Winterreise (Schubert/Mandyczewski)

Textdaten
Autor: Wilhelm Müller
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Titel: Winterreise
Untertitel: Ein Cyclus von Liedern von Wilhelm Müller. Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte
aus: Franz Schubert’s Werke, Erste kritisch durchgesehene Gesammtausgabe, Serie XX: Lieder und Gesänge, Neunter Band, S. 2–77
Herausgeber: Eusebius Mandyczewski
Auflage:
Entstehungsdatum: 1821–1822/1824
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Breitkopf & Härtel
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Schubert: Faksimile Morgan Library; Notendruck kritische Ausgabe (Mandyczewski) MDZ München
Kurzbeschreibung: Als Liederzyklus für Singstimme und Klavier im Februar und Oktober 1827 von Franz Schubert komponiert und als op. 89 (D 911) veröffentlicht. Zu anderen Textfassungen siehe Winterreise.
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Erste Abtheilung (Februar 1827) Bearbeiten

1. Gute Nacht. Bearbeiten

Mässig, in gehender Bewegung

Fremd bin ich eingezogen,
fremd zieh’ ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
mit manchem Blumenstrauss.
Das Mädchen sprach von Liebe,
die Mutter gar von Eh’,
das Mädchen sprach von Liebe,
die Mutter gar von Eh’ –
nun ist die Welt so trübe,
der Weg gehüllt in Schnee,
nun ist die Welt so trübe,
der Weg gehüllt in Schnee.

Ich kann zu meiner Reisen
nicht wählen mit der Zeit,
muss selbst den Weg mir weisen
in dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
als mein Gefährte mit,
es zieht ein Mondenschatten
als mein Gefährte mit,
und auf den weissen Matten
such’ ich des Wildes Tritt,
und auf den weissen Matten
such’ ich des Wildes Tritt.
 
Was soll ich länger weilen,
dass man mich trieb’ hinaus?
Lass irre Hunde heulen
vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht,
von Einem zu dem Andern,
Gott hat sie so gemacht.
Die Liebe liebt das Wandern,
fein Liebchen, gute Nacht!
von Einem zu dem Andern,
fein Liebchen, gute Nacht!

Will dich im Traum nicht stören,
wär’ Schad’ um deine Ruh,
sollst meinen Tritt nicht hören,
sacht, sacht die Thüre zu!
Schreib’ im Vorübergehen
an’s Thor dir: gute Nacht,
damit du mögest sehen,
an dich hab’ ich gedacht.
Schreib’ im Vorübergehen
an’s Thor dir: gute Nacht,
damit du mögest sehen,
an dich hab ich gedacht,
an dich hab ich gedacht.

2. Die Wetterfahne. Bearbeiten

Ziemlich geschwind, unruhig.

Der Wind spielt mit der Wetterfahne
auf meines schönen Liebchens Haus.
Da dacht’ ich schon in meinem Wahne:
sie pfiff den armen Flüchtling aus.
 
Er hätt’ es eher bemerken sollen,
des Hauses aufgestecktes Schild,
so hätt’ er nimmer suchen wollen
im Haus ein treues Frauenbild.
 
Der Wind spielt drinnen mit den Herzen
wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
ihr Kind ist eine reiche Braut.
Der Wind spielt drinnen mit den Herzen
wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
was fragen sie nach meinen Schmerzen?
ihr Kind ist eine reiche Braut.

3. Gefror’ne Thränen. Bearbeiten

Nicht zu langsam.

Gefror’ne Tropfen fallen
von meinen Wangen ab:
ob es mir denn entgangen,
dass ich geweinet hab’?
dass ich geweinet hab’?
 
Ei Thränen, meine Thränen,
und seid ihr gar so lau,
dass ihr erstarrt zu Eise
wie kühler Morgenthau?
 
