Wie einer den Höllenfürsten beschimpfte

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Wie einer den Höllenfürsten beschimpfte
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 116–125
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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[116]
43. Wie einer den Höllenfürsten beschimpfte

Zur Zeit, als die Gin-Tartaren in das chinesische Reich einzubrechen begannen, dessen Nordhälfte sie an sich rissen, so daß der Sungdynastie nur noch der Süden verblieb, da lebte der treue und tapfere Feldherr Yüo Fe. Der hatte dem Heer der Tartaren schon manche Niederlage beigebracht und war im Begriff, sie gänzlich zu besiegen. Es war aber ein verräterischer und hinterlistiger Minister in China, namens Tsin Gui. Der hatte mit den Feinden einen geheimen Bund gemacht und betrieb den Friedensschluß. Auf sein Anstiften wurden dem Feldherrn Yüo Fe zwölf goldene Tafeln vom Kaiser geschickt, die ihn und sein Heer zurückberiefen. Nachher schmiedete der Verräter Tsin Gui mit dem bösen Me Ki Siä und seiner Frau, der Langzunge, geheime Pläne, um den Feldherrn Yüo Fe ins Gefängnis zu bringen. So heimlich gingen sie dabei vor, daß die Langzunge um Mitternacht, wenn sie mit ihrem Manne zusammen war, nicht zu reden wagte, sondern ihre schwarzen Gedanken mit einem Eßstäbchen in die Asche schrieb und immer gleich wieder verwischte. Schließlich gelang es ihr, ein Todesurteil gegen den edlen Feldherrn und seinen Sohn zu erwirken.

Von diesen Geschichten hörte später ein Gelehrter, namens Hu Di. Der knirschte vor Wut darüber mit den Zähnen. Eines Tages, als er betrunken war, drang er in den Tempel des Höllenfürsten Yän Lo (Yama) ein. Da sah er an der Wand vier Zeilen stehen, die vor voreiligem Reden warnten:

[117]

Der blaue Himmel alles weiß,
Ihm kann man nicht entgehen.
Und Gut und Bös wird recht belohnt,
Mags oft auch lang anstehen.

Hu Di hatte Anstoß genommen an dem Schicksal des Feldherrn Yüo Fe. Darum ließ er sich von dem Priester einen Pinsel geben und änderte jene Worte ab:

Der blaue Himmel ist so fern,
Der Gute stirbt, der Böse siegt.
Wenn wirklich es Vergeltung gibt,
Wie käms, daß Treue unterliegt?

Dann deutete er auf das Götterbild im Tempel und begann zu schelten: „Du blindes und taubes Götzenbild von Holz und Lehm! Fälschlich nennen dich die Menschen den Herrn der Unterwelt. Umsonst wird dir das Weihrauchopfer dargebracht. Ich werde dich von deinem Stuhle stoßen!“

Mit diesen Worten begann er, dem Bilde mit Fußtritten zuzusetzen, und nur mit Mühe gelang es dem Priester, ihn zurückzuhalten. Weil er aber in heftiger Wut war, so stieg ihm der Wein wallend zu Kopf; er fiel auf den Boden und blieb liegen.

Ehe er sichs versah, hatte sein Geist die leibliche Hülle verlassen, und plötzlich sah er einen Teufel mit rotem Haar und blauem Gesicht und hervorstehenden Augen, die blitzten und leuchteten. In der Hand hielt er eine Tafel und sprach mit barschem Ton: „König Yän beruft dich!“ Damit nahm er aus dem Ärmel eiserne Fesseln hervor, legte sie um seinen Hals und schleppte ihn hinter sich her.

Vor sich sah er nichts als lauter gelben Sand, des Himmels Sonne konnte er nicht erkennen. Als sie lange gegangen waren, kamen sie an einen großen Berg, wo ein kalter Wind bis ins Mark der Knochen blies.

Er fragte, was das für eine Gegend sei.

