Wie man Nachtigallen in die Gärten lockt

Textdaten
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Autor: Eduard Baldamus
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Titel: Wie man Nachtigallen in die Gärten lockt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 278–280
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[278]
Wie man Nachtigallen in die Gärten lockt.

Ein goldiger, blühender, duftender Frühlingstag ohne Vogelgesang – ein grüner, schattiger, sonniger Wald und kein Drossel- und Amsel- und Finkenschlag – Apfelblüthe und Fliederduft und Bienensummen und keine Grasmücke, keine Nachtigall, keine Vogelsymphonie – kannst Du es Dir nur denken, lieber Leser?

Wäre das nicht ein Tag ohne Sonne? eine Nacht ohne Mond- und Sternenlicht? ein Himmel ohne Wolken? eine Symphonie ohne Streichquartett? ein Jungfrauenherz ohne Liebe? Wäre das wirklich ein Frühling?

Nenne mir irgend zwei untrennbare Dinge und behaupte, sie gehörten inniger zusammen, als Maienblühen und Vogelgesang! –

Doch, lieber Leser – Du berufst Dich auf die Ueberschrift und willst endlich erfahren, wie man Deine Lieblinge anlockt und hegt und pflegt.

Ich komme gleich zur Sache. Vorausschicken möcht’ ich nur, daß meine betreffenden Erfahrungen – und hoffentlich darf ich in unserer Gartenlaube noch andere mittheilen – die Resultate eifriger Studien, Beobachtungen und Versuche sind, welche ich seit [279] meiner Knabenzeit, d. h. beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch, meinen erklärten Lieblingen unausgesetzt gewidmet habe.

So gern nun die Königin des Gesanges im blühenden Apfelbaume ihre Oden und Dithyramben dichtet, der Duft von Flieder, Jasmin und Rosen gehört doch auch dazu, sie in die rechte Begeisterung zu versetzen. Der Garten, in welchem die Nachtigall und die größeren Grasmücken ihre Sommerwohnung beziehen sollen, darf also nicht zu klein und nicht bloßer Baum- oder Blumengarten sein; etwas mehr als fünfzig Quadratruthen muß er enthalten. Er habe auch einiges Gesträuch und Gestrüpp, sogenanntes „Unterholz“ oder sei wenigstens mit einer lebendigen Hecke eingefriedigt.

Ist dann noch ein Quell, ein Bach, ein Teich oder Graben darin oder in seiner Nähe, und liegt Dein Garten nicht in einer durch die Separation in eine baum- und trostlose Fläche verwandelten Gegend, oder mitten im Gebirge, so sind alle Ansprüche erfüllt, welche unsere Meistersänger an das Terrain für ein passendes Sommerlogis zu machen gewohnt sind. Unsere drei besten Grasmückenarten: der Plattmönch (Schwarzplättchen), die graue oder Garten- und die Sperber-Grasmücke, können und werden ihren Einzug halten, wenn auch die letztere nicht überall. Ebenso die Spöttergrasmücke oder Bastardnachtigall, der unermüdliche, zarte Oberst im Vogelorchester, der nicht einmal auf Unterholz besteht, da er sein kunstvoll geflochtenes Nest häufig auf Bäumen anlegt. Und endlich auch die Zaun- oder Klapper-Grasmücke (Müllerchen, kleines Weißkehlchen), die mit den kleinsten Stadtgärten fürlieb nimmt, wenn sie nur einiges dichtes Stachelbeer-, Johannisbeer- und Himbeer-Gesträuch vorfindet, in dem sie, wie auch die übrigen Verwandten, gern ihr leicht gewebtes Nest versteckt.

Die Nachtigall verlangt indeß noch etwas Anderes!

In Parkanlagen und „englischen“ Gärten, in denen ja Ziersträucher und Rasenplätze gleichsam den Grundriß bilden; ferner in verwilderten oder vernachlässigten Baumgärten, in welchen es an Gestrüpp aller Art nicht zu fehlen pflegt; endlich in sonst sauber gehaltenen Gärten mit Ziersträuchern oder anderem Untergehölz findet sich im Frühjahr, vom Grase und auf dem Grabelande von dem Gesträuch festgehalten, altes trockenes Laub. Dies ist aber der Nachtigall, sowie ihrem Verwandten, dem sanften Elegiker Rothkehlchen, aus doppeltem Grunde unentbehrlich.