Und dringt doch aus der Quelle
der Brust so glühend heiss,
als wolltet ihr zerschmelzen
des ganzen Winters Eis,
des ganzen Winters Eis, –
ihr dringt doch aus der Quelle
der Brust so glühend heiss,
als wolltet ihr zerschmelzen
des ganzen Winters Eis,
des ganzen Winters Eis.

4. Erstarrung. Bearbeiten

Ziemlich schnell.[1]

Ich such’ im Schnee vergebens
nach ihrer Tritte Spur,
wo sie an meinem Arme
durchstrich die grüne Flur.
Ich such’ im Schnee vergebens
nach ihrer Tritte Spur,
wo sie an meinem Arme
durchstrich die grüne Flur.
 
Ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee
mit meinen heissen Thränen,
bis ich die Erde, die Erde seh’,
ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee
mit meinen heissen Thränen,
bis ich die Erde, die Erde seh’.
 
Wo find’ ich eine Blüthe,
wo find’ ich grünes Gras?
die Blumen sind erstorben,
der Rasen sieht so blass,
die Blumen sind erstorben,
der Rasen sieht so blass.
Wo find’ ich eine Blüthe,
wo find’ ich grünes Gras?
 
Soll denn kein Angedenken
ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
wer sagt mir dann von ihr?
Soll denn kein Angedenken
ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
wer sagt mir dann von ihr?
 
Mein Herz ist wie erfroren,
kalt starrt ihr Bild darin:
schmilzt je das Herz mir wieder,
fliesst auch ihr Bild, ihr Bild dahin;
mein Herz ist wie erfroren,
kalt starrt ihr Bild darin:
schmilzt je das Herz mir wieder,
fliesst auch ihr Bild, ihr Bild dahin,
fliesst auch ihr Bild dahin.

5. Der Lindenbaum. Bearbeiten

Mässig.[2]

Am Brunnen vor dem Thore
da steht ein Lindenbaum;
ich träumt’ in seinem Schatten
so manchen süssen Traum.

Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebe Wort;
es zog in Freud’ und Leide
zu ihm mich immer fort.

Ich musst’ auch heute wandern
vorbei in tiefer Nacht,
da hab’ ich noch im Dunkel
die Augen zugemacht.

Und seine Zweige rauschten,
als riefen sie mir zu:
komm her zu mir, Geselle,
hier find’st du deine Ruh!
 
Die kalten Winde bliesen
mir grad’ in’s Angesicht,
der Hut flog mir vom Kopfe,
ich wendete mich nicht.
 
Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
und immer hör’ ich’s rauschen:
du fändest Ruhe dort!
Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
und immer hör’ ich’s rauschen:
du fändest Ruhe dort,
du fändest Ruhe dort!

6. Wasserfluth. Bearbeiten

(Ursprünglich in Fis-, später unverändert in E möll.)

Langsam.

Manche Trän’ aus meinen Augen
ist gefallen in den Schnee;
seine kalten Flocken saugen
durstig ein das heisse Weh,
durstig ein das heisse Weh.
 
Wenn die Gräser sprossen wollen,
weht daher ein lauer Wind,
und das Eis zerspringt in Schollen,
und der weiche Schnee zerrinnt,
und der weiche Schnee zerrinnt.

Schnee, du weisst von meinem Sehnen,
sag’, wohin doch geht dein Lauf?
Folge nach nur meinen Thränen,
nimmt dich bald das Bächlein auf,
nimmt dich bald das Bächlein auf.
 
Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,
muntre Strassen ein und aus;
fühlst du meine Thränen glühen,
da ist meiner Liebsten Haus,
da ist meiner Liebsten Haus.

7. Auf dem Flusse. Bearbeiten

Langsam.[3]

Der du so lustig rauschtest,
du heller, wilder Fluss,
wie still bist du geworden,
gibst keinen Scheidegruss!

Mit harter, starrer Rinde
hast du dich überdeckt,
liegst kalt und unbeweglich
im Sande ausgestreckt.
 
In deine Decke grab’ ich
mit einem spitzen Stein
den Namen meiner Liebsten
und Stund und Tag hinein:

Den Tag des ersten Grusses,
den Tag, an dem ich ging;
um Nam’ und Zahlen windet
sich ein zerbroch’ner Ring.
 
