Wie ich das Unions-Jubiläum feierte

Textdaten
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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Wie ich das Unions-Jubiläum feierte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 590–591
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wie ich das Unions-Jubiläum feierte.
Von Theodor Kirchhoff.
Paris in Texas, am 6. Juli 1876.     

Der Morgen des 4. Juli, an welchem Tage die große Republik des Westens bekanntlich ihren hundertjährigen Geburtstag feierte, fand mich, auf der Missouri-, Kansas- und Texas-Eisenbahn im Territorium der indianischen Nationen lustig gen Süden kutschirend, in der frohen Hoffnung, noch am Nachmittage desselben Tages die Stadt Denison, das neue Emporium des nördlichen Texas, zu erreichen. Ich hoffte wenigstens noch die letzten Pelotonfeuer vom Geknatter der fire-crackers, Schrotflinten, Pistolen, chinesischen Bomben, Amboßsalven etc. und all den obligaten Skandal und Festlärm, womit Amerika seinem übersprudelnden Patriotismus Ausdruck zu geben liebt und der an diesem Tage hundertfach verstärkt sein sollte, miterleben zu können. Aber meine christliche Geduld und meine Anhänglichkeit an mein Adoptivvaterland sollten an diesem Tage seiner Säcularfeier auf eine harte Probe gestellt werden.

Es hatte während der letzten Woche geregnet. Was das im Süden heißen will, weiß Jeder, der in diesen Gegenden einem solchen Naturereignisse beigewohnt hat. Der Regen fällt nicht etwa tropfenweise, sondern in förmlichen Wasserschichten vom Himmel herab; fortwährendes Blitzen flammt dabei durch die Wolken, und der Sturmwind heult wie rasend dazwischen: ein Aufruhr der Elemente, der sich vom Fenster eines trockenen Hauses pompös ausnimmt, der aber unter freiem Himmel nichts weniger als gemüthlich ist. Die Fahrstraßen und Schienenwege, und namentlich die Brücken haben bei einem solchen Sündfluthregen erklärlicher Weise viel zu leiden, und der Verkehr auf den Eisenbahnen wird oft auf längere Zeit ganz unterbrochen.

Auf unserem Zuge ging das Gerücht, daß der Regensturm die Brücken über den Arkansas- und den Canadianfluß und namentlich die über den wilden Red River etwas beschädigt hätte; Genaueres war vorläufig über den Umfang der „Beschädigungen“ nicht zu erfahren. Wir Reisenden ließen uns also deshalb just keine „grauen Haare“ wachsen und genossen mit voller Lust das herrliche Wetter und den warmen Sonnenschein, den tiefblauen Himmel und das saftige Grün der Prairien und Urwälder, durch welche unser Dampfzug im Gebiete der halbcivilisirten indianischen Nationen – der Cherokees, Creeks und Choctaws – dahineilte.

Der hoch angeschwollene Arkansasfluß lag glücklich hinter uns. Unser Dampfzug erreichte das Ufer des South-Canadian, dessen finstere Fluth von einer langen Eisenbahnbrücke überspannt wurde, die jedoch von dem Hochwasser etwas aus den Fugen gerathen war. Langsam fuhr unser Zug, nachdem die Locomotive allein den Bau erst geprüft, über die Brücke. Daß die Mehrzahl der Passagiere es vorzog, zu Fuß hinüber zu marschiren, wird uns der Leser hoffentlich nicht als ein Zeichen von Hasenfurcht auslegen, denn der wild brausende Fluß, auf dessen schlammigen Wogen eine Menge von entwurzelten Baumstämmen trieb, die öfters mit Gewalt an den Brückenpfeiler stießen, ließ uns die Passage zu Fuß etwas sicherer erscheinen, als im Waggon eingepfercht hinüber expedirt zu werden.

Einige hundert Choctaw-Indianer, welche am Ufer des Canadian zur Feier des Tages ein „Barbecue“, eine Art Piknik, wobei am Spieß gebratene unzerlegte Ochsen als Festmahl die Hauptanziehungskraft bilden, arrangirt hatten und die sich gerade mit Ballspiel belustigten, brachten Leben in das malerische Bild unseres Flußüberganges. Ein solches indianisches Ballspiel ist ein Unicum im Vergnügen des Ballwerfens. Die Bälle dürfen dabei nicht mit der Hand berührt, sondern müssen mit Korbgeflechten, die in Form einer Kelle am Ende eines Stabes befestigt sind, von denen jeder Ballspieler zwei in Händen hat, [591] gepackt und fortgeschleudert werden. Eine allein stehende hohe Stange ist das Ziel, welches die siegende Partei mit dem Balle treffen muß. Die Streitenden sind bis auf einen Lendengürtel Alle in Adam’s Costüm. Dem oft erstaunlich weit durch die Luft fliegenden Balle stürzen sich beide Parteien schnell wie Windhunde nach. Wenn sich dann über dem Ball die schlanken braunen Gestalten, monoton gurgelnde Kehllaute von sich gebend, balgen und stoßen, sich durcheinander schieben und drängen, bis ein Glücklicher denselben mit seiner doppelten Korbschleuder erwischt hat und weithin fliegen macht, so ist das ein ganz außerordentlich erregendes, wildes Schauspiel.

