Wolfgang Amadeus Mozart der Jüngere

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Titel: Wolfgang Amadeus Mozart der Jüngere
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 492
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wolfgang Amadeus Mozart der Jüngere.

Zu seinem fünfzigjährigen Todestage.

Der alte Friedhof in Karlsbad schließt in seinen Mauern einen Grabhügel ein, dessen verfallender Denkstein einen weltberühmten Namen trägt. Unwillkürlich bleibt der Besucher stehen, sobald er diesem Grabe näher tritt, denn der müde Erdenpilger, den man vor nunmehr fünfzig Jahren in dieses Grab bettete, hieß Wolfgang Amadeus Mozart und war der zweitgeborene Sohn des unsterblichen Schöpfers des „Don Juan“, der „Zauberflöte“ und der „Hochzeit des Figaro“.

Fast immer schlägt der begabte Sohn die Laufbahn des großen Vaters ein; er will die eigene Persönlichkeit vor dessen Titanengestalt aufpflanzen, sein Stern soll noch heller leuchten als der des Vaters, und gespannt verfolgen die Mitmenschen seinen Werdegang, sein Emporwachsen. Die Genialität des einen flammt aber nur höchst selten in einem zweiten Kopfe wieder auf; sie ist wie der elektrische Funke, der sich nach dem Einschlagen in die Erde verliert, unauffindbar für die ganze Menschheit, wenn sie nach ihm graben wollte.

Die Wahrheit des eben Gesagten hat kaum einer mehr an sich erfahren als Wolfgang Amadeus Mozart, der Sohn. Das Talent zur Kunst des Vaters war ihm in die Wiege gelegt worden; er wurde ein hochbegabter Künstler, der in seinen Anfängen dem Vater ebenbürtig schien und dann – hat ihn der große Name geblendet und der Ruhm der väterlichen Werke erdrückt. Wolfgang Amadeus Mozart duldete keinen zweiten Mozart neben sich; neben ihm konnte der Sohn nicht zur Geltung kommen.

Wolfgang Amadeus Mozart der Jüngere.
Nach einer Photographie von Adalbert Barton jun. in Karlsbad.

Dennoch sind es die Ueberreste des Sohnes wert, daß die musikalische Welt sie in Ehren halte. Die Zeit des alten Friedhofes in Karlsbad ist um; man läßt verfallen, was verfallen muß, und immer kleiner wird die Zahl der Gräber, die an gewissen Gedenktagen mit Blumen und sonstigen Liebesgaben geschmückt werden, immer kleiner die Zahl der Menschen, die der dort Schlummernden gedenken und treu zu ihnen pilgern. Man hat den unsterblichen Schöpfer des „Don Juan“ nach seinem Tode sang- und klanglos in ein Massengrab gebettet und sich um seine Gebeine jahrzehntelang nicht gekümmert. Dann, als man sie suchte, vermochte niemand mehr mit Sicherheit sie nachzuweisen.[1] Deshalb hat es sich der Karlsbader Musikverein und dessen Direktor Alois Janetschek, getreu den Ueberlieferungen in diesem Verein, zur Aufgabe gemacht, das Grab des jüngeren Mozart der Nachwelt zu erhalten. Die Stadtvertretung von Karlsbad hat dem Gesuche des genannten Vereins um Ausgrabung der Gebeine des jüngeren Mozart stattgegeben und ein Ehrengrab für dieselben auf dem neuen Friedhofe bewilligt. Und so wird denn am 29. Juli dem Mozartschen Genius am Grabe dös Sohnes eine einfache und doch großartige Huldigung dargebracht werden. Ueber des Sohnes Reste wenigstens besteht keine Ungewißheit. Unter dem Trauerweidenbaume unh dem schlichten eisernen Denkmale auf dem alten Karlsbader Friedhofe ruht ein echter Mozart, des Meisters geistesverwandter Sprosse.

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Wolfgang Amadeus Mozart (der Sohn) war ein Altersgenosse Franz Grillparzers; er wurde am 26. Juli 1791 zu Wien geboren und war kaum fünf Monate alt, als er seinen Vater verlor, der ihm leider nichts als den in diesem Fall verhängnisvollen Ruhm seines Namens hinterlassen konnte. Zart und schwächlich war der Knabe von Geburt, aber seine Fähigkeiten zur Ausübung der Musik entwickelten sich überraschend frühzeitig. Kaum fünf Jahre alt, begleitete er seine Mutter von Wien nach Prag und sang in einem öffentlichen Konzerte das erste Papagenolied aus der „Zauberflöte“, dem man einen passenden Gelegenheitstext untergelegt hatte. Eine mächtige Bewegung ging durch die Versammlung, als der Kleine auf den Tisch gehoben wurde, und als er geendigt hatte, erhob sich ein Beifallssturm, der wohl mehr den Manen des Vaters als der Sangesleistung des Sohnes galt. Man nahm ihn auch überall sympathisch auf, wo er sich zeigte, und die Begeisterung für das Kind des unsterblichen Meisters, der seine beste Schöpfung[2] für das Prager Publikum geschrieben hatte, ließ erst nach, als Frau Mozart eine größere Kunstreise antrat und Prag verließ.

Das fünfjährige Kind blieb bei dem Künstlerpaare Franz und Josepha Duschek, von dem es dann der k. k. Rat und Professor der Philosophie in Prag, Franz Niemeczek, übernahm, der schon früher auch den älteren Sohn Mozarts, Karl, drei Jahre hindurch bei sich gehabt hatte. Bei ihm war der kleine Wolfgang gut aufgehoben. Der Professor, ein naher Freund und zugleich der erste Biograph Mozarts, leitete nun die Erziehung und den Unterricht des Knaben und nahm sich seiner in der väterlichsten Weise an. Nach anderthalb Jahren kam der Junge wieder nach Wien zurück, um bei Sigmund von Neukomm und Andreas Streicher gründlichen Klavierunterricht zu nehmen, Streicher, der bekannte Freund und Fluchtgenosse Friedrich Schillers, fand Gefallen an dem aufgeweckten und reichbegabten Knaben und nahm ihn nach kurzer Zeit gänzlich zu sich.

Mozart war erst elf Jahre alt, als er bereits eigene Kompositionen veröffentlichte. Es befand sich darunter ein Klavier-Quartett in G-moll, dem Grafen Szaniawsky gewidmet, der sich durch diese Aufmerksamkeit so geschmeichelt fühlte, daß er dem jugendlichen Komponisten eine goldene Uhr überreichen ließ, welche dieser, so lange er lebte, mit Vorliebe trug.

Spätere Lehrer Mozarts waren Hummel (Klavier), der Abt Vogler, sowie Albrechtsberger (Kompositionslehre) und Salieri (Gesang); hauptsächlich übte Hummel, der nach Streicher die weitere Ausbildung des Knaben übernommen hatte, einen bedeutenden Einfluß auf ihn aus.

Im Jahre 1804 gab Mozart sein erstes Konzert im Theater an der Wien. Dreizehn Jahre vorher hatte man in Wien seinen unsterblichen Vater wie einen Bettler begraben, und nun genügte plötzlich der Name Wolfgang Amadeus Mozart, um einen Menschenstrom in das Vorstadttheater am Wienflusse zu leiten und dem Konzerte einen geradezu beispiellosen Erfolg zu verschaffen.

  1. Vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1891, Seite 380.
  2. Die Oper „Don Juan“. -