Mein Herz, in diesem Bache
erkennst du nun dein Bild?
Ob’s unter seiner Rinde
wohl auch so reissend schwillt,
ob’s wohl auch so reissend schwillt?
Mein Herz, in diesem Bache
erkennst du nun dein Bild?
Ob’s unter seiner Rinde
wohl auch so reissend schwillt,
ob’s wohl auch so reissend schwillt,
ob’s wohl auch so reissend schwillt?

8. Rückblick. Bearbeiten

Nicht zu geschwind.

Es brennt mir unter beiden Sohlen,
tret’ ich auch schon auf Eis und Schnee,
ich möcht’ nicht wieder Athem holen,
bis ich nicht mehr die Thürme seh’,
hab’ mich an jeden Stein gestossen,
so eilt’ ich zu der Stadt hinaus;
die Krähen warfen Bäll’ und Schlossen
auf meinen Hut von jedem Haus,
die Krähen warfen Bäll’ und Schlossen
auf meinen Hut von jedem Haus.

Wie anders hast du mich empfangen,
du Stadt der Unbeständigkeit!
an deinen blanken Fenstern sangen
die Lerch’ und Nachtigall im Streit.
 
Die runden Lindenbäume blühten,
die klaren Rinnen rauschten hell,
und ach, zwei Mädchenaugen glühten! –
da war’s gescheh’n um dich, Gesell!
und ach, zwei Mädchenaugen glühten! –
da war’s gescheh’n um dich, Gesell!
 
Kömmt mir der Tag in die Gedanken,
möcht’ ich noch einmal rückwärts seh’n,
möcht’ ich zurücke wieder wanken,
vor ihrem Hause stille steh’n,
kömmt mir der Tag in die Gedanken,
möcht’ ich noch einmal rückwärts seh’n,
möcht’ ich zurücke wieder wanken,
vor ihrem Hause stille steh’n,
vor ihrem Hause stille steh’n.

9. Irrlicht. Bearbeiten

Langsam.

In die tiefsten Felsengründe
lockte mich ein Irrlicht hin:
Wie ich einen Ausgang finde,
liegt nicht schwer mir in dem Sinn,
liegt nicht schwer mir in dem Sinn.
 
Bin gewohnt das irre Gehen,
’s führt ja jeder Weg zum Ziel:
unsre Freuden, unsre Wehen,
alles eines Irrlichts Spiel,
alles eines Irrlichts Spiel!
 
Durch des Bergstroms trockne Rinnen
wind’ ich ruhig mich hinab;
jeder Strom wird’s Meer gewinnen,
jedes Leiden auch ein Grab,
jeder Strom wird’s Meer gewinnen,
jedes Leiden auch ein Grab.

10. Rast. Bearbeiten

Mässig.

Nun merk ich erst, wie müd’ ich bin,
da ich zur Ruh mich lege;
das Wandern hielt mich munter hin
auf unwirthbarem Wege.

Die Füsse frugen nicht nach Rast,
es war zu kalt zum Stehen;
der Rücken fühlte keine Last,
der Sturm half fort mich wehen,
der Rücken fühlte keine Last,
der Sturm half fort mich wehen.
 
In eines Köhlers engem Haus
hab’ Obdach ich gefunden;
doch meine Glieder ruh’n nicht aus,
so brennen ihre Wunden.

Auch du, mein Herz, in Kampf und Sturm
so wild und so verwegen,
fühlst in der Still’ erst deinen Wurm
mit heissem Stich sich regen,
fühlst in der Still’ erst deinen Wurm
mit heissem Stich sich regen!

11. Frühlingstraum. Bearbeiten

Etwas bewegt.

Ich träumte von bunten Blumen,
so wie sie wohl blühen im Mai;
ich träumte von grünen Wiesen,
von lustigem Vogelgeschrei,
von lustigem Vogelgeschrei.
 
