Zum hundertsten Geburtstag Heinrich Heines

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Titel: Zum hundertsten Geburtstag Heinrich Heines
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 835
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[835] Zum Hundertsten Geburtstag Heinrich Heines. Am 13. Dezember 1799 kam zu Düsseldorf am Rhein ein Dichter zur Welt, dem der deutsche Liederschatz eine Fülle köstlicher Gaben zu danken hat, der Dichter der „Lorelei“ und der „Jungen Leiden“, aus dessen „Buch der Lieder“ Schubert, Schumann, Felix Mendelssohn, Robert Franz und andere große Musiker die Texte zu vielen ihrer bezauberndsten Weisen entnahmen. Dieser Dichter, in dessen Liedern zumeist die Schwermut eines unglücklichen Herzens waltet, war zugleich einer der witzigsten Köpfe des Jahrhunderts, in dessen Schriften sich neben keckster Laune ein satirischer Geist offenbart, der ihm von seinen Bewunderern den Namen des „deutschen Aristophanes“ eintrug.

Bewundert viel und viel gescholten war Heine während seines Lebens und nach seinem Tode. Manche Patrioten nahmen Anstoß an seinem Hohn über deutsche Zustände und an seiner Sympathie für französisches Wesen. Die Männer, welche eine sittliche Bildung des Volkes anstrebten, mißbilligten den leichten frivolen Ton so mancher seiner späteren Gedichte und hoben hervor, daß dem Charakter des Dichters das feste Rückgrat fehle und daß sein schwankender und irrlichterierender Geist nur dazu beitragen könne, die deutschen Gemüter zu verwirren. Sie übersahen dabei oft, daß Uebertreibung im Wesen der Satire liegt und daß Heines bewegliches Talent nicht so kerzengerade einherschreiten konnte wie Charaktere aus einem Gusse. Heine muß aus seiner Zeit und seiner subjektiven Eigenart heraus begriffen werden, will man gerecht sein. In den von ihm hinterlassenen Memoiren über seine Jugendzeit, die vor 15 Jahren zuerst in der „Gartenlaube“ erschienen (herausgegeben von E. Engel, Jahrg. 1884, S. 100 u. f.), hat er uns einen tiefen Einblick in die Verhältnisse gewährt, aus denen er hervorging. Auch die Erinnerungen, welche Heines Bruder Maximilian, Heinrich Laube, H. Rohlfs, Arnold Ruge, Ludwig Kalisch in der „Gartenlaube“ früher erscheinen ließen, waren wichtige Beiträge zum Verständnis der „Zerrissenheit“ seines Wesens, die in den allgemeinen Zuständen des „Vormärz“ begründet war. Die Verehrer des Dichters fragten nicht ängstlich nach seinem politischen oder sonstigen Glaubensbekenntnis. Hat doch selbst der junge Bismarck, der mit Heine durchaus keine Seelenverwandtschaft hatte, ihn in seinen Briefen gern citiert. Und die Kaiserin von Oesterreich, die dem Dolch eines Mörders erlag, hat dem Dichter ein Denkmal gesetzt in ihrem Zaubergarten auf der Insel Korfu, das die homerischen Gewässer umfluten.

Ueber Bleibendes und Vergängliches entscheidet die Zeit; sie ist der strengste Censor. Von manchem Dichter, der bei seinen Zeitgenossen in hohem Ansehen stand, lebt bald nach seinem Tod nur noch ein einziges Werk in Wirklichkeit weiter. Bei Heine ist das Bleibende und Vergängliche schwer zu sondern. Es haftet selbst dem Besten, was er geschaffen, mancher vergängliche Flitter an, der nur einer vorübergehenden Zeitepoche als glänzend und blendend erschien. Doch die Zeit streift diesen Flitter ab oder läßt ihn sich gefallen, wenn die Bedeutung des Werks so groß ist, daß man über störenden äußeren Behang hinwegsehen kann. Das gilt selbst von mancher Prosaschrift Heines, deren Wirkung ursprünglich nur für die Kämpfe des Tags berechnet war. Dies gilt vor allem vom ersten seiner Reisebilder, der „Harzreise“, deren liebenswürdige Frische und Stimmungsfülle immer neue Leser unwiderstehlich ergreift. Als lyrischer Dichter nimmt Heine einen hohen Rang ein. Nach Goethe und Eichendorff hat Deutschland keinen größeren Liederdichter gehabt. Manche Lieder sind von einheitlichem Guß, von bezauberndem Schmelz; in anderen stört die ironische Wendung am Schlusse. Diese Ironie gehört einer Zeit des „Weltschmerzes“ an, in welcher ein gereizter Humor der Verzweiflung an die edelsten Empfindungen seine Fragezeichen heftete. Oft aber äußert sich darin auch nur der Humor, der ein gutes Recht dazu hat, die Ueberschwänglichkeit der Empfindung an die kargen Voraussetzungen unserer irdischen Existenz zu erinnern. Nun hat Heine gerade hierin Schule gemacht; das alles war so leicht zu kopieren! Doch die Kopien schadeten dem Original. So tiefgreifend war indes Heines Einfluß, daß auch begabte Dichter von einer sonst selbständigen Eigenart sich demselben nicht zu entziehen vermochten. Gar mancher von ihnen, wie Emanuel Geibel, hat dies dankbar stets anerkannt. So sind auch Heines größere satirische Dichtungen, sein „Deutschland, ein Wintermärchen“ und sein „Atta Troll“ nicht der Vergessenheit anheim zu geben. Sie tragen so viele geniale Züge, daß sie einen bleibenden Wert besitzen. Ihre Schärfe ist freilich nur aus der Zeit heraus zu erklären, in der sie entstanden; das Deutschland des Heineschen Wintermärchens ist glücklicherweise das heutige nicht mehr; vieles, was der Dichter verspottete, hat der Sturm der Zeit fortgeweht; zu den Mächten aber, die den Sturm entfesselten, gehörten Heines Witz und Satire. Tief Ergreifendes enthalten Heines letzte Gedichte, die im „Romanzero“ und später erschienen. Er schuf sie als Schwerkranker in seiner Matratzengruft. Es ist wahr: hier und dort weht die Stickluft der Krankenstube, und es fehlt auch nicht an den Cynismen, mit denen die menschliche Bedürftigkeit ihr Elend fortzuspotten sucht. Doch welch ein genialer, unter Thränen lächelnder Humor beseelt viele dieser Gedichte! Eins derselben, welches die Passionsblume besingt, gehört zu dem Großartigsten, was Heine geschaffen hat, und erfüllt den Leser mit tiefem Mitleid für das schließliche Schicksal des Dichters, der in der trüben Zeit der Metternichschen Patriotenverfolgung den Satz schrieb: „Das deutsche Wort ist unser heiligstes Gut, ein Grenzstein Deutschlands, den kein schlauer Nachbar verrücken kann, ein Freiheitswecker, dem kein fremder Gewaltiger die Zunge lähmen kann, die Oriflamme in dem Kampf fürs Vaterland, ein Vaterland selbst demjenigen, dem Thorheit und Arglist ein Vaterland verweigern.“