Zum Antiquitätenschwindel unserer Zeit

Textdaten
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Autor: Georg Buß
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Titel: Zum Antiquitätenschwindel unserer Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 62
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Zum Antiquitätenschwindel unserer Zeit.

Von Georg Buß.

Unser Kunstgewerbe hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, um seine Leistungsfähigkeit zu behaupten und zu erweitern. Einer der tiefstgreifenden Schäden erwächst ihm aus der gesteigerten Vorliebe des Publikums für „Alterthümer“. Es mag diese Vorliebe aus einer erfreulichen Pietät gegen unserer Väter Werke erwachsen sein, aber sie ist allmählich zur Modesache geworden und entbehrt zumeist jenes kritischen Verständnisses, welches in dem Alten nur das Schöne und wirklich Schätzenswerthe bevorzugt. Der Grund für diese bedauernswerthe Erscheinung ist nicht weit zu suchen: er liegt in dem Beispiel, welches die öffentlichen Museen mit ihrem Sammeleifer gegeben haben, und in einer allzu stark betriebenen Schönfärberei bezüglich der Leistungen vergangener Tage.

Die begeisterten Schilderungen von den „gesegneten Zeiten der Renaissance“, wie das Schlagwort lautet, reden nur von behaglich eingerichteten Bürgerhäusern, von trefflichem Hausrath, von meisterlich getriebenen Silbergefäßen, von schön verziertem Linnen, von Glasmalereien, welche in den Strahlen der Sonne leuchten und funkeln wie Topas, Smaragd und Rubin. Aber diese Schilderungen vergessen ganz die elenden Hütten, an denen die mittelalterlichen Städte so reich waren, ganz der kleinbürgerlichen Aermlichkeit und Beschränktheit, die sich in diesen Hütten kundgab, ganz des genügsamen, schier spartanischen Sinnes, der in der Mehrheit der Bevölkerung vorwaltete. Sie vergessen ganz, daß dasjenige, was in unsere Museen gelangt, schon damals als hervorragende Leistung bewundert und aus diesem Grunde sorgsam gehütet wurde, so daß es dem Zahne der Zeit entgehen und auf unsere Tage gelangen konnte. Tiefe Einseitigkeit hat dem Publikum eine keineswegs zutreffende Vorstellung von dem Leben und den Leistungen jener Vergangenheit beigebracht: sie läßt es glauben, daß Schlechtes und Unschönes damals überhaupt kaum geschaffen worden sei.

„Alt“ und „schön“ wurden so gleichbedeutend - das Alte mußte schön sein, denn die Renaissance hat nur Vorzügliches aufzuweisen! So wird das, was patiniert, fleckig, wurmstichig, verbeult und verblaßt aussieht, mit aufrichtigster Hochachtung angestaunt, mag es auch im Grunde genommen Plunder sein.

Es giebt industrielle Naturen, welche ihre Zeit zu nehmen und aus den Verirrungen derselben Kapital zu schlagen wissen. Diese Naturen warfen sich auf den Handel mit Antiquitäten, um der steigenden Nachfrage zu genügen und ein gutes Geschäft zu machen. Und so blüht heute in jeder größeren Stadt eine Menge solcher Läden; man veranstaltet in ihnen große Auktionen und setzt immer neue Antiquitäten an Stelle der verkauften, so daß die staunende Frage berechtigt ist: wo kommen denn alle diese „Alterthümer“ her?

Aber nicht allein in den größeren Städten, sondern auch in den Badeorten sind solche Geschäfte in Menge anzutreffen. In gewissen süddeutschen Bädern ist der Kurpark mit Trödelläden geradezu umschlossen. In Fülle hängen da die tief gedunkelten und glänzend aufgefirnißten Bilder, welche der „Schule“ des Rubens, Rembrandt, Hals, Brouwer, Teniers, Steen, Metsu, Breughel oder gar einem großen Niederländer oder Italiener selbst zugeschrieben werden, und zu den Bildern gesellen sich Rüstungen, Schwerter, Spieße, Emaillen, Goldschmuckstücke, Möbel, Holzschnitzereien, Elfenbeinarbeiten und andere Dinge aus „alter“ und „ältester“ Zeit.

