Zum Artikel „Wirthschaftliches Freimaurerthum“

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Autor: H. B.
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Titel: Zum Artikel „Wirthschaftliches Freimaurerthum“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 479–480
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[479] Zum Artikel „Wirthschaftliches Freimaurerthum“. Aus den Wirkungen der „wirthschaftlichen Freimaurerei“ in Nr. 16 der Gartenlaube hat sich in überraschendem Umfange ergeben, daß die Wohnungsnoth in allen großen Städten drückend gefühlt wird und andererseits der alte echte deutsche Sinn für eigenen Herd auf eigenem Grund und Boden nie erstorben war und sich lebhaft wieder geltend macht. Bis zum 26. Juni waren zweihundertundneun Briefe an die Redaction der Gartenlaube, theils an den Verfasser des Artikels, meist aber an den Central-Bauverein in Charlottenburg (H. Quistorp und Dr. E. Wiß, Letzterer ist technischer Director) voller Sehnsucht nach eigenem Haus und Herd, aber auch sehr oft voll von falschen Vorstellungen über die genossenschaftliche Erwerbung desselben eingegangen. Hunderte aus Berlin kamen und kommen persönlich. Deshalb werden hier folgende bestimmtere Rathschläge und Aufklärungen willkommen sein.

Der Central-Bauverein in Charlottenburg ist der Mittelpunkt des Baugenossenschaftswesens und kann nur mit genossenschaftlich zusammenfließenden Geldern wirken, also keinem Einzelnen irgendwo in Böhmen oder Posemuckel ein Haus bauen. Wer sich genossenschaftlich eine schuldenfreie Heimath erwerben will, mag sich zunächst nach Genossen umsehen. Es wird ihm nicht schwer werden, ein paar eben so Strebende zu finden Diese sollten sich dann ebenfalls um weitere Mitglieder bemühen. So finden sich wohl auch in einem kleinen Orte bald zehn Männer zusammen, welche natürlich Frauen mit demselben Sinne nicht ausschließen werden.

Nehmen wir nun an, daß zehn Genossen ein solches Eintausendthalerhaus, wie es in der Gartenlaube abgebildet und geschildert war, Jeder für sich haben möchte. (Es wird, beiläufig gesagt, in wohlfeileren Gegenden mit billigem Baugrunde weniger und in oder an theuren Großstädten etwas mehr kosten, namentlich in Folge des Krieges.) Die zehn Genossen zahlen nun jeder wöchentlich einen Thaler in eine gemeinschaftliche Casse bei einem zuverlässigen Mitbürger oder einem Banquier. In England wird solches Geld einstweilen gegen höheren Zins an Mitglieder oder sonst gegen gute Sicherheit wieder verborgt.

Die von dem einzelnen Genossen während der zehn Jahre eingezahlten fünfhundert Thaler sind während der Zeit mindestens zu sechshundert geworden. Also selbst in dem schlimmsten Falle, daß ihm kein Haus gebaut werden konnte, hat er für sich und seine Erben nicht blos fünfhundert Thaler gespart, sondern auch hundert Thaler erworben. Dieser schlimmste Fall wird aber bei dem Zudrange und dem steigenden Bedürfnisse für eine eigene, billige, schuldenfreie Heimath nie eintreten. Wenn sich daher in einem kleinen Orte auch nur wenige Genossen finden, so können sie leicht durch Bewohner von benachbarten Gegenden zu einer ordentlichen Genossenschaft von dreißig Mitgliedern vereinigt werden. Dreißig kleine zusammenfließende Geldbäche werden nun bald zu einem kräftigen, befruchtenden Strome, auf welchem man viel schneller zum Ziele gerudert werden kann. Die Gelder für einige Häuser sind bald beisammen; dann kommt der eigene Credit zu Hülfe, so daß auf einmal zehn bis fünfzehn Häuser und dann schneller hintereinander die übrigen gebaut werden können. Deshalb braucht kein Mitglied wirklich zehn Jahre zu warten. Das Loos kann ihn ja auch gleich zuerst treffen. Uebrigens findet er, je länger er einzahlen und warten muß, dann sein neues Haus desto abgezahlter, schuldenfreier, heimathlicher. Wer es nicht erlebt, hinterläßt es oder das dafür eingezahlte um Zins und Zinszins vermehrte Geld seinen Erben. Die eingezahlten Gelder liegen also, Zinsen bringend unter jeder Bedingung, in einer guten Sparcasse. Wo nur wenige Genossen zu finden sind, mögen dieselben ihre Einzahlungen zunächst auf hundert Thaler vermehren und diese in guten Werthpapieren anlegen oder gegen gute Zinsen an einen sicheren Genossen oder Mitbürger verborgen. Mit den nächsten hundert Thalern macht man es dann wieder so. Die Zinsen werden immer wieder zum Capital geschlagen und kommen zuletzt, selbst wenn keine gehörige Baugenossenschaft zu Stande [480] käme, allen Einzahlern zu Gute. Es ist dann eben nur eine kleine Genossenschaftsbank. Für Einrichtung einer selbstständigen Baugenossenschaft läßt sich wohl ein sachverständiger, ehrlicher Mann gewinnen, der genaue Statuten entwerfen mag. Nöthigenfalls kann man sich an den Central-Bauverein (Dr. E. Wiß) in Charlottenburg wenden, der mit Statuten, Rath und That aushelfen wird. Kurz, es gilt zunächst wirklich und praktisch, wenn auch noch so klein, anzufangen und für den schönen praktisch und sittlich edlen Zweck Jahr aus, Jahr ein zu sparen.