„Das ist der Totenberg“, antwortete der Teufel, „die Grenze zwischen Menschenwelt und Unterwelt.“

Die Felsen bildeten eine ungeheure Öffnung. Darüber [118] stand geschrieben: Geistertorpaß. Da erst wurde Hu Di gewahr, daß er gestorben sei. Mit Sehnsucht dachte er an seine Heimat zurück.

Plötzlich entdeckte er auf einem Berg eine Platte: Männer und Frauen stiegen in dichten Scharen hinauf und hinab, und alle weinten bitterlich.

Der Teufel sprach: „Das ist die Platte Heimatblick.“

Er führte ihn hinauf, und als er von der Platte einen Blick ins Land herniederwarf, da sah er seine Haustür greifbar nahe vor seinen Augen. Seine alte Mutter war auf einen Stab gestützt und weinte. Weib und Kind trugen Trauerkleider und einen Strick um den Leib und standen schluchzend vor der Tür. Wie er sie so stehen sah, da gings ihm wie ein Messer durchs Herz, und er wollte sich losmachen und hinunterspringen. Aber der Teufel hielt ihn fest an seiner Kette und zerrte ihn von der Platte wieder herunter. Dann holte er aus dem Ärmel einen Stachelhammer hervor und trieb ihn damit vor sich her.

Als sie an dem Berge vorüber waren, da kamen sie an einen großen Fluß. Seine Wogen waren trübe und rot. An der Furt standen zahllose böse Teufel, die Peitschen und Gabeln in den Händen hielten und damit die Seelen der Abgeschiedenen ins Wasser hinunterstießen. Alte und Junge, Weiber und Kinder zu Hunderttausenden schwammen darin umher, bald bis über den Scheitel untertauchend, bald den Kopf herausstreckend. Und es war ein Geschrei und Heulen zum Herzzerreißen. Über den Fluß ging eine Regenbogenbrücke in goldnem Flimmerglanz. Darauf gingen vier oder fünf Leute. Sie alle trugen um den Kopf einen runden Heiligenschein und schritten mit den Füßen auf farbigen Wolken.

Der Teufel sprach: „Das ist der Höllenfluß. Die Sünder und Übeltäter müssen durchs Wasser, die Guten aber gehen über die goldene Brücke. Da es noch nicht bestimmt ist, ob du zu den Verdammten gehörst oder nicht, so will ich dich hinübergeleiten.“

[119] Mit diesen Worten nahm ihn der Teufel am Arm und wandelte auf dem Wasser zum jenseitigen Ufer hinüber.

Als Hu Di den Höllenfluß überschritten hatte, da erblickte er ein Dorf, aus dem mehrere Dutzend böse Hunde hervorkamen, die ihn unter wildem Bellen umringten, ihn in die Beine bissen und ihm die Kleider zerrissen. Erst als der Teufel sie mit aller Kraft verscheuchte, blieben sie zurück.

Dann sagte er zu ihm: „Das ist das Böse-Hunde-Dorf.“

Wieder gingen sie einige Meilen weit, da sah er eine Stadt mit hohen Toren und Türmen; darauf stand geschrieben: die Totenstadt.

Der Teufel sprach: „Nun sind wir da.“

Sie gingen in die Stadt und kamen an ein Amtsgebäude. Da waren Knechte und Torhüter, gerade wie in der Menschenwelt. Verbrecher in Fesseln und Banden wurden zitternd und bebend hineingeschleppt und kamen heulend und zähneklappernd wieder heraus in zahllosen Scharen. Die teuflischen Amtsdiener übten Erpressungen und ergingen sich in allerlei Quälereien, gerade wie sie es auch in der Menschenwelt machen.

Der Teufel, der den Hu Di anbrachte, ging mit seiner Tafel zuerst hinein.