Unter dem alten, vor- und mehrjährigen Laube haben sich Millionen von Insecten, Insectenlarven und Gewürm versteckt, um dort zu überwintern, und gerade dies kriechende, meist schädliche Gezücht bildet die Hauptnahrung der Nachtigall, und da einmal Alles, was Odem hat, der irdischen Nahrung nicht entbehren und auch die Nachtigall nicht blos vom Singen und Dichten leben kann, so lautet das erste Recept für ihre Anlockung und Fesselung: „Laß nicht alles trockne Laub unter dem Zier- und sonstigen Gesträuch Deines Gartens wegharken, besonders wenn letzteres auf gegrabenem Boden steht.“

Das Laubrecept dient aber auch einem andern Zwecke.

Nachtigall und Rothkehlchen, wie sie ihre Nahrung meist auf dem Erdboden suchen, besonders im Frühjahr, legen auch ihre Nester regelmäßig auf oder dicht über dem Erdboden an. Die Nachtigall namentlich umgiebt nun ihr in die Mitte oder an die Seite der unten oft kahlen Gesträuchstämme gestelltes Nest mit einer Umhüllung von trocknen und verrotteten Blättern, so daß das Ganze selbst in der Nähe einem Haufen hängengebliebenen Laubes gleicht und von den übrigen im Gebüsche und Grase umherliegenden Laubklumpen kaum zu unterscheiden ist. Diese Blätterumhüllung des Nestes, dessen tief halbkugelförmiges Innere mit Gewürzel, Borsten, Pferdehaar und dergleichen äußerst glatt und sauber gerundet wird, ist so sehr Bedürfniß und Regel, daß ich niemals unter Hunderten von Nachtigallennestern eine Ausnahme bemerkt oder von einer solchen gehört habe, und daß die vorsichtige Baumeisterin, wenn sie sich aus sonstigen Rücksichten entschließt, von dem Vorhandensein solcher Laubhaufen in der Nähe des Nestplatzes abzusehen, dennoch instinctmäßig für eine solche sorgt und die Blätter dazu dann oft aus ziemlicher Entfernung herbeiträgt, in diesem Falle freilich ohne ihren Zweck zu erreichen. Denn ein solcher vereinzelter Laubhaufen wird nur um so auffallender für allerlei vier- und zweifüßiges umherschleichendes Raubgesindel – Mäuse, Wiesel, Katze, Elstern, Eiersammler und Vogelfänger. Nichts hilft dann die Aehnlichkeit der Farbe des brütenden Vogels mit dem verrotteten Laube, und es ist gleichgültig, daß der edle Sänger jetzt das bereits entdeckte Asyl auch noch durch seine großen glänzenden Augen verräth.

Also auch aus diesem Grunde darf nicht alles trockne Laub, besonders nicht das zwischen den Stämmen und Stämmchen des Strauchwerks hängen gebliebene, gänzlich entfernt werden.

Zu wirksamem Schutze sind aber noch ganz besonders, wenn sie nicht schon vorhanden, recht dichte buschige Stachelbeer- oder Brombeerruthen und anderes Dornicht, vor Allem auch Weißdornbüsche anzulegen und außerdem fest zusammengebundene Bündel von dergleichen Stachelzweigen unter dem Buschwerk zu vertheilen.

Ich verdanke es vorzugsweise diesem den meisten Räubern unzugänglichen Schutzmittel, daß sich in meinem nicht allzugroßen Garten bereits im dritten Jahre, in welchem die neuangelegten Dorn- und Ziersträucher noch wenig dicht waren, ein Nachtigallenpaar bleibend ansiedelte und seine Jungen trotz aller in den Dörfern so häufigen Katzen glücklich aufbrachte, und habe oft genug bemerken können, wie Alt und Jung bei drohender Gefahr in diesem Zufluchtsorte Schutz suchte und fand.