Und als die Hähne krähten,
da ward mein Auge wach;
da war es kalt und finster,
es schrieen die Raben vom Dach,
da war es kalt und finster,
es schrieen die Raben vom Dach.

Langsam.
Doch an den Fensterscheiben,
wer malte die Blätter da?
doch an den Fensterscheiben,
wer malte die Blätter da?
Ihr lacht wohl über den Träumer,
der Blumen im Winter sah,
der Blumen im Winter sah?

Wie oben.
Ich träumte von Lieb’ um Liebe,
von einer schönen Maid,
von Herzen und von Küssen,
von Wonne und Seligkeit,
von Wonne und Seligkeit.
 
Schnell.
Und als die Hähne krähten,
da ward mein Herze wach;
nun sitz’ ich hier alleine
und denke dem Traume nach,
nun sitz’ ich hier alleine
und denke dem Traume nach.
 
Langsam.
Die Augen schliess’ ich wieder,
noch schlägt das Herz so warm,
Die Augen schliess’ ich wieder,
noch schlägt das Herz so warm.
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?
wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?
wann halt’ ich mein Liebchen im Arm?

12. Einsamkeit. Bearbeiten

Langsam.

Wie eine trübe Wolke
durch heit’re Lüfte geht,
wenn in der Tanne Wipfel
ein mattes Lüftchen weht:
so zieh’ ich meine Strasse
dahin mit trägem Fuss,
durch helles, frohes Leben
einsam und ohne Gruss.
 
Ach, dass die Luft so ruhig!
ach, dass die Welt so licht!
Als noch die Stürme tobten,
war ich so elend, so elend nicht.
Ach, dass die Luft so ruhig!
ach, dass die Welt so licht!
Als noch die Stürme tobten,
war ich so elend, so elend nicht.

Zweite Abtheilung (October 1827) Bearbeiten

13. Die Post. Bearbeiten

Etwas geschwind.

Von der Strasse her ein Posthorn klingt.
Was hat es, dass es so hoch aufspringt,
mein Herz?
was hat es, dass es so hoch aufspringt,
mein Herz, mein Herz?
 
Die Post bringt keinen Brief für dich.
Was drängst du denn so wunderlich,
mein Herz, mein Herz?
Die Post bringt keinen Brief für dich,
mein Herz, mein Herz,
was drängst du denn so wunderlich,
mein Herz, mein Herz?
 
Nun ja, die Post kommt aus der Stadt,
wo ich ein liebes Liebchen hatt’,
mein Herz!
wo ich ein liebes Liebchen hatt’,
mein Herz, mein Herz!
 
Willst wohl einmal hinüberseh’n
und fragen, wie es dort mag geh’n,
mein Herz, mein Herz?
Willst wohl einmal hinüberseh’n,
mein Herz, mein Herz,
und fragen, wie es dort mag geh’n,
mein Herz, mein Herz?

14. Der greise Kopf. Bearbeiten

Etwas langsam.

Der Reif hat einen weissen Schein
mir über’s Haar gestreuet;
Da glaubt’ ich schon ein Greis zu sein
und hab’ mich sehr gefreuet.
 
Doch bald ist er hinweggethaut,
hab’ wieder schwarze Haare,
dass mir’s vor meiner Jugend graut –
wie weit noch bis zur Bahre!
wie weit noch bis zur Bahre!
 
Vom Abendroth zum Morgenlicht
ward mancher Kopf zum Greise.
Wer glaubt’s? und meiner ward es nicht
auf dieser ganzen Reise,
auf dieser ganzen Reise!

15. Die Krähe. Bearbeiten

Etwas langsam.

Eine Krähe war mit mir
aus der Stadt gezogen,
ist bis heute für und für
um mein Haupt geflogen.
 
Krähe, wunderliches Thier,
willst mich nicht verlassen?
Meinst wohl bald als Beute hier
meinen Leib zu fassen?
 
