Die Gräber unsrer großen Musiker in Wien
Die Gräber unsrer großen Musiker in Wien.
Die großen Tonmeister, die in Wien lebten und starben, fanden ursprünglich in den Friedhöfen der Vororte, welche die alte Kaiserstadt umgeben und nun mit ihr vereint das neue Groß-Wien bilden werden, ihre letzte Ruhestätte. Gluck, der Reformator der Oper, wurde im Matzleinsdorfer katholischen Friedhof, Haydn, der Begründer der modernen Instrumentalmusik, im Hundsthurmer, Mozart, der Beherrscher des Opernreichs, im St. Marxer, Beethoven, der Vollender der klassischen Kunst, gleich Franz Schubert, dem romantischen Meister des Liedes, im Währinger Friedhof in die kühle Erde gebettet. Dort ruhten sie Jahrzehnt um Jahrzehnt in ungestörtem Schlummer. Erst die Entstehung des Centralfriedhofs, der sich als ungeheure Todtenstadt eine Stunde entfernt von den Thoren der Lebendigen hinzieht und Ersatz für die allmählich in Wegfall kommenden alten kleinen Friedhöfe gewähren soll, legte den Gedanken nahe, die Reste der großen Tonkünstler, die zu den ruhmreichsten der entschlafenen Söhne Wiens gehören, dahin zu übertragen, damit sie in den Ehrengräbern, die man für sie bereit hielt, beisammen lägen, eine Größe neben der andern.
Nicht vollzählig mehr konnte man sie freilich hier versammeln. Auf Haydns Asche hatten die Fürsten Esterhazy, denen er dreißig Jahre lang als Kapellmeister treue Dienste geleistet, Anspruch erhoben. Sie war im Jahre 1820, elf Jahre nach des Künstlers Tode, nach Eisenstadt in Ungarn übergeführt worden. Und Mozarts Asche, wer wußte sie zu finden? Hat es doch ein wunderlich Schicksal gefügt, daß niemand mit Bestimmtheit die Stätte kennt, da der Schöpfer des „Don Juan“ den letzten Schlaf schläft! Als Mozart starb und sich bei Tausenden von Schulden nur sechzig Gulden in seinem Nachlaß vorfanden, sparte van Swieten, der Freund, welcher der erkrankten Witwe seinen Beistand lieh, den Luxus eines eigenen Grabes: eine Massengruft, die fünfzehn bis zwanzig Särge zu bergen pflegt, nahm die sterbliche Hülle des unsterblichen Meisters auf. Mit einem Kondukt dritter Klasse beerdigte man sie und zahlte dafür 8 Gulden 36 Kreuzer, dazu noch 3 Gulden für den Todtenwagen. Mutterseelenallein ging der große Mozart den letzten Gang. Kein Freund geleitete ihn, als man ihn vor nun fast hundert Jahren, am Nachmittag des 6. Dezember 1791, unter Regen und Schneesturm hinaustrug auf den fernen St. Marxer Friedhof. Einige wenige, die, wie Salieri, van Swieten, Süßmayr – der Vollender des „Requiems“ – und andere, der Einsegnung in der Stefanskirche beigewohnt hatten, kehrten des Unwetters wegen an der Kirche oder am Stubenthor um. Als die Witwe nach ihrer Wiedergenesung das Grab besuchen wollte, vermochte ein mittlerweile neu eingetretener Todtengräber ihr die Stelle nicht mehr anzugeben. Sie war und blieb bis auf den heutigen Tag unbekannt.