Er selbst mußte lange warten, bis von drinnen der Ruf erscholl: „Der Hu soll kommen!“

Ein Teufel schleppte ihn hinein durch die erste Halle, die zweite Halle bis zur innern Halle. Dort hing eine große Tafel, auf der in roter Schrift geschrieben stand: Fünfter Höllenpalast. In der Halle saß ein König mit Fransenhut und einem Zepter in der Hand in dunkler Kleidung und mit roten, viereckigen Schuhen. Sein Angesicht war schwarz-violett und glänzend. Haar und Augenbrauen waren rot, und sein Schnurrbart hing wie lange Troddeln herunter. Er stützte sich auf seinen Tisch und saß aufgerichtet da. Zu seiner Rechten und Linken standen der Ochsenkopf und das Pferdegesicht auf ihre Lanzen gelehnt. [120] Abseits davon stand im Seidenhut und blauen Mantel ein rotgesichtiger Richter, der das Buch des Lebens in der Hand hielt. Unten an den Stufen standen zwei Reihen von teuflischen Amtsdienern mit Peitschen und Prügeln in der Hand, die finster dreinsahen. Rechts und links waren vier paar Ölkessel aufgestellt, in denen das Öl wie kochendes Wasser brodelte, und eine acht Fuß hohe, eherne, glühende Säule, aus der die roten Feuerflammen emporschlugen. Ein Teufel spießte mit einer eisernen Gabel eine nackte Frau auf und warf sie in den Kessel. Zwei Männer mußten die Säule umfassen, und wenn sie losließen, wurden sie mit Stacheleisen geschlagen. Peitschen- und Prügelstrafen waren nur für die leichtesten Vergehen.

Als Hu Di vor die Halle geführt wurde, blieb er stehen, ohne niederzuknien.

Der König sagte zornig: „Du bist also Hu Di! Weshalb hast du mich beschimpft? Schleunigst in den Ölkessel mit ihm!“

Hu Di aber lachte und sprach: „Ich habe gehört, wen man einen Gott nennt, der ist weise und gerecht, belohnt das Gute und straft das Böse, um so das Gewissen der Menschen zu schärfen. Nun war Yüo Fe der treueste Diener seines Staates und wurde doch mit seinem Sohn zusammen in Schmach und Tod gebracht. Tsin Gui aber, der seinen Herrn verraten hat um seiner eigenen Ehre willen, genießt des Reichtums und der Würde. Wenn das der Weg des Himmels ist, dann ist es wahrlich besser, tot zu sein als zu leben. Du, o großer König, aber findest es nicht der Mühe wert, das Recht ans Licht zu bringen, sondern denkst nur darauf, deinem eigenen Zorne Luft zu machen wegen einer unbesonnenen Äußerung von mir. Daran erkenne ich, daß die Finsternis in der Unterwelt noch schlimmer ist als die bei den Menschen, und daß deine Grausamkeit, o großer König, nicht zurücksteht hinter der der irdischen Tyrannen. Ich aber fürchte mich nicht vor deinen Strafen.“

[121] Mit diesen Worten raffte er seine Kleider zusammen, verließ die Halle und begab sich zu dem Kessel.

Da erhob sich der König, hielt ihn zurück und sprach: „Bakkalaureus Hu, du bist ein gerechter Mann, ich will mit dir über Yüo Fes Sache reden. Das Leben eines Menschen dauert nur einen Augenblick. Nur wer sich einen treuen, ehrfürchtigen, reinen und gerechten Namen gemacht, dem wird ewiges, himmlisches Leben zuteil. Du mußt nicht Schmerz und Freude, die den Menschen in ihrer verweslichen Hülle begegnen, für wirkliches Glück und Unglück halten! Yüo Fe war in seinem Leben treu und gut, nach seinem Tode ward er unter die lichten Götter versetzt und genießt Schlachtopfer tausend Jahre lang und Weihrauchdüfte durch hundert Geschlechter. Tsin Gui dagegen, wenn er auch reich und angesehen ist und ein geruhiges Ende findet, so sind im Himmel doch seine Übeltaten aufgezeichnet, und der Richter der Unterwelt hat schon seine Strafe notiert. Er muß die achtzehn Höllen der zehn dunklen Örter durchlaufen und alle Arten von Schmerzen erdulden. Dann kommt er wieder auf die Welt zurück als Tier, und auch in der Menschenwelt wird er bespieen und beschimpft zehntausend Geschlechter lang. So sind im Himmel, in der Hölle und auf Erden die Übeltäter verhaßt, und ihr Lohn ist wahrlich nicht gering. Du hast es wohl gut gemeint, aber doch des Himmels Sinn nicht verstanden, als du mir fluchtest.“