Das Bau-Genossenschaftswesen, in England und Amerika in Tausenden verschiedener Gesellschaften bewährt und erprobt, zieht die gebotenen Vortheile aus der Kraft der Vereinigung, wie ja auch die kleinsten, schwächlichsten Rinnsale und Bäche, die sich von Thautropfen hoher Gebirge nähren, durch Zusammenfluß zu den mächtigsten, wohlthätig befruchtendsten Strömen werden. Man merke sich deshalb zuletzt, daß der Einzelne sich auch unter den günstigsten Verhältnissen nie so billig und unmerklich ein Ein- bis Zehntausendthalerhaus, wie sie der Central-Bauverein in zehn Abstufungen bietet und baut, herstellen lassen kann, wie andererseits es keiner Baugesellschaft möglich ist, dem Einzelnen, der nicht genossenschaftlich einzahlt, die Vortheile, welche nur aus fortwährend zusammenwirkender Vereinigung fließen, zu gewähren.

Schließlich noch einen Wink. Frauen oder Männer, Jünglinge oder Jungfrauen, welche sich etwa zur Bildung einer künftigen Genossenschaft zusammenfinden mögen, werden gut thun, auch gleich im Anfange unvermerkt an den Erwerb eines wohlfeilen Baugrundes zu denken; dieser kann an verschiedenen Stellen stückweise inner- oder außerhalb der Stadt liegen. Unter Umständen kann die trockenste Sandwüste dazu geeignet sein. Die Westend-Gesellschaft hinter Charlottenburg hat binnen wenig Jahren die trost- und werthloseste Sandanhöhe bereits in ein Paradies von Villas, Gärten, Baumalleen, kleinen Parks, immergrünen Rasenflächen und lachenden Blumenbeeten verwandelt. Mit Dampf- und Pferdekräften, mit Gartenerde und Gärtnerkunst, Wasserleitung oder wenigstens abessinischen Brunnen läßt sich jede Wüste und Oede für die schönste Cultur gewinnen und namentlich besonders billig mit baugenossenschaftlichen Mitteln für baugenossenschaftliche Zwecke.

Möge nun die durch den Gartenlauben-Artikel weit und breit angeregte Bewegung für die Erwerbung schuldenfreien Grund- und Hausbesitzes mit ihren wirthschaftlich und sittlich segensreichen Folgen erstarken und mit richtigem Verständniß zum Heile für uns, für Kinder und Kindeskinder möglichst vielfach in Angriff genommen werden. Dann finden sich auch bald Asyle aus dem Drange und Zwange der Theurung und Noth unserer Großstädte, und das deutsche Reich wird wieder wie einst vor Barbarossa’s Zeiten zahlreiche Blüthentrauben eigener Herde und Häuser umfassen und seine beste Kraft aus diesem Grund und Boden aller wahren Cultur, alles Patriotismus, alles Selbst- und Freiheitsgefühls schöpfen können.
H. B.