Im Widerspruch mit dieser als feststehend geltenden Thatsache befindet sich die neuerliche Mittheilung eines vielgelesenen Wiener Blattes, derzufolge der Todtengräber von St. Marx, ein Verehrer Mozarts, der diesen begrub und nach gethaner Arbeit, wie es heißt, die Grabstelle in seinem Kalender verzeichnete, zehn Jahre später bei Ausschachtung des Massengrabes den Schädel des Meisters, als letzten in der Reihe der darin Geborgenen, an sich genommen und als Reliquie aufbewahrt haben soll. Sein Amtsnachfolger schenkte den Schädel samt Kalender, so heißt es weiter, nachmals dem Kupferstecher Hyrtl in Wien, von dem ihn sein Bruder, der berühmte Anatom Hofrath Professor Hyrtl, erbte, während der dazu gehörige Kalender leider verloren ging und im Nachlaß vergebens gesucht wurde. In Hyrtls Hause in Perchtoldsdorf bei Wien befindet sich gegenwärtig der fragliche Schädel, und der Besitzer, welcher denselben der Stadt Salzburg testamentarisch vermacht hat, zweifelt nicht an der Echtheit desselben, wie er d. Verf. in einem Briefe vom 14. Februar dieses Jahres bestätigte. Laut letzterem brachte jenes Wiener Blatt ganz wortgetreu alles, was Professor Hyrtl von seinem Bruder über den Mozartschädel weiß.
Es ist aber leider – die Autorität des berühmten Gelehrten in gebührenden Ehren! – mit dem, was, wie oben erwähnt, als feststehende Thatsache gilt, nicht in Einklang zu bringen. Denn wenn der Todtengräber von St. Marx wirklich zehn Jahre und länger nach Mozarts Tode noch seines Amtes waltete und dessen Grabstelle genau zu bezeichnen imstande war, wie hätte diese dann, den emsigen Nachforschungen der Witwe des Künstlers, ihres nachmaligen Gatten Nissen und anderer zum Trotz, unbekannt sein und bleiben können? Und wenn der Kalender des Todtengräbers mit Angabe der Grabstätte durch lange Jahre im Besitz des Kupferstechers Hyrtl war, warum hätte sich dieser, während man sich in Wien zu verschiedenen Zeiten, wie in den Jahren 1808, 1841, 1842, 1855 öffentlich aufs angelegentlichste mit der Auffindung von Mozarts Grabe beschäftigte,[1] in ein mit der Pietät für Mozart schwer vereinbares, undurchdringliches Schweigen gehüllt, da dieser Kalender doch allen Kombinationen und Aussagen dritter Personen ein rasches Ende bereiten konnte?
Auf Veranlassung d. Verf. wurden durch gütige Vermittelung des Direktors des Wiener Stadtarchivs, Regierungsrath Weiß, neuerdings umfängliche Nachforschungen angestellt, um den Nachweis zu erbringen, ob der Todtengräber von St. Marx, welcher bei der Beerdigung Mozarts am 6. Dezember 1791 sein Amt versah, thatsächlich (wie Otto Jahn in seiner ausgezeichneten Mozartbiographie und andere anführen) bald darauf durch einen neuen ersetzt wurde, oder ob vielmehr (der Lesart des betreffenden Blattes entsprechend) der damals thätige Todtengräber zehn Jahre danach, also bei Ausschachtung des Massengrabes, und länger noch im Amte war. Leider geben weder die Bücher und Akten der Magistratsregistratur, noch die des Kirchenmeisteramtes von St. Stefan und die Kanzlei des St. Marxer Friedhofs eine Antwort auf diese Frage. Nicht einmal der Name des betreffenden Todtengräbers war daselbst in Erfahrung zu bringen. Dagegen enthalten die Akten des Stadtarchivs über die Säkularfeier der Geburt Mozarts im Jahre 1856 das nachstehende wichtige Protokoll, das vom Magistrat am 25. November 1855 aufgenommen wurde.
Ludwig Rothmayr, Todtengräber am Matzleinsdorfer Friedhofe, giebt an:
- Ich wurde im J. 1804 am St. Marxer Friedhofe geboren, woselbst mein Vater Josef Rothmayr Todtengräber war, der im J. 1809 gestorben ist. Ich verblieb daselbst bis zum J. 1828, während welcher Zeit mein Stiefvater Löffler Todtengräber war, und kam dann als selbständiger auf den Hundsthurmer Friedhof.
- Von dem Grabe Mozarts habe ich nie etwas Bestimmtes gehört; jedoch kann ich mit Gewißheit behaupten, daß das Friedhofskreuz und die Todtengräberswohnung nie verändert wurden. Die Manipulation mit den allgemeinen Gräbern war von jeher dieselbe.L. Rothmayr m. p.
