Zeitelemente in und :

Aus

(252d)

folgt aber gemäß (252c) das Verhältnis der vom Beobachter wahrgenommenen Umlaufszeiten, das eine Mal in der Skala des Systemes , das andere Mal in der allgemeinen Zeitskala des Systemes gemessen:

(252e)

Wie am Schlusse des vorigen Paragraphen dargelegt wurde, ist dies das Verhältnis, nachdem sich die Dauer irgendeines periodischen Vorganges ändert, wenn man ihn zuerst in der Skala der allgemeinen Zeit und sodann in der Ortszeitskala eines mit der Geschwindigkeit parallel der -Achse bewegten Beobachters mißt. Es ist dies ferner, wie wir gemäß dem Postulate der Relativität in (246c) forderten, die Änderung der Umlaufsgeschwindigkeit des Zeigers einer Uhr, welche aus dem Zustande der Ruhe in den der Bewegung versetzt wird. Nach der Annahme von Einstein stimmt das Verhältnis (252e) mit (246a) überein, während es nach unserer Auffassung gemäß (246b) gleich eins wird. Welche von beiden Auffassungen man auch bevorzugt, der Einfluß der Bewegung des ganzen Systemes entzieht sich der Beobachtung, da der mit dem Systeme bewegte Beobachter mit seiner Uhr dieselbe Umlaufszeit des Zeigers der relativ zu ihm bewegten Uhr feststellt, als wenn das ganze System im Raum ruhte.

Wir gehen jetzt zur Transformation des Beschleunigungsvektors über. Wir setzen

(253)
(253a)

und erhalten durch Differentiation von (250a)

und hieraus, mit Rücksicht auf (250)

mithin

(253b)

oder

(253c)

Ähnlich erhalten wir aus (250b) durch Differentiation

folglich
(253d)

und entsprechend für die -Komponente

(253e)

Die Formeln (253c, d, e) können wir noch einfacher schreiben, wenn wir zur Abkürzung den Vektor einführen

(254)

dann lauten sie nämlich

(254a)

Betrachten wir insbesondere einen — materiellen oder elektrischen — Punkt, der sich gerade mit der Geschwindigkeit des Systemes bewegt, aber nicht mit konstanter, sondern mit variabler Geschwindigkeit. Die Regeln, nach denen die Beschleunigungskomponenten aus dem System in das System umzurechnen sind, gehen aus (253b, d, e) hervor, indem gesetzt wird

dann folgt:

(255)

Diese Ergebnisse werden weiterhin von Nutzen sein.


§ 48. Das Theorem der Relativität.

Die im vorigen Paragraphen erörterte Lorentzsche Transformation steht, wie wir gesehen haben, in enger Beziehung zu den Gesetzen der Lichtfortpflanzung im Raume. Da diese Gesetze, der Theorie der elektromagnetischen Strahlung zufolge, sich aus den Feldgleichungen der Maxwellschen Theorie ableiten, so kann man erwarten, die Lorentzsche Transformation mit diesen Feldgleichungen verknüpft zu finden. In der Tat ist H. A. Lorentz[1] von den Feldgleichungen seiner Theorie aus zu jener Transformation und zu dem nunmehr abzuleitenden „Theorem der Relativität“ gelangt. Von den Autoren, die, dem von Lorentz eingeschlagenen Wege folgend, das Fehlen eines merklichen Einflusses der Erdbewegung mit diesem Theorem in Verbindung gebracht haben, sind H. Poincaré[7], A. Einstein[6], M. Planck[8] und H. Minkowski[9] zu nennen. Wir verstehen, indem wir uns der Schreibweise des § 28 bedienen, unter und die elektromagnetischen Vektoren, die in den ursprünglichen Feldgleichungen der Elektronentheorie auftreten; diese lauten, wenn man setzt:

(I)
(II)
(III)
(IV)

Welche Form nehmen diese Feldgleichungen an, wenn man, statt der Unabhängigen durch die Lorentzsche Transformation (247) die neuen Unabhängigen einführt?

Wir transformieren zunächst die 4 partiellen Differentialgleichungen (III) und (I), indem wir die Regeln (247b) beachten; sie ergeben dann:

Man setze nun:

(256)

Dann erhält man aus den ersten beiden jener Differentialgleichungen, indem man die eine, mit multipliziert, zur anderen addiert:

während die beiden letzten Differentialgleichungen sich schreiben:

Transformiert man ferner die Dichte der Elektrizität gemäß der Festsetzung

(257)

und dementsprechend die Dichte des Konvektionsstromes, mit Rücksicht auf (250a, b, c), folgendermaßen:

(257a)
(257b)

so lautet das System der transformierten Feldgleichungen (I) und (III) in leicht verständlicher Symbolik:

(III’)
(I’)

Aus (III) und (I) gehen (IV) und (II) hervor, indem man statt , statt schreibt und gleich Null setzt. Da die Formeln (256) hierbei ungeändert bleiben, wofern zugleich an Stelle von , an Stelle von tritt, so lauten offenbar die transformierten Feldgleichungen (IV) und (II):

(IV’)
(II’)

Es entsprechen also die auf das System transformierten Feldgleichungen durchaus den Feldgleichungen des ursprünglichen Systemes , falls die Dichte der Elektrizität gemäß (257), und falls die Feldstärken gemäß (256) transformiert werden.

