Wie man wider Willen zum Propheten wird

Textdaten
<<< >>>
Autor: Dr. U. Bernstein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie man wider Willen zum Propheten wird
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 275-276
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[275]

Wie man wider Willen zum Propheten wird.

Die letzte Arbeit von Dr. A. Bernstein.

Das im Jahre 1883 stattgehabte fünfzigjährige Jubliäum der Telegraphie ruft in meinem Gedächtniß sehr lebhaft eine Erinnrerung an eine Scene wach, in welcher ich durch den Scherz und die Heiterkeit eines Freundes gezwungen wurde, etwas drucken zu lassen, wogegen sich mein Gewissen sträubte. Es war dies eine Prophezeiung, die ich in Begeisterung niedergeschrieben hatte, an deren Wahrheit ich aber zweifelhaft wurde, als ich sie im Correcturhogen vor mir liegen sah.

Bekanntlich hatten im Jahre 1833 die Professoren Gauß und Weber in Göttingen den glücklichen Gedanken, den elektrischen Strom durch eine Leitung zur Abgabe von Zeichen zu benutzen. Sie bedienten sich hierzu der Eigenschaft des Stromes, die Magnetnadel eines Galvanometers bald rechts bald links von ihrer natürlichen Lage abzulenken, wenn man den Strom in der einen oder in der anderen Richtung durch die Leitung gehen läßt. Freilich konnte man auf diesem Wege nur zwei verschiedene Zeichen geben, aber durch die Combination und Wiederholung dieser Zeichen war man im Stande ganze Worte zu telegraphiren.

Indessen vergingen fast zwei Jahre, bevor man diese höchst interessante Erfindung näher beachtete, obwohl man in Gelehrtenkreisen sehr erstaunt war über die Genauigkeit, mit welcher diese Nadeltelegraphie zwischen dem physikalischen Laboratorium Weber’s und der Sternwarte Gauß’s in Göttingen fungirte.

Im Jahre 1834 wurde ich von Professor Gubitz zur Mitarbeiterschaft an dem von ihm herausgegebenen Blatte „Der Gesellschafter“ engagirt und schrteb da Novellen, Kritiken und Theaterrecensionen nach Herzenslust, wie das ein junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren in jenen stillen unpolitischen Zeiten naturgemäß trieb. Als besondere Arbeit lag mir ob, auch noch Artikel für eine literarische Beilage zu schreiben, welche immer Freitags in die Druckerei geschickt werden mußte, um Sonntags dem Hauptblatte beigelegt werden zu können. Bei diesen Artikeln und Betrachtungen ließ ich sehr gern meiner literarischen Neigung und Phantasie die Zügel schießen. Da kam mir denn eines Tages die nähere Kunde von der elektrischen Telegraphie, welche Gauß und Weber für sich eingerichtet hatten. Mich begeisterte diese Erfindung dermaßen, daß ich mich am liebsten gleich auf den Weg nach Göttingen gemacht hätte, um das Wunder mit eignen Augen sehen zu können.

Je weniger ich dergleichen auszuführen im Stande war, um so lebhafter flammte in mir die Begeisterung auf, dieser Erfindung den schnellsten Triumph zu prophezeien. Und das that ich denn auch wirklich in dem nächsten Artikel, den ich für das Beiblatt des „Gesellschafter“ schrieb. Ich sagte dieser Erfindung die größte Zukunft vorans, schrieb, daß sie weit über Zeit und Raum hinweg die Gedanken der Menschen zu Menschen leiten werde, wie ehedem nur die Gottheit ihre Offenbarungen uns armen Sterblichen verkündet habe. Meine Seelenergüsse über dieses interessante Thema schickte ich denn eines schönen Mittwochs in die Druckerei, woselbst sie mir richtig Freitags in der Literatur-Beilage in siebenzehn enggedruckten Zeilen wieder vor Augen kamen.

Als ich in der Correctur diese meine schwärmerischen Auslassungen überblickte, überfiel mich der Zweifel daran, und ich fürchtete, mich lächerlich zu machen, wenn ich ein Experiment, das über ein paar Häuser einer Stadt hinweg glücklich gelungen war, nun sofort als eine für Straßen, Städte, Länder und Völker brauchbare Einrichtung hinstellen, ja als eine die ganze Menschheit umfassende Errungenschaft hochpreisen würde. Und nun gar meine gottlose Speculation über Zeit, Raum und göttliche Offenbarung, die konnte mir noch gerade die Verfolguug des Censors eintragen, wodurch das Erscheinen der literarischen Beilage für den nächsten Sonntag möglicher Weise verhindert werden könnte. Ich entschloß mich daher schnell, die siebenzehn Zeilen des Textes aus der Mitte der Beilage durch einen Strich zu beseitigen, und gerieth nun dadurch in die Verlegenheit, die Lücke durch irgend eine literarische Notiz auszufüllen. Ich griff zu [276] einem Roman, den ich zur Recension auf meinem Schreibtische liegen hatte, und versuchte, denselben durchblätternd, mich von seinem Inhalte soweit in Kenntniß zu setzen, um die Lücke, welche das Durchstreichen der verhängnißvollen siebenzehn Zeilen verursacht hatte, mit wohlmeinenden Redensarten ausfüllen zu können.

Ich war eifrig mit dem Studium des neuen Romans beschäftigt, als die Thür sich öffnete und mein junger lustiger Freund, der Poet Ludwig Kosarsky, in meine Stube hereinstürmte.

„Was,“ rief er, „Du bist noch bei der Arbeit? Es ist ja schon Freitag, und wie ich sehe, liegt ja der Correcturbogen schon vor Dir auf dem Tische. Sieh ihn schnell durch und mach’ ein Ende, wir wollen eine Partie Schach spielen und dann beisammen frühstücken!“

Ich klagte meinem Freunde meine Noth und veranlaßte ihn, einmal die siebzehn weissagenden Zeilen durchzulesen und mir aufrichtig zu sagen, ob man wohl so etwas Ueberspanntes drucken lassen könne.

Kosarsky las meine begeisterten Zeilen mit großer Heiterkeit und sagte dann schließlich lachend:

„Na, da hast Du wieder einmal Deinem Natur-Enthusiasmus freien Lauf gelassen. Es ist ja wahr, lieber Junge, was Du da geschrieben hast, ist wahrer Unsinn, aber Du schreibst ja jahraus, jahrein so viel dummes Zeug, daß es Dir nicht gerade viel schadet, wenn Du dieses hier stehen läßt. Deine Leser nehmen Dir’s nicht übel, sie sind Dergleichen schon von Dir gewöhnt.“

Natürlich wollte ich in meiner Aufregung meine siebenzehn Zeilen sowohl, als auch das Streichen derselben rechtfertigen, da klopfte es an die Thür, und herein tritt der Druckerbursche, um die Correctur abzuholen.

„Hier,“ rief Kosarsky, „hier ist sie, und sieh her, dieser Strich gilt nicht, die siebenzehn Zeilen bleiben stehen, sie enthalten die weiseste Prophezeiung der Welt.“

Es war nichts dagegen zu machen, ehe ich etwas erwidern konnte, hatte Kosarsky den Druckerburschen zur Thür hinausgeschoben, und ich ergab mich, wenn auch entschieden widerwillig, in mein Schicksal, meine prophetischen Zeilen am Sonntage in der Beilage stehen zu sehen; versuchte es aber, in der nun sofort beginnenden Schachpartie mich für die Unbill Kosarsky’s zu rächen.