Das zweite Recept heißt also: „Sorge für ausreichenden Schutz Deiner Gäste durch Anlegung sicherer Zufluchtsstätten!“

Das dritte aber lautet: „Dulde keinen der Eier- und Vogelräuber in Deinem Garten!“

Die schlimmsten Feinde unserer Lieblinge sind in Gärten ohne Zweifel die Katzen. Um sie fernzuhalten, braucht man sie aber nicht gleich todtzuschießen oder gar zu vergiften; ein einziger Schuß mit seinem Dunst hat fast ohne Ausnahme einen zweiten unnöthig gemacht.

Es giebt aber auch Hunde – namentlich Pinscher, Affenpinscher, Spitze und Wachtelhunde – welche gern Eier und junge Vögel fressen. Den eigenen kann man diese Unart natürlich leicht abgewöhnen. Fremde dulde man nicht in Gärten, in denen man Nachtigallen haben will. Wiesel, Iltis, Marder sind freilich nicht immer abzuhalten; Tellereisen und Flinte müssen da möglichst schützen.

Unter den geflügelten Eier- und Vogelräubern sind ohne Zweifel am gefährlichsten unsere Würgerarten, besonders die beiden kleineren: der rothköpfige und der rothrückige oder Neuntödter – Lanius rufus und collurio – und zwar nicht allein wegen ihrer Raubsucht und außerordentlichen Tollkühnheit, sondern auch weil gerade sie die nämlichen Localitäten wie unsere Schützlinge – Untergehölz mit oder ohne Bäume – allen anderen vorziehen, sich meist im Gebüsch umhertreiben und hier vorzugsweise ihre Nester anlegen.

Nun habe ich zwar bei diesen kleinen Räubern die Beobachtung bestätigt gefunden, welche man bei den großen gemacht hat: daß sie nämlich niemals in unmittelbarer Nähe des eigenen Nestes rauben. Indeß möchte ich doch nicht rathen, sich auf diese „Eigenthümlichkeit“ allzusehr zu verlassen. Von vielen Erfahrungen nur eine.

Ein Nachtigallenpaar hatte sich in meinem Garten bereits angesiedelt, als ein später ankommendes Neuntödterpaar die Krone desselben Weißdornstrauches zum Nistorte ausersah, der am Boden das Nachtigallennest barg. In Folge täglich oftmals wiederholter, überwachender Besuche waren die Neuntödter sehr zutraulich, das heißt bei solchem Raubgesindel dummdreist geworden, und ließen allerdings die Nachtigallenfamilie bis nach dem Ausfliegen der Jungen unbehelligt, aber nur, um sie jetzt um so eifriger zu verfolgen. Das Angstgeschrei der verzweifelten Eltern rief mich rechtzeitig aus der Nähe herbei und meine Stockflinte machte der Noth der Armen bald ein Ende.

Auch Elstern und Eichelheher – Corcus pica und Garrulus glandarius – darf man durchaus nicht in einem Garten dulden, in welchem man Singvögel schützen und erhalten will. Beide sind gleichfalls verrufene Nestplünderer und vergessen in ihrer abscheulichen Leidenschaft für Eier und junge Vögel oft sogar die ihnen sonst eigene Vorsicht und Scheu vor dem Menschen und dem Schießgewehr. So hatte ein Elsternpaar ein Nachtigallennest trotz seines guten Verstecks unter Brombeerranken glücklich aufgestöbert und machte wiederholte, von den Eltern mit wunderbarem Muthe so lange abgewehrte Angriffe auf die Jungen, daß ich mein in der Nähe stehendes Gewehr herbeiholen und den einen der tollkühnen Räuber erlegen konnte. Es ist diese glückliche Abwehr, nebenbei bemerkt, ein Beispiel von Heldenmuth und Erfolg, wie mir ein zweites während einer so langen Beobachtungszeit doch nicht wieder vorgekommen ist!

