Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
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Observantz (aussergerichtliche)

Band: 25 (1740), Spalte: 273–276. (Scan)

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Observantz, Lat. Observantia, bedeutet überhaupt und insgemein so viel, als die Ehrerbietung, Dienstgeflissenheit; insbesondere aber auch ein altes Herkommen, die hergebrachte Gewohnheit, den Gebrauch, u. d. g. Jedoch ist die Observantz in diesem letztern Verstande gleichwohl auch von der Gewohnheit in etwas unterschieden. Denn die Gewohnheit begreifft eigentlich nur gewisse aussergerichtliche Gebräuche; die Observantz aber wird hingegen nur von gerichtlichen Gebräuchen verstanden. Und dieser kleine Unterschied hat verschiedene Rechts-Lehrer auf die Meynung gebracht, es müste auch die Gewohnheit aus gerichtlichen Handlungen entstehen; zumahl auch der l. 34. de LL. dahin zu zielen scheinet. Titius in Jur. Rom. Germ. p. 7. Allein dieses angeführte Römische Gesetze ist nicht richtig, sondern von dem Tribonianus verfälscht, und dessen richtiger Verstand vielmehr aus dem Responso Johannis Episcopi Zotrivar. beym Leuenclau in Jur. Gr. Rom. Resp. Lib. V. Resp. 5. von dem berühmten Gundling in Gundling. P. VII. membr. 3. wieder hergestellet worden. Solchemnach ist die Observantz eigentlich nichts anders, als auch eine gewisse Art der Gewohnheit, die aber nur hauptsächlich bestimmet, was in gerichtlichen Händeln, und zwar vornehmlich in solchen, die in denen gemeinen Rechten nicht entschieden sind, zu statuiren und vor recht zu halten sey. Es wird aber zu deren Würcklichkeit auch nur eine eintzige Handlung oder ein End-Urtheil erfordert. Weswegen denn auch ein kluger und vorsichtiger Advocat bey entstandenen Streitigkeiten sein Libell oder Klag-Schreiben lieber nur auf die Observantz, als die sonst so genannte Gewohnheit, einzurichten hat. [274] Gedachte Observantz ist demnach eine getreue Auslegerin derer verstatteten Befugnisse und Freyheiten. Und durch die darauf erfo1gte Observantz wird insgemein erkläret, was unter denen allgemeinen Redens-Arten begriffen. So wird auch bey derselben nicht die Länge der Zeit, wie bey der Verjährung, erfordert, weil sie nicht erst eine neue Handlung, oder ein neues Recht einführet, sondern die vorhergehende nur erkläret und deutlicher macht. Und ist deßfals schon gnug, daß es nur ein oder das andere mahl so gehalten worden. Klock in Tom. III. Consil. 181 n. 37 und 112. Bender de Revision. Concl. 20. n. 65. Everhard in Consil. 47. n. 6. Vol. I. Nachdem aber die Materie von der Gewohnheit und Observantz von denen allermeisten gar ungegründet und unordentlich tractiret und vorgetragen wird; so wird hoffentlich nicht undienlich seyn, deshalber folgende Betrachtung anzustellen. Es bestehet nemlich die Gewohnheit und Observantz überhaupt aus gewissen gleichförmigen Handlungen dererjenigen, so in einer Gesellschafft zusammen leben. Und kommt es also hierbey auf zwey Fragen an; 1) Ob derjenige, so nach der hergebrachten Observantz lebet, bestraffet werden könne? und 2) ob einer schuldig sey nach derselben zu leben? Nun ist es ohnstreitig, daß in allen Collegiis, ausser denen Dingen, so in dem Rechte der Natur gegründet sind, keine andere Verbindlichkeit statt hat, als die, so aus denen unter sich gemachten Vergleichen entspringet. Diese Vergleiche werden auf zweyerley Art betrachtet. Entweder ist es ein Vergleich, wodurch das Collegium aufgerichtet wird, oder welchen die Glieder erst hernach unter sich eingehen. Das erste erfordert die Einstimmung aller Glieder, also, daß keiner wider seinen Willen sich zu einem Collegio zu begeben, gezwungen werden kan. Wegen des andern aber erfordert die Natur aller Collegiorum, daß dasjenige alle verbinden müsse, was durch die meisten Stimmen ausgemacht worden. Weil es aber leicht geschehen kan, daß der gröste Theil zum Nachtheil derer übrigen etwas beschliesset; so muß auch diesen hierinnen die Freyheit gelassen werden, entweder dasselbe anzunehmen, oder sich aus der Gesellschafft zu begeben. Was derowegen die Gewohnheit anbetrifft; so ist man darinnen einig, daß diese sich vornemlich auf einen stilschweigenden Vergleich gründet, welcher aber in allem die Natur eines ausdrücklichen Vergleichs hat. Daraus folget, daß, wenn die Gewohnheit ein gantzes Collegium verbinden soll, eine gewisse Gleichförmigkeit derer Handlungen, entweder aller, oder doch derer allermeisten, da seyn müsse. Sind nun diese vorhanden; so ist unstreitig, daß ein jedwedes derer darzu gehörigen Glieder die Macht habe, eben dergleichen zu thun, und auch nicht; und daß also nicht allein dasjenige, was der Gewohnheit