Auf den Bildern findet sich in irgend einer Ecke so etwas wie ein Monogramm, und die Phantasie des Beschauers wird angenehm erregt: sie findet ein P. W. heraus – gewiß, das ist ein Philips Wouwerman, zumal der Gegenstand „Aufbruch zur Jagd“ von dem Meister mehrfach gemalt worden ist. Der Händler erklärt, er werde selbst aus dem Monogramm nicht so recht klug, jedenfalls sei es ein gutes Bild, aber trotz alledem wolle er mit 500 Mark zufrieden sein. Und so zahlt der Enthusiast, der bereits einige Wouwerman in dem Museum der Hauptstadt flüchtig gesehen hat, in der frohen Hoffnung, ein vorzügliches Werk des Meisters zu erwerben, die 500 Mark für ein Bild, welches kaum 100 Mark werth ist.

Wie mit den Werken des Pinsels, so geht es mit allen anderen Kostbarkeiten, welche der Händler auf Lager hat – sie wandern zu hohen Preisen in den Besitz der Kurgäste, die ja so gern irgend ein Andenken an ihren Badeaufenthalt mit nach Hause bringen. Unter solchen Kurgästen befinden sich auch manche, welche in dem eigenen Aufspüren von Alterthümern ein ganz besonderes Vergnügen finden. Auch für diese Herrschaften ist gesorgt. Auf den umliegenden Dörfern, wohin sich die Spaziergänge der Kurgäste richten, besitzt der Herr Antiquitätenhändler seine Agenten in Gestalt pfiffiger Bauern und Wirthsleute. Man tritt in ein Bauernhaus ein, verlangt zur Erfrischung ein Glas Milch und erblickt zur größten Ueberraschung dort in der Ecke der Stube eine prächtige, tief gebräunte Eichenholztruhe. Bei näherer Betrachtung liest man an der Front des anheimelnden Möbels eine Jahreszahl aus dem 16. Jahrhundert, sieht auch die Wurmstiche, bewundert die schöne architektonische Gliederung und die Schnitzerei – kurz, man ist begeistert und sucht zu erfahren, woher das Kunstwerk stamme. Treuherzig erzählt die Bäuerin von alten Erbstücken, von den Urahnen, aus deren Hausrath sich noch manches bei ihr erhalten habe, von alten Schränken und Krügen, die noch auf dem Boden stehen, so daß der Heißhunger des Enthusiasten nach der Truhe nur noch mehr gesteigert wird. Aber die Bäuerin trennt sich nicht gern von dem „alten Erbstück“ und erst allmählich, nachdem das Geldgebot höher gestiegen ist, läßt sie sich erweichen – sie schlägt ihren Schatz für 400 Mark los.

Die Unschuld vom Lande hat ein gutes Geschäft gemacht, denn 25 Prozent sind ihr sicher.

Wie hier, so geht es auch in dem Krug, dessen Besitzer so hinterwäldlich und treuherzig aussieht. Auch dieser Biedermann hat noch eine Fülle von Hausrath „aus der Väter Tagen“ aufbewahrt. Erst nach langem Zaudern, Zureden und Bitten entschließt sich der Brave gegen gute Bezahlung zur Trennung von einem Theile seiner Schätze. Uebrigens hat er die alten Bilder, welche zu unserem Staunen in der Wirthsstube hängen, von einem Geistlichen geerbt, der einstmals Kaplan an der holländischen Grenze gewesen ist! Mit geheimnißvoller Miene weiß er auch [63] von einem zwei Meilen entfernt wohnenden Küster eines einsamen Dorfes zu erzählen, der viele Sachen aus einer umgebauten Kirche und dem zugehörigen Kloster besitze. „Der Kieselbauer,“ schlägt er dem Fremden vor, „kann Sie hinfahren. In anderthalb Stunden sind Sie dort. Die Fahrt ist lohnend.“ Was bei einem Küster steht, muß besonders echt sein – also wird der „Kieselbauer“ bestellt, und dieser ist denn auch bereit, die Hin- und Rückfahrt für zehn Mark zu unternehmen. Bei dem Küster, einem großen Alterthumskenner, findet sich ein ganzes Lager vor; aber wirklich alt, und zwar aus der Barockzeit stammend, sind nur etliche mäßig geschnitzte, bemalte und vergoldete Posaunenengel, die einst eine Orgel geschmückt haben, während die meisten anderen Gegenstände völlig oder wenigstens in einzelnen Theilen gefälscht sind. Da sie aber so ehrwürdig alt, verbeult, verrostet und wurmstichig aussehen, so schwört ihnen der Enthusiast ein Alter von mindestens dreihundert Jahren zu. Genug, er kehrt mit zahlreichen Schätzen, die er für schweres Geld erstanden, zu dem Badeort zurück, zeigt das Erworbene mit stolzem Gefühl seinen Bekannten und läßt sich endlich mit geheimnißvoller Miene herbei, die Quelle zu verrathen, aus welcher diese Merkwürdigkeiten stammen. „Aber erzählen Sie von dem Küster nur nicht weiter,“ so bittet er, „denn Sie wissen ja, wie sonst die Leute hinströmen und alles vorweg kaufen.“