Als der Höllenfürst ausgeredet hatte, schwieg Hu Di. Doch war er innerlich noch immer unwillig. Da ließ jener durch den Richter das Buch des Lebens herbeibringen und gab es dem Hu Di zum Durchsehen. Da standen nun alle die Sünden und Schlechtigkeiten des Tsin Gui und die Art, wie er den Yüo Fe ins Verderben gebracht, ausführlich beschrieben.

Der König sprach: „Tsin Guis Lebensfrist ist noch nicht zu Ende. In zehn Jahren muß er sterben.“

Dann deutete er im Westen der Halle auf einen Spiegel [122] und ließ Hu Di sich drin bespiegeln. Der blickte lange hinein. Von frühester Jugend ab bis zur Zeit, da er erwachsen war, alles, was er getan hatte, ob er auch nur ein Mückchen getötet oder eine Ameise zertreten oder aber die kleinste gute Tat vollbracht hatte, auch was er im dunklen Kämmerlein einsam mit sich selbst gesprochen hatte: nichts, das nicht im Spiegel zu sehen war.

Der König sprach: „Das ist der Sündenspiegel. Die Menschen können mich über Gut und Böse, das sie getan, nicht betrügen.“

Dann befahl er einem Teufel, den Hu Di auf eine hohe Terrasse zu führen, darauf stand geschrieben: Der Blick auf die Unsterblichen. Wenn man in die Höhe blickte, so sah man die Himmelsstadt mit ihren Türmen und Hallen aus Nephrit. Mitten drin sah er den Yüo Fe und seinen Sohn; beide schritten auf Wolken und waren bekleidet mit purpurnen Hüten und Drachengewändern und trugen weiße Nephritzepter in der Hand, und Wächter gingen ihnen zur Seite mit Federn und Speeren, mit Trommeln und Posaunen, und Berittene folgten ihnen hinten nach. So schritten sie einher wie die Könige. Um den Scheitel hatten sie einen runden Schein, der strahlend die Augen blendete.

Der Teufel sprach: „Das ist Yüo Fe und sein Sohn. Sie sind schon unter die Unsterblichen versetzt, Ihr braucht Euch nicht weiter über sie zu beunruhigen, Bakkalaureus!“

Als sie von der Terrasse herabkamen, öffnete sich vor ihnen ein weiter Raum, darinnen stand ein ungeheures Rad, das mehrere Dutzend Fuß im Durchmesser hatte. Es drehte sich knarrend, und Feuerflammen blitzten rings empor. Darunter standen lange Reihen zahlloser abgeschiedener Geister. Einige von ihnen waren in kaiserliche und königliche Gewänder gekleidet, wieder andere in seidene Beamtentracht, andere in Helm und Panzer, andere mit Gold und Edelsteinen in den Händen, andere als Gelehrte, als Bauern, als Handwerker, als Kaufleute, [123] als Buddhistenmönche und Taoistenpriester, als Arme und Bettler. Wiederum waren andere da, die hatten Häute von Tieren und Vögeln übergeworfen, und noch andere solche von Schlangen und Würmern. Männer und Frauen waren also aufgestellt, in sechs Reihen geteilt. Neben dem Rad stand ein Topf mit gelbem Wasser. Der Wärter des Rades ließ die abgeschiedenen Seelen von dem Wasser trinken. Es ward genannt der Trank der Vergessenheit. Wer von dem Wasser trank, vergaß, was er in seinem früheren Leben erfahren hatte. Nachdem die Abgeschiedenen getrunken hatten, halfen ihnen Teufel, das Rad zu besteigen. Es drehte sich, und sie waren verschwunden – zu neuer Geburt auf der Oberwelt.

