Zum Johannis-Tage
Zum Johannis-Tage.
Auf den Alpen, fern im Süden,
Flammen die Johannis-Feuer.
Alte Sitte, die geblieben
Aus der Väter Zeit bis heuer.
Sonnenwende! – Morgengrauen! –
Eines Friedhofs heil’ge Schauer
Seh’ ich fern. – Die Augen thauen
Ueber mir in stiller Trauer.
Kränze tragen heut die Leute
Auf die Gräber, ihnen theuer.
Neue Sitte, schöner heute
Noch als die Johannis-Feuer.
Weil’ im Geiste an den Grüften
Einer lieben, lieben Todten.
Schmetternd auf zu blauen Lüften
Steigen Lerchen, Lenzesboten.
Lenz und Jugend! Tod und Leben! –
Glück und Trauer, war’s vergebens?
Kann mir keiner Deutung geben
Von dem Räthsel dieses Lebens? –
Bist du ganz mir denn entschwunden,
Ganz und immer mir entschwebet?
Nein, in weihevollen Stunden
Lebst du, wie du einst gelebet.
Noch die Hand mir sanft sich leget
Auf die heiße Stirn; wie ehe
Deine Lippe sich beweget,
Und den Mund umzuckt ein Wehe.
Was du liebtest, was du lebtest,
In mir ist es unverloren;
Was du fühltest, was du strebtest,
Wird in mir nun neu geboren:
Dein Beglücken, dein Verschönen,
Deiner Anmuth sanftes Weben,
Und vermählt mit meinen Tönen
Tracht’ ich andern es zu geben.
Nichts verschwindet in die Leere,
Kein Gedanke, kein Empfinden,
Kein Atom im Wüstenmeere.
Nur die Formen wechseln, schwinden.
Nein! – Es ist nur halb getroffen:
„Lang die Kunst und kurz das Leben“.
„Lang die Kunst“, so wahr wir hoffen:
„Ewig, ewig doch das Leben“!
Pillnitz im Juni. C. Th. Sch.