Wann sein Vater auf dem St. Marxer Friedhof angestellt wurde, wußte Rothmayr leider nicht anzugeben. Vierundzwanzig Jahre aber verlebte er, dieser seiner Aussage zufolge, während der Amtsführung seines Vaters und Stiefvaters auf dem St. Marxer Friedhof. Konnte ihm da der nach den erwähnten Mittheilungen angeblich in den Jahren 1801 oder 1802 ausgegrabene Schädel Mozarts, der, wie es heißt, von dem Todtengräber und dessen Nachfolger viele Jahre als „Reliquie“ aufbewahrt wurde, verborgen bleiben, zumal der Kupferstecher Hyrtl, wie er erzählte, bei einem zufälligen, durch ein herbstliches Unwetter herbeigeführten Eintritt in die Todtengräberwohnung dieser Reliquie doch sofort ansichtig wurde? Mußte ferner der Sohn des Todtengräbers nicht auch von der im Hause befindlichen wichtigen Kalendernotiz Kenntniß haben, wenn man dem fremden Gast Hyrtl so bereitwillig Mittheilung davon gemacht haben soll? Genug, an den Thatsachen gemessen, erscheint die [381] Erzählung Hyrtls räthselhaft. So wird es wohl auch in Zukunft bei dem verbleiben, was Grillparzer einst sang:
„Wenn man das Grab nicht kennt, in dem er Ruh’ erworben,
Wen, Freunde, ängstet das? Ist er doch nicht gestorben!
Er lebt in aller Herzen, aller Sinn
Und schreitet jetzt durch unsre Reihen hin,
Der große Meister in dem Reich der Töne,
Der nie zu wenig gab und nie zu viel,
Der stets erreicht, nie überschritt sein Ziel,
Das mit ihm eins und einig war – das Schöne.“
An der Stelle, wo man Mozarts Grab nach dem Zeugniß dreier Personen ungefähr zu suchen hatte, – es war dies gegen den Eingang zu rechts vom Friedhofskreuze, in der fünften Gräberreihe[2] – errichtete die Stadt Wien im Jahre 1859 ein Denkmal, das nun, in Ermangelung der Asche des Gefeierten, auf den Centralfriedhof überging.
Eine trauernde Muse mit Lorbeerkranz, Lyra und Notenblatt (aus dem „Requiem“) darstellend, darunter Mozarts Medaillon, erhebt es sich inmitten des Halbkreises, der die Gräber Beethovens und Schuberts und ein wenig zurückliegend, so daß das Mozartdenkmal es den Blicken des Davorstehenden verdeckt – auch das Grab Glucks umschließt.
Glucks Grab ist das jüngste der den Centralfriedhof weihenden Musikergräber. Die Steinplatte, die es deckt, hat sich erst am 29. September 1890 darauf gesenkt, während Beethovens Gebeine bereits am 22. Juni 1888, diejenigen Schuberts am 23. September desselben Jahres hier die letzte Herberge fanden. Der Denkstein: ein Obelisk mit dem in Erz gegossenen Medaillon Glucks, wurde, vom Matzleinsdorfer Friedhof mit herüber genommen. Er trägt, dem Jahre 1846 entstammend, die seltsame Inschrift: „Im Einhundert dreißigsten und zweiten Geburtsjahre errichtet.“ Durch ein Versehen erhielt sie diese Gestalt. Sie lautete zuerst: „Im Einhundert dreißigsten Geburtsjahre errichtet.“ Da man sich aber verrechnet hatte, wurden die Worte: „und zweiten“ nachträglich noch eingefügt.
Auf der Basis liest man die Worte:
„Hier ruht
ein rechtschaffner deut-
scher Mann, ein eifriger
Christ, ein treuer Gatte,
Christoph Ritter Gluck,
der erhabenen Tonkunst
großer Meister.