Nun kann es ja nicht unsere Sache sein, diese reichen Sammler vor der Schädigung ihres Geldbeutels zu behüten. Wenn ihnen die Sachen soviel werth sind, als sie dafür auslegen – immer zu! Etwas anderes ist es mit der Saat von Lug und Trug, die in den Kreisen sonst einfacher und schlichter Leute auf solche Weise ausgesät wird. Denn wir werden gleich sehen, die Sache geht noch weiter.

Es haben also der Herr Antiquitätenhändler, die Bäuerin, der Krugwirth, der Kieselbauer und der Küster ein ganz vorzügliches Geschäft gemacht, welches sie zu weiteren Thaten aus diesem einträglichen Gebiete begeistert. Es wird daher die Anfertigung neuer „Alterthümer“ vorgenommen, und zwar im günstigsten Falle in der Weise, daß aus einem wirklich alten Gegenstande ein halbes Dutzend anderer hergestellt wird. Aus einer alten Truhe werden sechs fabriziert, von welchen die eine den alten Deckel, die zweite den alten Boden und jede der vier übrigen eine alte Wand erhält – die übrigen Theile werden, wie der Kunstausdruck lautet, „ergänzt“, und zwar gewöhnlich aus altem Holze. Aufs beste versteht man überhaupt, den alten Charakter zu wahren, indem man den braunen Ton, die Wurmstiche mit dem feinen Wurmmehl, die Risse und Sprünge täuschend wiedergiebt. Auch ist eine besondere Kunst in dem Angilben des Elfenbeins erreicht worden – so eine Statuette sieht aus, als ob ein halbes Jahrtausend über sie dahingegangen wäre, zumal der knittrige Faltenwurf, die anatomische Behandlung und Stellung des Körpers, sowie der Ausdruck der Züge dem gothischen Stil zu entsprechen scheinen. Nicht minder vortrefflich wird der milde, blasse Ton des Altsilbers und Altgoldes nachgeahmt und der Bronze eine so scharfe grüne Patina gegeben, als ob das Stück der Antike entstamme.

Ueberhaupt wird mit einer hervorragenden Geschicklichkeit verfahren. Selbst der Kenner hat zuweilen Mühe, die Fälschung herauszufinden. So ließ sich vor einer Reihe von Jahren ein erfahrener Alterthumskenner einer Stadt in Hannover mit einem in Elfenbein geschnitzten „Trinkhorn Heinrichs des Löwen“ anführen, welches man angeblich an der Stelle des von Heinrich zerstörten Bardowiek ausgegraben hatte. In stiller Abendstunde war zu dem betreffenden Herrn ein sehr ängstlich auftretender fremder Mann gekommen, hatte mit der Bitte, ihn nicht zu verrathen, vorsichtig aus einem Tuche das Elfenbeinhorn herausgewickelt und als das Ergebniß einer Ausgrabung, die er heimlich auf dem Boden von Bardowiek unternommen habe, bezeichnet. Der Kenner untersuchte – da stand richtig eine Inschrift, die auf Heinrich den Löwen Bezug hatte! Er zahlte den Spottpreis voll dreihundert Mark und schwelgte eine Zeitlang in der seligsten Wonne, bis von anderer Seite der Beweis erbracht wurde, daß man ihn fürchterlich hinters Licht geführt hatte. Der Schatzgräber von Bardowiek war natürlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Die Antwort auf die Frage, woher alle die Alterthümer kommen, ist in den vorstehenden Zeilen schon enthalten – ein erheblicher Theil ist gefälscht. Sogar „Pfahlbautenfunde“, ganz zu schweigen von mittelalterlichen Waffen, von Helmen und Schwertern in den seltensten Formen, werden gefälscht. Paris ist groß in dem Fälschen von Möbeln aus den verschiedenen Stilepochen des französischen Königthums, von Limousiner Emails, von getriebenen Silberplatten und Silberhumpen und von Bildern. Auch am Rhein und in Süddeutschland wird das Geschäft flott betrieben. Mittel- und Norddeutschland stehen kaum nach. So manches bayerische Städtchen besitzt seinen findigen Handwerker, der nur für den Antiquitätenhandel arbeitet und auch für eigene Rechnung mit den auf Entdeckungen ausgehenden Reisenden Geschäfte macht. Besitzt so ein Städtchen noch alte Mauern, Thorthürme und Warten, so ist eben der Reisende fest überzeugt, daß hinter diesen Mauern noch „Urväter Hausrath“ in Menge zu finden sein müsse. Aber im allgemeinen wird in Deutschland mehr für den Liebhaber gefälscht, welcher die „Alterthümchen“ zur Ausstattung seiner Wohnung benutzen will, in Paris hingegen für den Krösus, welchem Tausende von Franken zur Vervollständigung seiner Sammlung nicht zu viel sind.