Wir wollen zunächst auf die Bedeutung der Relation (257) genauer eingehen. Die Vergleichung mit (250) ergibt für das Verhältnis der elektrischen Dichten in einander entsprechenden Punkten von und :

(258)

Andererseits ist aus dem im vorigen Paragraphen bereits erwähnten Umstände, daß die Funktionaldeterminante der Lorentzschen Transformation gleich 1 ist:

die bemerkenswerte Folgerung zu ziehen: Einander entsprechende Bereiche in den vierdimensionalen Mannigfaltigkeiten der Größen und haben die gleiche Ausdehnung:

Demnach ergibt (258):

(258a)

d. h. einander entsprechende Raumelemente in und , ersteres zu einer gegebenen allgemeinen Zeit , letzteres zu der entsprechenden Zeit , haben die gleiche elektrische Ladung. Wir können demnach das Resultat der obigen Entwickelungen so zusammenfassen: Geht man von dem Systeme durch eine Lorentzsche Transformation (247) zum Systeme über, indem man die elektrischen Ladungen entsprechender Volumelemente zu entsprechenden Zeiten einander gleich setzt, so bleiben die Feldgleichungen der Elektronentheorie ungeändert, wofern man die Feldstärken in und in durch (256) einander zuordnet. Diesen mathematischen Satz nennen wir mit H. Minkowski[9] das „Theorem der Relativität“.

Dieses Theorem gestattet es, jedes Problem, welches sich auf ein in gleichförmiger Translationsbewegung begriffenes elektromagnetisches System bezieht, in ein anderes Problem zu transformieren, welches ein ruhendes, parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis gestrecktes System betrifft. Diese Abbildung auf ein ruhendes System ist uns keineswegs neu; wir hatten sie bereits in § 18 auf das Feld eines gleichförmig bewegten Elektrons angewandt und sie in § 45 bei der Erörterung des Versuches von Michelson herangezogen. Wir wissen auch, daß das System , wofern man keine besondere Hypothese hinzunimmt, im allgemeinen von dem ursprünglichen Systeme im Falle der Ruhe verschieden sein wird, und daß dann die Bewegung des Systemes auf die elektromagnetischen Vorgänge in demselben einen Einfluß zweiter Ordnung äußern wird.

Die Hypothesen, durch welche man dem Postulate der Relativität Genüge leisten kann, sind jetzt auf Grund des obigen, aus den Feldgleichungen abgeleiteten Theorems folgendermaßen zu formulieren: Das ruhende System , welches aus dem gleichförmig bewegten Körpersysteme durch die Lorentzsche Transformation hervorgeht, soll — geometrisch wie elektromagnetisch — mit demselben Körpersysteme im Falle der Ruhe identisch sein. Diese Forderung enthält in sich die Kontraktionshypothese sowie die in § 46 aufgestellte Hypothese, die sich auf den Gang einer bewegten Uhr bzw. auf die Lichtgeschwindigkeit in einem bewegten Systeme bezieht. Zu diesen Annahmen tritt nun eine weitere, welche die Dichte der Elektrizität betrifft; da die elektrische Ladung eines Raumelements bei der Kontraktion ungeändert bleiben soll, so muß die Dichte in dem ruhenden Systeme entsprechend kleiner sein als in dem bewegten kontrahierten Systeme ; in der Tat ergibt (257), wenn man setzt:

(258b)

Diese Forderung ist eng mit der auf den Lichtweg bezüglichen Forderung (246c) verknüpft; denn elektrische Dichte und Lichtweg sind im Sinne des Relativitätstheorems durch die allgemeine Beziehung (258) miteinander verbunden.

Findet nun in dem bewegten Systeme , infolge einer gewissen Bewegung der Elektrizität, ein elektromagnetischer Vorgang statt, gemäß den Feldgleichungen (I) bis (IV), so wird ein im Räume fester Beobachter die Feldstärken feststellen. Der mitbewegte Beobachter jedoch, mit seiner nach der Ortszeitskala gestellten Uhr und seinem kontrahierten Maßstabe, wird der abgeänderten Dichte der Elektrizität und des Konvektionsstromes, den Feldgleichungen (I’) bis (IV’) entsprechend, die Feldstärken zuordnen. Alsdann wird er die gleichförmige Bewegung des abgeschlossenen Systemes nicht wahrnehmen können, wie es das Postulat der Relativität verlangt; denn der elektromagnetische Vorgang verläuft für ihn genau so, als ob das System ruhen würde. So ist denn für ihn der Einfluß der absoluten Bewegung eliminiert, obwohl er in den ursprünglichen Feldgleichungen enthalten war.