Er starb am 15. Novem. 1787.“
Wenige Schritte nur von Glucks Grab entfernt, in unmittelbarer Nachbarschaft des Mozartdenkmals, ragt ein weißer Marmorobelisk empor, eine reichere, edlere Nachbildung des schlichten Sandsteinobelisken, der einst Beethovens Grab auf dem so poetischen, nun leider in der Zerstörung begriffenen Währinger Friedhof bezeichnete. Die Symbole von Tonkunst, Seele und Ewigkeit: eine Leier, ein Schmetterling und die sich zum Ring zusammenschließende Schlange, sind außer dem Namen „Beethoven“ sein ganzer Schmuck. „Wir haben ihm einen Stein setzen lassen,“ schrieb zur Enthüllung desselben im Herbst 1827 Grillparzer, „damit noch unsere Enkel wissen, wohin sie zu knieen haben und die Hände zu falten und die Erde zu küssen, die seine Gebeine deckt. Einfach ist der Stein, wie er selbst war im Leben. Der Name Beethoven steht darauf und somit der herrlichste Wappenschild, purpurner Herzogsmantel zugleich und Fürstenhut.“
Wie auf dem alten Währinger Friedhof, so liegt auch hier Franz Schubert, der Lieder-Beethoven, in nächster Nähe des Meisters, zu dem er im Leben aufblickte wie zu seinem höchsten Ideal, und dem auch im Tode nahe zu bleiben sein letzter Wunsch hienieden gewesen war. Zum Glück ist ihm die plastische Ausschmückung seines Grabes, die an Geschmacklosigkeit ihresgleichen suchte, nicht mit an seine neue Ruhestatt nachgefolgt. Auch die frühere, von Grillparzer herrührende Grabschrift: „Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen,“ die uns durch Schubert Reichgewordenen als eine unberechtigte, wenig dankbare Klage erscheint, hat, als von der Zeit überholt, keinen Platz daselbst gefanden. Nur der Name Franz Schubert spricht nun zu dem Beschauer und weckt in ihm eine Welt voll Sang und Klang, die Erinnerung an ein Tongenie, das volksthümlich und tiefsinnig, naiv und erhaben, frohgemuth und schwermuthsvoll zugleich alle Stimmungen und Gefühle der Menschenbrust im engen Rahmen des Liedes austönend, unser Volk mit einem Liederschatz beschenkte, um den es alle andern Nationen der Erde beneiden dürfen. Auf dem Relief an seinem Grabe bekränzt die Muse der Tonkunst des Tondichters Büste, während ein Genius zu ihren Füßen ihr Blumen darreicht. Der arme [397] Schubert! So lange er auf Erden wandelte, blühten ihm wenig andere Blumen als die, welche seinem Sang entsproßten. Wie von seinem „Wanderer“ galt im äußeren Sinne auch von ihm selber das Wort: „Dort wo du nicht bist, dort ist das Glück!“ Scheint es doch vorwiegend das Geschick derer zu sein, die uns im Kunstwerk ihr Bestes darbringen, uns die Seele beschwingen zum Flug in eine reinere ideale Welt, daß sie das Leben rauhe, unwegsame Pfade gehen heißt, gleichsam zur Buße dafür, daß es sie mit der Weihegabe des Genies gesegnet hat. Um so mehr erwächst der Nachwelt die Pflicht, durch Liebe, Dank und Anerkennung mit gerechter Hand auszugleichen, was Schicksal und Mitwelt dem Genius schuldig blieben.
- ↑ Siehe „Vaterländische Blätter“, Wien, 1808; „Wiener Theaterzeitung“ vom 24. Nov. 1841; „Wiener Zeitung“ vom 6. Dez. 1841; „Wanderer“ vom 27. Jänner 1842; Gräffers „Kleine Wiener Memoiren“ I. Serie, S. 227 (Aloys Fuchs); „Illustr. Familienbuch“, 1852; Ritter v. Lucam, „Die Grabesfrage Mozarts“. Wien, 1856.
- ↑ Nissen, der Biograph Mozarts (Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1828) und Gatte seiner Witwe Konstanze, schreibt: „Zu der Zeit, wo Mozart starb, wurden nach Angabe des Todtengräbers die Leichen in der dritten und vierten Reihe vom Kreuze an, welches auf dem St. Marxer Kirchhofe steht, begraben.“ Damit stimmt die Aussage zweier alter Musiker, Freystätter und Scholl, die Mozart noch gekannt hatten, bei Lucam („Die Grabesfrage Mozarts“ , Wien, 1856) überein.