Zehn Tage in fürchterlicher Lage
Zehn Tage in fürchterlicher Lage.
Am 5. October vorigen Jahres segelte das englische Barkschiff Jeannie Johnson mit einer Ladung Breter von Quebeck ab. Es erreichte aber Hull, seinen Bestimmungsort, nicht. Am 21. October wurde es von einem ungeheueren Sturme befallen, es bekam dabei ein Leck und am Tage darauf war es mit Wasser ziemlich gefüllt. Das Uebrige erzählt der Capitain selbst in folgenden Worten:
„Alle Matrosen beeilten sich nun in das Takelwerk hinauf sich zu flüchten, weil das Schiff jeden Augenblick sinken konnte. Meine Frau lag mit dem Kinde in der Cajüte im Bett und ich eilte hinunter um ihr zu sagen, auch wir müßten uns in das Takelwerk flüchten. Die Gefahr war aber so dringend, daß die arme Frau nicht einmal Zeit hatte, sich anders anzukleiden. Nur einen Mantel vermochte sie umzunehmen. Es war Nacht, aber nicht gerade sehr kalt. Wir hatten auch die Geistesgegenwart, etwas Brod, das noch nicht durch das Seewasser verdorben war, ein Stück gepökeltes Rindfleisch, einen Schinken und einige rohe Kartoffeln mitzunehmen. Mit Trinkwasser konnten wir uns leider nicht versorgen, denn die Fässer waren theils über Bord gespült, theils nicht zugängig. Oben in dem Takelwerke banden wir uns so viel als möglich mit Tauen und Segelstücken fest, welche letztere zugleich einigermaßen als Schutz gegen das Wetter dienten. Vom Schlaf war diese Nacht nicht die Rede. Um 7 Uhr früh am 23. Octbr. sahen wir ein Schiff, wir gaben Nothsignale, wurden aber nicht bemerkt. Der Sturm wüthete unablässig fort und wir mußten jeden Augenblick fürchten, daß der Hauptmast, auf dem wir uns befanden, niederbreche. So verging wieder der ganze Tag. Unsere Kleider waren ganz durchnäßt. Wir konnten die Glieder nicht strecken, sondern kauerten eng zusammengedrängt da. Einige Matrosen wagten sich hinunter auf das Dach des Deckhauses, nur um sich einmal strecken zu können. Das Kind verhielt sich ruhig, schlief auch wohl bisweilen, verlangte aber häufig weinend etwas zu trinken, das wir ihm nicht geben konnten. Unsere Nothflagge ließen wir fortwährend flattern, aber es zeigte sich erst am 24. wieder ein Schiff, das uns aber auch nicht sah.
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„Am 23. schon peinigte uns Alle der Durst. Ich stieg bisweilen hinunter auf das Dach des Deckhauses, um mich legen zu können. Meine Frau vermochte ich erst am sechsten Tage, auch hinunterzusteigen, kaum aber hatte sie es gethan und sich ausgestreckt, als eine ungeheuere Woge sich heranwälzte, sie nebst dem Kinde völlig durchnäßte und fast hinwegriß, wie sie die Decken wegspülte, auf die sie sich gelegt hatte. Mit Mühe stieg sie wieder in unser Versteck oben auf der Mastspitze hinauf, das sie nicht wieder verließ, bis die Erlösung kam. In der Nacht vom 24. wurde das Steuerruder hinweggerissen, so daß das Schiff nun ganz ein Spiel des Windes und der Wellen war. Der Durst wurde für uns Alle fast jeden Augenblick peinigender. Am 25. regnete es und wir hofften, den brennenden Durst wenigstens in etwas stillen zu können, aber der Sturm peitschte die Regentropfen mit solcher Gewalt umher, daß wir uns mit denen begnügen mußten, die von dem Takelwerke uns in den Mund fielen, obgleich sie stark nach Salz und Theer schmeckten. Die Lippen meiner Frau waren fast verdorrt und ich selbst war durch den Durst so geschwächt, daß ich ohnmächtig werden zu müssen fürchtete. Die wenigen Tropfen, die wir jetzt erhalten hatten, steigerten den Durst wo möglich noch [101] höher. Von unserem Fleischvorrathe konnten wir nicht essen, weil der Durst dadurch noch mehr gereizt worden sein würde. Einige Erleichterung – aber welche! – gewährten uns die rohen Kartoffeln, die wir in kleine Scheiben schnitten und sie im Munde behielten, um den brennenden Gaumen zu kühlen und die halb vertrocknete Zunge zu befeuchten. Der Sturm wüthete dabei fort, in gleicher Richtung, bis er den 27. nach Norden umsetzte und scharfe Kälte mit sich brachte.
„Wir waren nun völlig erschöpft aus Durst, aus Mangel an Schlaf und weil wir die Glieder nicht zu regen vermochten. Die Kälte, die nun hinzukam, brachte uns fast zur Verzweiflung. Am meisten litt meine arme Frau. Sie konnte sich gar nicht rühren und dabei erfror sie fast, abgesehen von dem Hunger und Durst, die sie folterten. Das Kind litt eben so und erhöhte unsern Jammer dadurch, daß es fast immer weinte, wir ihm aber keine Hülfe bringen konnten. So ging es fort bis zum 30. October. Da schneite und hagelte es. Um vier Uhr Nachmittags am 31. endlich erblickten wir ein Schiff, das gerade auf uns zu kam, eine holländische Barke. Sobald der Capitain uns bemerkt hatte, machte er Anstalten zu unserer Rettung, die mit Mühe, aber glücklich gelang. Alle Glieder schmerzten uns so, daß wir sie erst allmählich wieder gebrauchen konnten. Drei Tage lang konnte ich gar nicht gehen. Meine Frau war eine Woche lang krank, doch dankten wir Gott und dem menschenfreundlichen Capitain des holländischen Schiffes für unsere Rettung.“