Wilhelm Roscher (Die Gartenlaube 1894/25)

Textdaten
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Titel: Wilhelm Roscher †
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 428
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[428] Wilhelm Roscher †. Als ob einer hohen Geisteskraft die Fähigkeit innewohnte, auch das körperliche Leben stärkend zu durchfluten und ihm über das gewöhnliche Durchschnittsmaß der Menschen hinaus nicht Dauer bloß, sondern auch Arbeitsfrische zu erhalten, hat die deutsche Gelehrtenwelt der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit eine Reihe von Größen aufzuweisen, die bis in ein ungewöhnlich hohes Alter im Dienste ihrer Wissenschaft thätig geblieben sind. Auch Wilhelm Roscher, der hervorragende Nationalökonom, der am 4. Juni zu Leipzig starb, gehörte zu diesen Auserwählten. Fast 77 Jahre hat er vollendet, 56 Jahre sind verflossen, seit er mit seiner Doktorschrift in die wissenschaftliche Welt sich einführte, und 54, seit er die akademische Lehrkanzel bestieg. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat er als Forscher, Lehrer und Schriftsteller gewirkt und die fruchtbarsten Anregungen unter seinen Schülern wie Lesern ausgestreut.

Wilhelm Roscher wurde am 21. Oktober 1817 zu Hannover als Sohn eines höheren Justizbeamten geboren. Iu üblicher Weise durchlief er die Schulen seiner Vaterstadt, um dann von 1835 bis 1839 zu Göttingen und Berlin Geschichte und Staatswissenschaften zu studieren. Göttingen sah damals bewegte Tage: es war die Zeit des hannoverschen Verfassungsbruchs und des bekannten Protests der „Sieben“; zu zweien derselben, zu Dahlmann und Gervinus, stand der junge Roscher in näheren Beziehungen, während in Berlin vor allem Ranke tieferen Einfluß auf ihn gewann. Dank den Anregungen dieser Männer, dank seiner eigenen Begabung und seinem eisernen Fleiße schuf sich Roscher rasch eine geachtete Stellung in der deutschen Gelehrtenwelt. Nachdem er sich 1840 in Göttingen habilitiert hatte, 1843 zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor vorgerückt war, folgte er 1848 einem Ruf nach Leipzig, dessen Hochschule ihn von da ab, trotz wiederholter lockender Anerbietungen von außen, dauernd den ihren nennen durfte. Wie viele Geschlechter von Studierenden sind in dieser Zeit an ihm vorübergezogen, aus seinem Horsaät den tiefen Eindruck seines Wissens wie seiner Persönlichkeit mit sich hinausnehmend ins Leben! Nicht durch blendende Rednerkunst fesselte Roscher; aber er verfügte über einen klaren fließenden Vortrag, regte an durch die Reichhaltigkeit der Gesichtspunkte und gewann durch die Unparteilichkeit der Darstellung.

Professor Wilhelm Roscher.
Nach einer Photographie von Georg Brokesch in Leipzig.

Groß ist die Zahl der wissenschaftlichen Werke, die aus seiner nimmermüden Feder hervorgingen. Als die Bekrönung und Zusammenfassung seiner Lehre darf man sein fünfbändiges „System der Volkswirtschaft“ betrachten, ein Werk, an dem Roscher über 40 Jahre gearbeitet hat, das ins Französische, Englische, Italienische, Russische und andere Sprachen übersetzt worden und von dessen erstem Bande, den „Grundlagen der Nationalökonomie“, vor wenig Wochen die 21. Auflage erschienen ist, während der Schlußband, enthaltend das „System der Armenpolitik“, wenige Tage vor des Gelehrten Tode vollendet wurde. Neben dem „System der Volkswirtschaft“ ist noch die „Politik“ zu erwähnen, die erst vor zwei Jahren in zwei rasch aufeinander folgenden Auflagen herauskam, eine „geschichtliche Naturlehre“ der Monarchie, Aristokratie und Demokratie. – Roscher vertrat unter den Nationalökonomen die sogenannte „historische“, oder, wie er sie auch nennt, die „physiologische“ Richtung. Er befand sich damit im Gegensatz zu der „idealistischen Methode“. Fragt diese: „Was soll sein?“ und sucht dem entsprechend ein Ideal von Volkswirtschaft aufzubauen, so stellte sich Roscher auf den realeren Standpunkt: „Was ist? und wie ist es geworden?“ Er wollte geben eine „einfache Schilderung zuerst der wirtschaftlichen Natur und Bedürfnisse des Volkes; zweitens der Gesetze und Anstalten, welche zur Befriedigung der letzteren bestimmt sind; endlich des größeren oder geringeren Erfolgs, den sie gehabt haben. Also gleichsam die Anatomie und Physiologie der Volkswirtschaft!“

Roschers Hingang bedeutet einen schweren Verlust für die deutsche Wissenschaft, im besonderen für die blühende Leipziger Hochschule. Aber er lebt fort in seinen Werken und in seinen Schülern. An diesen ist es nun, das Erhe ihres Meisters zu wahren und zu mehren!