Den Einfluß der absoluten Bewegung ganz zu beseitigen, gelingt indessen nicht. Er muß von Bedeutung werden, sobald man die Beobachtungen eines mitbewegten Beobachters mit denen eines solchen vergleicht, der sich an der Bewegung nicht beteiligt. Ein solcher würde, wenn er über hinreichend genaue Apparate verfügte, festzustellen imstande sein, ob die Veränderung (246a) im Gange einer Uhr, welche Einstein behauptet, der Wirklichkeit entspricht; er würde, indem er seine Messung der Lichtgeschwindigkeit mit denjenigen vergleicht, die im bewegten System gewonnen sind, den von uns angenommenen Einfluß zweiter Ordnung der Bewegung auf die Lichtgeschwindigkeit (246b) prüfen können. Die eine oder die andere Größe muß von der absoluten Bewegung des Systemes abhängen, wofern die Maxwellschen Feldgleichungen für den leeren Raum zutreffen.

Die Lorentzschen Feldgleichungen führen, auf Grund des Relativitätspostulats, weiter dazu, einen Einfluß der Bewegung auf die Dichte der Elektrizität anzunehmen, entsprechend der Forderung (258b). Hiernach würde sich ein Elektron, in Bewegung gesetzt, derart kontrahieren, daß seine Dichte im Verhältnis zunimmt. Diese Kontraktion würde einem mitbewegten Beobachter entgehen, aber nicht einem an der Bewegung des Elektrons unbeteiligten. Nun stehen wir gerade bei der Beobachtung der Kathoden- und der Becquerel-Strahlen auf dem Standpunkte des ruhenden Beobachters. Die Messung der Ablenkung der in diesen Strahlen mit Geschwindigkeiten von der Ordnung der Lichtgeschwindigkeit bewegten Elektronen kann daher zur Prüfung jener aus dem Relativitätspostulat abgeleiteten Hypothesen dienen. Obwohl wir schon in § 22 gesehen haben, daß das Ergebnis der Versuche bisher jener Hypothese ungünstig gewesen ist, wollen wir dennoch die Dynamik des Elektrons vom Standpunkte des Relativitätspostulates noch einmal erörtern.


§ 49. Anwendung des Relativitätstheorems auf die Dynamik des Elektrons.

Wir denken uns ein Elektron von der Ladung in gleichförmiger geradliniger Bewegung begriffen, falls es von dem Bezugssystem aus beobachtet wird; das System bestimmen wir so, daß seine -Achse mit der Bewegungsrichtung des Elektrons übereinstimmt, und daß ist. Dann wird die Geschwindigkeit in :

Beim Übergange von zu wird, gemäß (258b), die elektrische Dichte infolge der Kontraktion im Verhältnis vergrößert, während die Ladung entsprechender Volumelemente, mithin auch die gesamte Ladung des Elektrons ungeändert bleibt:

(259)
Da im System das Elektron ruht, so wird die an ihm angreifende äußere Kraft in diesem System gegeben durch den Vektor

wofern , die von den übrigen Elektronen herrührende Feldstärke, in dem vom Elektron eingenommenen Bereiche als homogen betrachtet wird. Auf Grund von (256) und (259) findet man für die Komponenten von die Beziehungen

(260)

Der Vektor ist die am Elektron angreifende äußere Kraft, bezogen auf das System ; es ergibt sich aus dem in § 4, S. 18 zugrunde gelegten allgemeinen Ausdruck (V) für die elektromagnetische Kraft.

Wir denken uns nun, ausgehend von dem oben angenommenen Zustande — der Ruhe in , der gleichförmigen Bewegung in — , dem Elektron eine kleine Beschleunigung erteilt. Unter Annahme quasistationärer Bewegung wird dann in die Bewegungsgleichung bestehen (vgl. 253a):

(260a)

wo eine Konstante bedeutet. Von hier aus kann man, auf Grund der Transformationsgesetze (255) für die Beschleunigungskomponenten und (260) für die Kraftkomponenten, sofort zu den Bewegungsgleichungen[WS 1] in übergehen; sie werden

(260b)

Dieses sind die Bewegungsgleichungen des Elektrons für quasistationäre Bewegung, welche dem Relativitätspostulate genügen. Setzt man

(260c)
so haben, gemäß (253), die Größen
(260d)

die Bedeutung der longitudinalen bzw. der transversalen elektromagnetischen Masse. Aus diesen Beziehungen folgt, daß die Masse bei langsamer Bewegung in einen anderen Wert hat als in , falls, wie wir zuließen, die Lichtgeschwindigkeit in den beiden Systemen nicht genau den gleichen Wert hat; dann ergibt sich nämlich mit Rücksicht auf (260a):

(260e)