Unser Dampfzug war glücklich wieder auf festem Grund und Boden; hinter uns erscholl der Lärm des Ballspiels, und weiter eilten wir dahin durch die grünen Wälder und Prairien, zwischen denen die Farmen der wohlhabenderen Choctaws anmuthig zerstreut dalagen. Nach einer Fahrt von etwa dreihundert englischen Meilen hatten wir gegen Abend das Indianergebiet durchkreuzt und hielten am Ufer des Red River, der hier die nördliche Grenze des Staates Texas bildet.

Welch ein Anblick bot sich unseren erschreckten Blicken! – Die prächtige Eisenbahnbrücke über den Red River, sowie eine in Sicht liegende starke Wagenbrücke waren von der Hochfluth gänzlich in Trümmer gerissen worden; zwischen uns und dem texanischen Ufer brausten die rothbraunen Wogen des über fünfhundert Ellen breiten Stromes, der in achtundvierzig Stunden zwanzig Fuß gestiegen war; seine Fluth war überfüllt von mächtigen losgerissenen Baumstämmen und großen Feldern von dickem, schmutzig weißem Schaum, die schnell darauf vorüberglitten.

Bald befand sich die ganze etwa fünfhundert Köpfe starke Reisegesellschaft – Männer, Frauen und Kinder – am hohen Flußufer, und man debattirte lebhaft über die Möglichkeit, noch heute über den Strom zu gelangen und die nur sechs englische Meilen entfernte Stadt Denison in Texas zu erreichen, wo das „Centennial“-Fest, wie uns die Zeitungen berichtet hatten, gerade jetzt mit allem Glanze texanischer Festglorie gefeiert wurde. Die Eisenbahnconducteure schüttelten bedenklich den Kopf und schlugen ein Bivouak im Urwald für die Männer und ein Unterkommen in den Waggons für die Frauen und Kinder vor: ein lächerlicher Vorschlag, der allerseits sofort mit Entrüstung abgelehnt wurde. Wir mußten über den Fluß, heute noch, um in Denison das „Centennial“ mitzufeiern – das war die Parole. Der Vollmond erhob sich soeben über den finsteren Wäldern jenseits des Red River und würde uns Licht genug zur Ueberfahrt geben, wenn der Tag geschieden. Also frisch an’s Werk! – In einer halben Stunde waren drei Nachen gefunden, in denen wir den Flußübergang wagen wollten.

Eine Schaar der waghalsigsten Texaner bewerkstelligte zuerst den Uebergang. Wohlbehalten gelangten sie über den Strom, und starke Arme brachten die Kähne glücklich zurück an’s diesseitige Ufer. Jetzt wurde der Uebergang systematisch in’s Werk gesetzt. „Zuerst die Frauen und Kinder,“ hieß es. Die Kleinen, denen die in Aussicht gestellte Bootfahrt Spaß machte, wurde von Hand zu Hand das abschüssige Felsufer hinunter in die Kähne expedirt, acht in jeden Kahn. Die Mütter mußten vorläufig zurückbleiben, um durch ihre Aengstlichkeit nicht ein Umwerfen der Böte hervorzurufen. „Drei leichte Männer, einer in jeden Kahn,“ lautete nun das Commando, „um die Kleinen unterwegs in Obhut zu nehmen!“ Mancher Junggeselle schüttelte bedenklich den Kopf und dankte für die Ehre. Der Conducteur unseres Zuges wählte jedoch ohne weitere Umstände drei Passagiere als besonders „leichte Waare“, worunter auch mich, zu Bootführern aus, welchem Befehle wir uns selbstverständlich ohne Murren unterwarfen. Meine Bemerkung, ich sei ein vorzüglicher Schwimmer und könnte nöthigenfalls mit einem halben Dutzend Kindern in den Armen zur Feier des „Centennial“ über den Red River schwimmen, wurde von den Texanern mit lautem Beifall entgegengenommen.