Darauf wurden ihm die zehn Hallen mit ihren achtzehn Höllen gezeigt. Da war der Eisberg mit den Messerbäumen. Da stand ein ungeheurer Teufel, der warf die Seelen auf den Berg, daß sie sich an den Messern aufspießten und ihnen die Gedärme aus dem Leib drangen. Wiederum war da die Sägehölle. Da wurden sie zwischen zwei Bretter gespannt und mit einer Säge vom Kopf bis zu den Füßen zertrennt. Alles war mit Blutspuren befleckt.

Sein Begleiter sagte: „So geht es denen, die zwei Herren gedient, und den Frauen, die zwei Männer geheiratet.“

Da war die Zungenausreißhölle, wo denen, die die Menschen untereinander aufgehetzt hatten, die Zunge ausgerissen wurde. Da war die Hölle, wo sie umgekehrt aufgehängt wurden an einem Haken, der ihnen in den Rücken geschlagen wurde, also daß es aussah, wie wenn man Waren wiegt. Diese Hölle war für die, die unrecht Maß und Gewicht gebraucht. Wieder eine andere Hölle enthielt Mörser und Mühlen, in denen sie zerstoßen und zermahlen wurden, daß Blut und Fleisch nur so herausspritzte. Bluthunde, so groß wie Löwen, drängten sich herbei und fraßen die Abfälle. Die Hölle war für die, die Blutsverwandte auseinandergebracht und anderen geheime Fallstricke gestellt.

[124] Wieder eine war die Hungerhölle. Darin schmachteten die, die hartherzig gegen die Armen nur für den eigenen Leib gesorgt hatten.

Diese Hölle war es gewesen, in die einst der Buddhistenpriester Mu Liän eingebrochen war, um seine Mutter zu erlösen. Seine Mutter nämlich saß in dieser Hölle. Mu Liän aber hatte es durch gute Werke dazu gebracht, daß er ein Buddha wurde. Dann ging er geradeswegs in die Unterwelt, um seine Mutter zu befreien. Er schlug mit seinem eisernen Stabe die Tore der Hölle entzwei und trug seine Mutter empor zum westlichen Himmel. Dabei brachen dreitausend hungrige Seelen aus dieser Hölle hervor und wurden auf der Oberwelt geboren. Die haben dann den Aufstand veranlaßt, in dem die Tang-Dynastie ihr Ende fand.

Dann kam Hu Di in die Blutschüsselhölle. Da waren große und kleine Schüsseln, mit blutigem Wasser gefüllt, und eine Anzahl von Frauen, die klagten und weinten.

In ihrer Mitte erblickte er plötzlich seine erste Frau, die weinend zu ihm sprach: „Ich habe während meines irdischen Lebens keine schweren Sünden begangen. Nur bei der Geburt meiner Kinder habe ich das reine Wasser befleckt, indem ich ihr Blut darin abwusch. Nun hat mir der Höllenfürst befohlen, dieses Wasser auszutrinken, und erst wenn ich fertig damit bin, kann ich aufs neue als Mensch geboren werden. Ich bitte dich herzlich, daß, wenn du hinaufkommst, du aus Papier und Stroh einen Wasserbüffel machst und ihn verbrennst, daß er für mich das blutige Wasser austrinkt. Auch empfehle ich dir meine Kinder an, daß sie nicht das Leid von Stiefkindern erfahren müssen.“

Sie beschwor ihn aufs inständigste, und Hu Di versprach ihr alles. Dann nahmen sie unter Tränen voneinander Abschied.