Für die Kaufmannschen Versuche kommt indessen nicht sowohl die Masse als vielmehr das Produkt aus Masse und Quadrat der Lichtgeschwindigkeit in Frage. In der Tat geht, wie aus Gl. (122a) des § 21 zu ersehen ist, die Masse nur in der Verbindung ein:

diese Größe aber hat auch dann, wenn und verschieden sind, in und den gleichen Wert; denn aus (259) und (260e) folgt

(260f)

Man wird auch auf dem hier eingeschlagenen Wege, vom Relativitätspostulate ausgehend, wiederum auf die Lorentzschen Formeln (125) und (125a) für die Masse des Elektrons geführt. In der Tat gelangt man, wenn man mit Lorentz das Elektron im Ruhezustande als kugelförmig betrachtet, durch die obige Transformation zu einem Heaviside-Ellipsoid in , d. h. zum Lorentzschen Elektron; für ein solches hat ja Lorentz, wie wir in § 22 dargelegt haben, den Ausdruck (124e) der elektromagnetischen Bewegungsgröße abgeleitet, den wir auch schreiben können:

und aus dem sich die obigen Formeln für die elektromagnetische Masse ergeben. Unter Annahme eines im Falle der Ruhe kugelförmigen Elektrons besteht also Übereinstimmung zwischen dem Relativitätspostulate und dem Impulssatze. Aber mit dem gleichfalls aus den Feldgleichungen und dem elektromagnetischen Kraftausdrucke abzuleitenden Werte der elektromagnetischen Energie lassen sich, wie wir in § 22 gezeigt haben, die Lorentzschen Formeln für die Masse nicht vereinbaren, ohne dem Elektron eine neue, nicht elektromagnetische Form der Energie zuzuschreiben.

Nun ist allerdings der Gedankengang, durch den wir auf Grund des Relativitätspostulates zu den Formeln für die Masse gelangt sind, unabhängig von der Annahme der Kugelgestalt im Falle der Ruhe. Man könnte in die Gestalt des Elektrons beliebig lassen, stets fordert das Relativitätspostulat, daß beim Übergange zu die Kräfte und Beschleunigungen sich entsprechend der Lorentzschen Transformation ändern, und hieraus resultieren die Transformationsformeln (260c). Die anscheinend größere Allgemeinheit dieses Gedankenganges könnte indessen nur dann zur Hebung der erwähnten Schwierigkeit dienen, wenn eine andere Ruhegestalt des Elektrons in angegeben würde, die beim Übergange zu Werte des Impulses und der elektromagnetischen Energie ergäbe, welche sich (vgl. § 22) folgendermaßen aus der Lagrangeschen Funktion ableiten lassen:

Man gelangt nun zu den obigen Formeln für die Masse, wenn man setzt

(261)

mithin

(261a)
(261b)
Dann müßte identisch sein mit der elektrostatischen Energie des ruhenden Elektrons
(261c)

und somit die Masse bei langsamer Bewegung, nach (260e), den Wert besitzen

(261d)

Dies ist die von A. Einstein[6] und M. Planck[10] angenommene Beziehung zwischen der Masse und der Energie eines Körpers.

Nun erhält man aber für das Lorentzsche Elektron, wie oben bemerkt wurde, gleich 4/3 der elektrostatischen Energie, und es steht der Nachweis aus, daß es irgendeine Ruhegestalt des Elektrons gibt, für welche die Relation (261c) gilt. Bis er erbracht ist, wird man es als zweifelhaft bezeichnen müssen, ob sich überhaupt die elektromagnetische Dynamik des Elektrons mit dem Relativitätspostulat vereinbaren läßt. Verzichtet man aber überhaupt auf eine elektromagnetische Begründung der Dynamik des Elektrons, so fällt jeder Grund für die Anwendung des Relativitätstheorems fort, welches ja eben auf den Differentialgleichungen des elektromagnetischen Feldes beruht. Dann entfällt um so mehr die Berechtigung, das Relativitätstheorem auf die Mechanik wägbarer Körper anzuwenden.

Auch stimmen, wie wir gesehen haben, die Konsequenzen des Relativitätspostulats keineswegs mit den Messungen der Ablenkbarkeit der Becquerelstrahlen überein. Man darf daher der Anwendung der Lorentzschen Transformation auf die eineinzelnen Elektronen einstweilen skeptisch gegenüberstehen.

Indessen gibt es viele Aufgaben der Dynamik des Elektrons, bei denen es auf die Gestalt desselben nicht ankommt, sondern wo es genügt, es als eine Punktladung zu betrachten. Bei diesen Aufgaben bringt die Anwendung des Theorems der Relativität oft eine Vereinfachung der mathematischen Behandlung mit sich.