gemäß ist, gelten müsse, sondern daß auch keiner deswegen gestraffet werden könne, es mag nun dieselbe vernünfftig oder unvernünfftig seyn. Es fliesset aber auch eben daraus, daß die Gewohnheit keinen verbindet, sondern gleichwie die andern die Freyheit gehabt, dieses oder jenes zu thun, und auch die Freyheit behalten haben, es wieder zu unterlassen, also auch denen übrigen [275] eben diese Freyheit zukommen müsse. Ja wenn auch diese sich einige Zeit denen andern gleich gestellet; so behalten sie dennoch die Macht, wiederum davon abzugehen. Denn die blosse und willkührliche Nachahmung giebt keinem ein Recht den andern zu zwingen. Es müste denn seyn, daß entweder alle, oder doch der meiste Theil, sich vorher schon durch einen ausdrücklichen Vergleich verbunden hätten, ins künfftige von der einmal hergebrachten und angenommenen Gewohnheit nicht wieder abzugehen. Alsdenn aber entspringet diese Verbindung nicht so wohl aus der Gewohnheit, als vielmehr aus dem vorhergegangenen ausdrücklichen Vergleiche. Ja es verursachet auch eine lange Gewohnheit öffters, daß sie die Vermuthung eines ausdrücklichen Vergleiches bekommt; indem nach der Natur derer Menschen nicht leicht gemuthmasset werden kan, daß sie sich so lange einander gleich gestellet haben würden, wenn sie nicht ein ausdrücklicher Vergleich darzu verbunden hätte. Z. E. es wäre bey einem Collegio die Gewohnheit, daß sie alle zusammen schwartze Mäntel trügen; so stehet es allerdings einem jeden frey, ob er auch in einem dergleichen Mantel erscheinen will, oder nicht, obgleich bisher die andern alle zusammen schwartze Mäntel getragen, und er sich auch selbst darinnen denen andern eine Zeitlang gleichgestellet. Verglichen sie sich aber alle zusammen oder doch der meiste Theil, das keiner von ihnen in das Collegium ohne einen schwartzen Mantel kommen wolte; so ist alsdenn ein jedweder wegen dieses ausdrücklichen Vergleichs verbunden, sich entweder denen andern hierinnen gleich zustellen, oder aus dem Collegio zu bleiben. Denn daß bloß seinetwegen die andern davon abgehen solten, kan er eben so wenig verlangen, als er von ihnen gezwungen werden kan, sich entweder in das Collegium zu begeben, oder in demselben zu verbleiben. Weil aber doch eine solche lange hergebrachte Gewohnheit nicht eine denen Rechten gemässe, oder auch darinnen offenbahr gegründete (Praesumtionem juris & de jure) sondern nur eine denenselben nicht zuwiderlauffende, oder auch wohl gantz gleichförmige Vermuthung (Praesumtionem juris) machet; so muß der andere allerdings gehöret werden, wenn er beweisen will, das eine dergleichen Gewohnheit aus blosser natürlicher Freyheit eingeführet worden. Dieses aber ist hauptsächlich von demjenigen zu verstehen, was einer von Rechtswegen thun, und worzu er nach Beschaffenheit der Umstände auch gezwungen werden kan. Fraget man aber, ob er nicht klüger thut, wenn er sich denen Sitten und Gewohnheiten anderer gleich stellet? so wird kein vernünfftiger Mensch hierauf anders, als mit ja, antworten können, indem dieses ein gewisses Zeichen eines vernünfftigen Menschen ist, wenn er sich in indifferenden und gleichgültigen Dingen vielmehr nach andern richtet, als seinem eigenen Kopffe folget. Und solten es gleich gewisse Arten der Thorheit seyn; so ist doch bekannt, daß es gewisser maassen besser ist, ein Thor mit vielen, als ein Narr alleine zu seyn. Machen wir nun hierbey die Application auf die unterschiedenen Arten der Gewohnheit oder Observantz; es sey gleich eine gerichtliche [276] oder aussergerichtliche, öffentliche Kirchen-Observantz, u. s. w. wovon unter besondern Artickeln nachzusehen, so haben dieselben ebenfalls keinen andern Ursprung, und folglich auch eine jede derselben weder mehr, noch weniger Verbindlichkeit. Nur ist hierbey noch die Frage, ob dergleichen Observantzen denen alten Gesetzen Abbruch thun und ein neues Recht machen können? und dienet hierauf zur Antwort, daß man ihnen anders nicht eine Rechts-Krafft zuschreiben könne, als in so ferne der Gesetzgeber oder die hohe Landes-Obrigekeit selbige entweder ausdrücklich unter die Gesetze rechnet, oder wenigstens durch ein langwieriges Stillschweigen zu erkennen giebt, daß ihm diese oder jene Meynung und Gewohnheit oder Observantz nicht mißfalle. Thomasius in Diss. de jure Consuetud. & observ. §. 53. & 60. Gribner in Diss. de observ. Colleg. Jurid. §. 8. & 14. Schaumburg in der Einleitung zum Sächsisch. Rechte P. I. p. 6. 35. u. 36. Besold in Disp. de Styl. Cur. th. 86. u. 87. Tabor de Suffrag. p. 243. in fin. Cravetta in Consil. 492. n. 6. Siehe auch Gewohnheit, im X Bande p. 1398. u. ff. und Herkommen, im XII Bande p. 1689. ingleichen Mos, im XXI Bande p. 1805.