Hu Di fragte seinen Begleiter: „Und wo sind die Orte, wo die Mörder von Menschen und Haustieren sich aufhalten?“

[125] Der Teufel sprach: „Sie müssen durch verschiedene Höllen gehen und werden schließlich als Tiere wieder geboren. Die ihren Eltern ungehorsam waren, die ihre Brüder im Stiche ließen, die Geld und Gut liebten, die ihre eigenen Frauen und Kinder unrechtmäßig begünstigten, werden entsprechend der Schwere ihrer Schuld bestraft; es gibt keine eigene Hölle für sie. Aber da ist noch eine für solche, die andere um Geld und Gut gebracht und als Beamte das Fett des Volkes gefressen haben. Denen wird geschmolzenes Kupfer in den Magen und in die Gedärme gegossen, auch zieht man ihnen etwa die Haut ab.“

Hu Di trat wieder vor den Höllenkönig.

„Und bist du nun zufrieden?“ sprach der König. „Du wirst nicht mehr sagen können, daß es keine Vergeltung gebe.“

Darauf ließ er durch den Richter das Lebensalter des Hu Di nachschlagen.

Der sprach: „Mit achtzig Jahren wird er ohne Krankheit sterben, nachdem er es zum Kreishauptmann gebracht.“

Darauf nahm er ein Losstäbchen, schrieb einen Vermerk darauf mit roter Farbe und befahl, ihn wieder auf die Oberwelt zurückzubringen. Da kamen zwei Teufel und nahmen ihn mit sich. Sie fuhren dahin wie ein Sturmwind, und ehe er sichs versah, waren sie an seinem Hause angelangt. Seine ganze Familie stand im Kreise umher und weinte. Ein Mann aber lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Bett, und wie er hinsah, war es sein eigener Leichnam. Da versetzten ihm die Teufel einen kräftigen Stoß, und schon schlug er die Augen auf und kam wieder zu sich.

Zwei Tage hatte er tot dagelegen. Als seine Leute von dem Ereignis im Tempel des Höllenfürsten gehört hatten, hatten sie ihn nach Hause geschafft. Weil aber in seiner Herzgrube noch ein wenig Wärme zu spüren war, war er noch nicht eingesargt worden. Nun aber wurde er wieder lebendig, und er erzählte die Geschichte, die hier aufgeschrieben ist.

Anmerkungen des Übersetzers

[396] 43. Wie einer den Höllenfürsten beschimpfte. Quelle: Schauspiel.

Yüo Fe gehört noch heute zu den populärsten Helden der Geschichte. Um 1127 hatten die Gin-Tartaren die ganze kaiserliche Familie des Sunghauses gefangen genommen. In der Hauptstadt Kaifongfu entstand Aufruhr. Prinz Kang entfloh. Da sah er ein Pferd am Wegrand grasen. Er setzte sich darauf. Es schwamm mit ihm durch den Yangtse und rettete ihn so. Als er in Sicherheit war, fiel das Pferd um, und es zeigte sich, daß es aus Ton war. Der Prinz machte nun Hangdschou zu seiner Hauptstadt und begründete die südliche Sungdynastie.

Unter den Gefangenen am alten Kaiserhofe war auch der Minister Tsin Gui gewesen. Er ward von dem Herrscher der Gin in geheimem Einverständnis zurückgeschickt, und es gelang ihm und seiner Frau, den tapferen und edlen Yüo Fe zu Tode zu bringen, 1141. In Hangdschou, aber auch sonst allenthalben im Reich, finden sich bis auf den heutigen Tag Tempel des Yüo Fe. In deren Vorraum sind eiserne Statuen von Tsin Gui und der Langzunge (Me Ki Siä) angebracht in kniender Stellung, die von den Tempelbesuchern beschimpft und tätlich insultiert werden.

Die Höllenschilderungen entsprechen ganz den volkstümlichen Anschauungen, wie sie in den Höllendarstellungen in den Stadtgotttempeln der Kreisstädte Nahrung finden.

Fünfter Höllenpalast: Wie oben schon erwähnt, ist der Fürst der fünften Hölle (Yama) der höchste der Totengötter. Seine Kleidung [397] ist die eines Herrschers. Der Fransenhut (vgl. die Abbildung des Stadtgottes) entspricht der Krone.