Von diesem Standpunkte aus wollen wir das in § 15 behandelte Problem, die Reaktionskraft der Strahlung zu finden, wieder aufnehmen. Wir wollen zeigen, daß durch Anwendung des Relativitätstheorems sich der allgemeine Ausdruck (87) der Reaktionskraft ergibt, falls für langsame Bewegung die in Gl. 58 des § 9 angegebene Formel zutrifft, die wir mit Rücksicht auf (253a) schreiben können:

(262)

Dies mag der Ausdruck der Rückwirkung der Strahlung in dem System sein, welches aus dem bewegten Elektron auf Grund der im Eingang dieses Paragraphen angegebenen Transformation entsteht. Beim Übergang zu ist zu bedenken, daß nach (259) die elektrische Ladung ungeändert bleibt, und daß jede elektromagnetische Kraft den Transformationsformeln (260) genügen muß. Auf Grund dieser Überlegung erhalten wir in für die Reaktionskraft der Strahlung den Ausdruck

(262a)

wo eben der in Gl. (254) des § 47 eingeführte Vektor ist, dessen Komponenten durch (254a) mit denen des Vektors verknüpft sind. Es handelt sich also nur noch um die Berechnung des Vektors

für den sich durch Ausführung der Differentiation und mit Rücksicht auf Gl. 250 ergibt

Hier ist nun, wie im Eingange dieses Paragraphen angegeben worden ist, zu setzen

dann folgt
(262b)
Dieser Ausdruck für die Reaktionskraft der Strahlung zeigt sich, mit Rücksicht auf (253), mit dem früher von uns in § 15 angegebenen Ausdruck (87) als identisch. Das Theorem der Relativität erspart uns den dort fortgefallenen Eindeutigkeitsbeweis.

Aus der Reaktionskraft der Strahlung ergeben sich nun, wie dort gezeigt worden ist, durch Integration nach Zeit und Weg und durch partielle Integration der so entstehenden Integrale, für die von einer bewegten Lichtquelle entsandte Energie und Bewegungsgröße die Beziehungen (82b) und (83), die wir jetzt zu schreiben haben:

(263)
(263a)

Den letzten Ausdruck, der die in der Sekunde von der Lichtquelle emittierte Energie angibt, haben wir gleich gesetzt. Der erste bestimmt die in der Sekunde emittierte Bewegungsgröße und führt zu der Bewegungsgleichung der Lichtquelle:

(263b)

Die emittierte Wellenstrahlung übt eine der Bewegung der Lichtquelle entgegengerichtete Kraft auf diese aus. Wirken keine sonstigen Kräfte, so muß demnach entweder die Geschwindigkeit oder die Masse der Lichtquelle abnehmen. Die erstere Möglichkeit ist auszuschließen, wenn man das Relativitätspostulat erfüllen will. Denn beim Übergang zu würde die Geschwindigkeit und mithin die Reaktionskraft (263b) gleich Null werden, während der Geschwindigkeitsänderung in , wie in § 47 gezeigt wurde, auch eine Geschwindigkeitsänderung in entspricht. Das Relativitätspostulat führt somit, wie A. Einstein[6] und M. Planck[10] bemerkt haben, zu einer Massenabnahme eines leuchtenden Körpers, die gleich seiner Emission, dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit, ist:

(263c)

Dieselbe ist natürlich zu klein, um der Beobachtung zugänglich zu sein.


§ 50. Die allgemeinen Feldgleichungen für rasch bewegte Körper.

Die Bedeutung der Lorentzschen Transformation beruht darauf, daß sie die elektromagnetischen Feldgleichungen für den leeren Raum in sich selbst überführt. Die Schwierigkeiten, welche in der Dynamik der Elektronen der Erfüllung des Relativitätspostulats entgegenstehen, rühren daher, daß die Dynamik der Elektronen nicht auf den Feldgleichungen allein beruht, sondern daneben noch auf kinematischen Bedingungen.

Diejenigen elektrischen und optischen Vorgänge dagegen, welche sich im Innern der wägbaren Körper abspielen, sind in ihrem Verlaufe vollkommen durch das System der Feldgleichungen bestimmt. Wird diesen Feldgleichungen für den Fall rascher Bewegungen eine Form gegeben, welche durch eine Lorentzsche Transformation in die Feldgleichungen für den Fall der Ruhe überzuführen ist, so ist das Relativitätspostulat ohne weiteres erfüllbar. In dieses Gebiet fallen die meisten der Versuche über den Einfluß der Erdbewegung, deren negatives Ergebnis der Erklärung bedarf: Die Experimente von Lord Rayleigh[11] und D. B. Brace[12], welche die Entdeckung einer durch die Erdbewegung bedingten Doppelbrechung zum Ziele hatten; ferner die Messungen von F. T. Trouton[13] und A. O. Rankine, welche den Widerstand eines Drahtes betrafen, der das eine Mal parallel, das andere Mal senkrecht zur Richtung der Erdbewegung gespannt ist. Diese Versuche beanspruchen eine so große Genauigkeit, daß Größen zweiter Ordnung in hätten beobachtbar sein müssen. Wie wir in diesem Paragraphen sehen werden, erklären die in § 38 aufgestellten Feldgleichungen — sowohl diejenigen von H. Minkowski als auch diejenigen von E. Cohn — die Ergebnislosigkeit dieser und vieler ähnlicher Versuche.

