Wien (Freiligrath)
Wenn wir noch knieen könnten, wir lägen auf den Knien;
Wenn wir noch beten könnten, wir beteten für Wien!
Doch lange schon verlernten wir Kniefall und Gebet –
Der Mann ist uns der beste, der grad und aufrecht steht!
Der Mund ist uns der frommste, der Schlachtgesänge singt!
Wozu noch bittend winseln? Ihr Männer, in’s Gewehr –
Heut ballt man nur die Hände, man faltet sie nicht mehr!
Es ist das Händefalten ein abgenutzt Geschäft –
Die Linke an die Gurgel dem Sklaven und dem Schuft,
Die Rechte mit der Klinge ausholend in der Luft!
Ein riesig Schilderheben, ein Ringen wild und kühn –
Das ist zur Weltgeschichte das rechte Flehn für Wien!
Nicht, wo im rothen Dolman einhersprengt der Kroat,
Nicht, wo vom Huf der Rosse das Donauufer bebt,
Nicht, wo vom Stephansthurme der weiße Rauch sich hebt,
Nicht, wo aus Slovenmörsern die Brandraketen sprühn –
Nicht dorthin sollst du pilgern zur Hülfe, zum Entsatz –
Allwärts, um Wien zu retten, stehst du an deinem Platz!
Räum’ auf im eignen Hause! Räum’ auf und halte Stich –
Den Jellachich zu jagen, wirf deinen Jellachich!
Mach’ fallen unser Olmütz, und Olmütz rasselt nach!
Der Herbst ist angebrochen, der kalte Winter naht –
O Deutschland, ein Erheben! o Deutschland, eine That!
Die Eisenbahnen pfeifen, es zuckt der Telegraph –
Bei’m Todeskampf der Riesin dastehst du wie von Stein –
Alles, wozu du dich ermannst, ein kläglich Bravoschrein!
Köln, 3. November 1848.