Gegenüber den Fälschungen ist die Zahl der wirklich echten Antiquitäten gering, und ganz besonders die Zahl derjenigen, welche den Anspruch auf Schönheit erheben können. Die wirklich guten und bedeutenden Gegenstände sind eben längst in festem Besitz, in jenem der Museen oder der fürstlichen Sammlungen. Gelangen wirklich einmal bedeutende Gegenstände in den Handel, so kann man überzeugt sein, daß dieselben sofort von den kundigen Leitern der Museen aufgekauft werden. In den gewöhnlichen Antiquitätenhandel kommt meist nur Zeug welches des Ankaufs gar nicht werth ist.

Es soll nun keineswegs geleugnet werden, daß viele Händler wenigstens bestrebt sind, sich von Fälschungen frei zu halten, und ihren Stolz in das Angebot von wirklich echten Sachen setzen. Aber das macht die Sache kaum besser, denn wie schon betont, „alt“ und „schön“ sind keineswegs gleichbedeutend. Ja, in vielen Fällen ist die Fälschung sogar noch besser und schöner als der wirklich alte Gegenstand. Und ob echt alt oder gefälscht – das Hauptübel ist, daß der Verkaufspreis in keinem richtigen Verhältniß zu dem wahren Werthe des Gegenstandes steht, diesen vielmehr um ein Vielfaches übersteigt. Und die Leute kaufen leider zu diesen hohen Preisen, während sie für eben dieselben Preise tüchtige und schöne Leistungen des modernen Kunstgewerbes erwerben und diesem einen gesunden Boden verleihen könnten. Denn das ist stets zu betonen: ein Kunstgewerbe kann nur dann gedeihen, wenn ihm zahlreiche Aufträge zuströmen, und wenn seinen Mitgliedern die Gelegenheit geboten wird, etwas zu leisten, so daß sie, der Noth des Lebens möglichst entrückt, mit ihrer Leistung Freude am Schaffen und eine fortschreitende Uebung gewinnen. Was für Gefühle müssen aber diese Leute beseelen, wenn sie sehen, wie ihre mit Fleiß und Kunst hergestellten Erzeugnisse zurückgesetzt werden gegen alte Gegenstände, welche der Vorurtheilsfreie als Gerümpel bezeichnen muß! Sie werden alle an der Gerechtigkeit verzweifeln und in ihrem Schaffen eine tiefgreifende Lähmung erleiden.

Ueberlasse man also das Sammeln von Antiquitäten wirklichen Kennern, insbesondere den Vorständen der Museen, und verzichte man auf einen Geschmack, der sich künstlich für abgeblaßte Farben, Rost, Wurmlöcher und ähnliche Anzeichen hohen Alters begeistert! Hellebarden, Spieße und Schwerter gehören ebensowenig in unsere Wohnräume hinein wie die großen Zinnhumpen und mächtigen Krüge, denn die Ritterzeit mit ihrem Faustrecht ist längst vorüber und der Durst hat anscheinend eine erfreuliche Mäßigung erfahren. Statt der Butzenscheiben sollten wir uns der vorgeschrittenen Leistungen der Glasfabrikation freuen, statt Geräthe aus alter Zeit, die unseren Bedürfnisen nicht mehr genügen, sollten wir Gegenstände des modernen Kunstgewerbes bevorzugen, welche wir täglich benutzen können und die uns infolgedessen lieb und vertraut werden. Nicht der Ateliergeschmack soll in unseren Wohnungen herrschen, sondern ein gesunder bürgerlicher Geschmack, welcher den Räumen den Stempel der Wohnlichkeit und Behaglichkeit, der Sauberkeit und der Benutzbarkeit aufdrückt. Ein solcher Geschmack wird dem Antiquitätenschwindel den Boden entziehen, dem ehrlich ringenden Kunstgewerbe aber von Nutzen sein.