Die Grundgleichungen von Minkowski lauten, wenn gesetzt wird:

(Id)
(IId)
(IIId)
(IVd)

Hierzu treten zwei Bedingungen, welche die Vektoren im bewegten Körpersystem miteinander verknüpfen. Sie ergeben sich, indem man aus den Gl. (15a—d) die dort mit bezeichneten Vektoren eliminiert:

(Vd)
(VId)

Wir vergleichen dieses System von Differentialgleichungen mit den Feldgleichungen der Elektronentheorie, die wir in § 48 in Lorentzscher Weise transformiert haben. Die Gleichungen (IId, IVd) entsprechen durchaus den Feldgleichungen (II, IV), nur daß an Stelle von und dort, hier die Vektoren und treten, die in § 28 als die Mittelwerte jener definiert worden waren. Aus der formalen Identität folgt ohne weiteres, daß die transformierten Gleichungen jetzt lauten:

(II’d)
(IV’d)

wofern die Vektoren des Systemes denen des Systemes durch die folgenden, den Gl. (256) entsprechenden Beziehungen zugeordnet werden:

(264)
Ferner lehrt der Vergleich von (Id, IIId) mit den Gl. (I, III) des § 48, daß in diesen Gleichungen den Vektoren dort, hier die Vektoren und entsprechen. Es liegt somit nahe, diese Vektoren beim Übergang zu folgendermaßen zu transformieren:
(265)

Nimmt man dies an, so gehen die Gleichungen (Id, IIId) durch die Lorentzsche Transformation in die Grundgleichungen für ruhende Körper über:

(I’d)
(III’d)

falls beim Übergang von dem gleichförmig bewegten System zum ruhenden System sich noch die Größen in so umrechnen, wie gemäß (257, 257a, b) in §48 die Größen und in und sich transformierten:

(266)
(266a)
(266b)

da das ganze System sich mit der Geschwindigkeit parallel der -Achse bewegt, so kann man einfacher schreiben:

(267)
(267a)

In dem ruhenden System gelten nun die Feldgleichungen, die aus (I’d bis IV’d) durch Einführung der Beziehungen

(268)

hervorgehen. Die ersten beiden dieser Beziehungen ergeben sich nun wirklich aus den Relationen (Vd, VId), wenn man, gemäß (264) und (265), vom bewegten Systeme zum ruhenden Systeme übergeht. Hieraus erzielt man, zunächst für Isolatoren: Die Minkowskischen Feldgleichungen für ein in gleichförmiger Translationsbewegung begriffenes System gehen durch die Lorentzsche Transformation in die Maxwell-Hertzschen Feldgleichungen für ruhende Körper über. Sie sind also geeignet, auf Grund der in den letzten Paragraphen erörterten Hypothesen, das Postulat der Relativität zu erfüllen.

Damit dies auch für Leiter gelte, muß, wie aus der letzten der Relationen (268) im Verein mit (264) und (267) hervorgeht, im bewegten System sein:

(269)

Die Komponenten der Dichte des Leitungsstromes sind also jeweils proportional den Komponenten der elektromagnetischen Kraft, d. h. des Vektors ; doch wird durch die Bewegung die Leitfähigkeit für parallel der Bewegungsrichtung fließenden Strom im Verhältnis kleiner, dagegen für Ströme, die senkrecht zur Bewegungsrichtung fließen, im Verhältnis größer als im Falle der Ruhe.

Daß so das negative Ergebnis des Versuchs von Trouton und Rankine seine Deutung findet, ist klar[13]. Die Kontraktion des Drahtes, die parallel seiner Längsrichtung stattfinden soll, wenn er der Erdbewegung parallel gespannt ist, würde eine Widerstandsabnahme zur Folge haben; diese wird durch jene Abnahme der spezifischen Leitfähigkeit kompensiert. Ist hingegen der Draht senkrecht zur Bewegungsrichtung der Erde gespannt, so würde die Lorentzsche Kontraktion eine Abnahme des Querschnitts, mithin eine Widerstandszunahme im Verhältnis im Gefolge haben, deren Kompensation gerade in jener Zunahme der Leitfähigkeit für senkrecht zur Bewegungsrichtung fließenden Strom liegt.