[280] Uebrigens sind einige blinde Schüsse – ich habe mein Leben lang nur ungern selbst schädliche Thiere getödtet – vollkommen hinreichend, um die beiden Diebesgenossen zu vertreiben, falls sie nicht schon ihre Nester in der Nähe aufgebaut haben, die man natürlich wegnehmen muß. Endlich aber suche man die Singvögel, welche man in seinen Garten gewöhnen will, durch ihr Lieblingsfutter anzulocken und zu fesseln. Austern, Caviar, Lachs etc., in die Sprache der Singvögel übersetzt, heißen aber Mehlwürmer und Ameisenpuppen. Sie sind die wahren und unwiderstehlichen Delicatessen, nicht allein für die große Anzahl aller „Insectenfresser“, sondern auch für die Mehrzahl der sogenannten Körnerfresser! Ja neuerliche Beobachtungen in meiner Volière haben mich zu meiner Ueberraschung belehrt, daß sogar Papageien ihre zarten Jungen damit ätzen, und man könnte wirklich fragen: Wer unter den Vögeln frißt keine Mehlwürmer und Ameisenpuppen?

Ich für mein Theil habe nun zwar nicht blos den Sommergästen bei ihrer Ankunft diese Leckereien entgegengebracht, sondern auch für die armen Stand- und Strichvögel, Meisen, Finken, Ammern etc., in der bösen Winterzeit Sorge getragen; eine Folge davon sind meine stets besetzten Nistkästchen aller Art! Ganz besonders aber habe ich immer dafür gesorgt, daß die ankommenden Erdsänger, Nachtigall, Roth- und Blaukehlchen, gedeckten Tisch fanden. Ich habe zu diesem Zwecke das dürre Laub unter dichtem Gebüsch stellenweise entfernt und einige Schalen mit Mehlwürmern und Ameisenpuppen dorthin gestellt, und wenn es mir auch nicht gelungen ist, das liebliche Blaukehlchen dauernd an meinen mitten im Dorfe gelegenen Pfarrgarten zu fesseln, so haben sich deren mehrere doch stets länger darin aufgehalten und mit ihrem schönen Schlage mehr erfreut, als sie es ohne diese verführerische Lockspeise sonst wohl gethan haben würden. Ein in meiner Volière herumfliegendes Blaukehlchen habe ich im vorigen Jahre durch Mehlwürmer dahin gebracht, daß es mir durch Flur, Treppe und Stuben bis zu meinem Studirzimmer folgte, spielend auf der schreibenden Hand saß und nach den Buchstaben pickte.

Mit Nachtigall und Rothkehlchen ist es mir noch besser geglückt. Sobald ich gegen Mitte April das erste „Wiidkarr“ oder „Tack“ vernahm, wurde den ersehnten Ankömmlingen ihr Leckermahl vorgesetzt und meist sofort angenommen. Man muß indeß die Procedur möglichst in ihrer Nähe vornehmen; sehen sie die laubfreie aufgelockerte Stelle, so fliegen sie sehr bald herab und ergreifen zunächst die auf den Erdboden hingelegten Würmer, gehen aber auch bald an die im Gefäße hingesetzten. Fast ohne Ausnahme begannen die trauten Sänger, sobald sie die Localitäten genauer in Augenschein genommen, ihr wunderbares Lied, und kamen einige Tage später die Weibchen an, so waren die Männchen bereits eingewohnt und überredeten jene leicht zum Dableiben, und dann erst bekam das Lied den „süß-gewaltigen Ton, der sich so trostvoll an’s Menschenherz legt“!

Noch wenige Wochen und sie kehren zurück, Königin Nachtigall und ihr ganzer Hofstaat von Minnesängern, und bringen „frisches Grün“ mit und Blüthenpracht und Blumenduft und warmen Sonnenschein, und besingen all’ diese Herrlichkeit in süß-gewaltigen Liedern.

Gieb wohl acht! Um die Mitte dieses Monats beginnt der Einzug! So etwa vom 10. an kommt der Plattmönch, um die Königin anzukündigen. Vom 15. an kannst Du sie jeden Morgen erwarten (Mitteldeutschland), später als am 26. trifft sie wohl selten ein. Sie richtet sich indeß weniger nach dem norddeutschen als nach dem Naturkalender: sieht sie die Stachelbeerbüsche blühen, den Weißdorn grünen und die Kirschblüthe sich entfalten – dann kann sie sich nicht länger halten, dann muß es endlich Frühling werden!

Halle, Anfang April 1870.

E. Baldamus.