Nun, es wird nicht weit mehr geh’n
an dem Wanderstabe.
Krähe, lass’ mich endlich seh’n
Treue bis zum Grabe!
Krähe, lass’ mich endlich seh’n
Treue bis zum Grabe!

16. Letzte Hoffnung. Bearbeiten

Nicht zu geschwind.

Hie und da ist an den Bäumen
manches bunte Blatt zu seh’n,
und ich bleibe vor den Bäumen
oftmals in Gedanken steh’n.
 
Schaue nach dem einen Blatte,
hänge meine Hoffnung dran;
spielt der Wind mit meinem Blatte,
zittr’ ich, was ich zittern kann.
 
Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
fällt mit ihm die Hoffnung ab,
fall’ ich selber mit zu Boden,
wein’, wein’ auf meiner Hoffnung Grab,
wein’, wein’ auf meiner Hoffnung Grab.

17. Im Dorfe. Bearbeiten

Etwas langsam.

Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten;
es schlafen die Menschen in ihren Betten,
träumen sich Manches, was sie nicht haben,
thun sich im Guten und Argen erlaben;
und morgen früh ist alles zerflossen. –
Je nun, je nun, sie haben ihr Theil genossen,
und hoffen, und hoffen, was sie noch übrig liessen,
doch wieder zu finden,
doch wieder zu finden auf ihren Kissen.

Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,
lasst mich nicht ruh’n in der Schlummerstunde!
Ich bin zu Ende mit allen Träumen, –
was will ich unter den Schläfern säumen?
Ich bin zu Ende mit allen Träumen, –
was will ich unter den Schläfern säumen?

18. Der stürmische Morgen. Bearbeiten

Ziemlich geschwind, doch kräftig.

Wie hat der Sturm zerrissen
des Himmels graues Kleid!
die Wolkenfetzen flattern
umher in mattem Streit,
umher in mattem Streit.
 
Und rothe Feuerflammen
zieh’n zwischen ihnen hin:
das nenn’ ich einen Morgen
so recht nach meinem Sinn!
 
Mein Herz sieht an dem Himmel
gemalt sein eignes Bild,
es ist nichts als der Winter,
es ist nichts als der Winter,
der Winter kalt und wild!

19. Täuschung. Bearbeiten

Etwas geschwind.

Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,
ich folg’ ihm nach die Kreuz und Quer;
ich folg’ ihm gern und seh’s ihm an,
dass es verlockt den Wandersmann.
Ach! wer wie ich so elend ist,
giebt gern sich hin der bunten List,
die hinter Eis und Nacht und Graus
ihm weist ein helles, warmes Haus
und eine liebe Seele drin –
nur Täuschung ist für mich Gewinn!

20. Der Wegweiser. Bearbeiten

Mässig.

Was vermeid’ ich denn die Wege,
wo die andern Wandrer gehn,
suche mir versteckte Stege
durch verschneite Felsenhöhn?
suche mir versteckte Stege
durch verschneite Felsenhöhn,
durch Felsenhöhn?
 
Habe ja doch nichts begangen,
dass ich Menschen sollte scheun,
dass ich Menschen sollte scheun,
welch ein thörichtes Verlangen
treibt mich in die Wüsteneien,
treibt mich in die Wüstenei’n?
 
Weiser stehen auf den Wegen, (Strassen,)
weisen auf die Städte zu,
und ich wandre sonder Massen,
ohne Ruh, und suche Ruh,
und ich wandre sonder Massen,
ohne Ruh, und suche Ruh,
und suche Ruh.
 
Einen Weiser seh’ ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Strasse muss ich gehen,
eine Strasse muss ich gehen,
die noch keiner ging zurück.
Einen Weiser seh’ ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Strasse muss ich gehen,
die noch keiner ging zurück,
die noch keiner ging zurück.

21. Das Wirthshaus. Bearbeiten

Sehr langsam.

Auf einen Todtenacker
hat mich mein Weg gebracht;
allhier will ich einkehren,
hab’ ich bei mir gedacht.