Die Minkowskischen Feldgleichungen für bewegte Körper stehen, wenngleich sie nicht aus den Feldgleichungen der Elektronentheorie auf Grund von Hypothesen über die molekularen Vorgänge abgeleitet sind, doch mit dieser Theorie in engem Zusammenhange; es wurde bei ihrer Aufstellung das aus den Feldgleichungen der Elektronentheorie gewonnene Theorem der Relativität als heuristisches Prinzip benutzt. Die Feldgleichungen der Elektrodynamik bewegter Körper hingegen, die von E. Cohn[14] herrühren, sind auf einem von der Elektronentheorie unabhängigen, induktiven Wege gewonnen. Sie lauten, wie wir bereits in § 38 angegeben haben:

(Ie)
(IIe)
(IIIe)
(IVe)
(Ve)
(VIe)

Dabei ist der Geschwindigkeitsvektor der Materie. In (IVe) ist übrigens der Ansatz von E. Cohn insofern spezialisiert worden, als die Existenz von wahrem Magnetismus hier nicht angenommen wird.

Die Cohnschen Grundgleichungen sind für den Fall eines gleichförmig bewegten Systemes zwar nicht durch die Lorentzsche Transformation auf die Form der Grundgleichungen für ruhende Körper zu bringen, wohl aber durch eine andere, einfachere Transformation, nämlich die folgende:

(270)

Hier sind die Koordinaten eines Punktes des parallel der -Achse bewegten materiellen Systemes, bezogen auf ein mitbewegtes Achsensystem. Von einer Kontraktion beim Übergang von zu dem ursprünglichen materiellen System ist hier keine Rede; ebensowenig ist es notwendig, zur Deutung der Beziehung zwischen den Lichtwegen und , eine Verschiedenheit in den Skalen der allgemeinen Zeit und der Ortszeit oder verschiedene Worte der Lichtgeschwindigkeit in und anzunehmen.

Es ist nicht schwer, in die Feldgleichungen (Ie bis VIe) die neuen Unabhängigen einzuführen. Zunächst ist, da die Differentiationen nach in (Ie, IIe) sich auf mit der Materie bewegte Punkte bezieht, d. h. hier auf konstant gehaltene zu setzen:

Beachtet man ferner, daß hier ist:

so kann man die zur Umrechnung von curl und div dienenden Regeln symbolisch so schreiben:

Auf Grund dieser Regeln und der Beziehungen (Ve, VIe) findet man die auf das System transformierten Feldgleichungen:

(I’e)
(II’e)
(III’e)
(IV’e)

wobei die Bedeutung hat:

(270a)

Hier ist also — bei fehlendem Leitungsstrom — die Dichte der Elektrizität im bewegten System die gleiche wie in dem auf Ruhe transformierten System , während in der Lorentz-Minkowskischen Theorie, entsprechend der Kontraktion der bewegten Materie und Elektrizität, gemäß (267a) die Dichte der Elektrizität im Verhältnis beim Übergang zum bewegten Systeme zu ändern ist. In beiden Theorien beeinflußt, wie aus (267a) bzw. (270a) hervorgeht, ein der Bewegungsrichtung paralleler Leitungsstrom die Beziehung zwischen den Dichten der Elektrizität in und . H. A. Lorentz spricht in diesem Falle von einer „Kompensationsladung“ des stromführenden Drahtes, da jene Ladung die in vom Magnetfeld des Stromes auf mitbewegte elektrische Ladungen ausgeübte Kraft gerade aufhebt.

Die Feldgleichungen (I’e bis IV’e), welche aus den Cohnschen Feldgleichungen durch die Transformation (270) hervorgehen, stimmen nun in der Tat mit den Maxwell-Hertzschen Feldgleichungen für ruhende Körper überein. Es genügt also die Theorie von E. Cohn dem Postulate der Relativität, ohne daß sie eine Deformation der bewegten Körper anzunehmen hat, oder eine Änderung im Werte der Lichtgeschwindigkeit oder gar ein spezifisches Zeitmaß im bewegten Systeme. Hier findet also das negative Ergebnis der Versuche, welche über den Einfluß der Erdbewegung auf die elektromagnetischen und optischen Erscheinungen angestellt worden sind, eine in mancher Hinsicht einfachere Deutung als in der Lorentzschen Theorie.

Die Cohnschen Feldgleichungen für bewegte Körper gehen nicht wie die Minkowskischen dadurch in die Feldgleichungen für den Äther über, daß man setzt. Dieser Umstand bringt Schwierigkeiten mit sich, wenn es sich um Vorgänge handelt, bei deren Deutung man von dem Einfluß der wägbaren Materie abzusehen pflegt. Hierher gehört der Versuch von Michelson, dessen Theorie wir, vom Lorentzschen Standpunkte aus, in § 45 gegeben haben. Dabei wurde von dem Einfluß der atmosphärischen Luft abgesehen und nur von der Lichtfortpflanzung im leeren Raume gesprochen; das negative Ergebnis des Versuches wurde durch die Kontraktion der Materie erklärt. Nach E. Cohn dagegen soll eine Kontraktion der Steinkonsole, welche die Spiegel trägt, nicht stattfinden. Es soll der Einfluß der Luft es bedingen, daß hier nicht die Feldgleichungen für den leeren Raum, sondern eben die Feldgleichungen (Ie bis VIe) für bewegte Dielektrika Anwendung finden. Das negative Versuchsergebnis findet so seine Erklärung; in der Tat werden einem Beobachter, der sich mit der Erde bewegt, die Vorgänge gemäß den Feldgleichungen (I’e bis IV’e) zu verlaufen scheinen, d. h. genau so, als ob die Erde ruhte. Hiernach würde jedoch ein positives Ergebnis des Michelsonschen Versuches zu erwarten sein, wenn man ihn im luftleeren Raume ausführen würde.