Im Zwielichte kletterte ich den Felsabhang hinab in’s Boot und hieß unseren Charon abstoßen, einen herculischen Neger, der sich im Sonntagsputze mit hellblau carrirter Hose, scharlach- und weißgestreiftem Rocke, langer zeisiggrüner Weste mit große Metallknöpfen daran, halbfußlangen eckigen Vatermördern, rothem Halstuche, dicker plattirter Uhrkette und einer riesigen, mit falschen Steinen besetzten Brustnadel famos ausnahm. Meine acht Schutzbefohlenen im Alter von etwa vier bis sieben Jahren, worunter zwei niedliche flachshaarige deutsche Mädchen, sahen in ihren hellen Sonntagskleidern und den mit rosa Bändern geschmückten Strohhüten allerliebst aus. Sie verhielten sich während der Ueberfahrt ganz ruhig und guckten, da ich ihnen befohlen, auf den Boden des Kahns sich hinzusetzen, nur eben mit ihren Köpfen über den Bootrand hervor, ein Bild, das sich, als wir langsam die schäumenden blutrothen Fluthen durchkreuzten, vom steilen Ufergelände aus ganz eigenthümlich ausnehmen mußte und Stoff zu einem ansprechenden Gemälde gegeben hätte. Mit welchen Gefühlen die Mütter der Kleinen unserer gefährlichen Bootfahrt vom Ufer aus nachschauten, läßt sich denken. Als wir fast die Mitte des Stromes erreicht hatten, erhob sich ein warnendes Geschrei vom Ufer; ein riesiger Baumstamm kam die tobenden Fluthen, gegen unser Boot zu, herabgeschwommen, den mein Neger jedoch bei Zeiten erspähte; er steuerte den Kahn durch eine geschickte Wendung kaum zehn Schritte von dem drohenden Koloß vorbei. Ohne Unfall erreichten wir das jenseitige Ufer, und es fiel mir eine schwere Last vom Herzen, als ich die Kleinen sämmtlich wieder auf sicherem Boden sah.

Während voller vier Stunden setzte auf oben beschriebene Weise alle Passagiere glücklich über den wilden Red River, während der Vollmond sein bleiches Licht malerisch auf die seltsame Scene herabgoß. Dann waren wir gezwungen, zwei Meilen weit auf dem von den Fluthen vielfach arg beschädigten Bahndamme zu Fuß durch die Urwälder zu marschiren, ehe wir den Eisenbahnzug, der uns weiter bringen sollte, erreichen konnten. Stellenweise mußten die Kinder über lange wackelige Baumstämme getragen werden, welche uns als Fußpfad über zerrissene Brücken dienten, wo ein Fehltritt die Betreffenden einige zwanzig Fuß tief in den Sumpf hätte hinabstürzen lassen. Im finstern Walde ertönten zu beiden Seiten das Geschwirre, Zirpen, Pfeifen und Schnarren von Kätydids (Art Grashüpfer), Spottdrosseln und anderen Insecten und Nachtvögeln; Eulen schrieen dazwischen, und Schaaren von Fröschen quakten im Sumpflande – ein Gemisch thierischer Töne, eine seltsame „Centennial“-Musik zu unserm gefährlichen Nachtmarsche. Etwas vor Mitternacht erreichten wir Alle wohlbehalten das ersehnte mit Flaggen geschmückte Denison, sahen noch die letzten Festraketen in den nächtlichen Himmel sausen und ergötzten uns am Knattern der letzten fire-crackers und chinesischen Bomben, womit die Bevölkerung den Tag über ihrem übersprudelnden Patriotismus Ausdruck gegeben hatte.

Das war meine „Centennial“-Feier des vergangenen 4. Juli. Die Erinnerung daran möchte ich nicht mit der von Hunderttausenden in den Großstädten der Union vertauschen! Die brausenden rothen Fluthen des seine Fesseln zersprengenden wilden Stromes, die Nachtmusik der Urwälder waren gewiß imposanter als die laut tönenden Musikchöre und der Gesang in den Festhallen und Kirchen des weiten Landes. Die über den finsteren Wäldern schwebende silberne Scheibe des Vollmondes gab wohl eine prächtigere Beleuchtung, als die Illumination von Straßen, die Gluth von Fackeln und von funkensprühenden Feuerwerken, und das Gefühl, eine große Gefahr mit kaltem Blute glücklich bemeistert zu haben, war ein schönerer Lohn, als der Stolz von Festmarschällen, die auf ihren schnaubenden Rossen an den mit Bannern geschmückten Processionen als Helden des Tages auf- und abgesprengt waren, als das Selbstgefühl amerikanischer Festredner, die den Vogel der Freiheit mit den Wolken als Turban auf dem Haupte von Meer zu Meer hatten flattern lassen.