Ihr grünen Todtenkränze
könnt wohl die Zeichen sein,
die müde Wandrer laden
ins kühle Wirtshaus ein.
 
Sind denn in diesem Hause
die Kammern all’ besetzt?
bin matt zum Niedersinken
bin tödtlich schwer verletzt.

O unbarmherz’ge Schenke,
doch weisest du mich ab?
Nun weiter denn, nur weiter,
mein treuer Wanderstab,
nun weiter denn, nur weiter,
mein treuer Wanderstab!

22. Muth. Bearbeiten

(Ursprünglich in A-, später unverändert in G-moll.)

Ziemlich geschwind, kräftig.

Fliegt der Schnee mir in’s Gesicht,
schüttl’ ich ihn herunter.
Wenn mein Herz im Busen spricht,
sing’ ich hell und munter.
Höre nicht, was es mir sagt,
habe keine Ohren;
fühle nicht, was es mir klagt,
Klagen ist für Thoren.
 
Lustig in die Welt hinein
gegen Wind und Wetter!
will kein Gott auf Erden sein,
sind wir selber Götter!
Lustig in die Welt hinein
gegen Wind und Wetter!
will kein Gott auf Erden sein,
sind wir selber Götter!

23. Die Nebensonnen. Bearbeiten

Nicht zu langsam.

Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n,
hab’ lang’ und fest sie angesehn.
Und sie auch standen da so stier,
als wollten sie nicht weg von mir.
Ach, meine Sonnen seid ihr nicht,
schaut andern doch in’s Angesicht!
Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei;
nun sind hinab die besten zwei.
Ging’ nur die dritt’ erst hinterdrein!
im Dunkeln wird mir wohler sein.

24. Der Leiermann. Bearbeiten

Etwas langsam.

Drüben hinterm Dorfe
steht ein Leiermann,
und mit starren Fingern
dreht er, was er kann.

Baarfuss auf dem Eise
wankt er hin und her,
und sein kleiner Teller
bleibt ihm immer leer,
und sein kleiner Teller
bleibt ihm immer leer.
 
Keiner mag ihn hören,
keiner sieht ihn an,
und die Hunde knurren
um den alten Mann.

Und er lässt es gehen
alles, wie es will,
dreht, und seine Leier
steht ihm nimmer still,
dreht, und seine Leier
steht ihm nimmer still.

Wunderlicher Alter,
soll ich mit dir gehn?
Willst zu[WS 1] meinen Liedern
deine Leier drehn?

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Urspr: Nicht zu geschwind.
  2. Urspr: Mässig langsam.
  3. Urspr: Mässig

Anmerkungen (Wikisource) Bearbeiten

  1. In einer früheren Fassung: du

Zur Textgestalt Bearbeiten

Diese „kritische Ausgabe“ ist keine textkritische Ausgabe im heutigen Sinne. Mandyczewski vergleicht das Autograph (damals im Besitz von C. Meinert in Dessau, heute in der Morgan Library, New York) mit der Originalausgabe (diese erschien in zwei Heften, das erste im Januar 1828, das zweite im Januar 1829 bei Tobias Haslinger in Wien unter dem Titel: „Winterreise. Von Wilhelm Müller. In Musik gesetzt für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte von Franz Schubert. 89tes Werk“, Verlagsnummern 5101 bis 5124) hinsichtlich des Notentextes (siehe MDZ München S. 109–115 und Nachtrag S. 2), aber nicht hinsichtlich der Textvorlage. So ist z. B., wie ein Vergleich mit dem Autograph ([1]) zeigt, ein Großteil der Apostrophe systematisch hinzugesetzt. Auch sind Streichungen und Verbesserungen Schuberts nicht verzeichnet.

Editionsrichtlinien Bearbeiten

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • G e s p e r r t gedruckte Wörter werden fett wiedergegeben.
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  • Die Zählung der Lieder ist in arabischen Ziffern, nicht in den römischen der Vorlage.