Die letzten Augenblicke eines Stierkämpfers

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Titel: Die letzten Augenblicke eines Stierkämpfers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 420–421, 428
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[420]

Die letzten Augenblicke eines Stierkämpfers.
Nach dem Gemälde von José Villegas.

[428] Die letzten Augenblicke eines Stierkämpfers. (Zu dem Bilde S. 420 und 421.) Wiederum hat das grausame Nationalvergnügen der Spanier seine Opfer gefordert. In Murcia wie in Madrid haben in den letzten Wochen Stierkämpfer unter den Hörnern der gereizten Tiere ihr Leben lassen müssen, und ganz Spanien trauert um sie, als wären sie den Heldentod fürs Vaterland gefallen. Espartero, der zu Madrid auftrat, war ein besonderer Liebling des hauptstädtischen Publikums; sein Name auf dem Programm genügte, die weiten Ringe der Arena bis auf den letzten Platz zu füllen, und verschwenderischer Beifall folgte seinen Leistungen – bis einmal auch für ihn der Augenblick kam, wo das tobende Beifallsgeschrei sich jäh in beklommene Stille verwandelte, wo alle Gewandtheit des Körpers, alle Sicherheit von Hand und Auge zu Schanden wurde vor der ungebändigten Wut eines andalusischen Wildlings. Vier Pferde hatte der Stier getötet, da griff der Espada Espartero in den Kampf ein, mit seinem Degen die Entscheidung zu bringen. Ob der Gefeierte wohl zu lange mit den Verbeugungen zum Danke für schmeichelhaften Empfang sich aufhielt? Genug, ehe er sich dessen versah, war er von dem ungestüm auf ihn eindringenden Stier zu Boden geschleudert. Aber wie der Blitz ist er wieder auf den Füßen – jetzt gilt’s die kleine Scharte auszuwetzen! Ein Stoß mit dem nie fehlenden Degen zwischen des Stieres Nackenwirbel, sonst der fast augenblickliche Tod des Tieres! Aber diesem verleiht die Wut Kräfte, die auch die Todeswunde überdauern – mit zwei letzten Stößen seiner Hörner trifft der Andalusier den sich vielleicht schon sicher fühlenden Espada, und mit gräßlich verstümmeltem Körper bricht dieser auf der Wahlstatt zusammen, das menschliche neben dem tierischen Opfer einer rohen Volksleidenschaft. Man trägt ihn hinaus – und das „Spiel“ nimmt seinen Fortgang. Es stehen ja noch so und so viele andere „Toros“ auf dem Programm, und nicht das gräßlichste Blutvergießen kann die fanatischen Zuschauer zum Verzicht auf Fortsetzung und Schluß ihres Schauerdramas bewegen.

Solche Vorgänge wiederholen sich mit einer verhängnisvollen Regelmäßigkeit in den Arenen des „schönen Spaniens“. Darf es uns darum wundern, daß das prächtige Gemälde, das José Villegas vor einigen Jahren schon malte, fast bis in Einzelheiten hinein auf den Fall paßt, der heute zufällig der neueste ist.

Den todwunden Torero hat man in einen Anbau hinter der Arena gebracht, der zu einer Kapelle eingerichtet ist. Dort pflegt sich vor Beginn der Kämpfe die gesamte Stierfechtertruppe, die „Cuadrilla“, zu versammeln, um für ihr Leben zu beten; hier ist jetzt der Priester um den Sterbenden bemüht, ihm die letzten Tröstungen der Religion zu spenden. Die Braut, deren Stolz der Gefallene noch vor einer Stunde gewesen, hat sich in verzweifeltem Schmerz an der Bahre niedergeworfen – auch Espartero hatte eine Braut, mit der er bald Hochzeit machen wollte – die Genossen aber haben die kurze Pause, während draußen der Platz frisch hergerichtet wird, benutzt, um von dem Verscheidenden Abschied zu nehmen. Alle stellen sich in der Kapelle ein: entblößten Hauptes, die Blicke auf den Sterbenden gewandt, lauschen sie den Worten des Priesters. Die Majestät des Todes ist ihnen allen verständlich; ergriffen beugt sich der eine nieder, ernst sinnend steht der andere da. Nur einige wenige, die der Tod nicht schreckt, bleiben kalt – sie haben Aehnliches schon zu oft gesehen! Der Diener aber sammelt schon die abgenommene Prunkkleidung des Espada, der im letzten schlichten Kleide eben friedvoll seinen Atem aushaucht. Die ganze Tragik dieses blutigen Schauspiels, der Gegensatz zwischen dem glänzenden Flittergewand des Lebens und dem starren Tode, die Naturwahrheit der Gestalten, welche die Kapelle füllen, von dem ruhig seines Amtes waltenden Priester bis zu den Arena-Wächtern im Hintergrunde, die sich leise ihre Betrachtungen über den Vorfall mitteilen – das alles ist auf dem Gemälde von Villegas sprechend wiedergegeben.