Ferner fehlt der Theorie von Cohn der Zusammenhang mit der Dynamik der Elektronen; sie umfaßt nicht diejenigen elektromagnetischen Vorgänge, die man an den Kathodenstrahlen und den Radiumstrahlen beobachtet. Hier kann nur eine atomistische Theorie Erfolge erzielen; der Cohnschen Theorie bleiben, ihrem rein phänomenologischen Standpunkte entsprechend, diese feineren Vorgänge verschlossen. Sie ist in ihrer Anwendung auf diejenigen Vorgänge beschränkt, die sich in den wägbaren Körpern abspielen.

Allerdings scheint es, als ob die auf dem Relativitätspostulate fußende Weiterbildung der Lorentzschen Elektrodynamik ebenfalls auf die Vorgänge in wägbaren Körpern beschränkt ist; denn ihre Anwendung auf die freien Elektronen begegnet den mehrfach erörterten Schwierigkeiten. Es wäre auch sehr wohl denkbar, daß das Relativitätspostulat für die Bewegung der wägbaren Materie zuträfe, aber nicht auf die Bewegung der freien Elektronen anwendbar wäre. Freilich scheint, wenn man diese Auffassung annimmt, das Band zwischen den Vorgängen der Konvektionsstrahlung und denen, die sich im lichtaussendenden Moleküle abspielen, gelöst zu sein. Die Verknüpfung zwischen diesen Vorgängen aber ist eine wertvolle Errungenschaft der Elektronentheorie, die kein Physiker leichten Herzens aufgeben möchte. Bedenkt man jedoch, wie gering die Ergebnisse der Elektronentheorie in der Erklärung der Spektralgesetze und der anomalen Zeeman-Effekte noch sind, so wird man gerade hier noch am ehesten eine Lücke in dem Weltbilde der Elektronentheorie vermuten. Es ist sehr wohl möglich, daß die Elektrizität im Innern der wägbaren Körper ein anderes Verhalten zeigt als bei der Konvektionsstrahlung, wo sie sich losgelöst von der Materie bewegt. So einfach, wie es die Theorie des normalen Zeeman-Effektes annimmt, ist die Verknüpfung von Elektrizität und Materie sicher nicht. Unserer Unkenntnis der zwischen den Atomen der Materie und der Elektrizität wirkenden Kräfte würde es entsprechen, wenn man die elektromagnetischen und optischen Vorgänge in bewegten Körpern mehr phänomenologisch durch ein System von Feldgleichungen beschreiben würde, welches dem Relativitätspostulate genügt, sei es durch die Cohnschen oder die Lorentz-Minkowskischen. So würde für die Dynamik der Elektronen der Weg freigehalten, welcher dem Fortschritte der experimentellen Forschung auf dem Gebiet der Kathoden und Radium-Strahlung zu folgen hat.



Anmerkungen

  1. a b Lorentz, H. A. Akad. v. Wet. te Amsterdam 12, S. 986, 1904
  2. a b Kaufmann, W. Gött. Nachr. 1901, S. 143; 1902, S. 291; 1903, S. 90. Ann. d. Phys. 19. S. 487, 1906.
  3. Bucherer, A. H. Mathem. Einf. in die Elektronentheorie S. 58, 1904.
  4. Michelson, A. Americ. Journ. 22, S. 120, 1881; 34, S. 333, 1887.
  5. Poincaré, H. Arch. Néerland. 5 (Lorentz-Festschrift) S. 252, 1900.
  6. a b c d Einstein, A. Ann. d. Phys. 17, S. 891; 18, S. 369, 1905.
  7. a b Poincaré, H. Rendic. Circ. mat. Palermo 21, S. 129, 1906.
  8. Planck, M. Verh. d. Phys. Ges. 4, S. 136, 1906. Berl. Ber. 1907, S. 542
  9. a b Minkowski, H. Gött. Nachr. 1908, S. 1.
  10. a b Planck, M. Verh. d. Physik. Ges. 4, S. 136, 1906. Berl. Ber. 1907, S. 542.
  11. Rayleigh, Phil. Mag. 4, S. 678, 1902.
  12. Brace, D. B. Phil. Mag. 7, S. 317, 1904.
  13. a b Trouton, F. T. u. Rankine, A. O. Lond. Roy. Soc. Proc. A. 80, S. 420, 1908.
  14. Cohn, E. Ann. d. Phys. 7. S. 29, 1902. Berl. Ber. 1904, S. 1294, 1404.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bewegungsgleichungnn